Kaiser Ferdinand J. 521 diese gebrechliche Gestalt mit dem großen, blöde lächelnden Wasserkopfe in die Runde der Hofgesellschaft eintrat und sich, um ja keinem den Rücken zuzuwenden, wie ein Kreisel um ihre eigene Achse drehte; dann faßte die Kaiserin oder ein Hofwürdenträger den Kaiser am Frackschoß und führte ihn zu einigen der anwesenden Fremden, denen er ein paar unverständ- liche Worte zuraunte. Als man den Armen gar nötigte, die herkömm- lichen öffentlichen Audienzen zu halten, da sagte bald selbst der gemeine Mann in Wien, der gute Nandl sei ein Trottel. Ein Glück nur, daß der neue Kaiser nichts unterzeichnete, was ihm nicht seine bestallten ober- sten Räte vorlegten; diese Regel hatte man ihm beigebracht, und er hielt redlich daran fest, bis auf einen einzigen, sogleich bereuten Ausnahmefall. Ein solcher Thronwechsel erinnerte an die Zustände des byzantinischen Reichs. Metternich aber versicherte dem preußischen Hofe erhaben: alles bleibe unverändert, Osterreichs großartige Ruhe sei eine Lehre für alle vom Fortschritt gepeinigten Völker;') niemals sollten ihm die revolutionären Leidenschaften, die er jetzt gern mit einer siebenten Metapher als „moralische Cholera“ bezeichnete, dies Reich des Friedens verheeren. Ancillon stimmte ihm wie gewöhnlich zu und verstieg sich in seinem untertänigen Eifer sogar zu einer historischen Vergleichung, deren Verwegenheit der arme Ferdinand selbst wohl am wenigsten verstehen konnte; er meinte, von dem österreichischen Staatsschiffe könne man sagen: „es trägt den Cäsar und sein Glück.“77) Der König war im stillen sehr besorgt und sendete sofort seinen Sohn, den Prinzen Wilhelm zu dem neuen Kaiser, um also die Festigkeit des Bundes der Ostmächte vor der Welt zu bekunden. In Wien wurde der Prinz bei Hofe wie im Volke aufs wärmste begrüßt, und er täuschte sich nicht über die Gründe dieser Zärtlichkeit. „Offener und glänzender“ — so schrieb er aufrichtig — „konnte wohl es nicht ausgesprochen werden, daß, wenn selbst solcher Herr Kaiser sei, alle Verhältnisse zu ihm unverändert bleiben würden.“ In den kurzen Tagen des Wiener Aufenthalts bemerkte er mit seinen hellen Soldatenaugen sogleich, welche Gefahren dem kaiser- losen Staate drohten, und seine Befürchtungen fanden durch die Gesandt- schaftsberichte volle Bestätigung. Nach dem Tode des Freiherrn von Maltzahn wurde die preußische Gesandtschaft fast zwei Jahre lang von dem Frei- herrn von Brockhausen vorläufig verwaltet, bis im Mai 1835 der neue Ge- sandte Graf Maltzan ankam, ein geistreicher Mann, der in Hannover, Darmstadt und an anderen kleinen Höfen die deutschen Verhältnisse gründ- lich kennen gelernt hatte. Beide Diplomaten zählten zu den konservativen Freunden Osterreichs, aber sie beobachteten scharf und vergaben der Ehre ihres Staates nichts. Beide meldeten übereinstimmend, welche heillose Verwirrung in der Hofburg herrschte. *) Brockhausens Berichte, 4., 9. März 1835. **) Ancillon an Brockhausen, 16. März 1835.