Die Pariser Deutsch-Juden. 419 Genius nicht entzweit“ — was frommte das ihm, der alles umfassend, nichts ganz beherrschend, niemals wußte, wo sein Genius sei. — Weitab von diesen lichten Höhen der Poesie trieb das neue Geschlecht, das sich um Heines Banner scharte, sein lautes Wesen. Seit Heine nach Paris übergesiedelt war, begann sein lyrisches Talent rasch zu versiegen, in einem wüsten, zerstreuten Leben ward sein Herz leerer, sein Gefühl stumpfer. An umfassende Werke durfte er sich ohnehin nicht wagen; denn die künstlerische Komposition großen Stiles gelingt meist nur der massiven Kraft der Arier; selbst die Wunderwerke orientalischer Kunst, selbst der Säulenwald der Moschee von Cordova oder die schimmernden Tropfstein— gewölbe der Alhambra bilden mit aller ihrer Pracht doch kein Ganzes. Außer einigen Liedern und dem Bruchstück einer unsauberen Novelle Schnabelewopski brachte Heine in diesem Jahrzehnt keine Dichtung mehr zustande. Was der Tag gab oder forderte, nahm ihn ganz in Anspruch; in allerhand literarischen Capriccios verarbeitete er diese Eindrücke und sammelte dann die Fragmente unter den Titeln: Zustände, Zeitbilder, Reisebilder — neuen Namen, denen er das Bürgerrecht im deutschen Feuilletonstile eroberte. Um sein zerstückeltes Schaffen zu beschönigen, ver- kündete er der Welt prahlerisch, daß er sich berufen fühle, zwischen der Ge- sittung der beiden Nachbarvölker zu vermitteln, und die deutschen Liberalen glaubten ihm treuherzig. Richtiger beurteilten ihn die Franzosen. Sie merkten bald, daß er von französischer Politik nicht das mindeste verstand, und aus seinen witzelnden Betrachtungen über die deutsche Literatur konnten sie auch nichts lernen; die einsichtigsten seiner Pariser Freunde fanden, er verkenne seine dichterische Begabung, wenn er sich zum Lehrer der Völker berufen glaube. Doch waren sie klug genug, „diesen neuen Alliierten Frankreichs“ durch Schmeicheleien warm zu halten, denn so untertänig hatte ihnen noch nie ein Ausländer den Staub von den Schuhen geküßt. Engländer und Franzosen pflegten, wenn sie zu uns kamen, sich darüber aufzuhalten, daß unser Volk nicht ihre Sprache redete; den gutmütigen Deutschen aber beschlich eine scheue Ehrfurcht, sobald er bemerkte, wie in Frankreich jeder dumme Bauer französisch sprechen konnte. Und ganz so wie der naive deutsche Philister empfand auch dieser geistreiche Jude. Alles in Frank- reich erschien ihm feiner, schöner, vornehmer als daheim, und erstaunt schrieb er — nach seiner Weise halb spottend, halb im Ernst: — „so eine Dame de la Halle spricht besser französisch als eine deutsche Stiftsdame von vierundsechzig Ahnen.“ In seinen „Französischen Zuständen“ fand er kaum Worte genug für seine fremdbrüderliche Begeisterung: „die Franzosen sind das auserlesene Volk der neuen Religion, Paris ist das neue Jeru- salem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land der Freiheit 27.