Beckers Rheinlied. 87 Marseillaise, die Colognaise zu nennen. Gewaltig war die Wirkung. Mehr als zweihundertmal wurde das Rheinlied in Musik gesetzt; und eben wegen dieser überschwenglichen Begeisterung konnte es nicht im Ge— dächtnis des Volkes dauern, da keine der unzähligen Melodien die anderen aus dem Felde zu schlagen vermochte. Ein Heer von Nachahmern stimmte in Beckers Weisen ein, unter ihnen auch ein unbekannter junger Schwabe Schneckenburger. Der dichtete in der Schweiz ein Lied „die Wacht am Rhein“, das als Dichtung dem Vorbilde weit nachstand. Doch bei einem Volksliede bedeutet die Melodie fast alles, der Text wenig; dank der kräftigen, volkstümlichen Komposition Wilhelms sollte Schneckenburgers Lied nach einem Menschenalter der rauschende Kriegsgesang der deutschen Sieger werden. Damals sprach niemand davon; alles schwärmte für Niklas Becker, dessen poetische Kraft freilich mit diesem einen glücklichen Wurfe erschöpft war. König Friedrich Wilhelm bewies ihm in Wort und Tat seine Anerkennung; Ludwig von Bayern sendete ihm als Pfalzgraf bei Rhein einen Ehrenbecher und schrieb: „Aus diesem vergoldeten, sil- bernen, von mir angegeben wordenen Pokal trinken Sie oft, das singend: Sie sollen ihn nicht haben!“ Von französischer Seite antwortete zuerst Lamartine mit einer „Mar- seillaise des Friedens“, die in den Träumen allgemeiner Menschenliebe schwelgte: Der Haß und Neid allein besitzt ein Vaterland, Die Bruderliebe kennt es nicht. Mit solcher Gefühlsseligkeit konnte der französische Übermut sich un- möglich zufrieden geben. Erst Alfred de Musset fand das rechte Wort für die nationale Empfindung, als er den Deutschen zurief: Wir hatten ihn schon, euren deutschen Fluß, Er fühlte im Nacken des Siegers Fuß — und sie höhnend aufforderte, im freien Rheine ihre Bedientenjacke zu waschen. In ähnlichem Tone pries Victor Hugo den Kyklopen Frank- reich und sein eines Auge, Paris; ein anderer Poet sang gar: nous l’aurons duand nous le voudrons — und mußte sich von den Deutschen an den Fuchs, dem die Trauben zu sauer schienen, erinnern lassen. Mehrere Monate hindurch währte dieser poetische Wettstreit, in dem die Deutschen entschieden die Oberhand behielten; von allen den drohenden und prahlenden Gesängen der Franzosen hielt keiner den Vergleich aus mit dem frischen Rheinweinliede Georg Herweghs: Wo solch ein Feuer noch gedeiht, Wo solch ein Wein noch Flammen speit, Da lassen wir in Ewigkeit Uns nimmermehr vertreiben! Stoßt an, stoßt an: der Rhein, Und wär's nur um den Wein, Der Rhein soll deutsch verbleiben!