Rückert im Alter. 143 phanes nach Belieben beschmutzen; daß er sich an einem Volkstribunen verging, war unverzeihlich. Grimmige Schriften und Zeitungsaufsätze flogen herüber und hinüber. Der Zank ward völlig ekelhaft; die berufene Fehde zwischen Voß und Stolberg erschien daneben wie ein liebevoller Gedanken- austausch. Als nun gar Börnes Freundin Frau Wohl ihre Briefmappen öffnete und geschäftig alles auskramte, was Börne je vertraulich über Heine geäußert hatte, da zogen alle Düfte des Ghettos in dicken Schwaden über Deutschland hin, und mancher ehrliche Germane begann jetzt erst einzu- sehen, vor welchen Götzen er einst gekniet hatte. — Zeiten des literarischen Kampfes sind der Lyrik selten günstig. Nur wenige verstanden wie Rückert den stillen Blumengarten ihrer Dichtung vor der schneidenden Zugluft des Tages sorgsam einzuhegen. Die Form- losigkeit der Feuilletonpoesie erschien dem Meister der Verskunst ebenso verächtlich, wie ihr Gespött und ihre „unzüchtigen Gebärden“ seinen frommen Sinn anwiderten. Er wußte, daß alles Menschenleben „von Gott zu Gott“ führt, daß die Natur nur die Amme des Geistes ist: „sie nährt ihn, bis er fühlt, daß er von ihr nicht stamme.“ Solche Gesinnungen erfüllten ihn, als er die geheimnisvolle Welt seiner inneren Erfahrungen und Er- lebnisse in der „Weisheit des Brahmanen“ zusammenfaßte. Da schien es wohl zuweilen, als ob der Dichter in die beschauliche Ruheseligkeit des Orients ganz versänke, aber immer wieder brach der freie Weltsinn des Abendländers durch, und hoch über aller Weisheit Indiens stand ihm das königliche Gebot der christlichen Liebe. Die Fahrten in das Morgenland entfremdeten ihn der Heimat nicht. Mit der alten unverwüstlichen Sanges- lust fuhr er fort, sich sein ganzes Leben zum Kunstwerk zu gestalten; jedes Begebnis des Tages umspann seine Phantasie mit ihren goldenen Fäden. Alles ward ihm zum Gedichte, mochte er nun dem Flüstern des Windes lauschen oder seinen Kindern Märchen erzählen, oder seinem Jonathan, dem Erlanger Philologen Kopp seinen Haussegen senden. Oft grollte er ins- geheim den Landsleuten, weil sie hinter seinen orientalischen Formenspielen das weite deutsche Herz, dem nichts Menschliches fremd blieb, schwer er: kannten, und auch seine heimatlichen Gedichte nicht sangbar, also nicht wahrhaft volkstümlich finden wollten; doch niemals hätte sich sein Künstler- stolz herabgelassen, um die Gunst des Haufens zu buhlen. Über den Zeitungsruhm der Götzen des Tages sagte er noch im Alter frei und groß: Schwalben und Staren Fliegen in Scharen. Tauben in Lauben Wollen sich paaren. Einsam der Adler Schwebet im Licht, Unten die Tadler Achtet er nicht.