A. v. Humboldt bei Hofe. 29 dros entfaltete Friedrich Wilhelm alle Zartheit, alle Wärme seines guten Herzens; als Humboldt erkrankte, saß er stundenlang an seinem Bette und las ihm vor. über alles sollte der alles Wissende Auskunft geben, bald über ein ernstes Problem, bald über ein müßiges Kuriosum, so über die Frage, warum die Produkte der Zahl 9 immer die Ziffersumme 9 ergeben. Wenn der König seinen Freund abends im Potsdamer Schloß besuchte, dann mußten die Diener mit den Windlichtern oft tief in die Nacht hinein warten, weil ihr Herr nach dem allerletzten Abschied das beglückende Ge- spräch noch auf der Treppe von neuem eröffnete. Minder liebenswert als bei solchen geistreichen Zwiegesprächen zeigte sich der große Gelehrte auf den Hoffesten, wo er, angetan mit der Kammer- herrn-Uniform und dem großen Bande des schwarzen Adlerordens, jedem nichtigen Menschen etwas Verbindliches sagte, oder auf den kleinen Tee- Abenden der königlichen Familie. Von Paris her war er gewöhnt, den Mittelpunkt des Salongesprächs zu bilden, und er konnte sich's nicht ver- sagen, auch hier in Sanssouci oder Charlottenburg aller Augen auf sich zu ziehen. Da stand er denn vor der mürrisch schweigenden Königin, die ihm immer mißtraute, vor neidischen Hofleuten und politischen Gegnern und berichtete aus neuen Büchern, aus Zeitschriften, aus eigenen Aufzeichnungen über die Höhe des Popocatepetl oder die Isothermen oder die Gefängnisse, immer geistvoll, immer lehrreich, aber der Mehrzahl der Anwesenden unver- ständlich. Der König allein hörte aufmerksam zu, und auch er war zuweilen zerstreut und blätterte in Zeichnungen. Für den verhaltenen Arger und die Langeweile dieser unerquicklichen Abende, die er doch nicht missen wollte, nahm Huwmboldt seine stille Rache; er trug dem Freunde Varnhagen, der jedes Schmutzbächlein wie ein Schwamm aufsog, allerhand boshaften Hofklatsch zu, lieblos selbst gegen den liebevollen König, und zeigte durch sein Medisieren, daß in den Hauptstädten, zumal in dem afterrednerischen Berlin, selbst der hochbegabte Mensch klein wird, wenn er die Dinge allzu nahe sieht. Eines freilich ging aus seinen gehässigen Berichten unzweifel- haft hervor: diesem so mannigfach bewegten Hofe fehlte der beherrschende Kopf. — „Lebt wohl nun, Freuden, Spiele, Töne! Mein höchster Gott ist meine Pflicht“ — so hatte vor hundert Jahren König Friedrich nach seiner Thronbesteigung an Voltaire geschrieben. Von dieser entschlossenen Sicher- heit des Ahnherrn zeigte der Nachkomme nichts. Friedrich Wilhelm war völlig fassungslos, als Zar Nikolaus, der noch in der letzten Stunde am Sterbebette des Schwiegervaters erschienen war, ihm den ersten Segens- wunsch zur Thronbesteigung aussprach; auch nachher brauchte er noch lange Zeit, um seinen Schmerz zu bewältigen und sich in der neuen Lage zu- rechtzufinden. „Ach“, schrieb er an Metternich, „wer Ihr warmes Herz mit Ihrem kalten Kopf vereinigte! Das ist das gewisse Mittel, immer