408 IV. 7. Das Junge Deutschland. hohen Rat der deutschen Bundespolizei zum letzten Male zu unfrucht- baren Verhandlungen um sich versammelte, erstand im Westen und Nor- den das neue in Arbeit geeinigte Deutschland, scharf abgegrenzt gegen Osterreich wie gegen das Ausland. Das letzte Ziel der fridericianischen Politik, die Lösung des deutschen Dualismus, schien jetzt nicht mehr un- erreichbar, und hoffnungsvoll sagte Karl Mathy: „Noch niemals ist Deutsch- land so einig gewesen wie seit der Stiftung des Zollvereins.“ Der junge Tag, der über Deutschland heraufdämmerte, ward aber nur von wenigen Einsichtigen bemerkt; die emporsteigende Sonne verbarg sich hinter dem Gewölk langweiliger und widerwärtiger diplomatischer Zwi- stigkeiten. Wie oft hatten die Patrioten gesungen und gesagt von der Stunde des Heiles, da die Raben nicht mehr den Kaiserberg umkreisen, da der Birnbaum auf dem Walserfelde wieder grünen, der alte Rotbart seinen Flamberg schwingen und den Reichstag der freien deutschen Nation einberufen würde — ein Gedanke, der noch kaum greifbarer war als weiland die Weissagungen des Simplizissimus von dem „deutschen Hel- den“ und seinen Parlamentsherren. Neben diesen strahlenden Traum- bildern eines Volkes, das schon in zorniger Ungeduld seine künstlich nieder- gedrückte Kraft zu fühlen begann, erschien das neue wirtschaftliche Ge- meinwesen der Nation in seinem Werktagskleide unscheinbar und nüchtern. Die Deutschen wußten ihrem Beamtentum für seine treue Arbeit wenig Dank; denn immer ist es das tragische Los neuer politischer Ideen, daß sie zuerst von der gedankenlosen Welt bekämpft und dann, sobald der Er- folg sie rechtfertigt, als selbstverständlich mißachtet werden. Eben in den Tagen, da der deutschen Politik Preußens endlich wieder ein großer Wurf gelungen war, verfiel die öffentliche Meinung nochmals in einen Zustand der Ermattung und Verstimmung, wie zehn Jahre zuvor, und fast allein in den Kämpfen des literarischen Lebens entlud sich noch die verhaltene politische Leidenschaft der Zeit. Erst seit Goethe die Augen schloß (22. März 1832), gelangte die neue radikale Literatur, die sich in Börnes und Heines Schriften zuerst an- gekündigt hatte, für kurze Zeit zur unumschränkten Herrschaft. Sein Da- sein schon war ein beredter Vorwurf gegen die freche Tendenz, und moch- ten die Kleinen sich wechselseitig als junge Titanen verherrlichen, an seine Größe reichte alles Selbstlob nicht heran. Nichts erregt so unwiderstehlich die fromme Ahnung einer höheren Welt, wie der Anblick eines gottbegna- deten Greises, der an den letzten Grenzen menschlichen Alters, allen kleinen irdischen Sorgen entwachsen, nur noch für die Idee seines Lebens wirkt und dann in der Verklärung einer zweiten Jugend abscheidet. Friedrichs ernster Lebensausgang ließ neben der scheuen Bewunderung die Freude nicht aufkommen; erst an Goethes Alter lernten die Deutschen die glück- liche, in sich befriedigte und zugleich über die Erde hinausweisende Voll- endung eines großen Menschendaseins kennen. Gedenke zu leben! — so