668 IV. 9. Der welfische Staatsstreich. Gelehrten durchaus keinen Schaden. Unter der Mehrheit der Göttinger Professoren befanden sich einige, die nicht aus Furcht, sondern grundsätzlich den Schritt der Sieben verwarfen, so Herbart, Hugo, Gauß. In einer nach- gelassenen Schrift „Die Göttinger Katastrophe“ hat sich Herbart über die Gründe seines Verhaltens freimütig ausgesprochen; er glaubte, der tiefe Ernst, die gesammelte Stille des deutschen akademischen Lebens würden verschwinden, sobald die Universitäten sich in politische Kämpfe einließen. Diese im Munde des strengen Philosophen wohl begreifliche Befürchtung erwies sich als irrig. Die Forscher arbeiteten rüstig weiter, und die Sieben selber gingen ihnen mit gutem Beispiele voran. Die historische Wissen- schaft gewann sogar durch die politische Tätigkeit der Gelehrten. Ganz wertlose historische Tendenzschriften erschienen während der nächsten Jahre selten, seltener sicherlich als in dem Zeitalter des Rotteck-Welckerschen Libe- ralismus; wohl aber viele tüchtige Werke, welche den Deutschen ihre Ver- gangenheit wissenschaftlich erklärten. Die Blüte der politischen Geschicht- schreibung in den vierziger und fünfziger Jahren, die Vertiefung unserer historischen Selbsterkenntnis ward nur darum möglich, weil die Historiker der Welt der politischen Taten so nahe, oft allzu nahe, getreten waren. — Dem Verfassungskampfe der Hannoveraner konnte die Tat der Sieben nur dann Vorschub leisten, wenn sie Nachahmung fand, wenn die Mehr- zahl der Beamten den verfassungswidrigen Diensteid verweigerte, wenn die Wahlen für den unrechtmäßigen Landtag nicht zustande kamen und nach Ablauf der gesetzlichen Frist auch die Steuerzahlung unterblieb. Aber für solchen Einmut passiven Widerstandes fehlten alle Vorbedingungen. Es war das Verhängnis dieses welfischen Staatsstreichs, daß er fast alle Gebrechen der bestehenden Ordnung an den Tag brachte, den Aberwitz der Zensur so gut wie die sittliche Schwäche des alten Beamtenstaats. Die Mißstimmung reichte bis in die Kreise des Hofes hinein. Ernst Augusts Hofmarschall Malortie gestand seinem heißgeliebten Herrn traurig, auf diesem Wege könne er ihm nicht folgen, und der Welfe nahm das hin, weil er den treuen Mann nicht entbehren mochte. Das Oberappellations- gericht in Celle leistete den neuen Diensteid und behielt sich die Verpflich- tung auf das Staatsgrundgesetz ausdrücklich vor. Ahnlich handelten mehrere Mittelgerichte und viele einzelne Beamte. Schele war aber jetzt durch die Göttinger Erfahrungen gewitzigt, er legte die Vorbehalte still- schweigend zu den Akten, und die Protestierenden gaben sich allesamt zu- frieden, wenn sie nur insgeheim ihr Gewissen gewahrt hatten. Entsetzlich war die Selbstentwürdigung der Kabinettsminister; sie blieben in ihrer Stellung, nur daß sie zu Departementsministern degradiert und ihr alter Gegner Schele ihnen als alleiniger Kabinettsminister vorgesetzt wurde.