54 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. sahen. Die Berliner aber begrüßten fortan jede Niederlage ihres Königs mit lauter Schadenfreude; sie verspotteten sich selbst wegen der Begeisterung der Huldigungstage und übersetzten die damals so oft gehörten Worte: „das gelobe und schwöre ich“ mit dem anmutigen Satze: „dat jlobe ik schwerlich.“ Die nächsten Wochen brachten einige wichtige Berufungen. Geh. Rat Eichhorn wurde zum Nachfolger Altensteins ernannt, und seine Beförderung befriedigte das Publikum; denn obwohl die in der Politik gründlich unwissenden Hauptstädter nie ein Wort davon erfahren hatten, was dieser Mann für die Geschichte des Zollvereins bedeutete, so wußten sie doch durch das Stadtgerede, daß er in Wien als Demagog verrufen war; und überdies besaß er ein Verdienst, das die Stadt der Intelligenz einem Minister sehr hoch anrechnete: er war bürgerlich. Auch die Be- rufung der Gebrüder Grimm an die Berliner Akademie fand allgemeine Zustimmung. Mit Albrecht ward ebenfalls verhandelt; er lehnte jedoch ab, aus Dankbarkeit gegen seine sächsischen Gönner. Man konnte nicht leugnen, daß der König die hochherzige Absicht hegte, die Mißhandlung der Göttinger Sieben zu sühnen. Die Freude währte nicht lange, denn zur selben Zeit ward der Schwager der Grimms, Hassenpflug an das Berliner Obertribunal berufen. Der hatte seit seinen hessischen Mißge- schicken erst in Sigmaringen, dann in Luxemburg als Minister gewirkt und sich in der Westmark redlich bemüht, die Unabhängigkeit des deutschen Großherzogtums gegenüber dem niederländischen Königreiche zu sichern. Niemand rechnete ihm das an; er war und blieb der öffentlichen Mei- nung der kurhessische Reaktionsminister. Obwohl er nur ein seiner großen juristischen Befähigung durchaus entsprechendes Richteramt erhielt und niemals auf den Gang der inneren preußischen Politik irgend eine Ein- wirkung ausübte, so befürchtete man doch sogleich das Argste, da er mit den Gerlachs befreundet war. Ein Gedicht kam in Umlauf, zu singen nach der Melodie des neuen Rheinliedes: Wir wollen ihn nicht haben, Den Herrn von Haß und Fluch! Scheinheiliger Gespiele Im frommen Höflingstroß, Der Stolberg, Gerlach, Thile, Der Radowitz und Voß. In solchem Tone redeten die Berliner schon über die Umgebung ihres Königs, als der tolle Jubel des Huldigungsfestes noch kaum verhallt war. Die Verse ließen zugleich erraten, wo der Grund dieser gehässigen Opposition lag. Politische Parteien kannte die Hauptstadt noch kaum, die sich noch immer mit Vorliebe über Ballettänzerinnen, Opern und Klaviervirtuosen unterhielt. Doch sie war die Stadt Nicolais, und ihre selbstgefällige Aufklärung, die sich nach Umständen mit jedem beliebigen christlichen oder jüdischen Mantel schmücken konnte, trug jetzt die Farben der Junghegelianer. Wer den Epigonen Hegels widersprach, war verfemt.