Das erste Patent. 651 samte Verfassung über den Haufen zu werfen, schien ihm doch unmöglich; er brauchte Bedenkzeit, um die unbekannten Verhältnisse zu übersehen. Auch wußte er schon, daß eine neue Anleihe von 3 Mill. Tlr. bevorstand, und die Schuldverschreibungen ohne die Unterschrift der landständischen Kom— mission nichts galten. Darum wollte er, ohne die Verfassung selbst anzu— erkennen, dochden gegenwärtigen Landtag beibehalten und mit ihm späterhin über die notwendigen Änderungen gütlich verhandeln.“) Der Gedanke war eine staatsrechtliche Ungeheuerlichkeit; denn erkannte der Monarch das Staatsgrundgesetz nicht an, so konnte er auch die Landstände, die nur kraft dieses Gesetzes bestanden, nicht einberufen. Aber was vermochten juristische Gründe über den alten Reitersmann? Er meinte, in seinem Rechte zu sein, und sagte in gutem Glauben zu dem englischen Gesandten Lord William Russell, der aus Berlin herüberkam: ich beabsichtige einige Veränderungen, aber langsam und auf gesetzliche Weise.**) Am 3. Juli unterzeichnete er ein Patent, das den getreuen Untertanen zu wissen gab, der König halte das Staatsgrundgesetz nicht für bindend und in vielen Bestimmungen für ungenügend; er wolle daher prüfen lassen, inwie- fern Abänderungen nötig seien und dann seine Entschließung dem Landtage eröffnen. Daneben stand noch — offenbar als ein Zugeständnis an Scheles ursprüngliche Absicht — die vieldeutige Bestimmung: es solle auch erwogen werden, ob man nicht zu der glücklichen alten angeerbten Landesverfassung zurückkehren solle. Tags darauf wurde das Patent durch Schele den anderen Ministern vorgelegt. Diese beanstandeten einzelne Stellen und verlangten namentlich, daß ausdrücklich gesagt würde, der König beabsichtige nur verfassungsmäßige Anderungen. Ernst August erwiderte barsch: „ich fühle es Meine Würde nicht gemäß" darauf einzugehen, und die Minister unterwarfen sich. ) Sie nahmen es auch geduldig hin, daß ihnen ein nicht auf die Verfassung beeidigter Minister an die Seite gestellt wurde, und dieser allein dem Monarchen Vortrag hielt. Nachher (14. Juli) er- statteten sie auf Befehl des Königs noch ein Gutachten über die Ver- fassungsfrage und gelangten, wie sich von selbst verstand, zu dem Ergebnis, das Staatsgrundgesetz bestehe zu Recht, könne also auch nur auf ver- fassungsmäßige Weise abgeändert werden. k) Damit glaubten sie ihre Pflicht erfüllt zu haben. Ein vollendeter Verfassungsbruch lag ja noch nicht vor, und warum sollten sieauch, allen Grundsätzen kurhannöverscher Anständigkeit zuwider, ohne Not Ombrage erregen? Sie blieben behaglich im Amte *) Dies alles berichtete Schele der Jüngere im Auftrage Ernst Augusts an Boden- hausen, 18. Aug. 1837. **) Frankenbergs Berichte, Juli 1837. **#) K. Ernst August an Schele, 7. Juli; Schele an das Kabinettsministerium, 7. Juli 1837. +) Gutachten des Staatsministeriums, 14. Juli 1837, gez.: Stralenheim, Alten Schulte, v. d. Wisch; gegengez.: Falcke.