648 IV. 9. Der welfische Staatsstreich. liebte den Gottesdienst, nicht bloß aus englischer Gewohnheit; nur mußte die Predigt kurz sein, kräftig, ohne Prunk und Salbung. Er fühlte in seiner Weise sehr lebhaft seine Verantwortlichkeit vor Gott, er betete still, bevor er einen schweren politischen Entschluß faßte, und erlangte dann stets die tröstliche Gewißheit, daß die Wege Gottes mit den Ratschlüssen des Welfenhauses genau zusammenträfen. So war der seltsame Sterbliche, der jetzt einen friedlichen, ihm fast ganz unbekannten deutschen Kleinstaat regieren sollte, ein geborener Tyrann, gewohnt, sich selber alles, anderen nichts zu erlauben. Suscipere et finire hieß sein Wahlspruch. Den Deutschen war er schon darum ein furchtbarer Gegner, weil sie diesen sonderbar gemischten, durchaus eng- lischen Charakter nicht sogleich durchschauten. In Deutschland ist die Grobheit fast immer ehrlich. Dem polternden alten Husaren traute nie- mand eine Falschheit zu; darum konnte er auch die hannöverschen Minister so leicht überlisten, als er einst die Annahme des Staatsgrundgesetzes zu- sagte und dann wieder hinausschob.*) Erst nachdem das Lügenspiel voll- endet war, erkannte unser Volk, wie viel durchtriebene Arglist sich hinter den rohen Formen des Briten versteckte, und der preußische Gesandte, Oberst Canitz merkte dann auch bald, daß der Welfe selbst seine Wutausbrüche zuweilen erkünstelte, um andere einzuschüchtern. Gleich nach dem Tode seines Bruders huldigte Ernst August knieend der neuen Königin; sonst hätte er seine Prinzenrechte und die Apanage von 21000 LK verloren. Dann reiste er ab, und die große Mehrzahl der englischen Zeitungen geleitete ihn mit dem Segenswunsche: hoffentlich würde man einander niemals wiedersehen. Er war jetzt englischer Thron- folger und solange Viktoria kinderlos blieb, hielt er eigensinnig die Hoff- nung fest, ihr plötzlicher Tod könnte ihm doch noch die englische Königs- würde verschaffen??*); hatte doch das Parlament für diesen Fall schon durch ein Gesetz Vorsorge getroffen. Die kleinere Krone aber, die ihm vorläufig genügen mußte, sollte ganz selbständig dastehen: unabhängig nach außen — darum nannte er sich fortan mit Stolz einen souveränen deutschen Fürsten, obgleich er den englischen Sitten treu blieb und immer nur ein gebrochenes Deutsch sprach — unabhängig auch im Innern. Bei seinen gelegentlichen Besuchen in Hannover hatte er das bequeme alte Beamten- regiment, „das Reich der Sekretäre“ oft mit ätzendem Spotte übergossen. Er wußte, daß diesem Lande vornehmlich eine starke monarchische Gewalt not tat, und er dachte sie ihm zu bringen; er dachte ihm eine andere Verfassung zu geben und dann nach dieser treulich zu regieren. Dies nannte er Ordnung, und beteuerte: „Regierungswillkür war mir immer verhaßt!“ *) S. v. IV. 165 ff. *“) Frankenbergs Bericht, 1. März 1838.