450 IV. 7. Das Junge Deutschland. schaft. Erstaunlich, wie dem Niedersachsen hier aus dem heimatlichen Boden frische Kraft zuströmte. Wieviel lebendiger war hier alles als in seinen romantischen Mantel- und Degenstücken, wieviel zuversichtlicher als in den Epigonen sprach er jetzt über seine „große, der Wunder volle Zeit“. Brentanos Erzählung vom schönen Annerl war einst fast unbemerkt vorübergegangen; der Münchhausen kam zur rechten Stunde (1838), gerade als die Nation, müde der romantischen Experimente und der jungdeutschen Tendenzen, nach Gestalten von Fleisch und Blut verlangte. Er wurde das Vorbild für die neue Literatur der Dorfgeschichten, die leider, ganz wider des Meisters Absicht, bald den Anspruch erhob, für eine selbständige Kunst- gattung zu gelten. Die literarischen Ausfälle des lügenseligen Barons verstand man nach wenigen Jahren schon nicht mehr vollständig, und da die ungeheuere Mehrzahl der Leser immer nur die Teile, niemals das Ganze eines Kunstwerks sieht, so durfte die Betriebsamkeit des Buchhandels ungescheut, sogar unter dem Beifall banausischer Kritiker, sich an der Dich- tung versündigen. Der satirische Teil des Romans, der dem Ganzen Sinn und Namen gab, wurde einfach herausgeworfen, und die Idylle vom Ober- hofe, wohl ausgeflickt durch einzelne Lappen des anderen Teiles, allein dem Büchermarkte dargeboten. In dieser verstümmelten Gestalt ward der Münchhausen ein dauerndes Besitztum der Nation. Die Geschichte aber, die auch im Künstler den Helden ehrt, hält das Bild des ganzen Mannes fest, so wie er war, nicht verschwenderisch begabt, oftmals irrend, doch rastlos wuchernd mit seinem Pfunde und immer den höchsten Zielen zu- gewendet. Ihm bleibt der Ruhm, daß er in seinen beiden Romanen seinem Zeitalter den Spiegel vorhielt, wie vordem Goethe im Wilhelm Meister und nachher Freytag im Soll und Haben. Nur wer diese Zeitromane kennt, versteht den inneren Zusammenhang der drei Epochen unserer neuesten Geschichte. Durch die Liebesgeschichte des Oberhofs klang ein zarter, inniger Ton, der Immermanns früheren Werken abging; denn während seine Künstler- kraft sich läuterte, ward er auch im Leben freier und glücklicher. Jahre- lang hatte er mit einer älteren Frau, der Gräfin Ahlefeldt, oft beglückt, öfter gepeinigt, eines jener unklaren Liebesverhältnisse unterhalten, welche in den Kreisen der romantischen Dichter als Kennzeichen des Genies galten. Da ergriff ihn übermächtig die Neigung für ein einfaches Mädchen. Gestorben war das Herz und lag im Grabe, Dein Zauber weckt es wieder auf der holde — so rief er der Geliebten zu und schrieb in der Glückseligkeit seiner jungen Ehe Tristan und Isolde, ein Gedicht voll starker Leidenschaft und schöner sinnlicher Wärme, dem nur der süße Wohllaut fehlte. Aber er so wenig wie einst Meister Gottfried von Straßburg sollte dies hohe Lied der Liebe vollenden. In der Blüte der Jahre, mitten im fröhlichen Schaffen ward