Eichhorn und die Wissenschaft. 229 Dieser große akademische Skandal offenbarte zum ersten Male den tiefen Abscheu, der sich in der gelehrten Welt binnen kurzem gegen den neuen Kultusminister angesammelt hatte. Eichhorns Bedeutung wurde bald von Freund und Feind empfunden. Der König sagte geradezu: „seine Erhal— tung ist für mich Selbsterhaltung,“*) und die Opposition pflegte das neue System schlichtweg als das Ministerium Eichhorn zu bezeichnen, da unser gelehrtes Volk längst gewöhnt war, den Geist einer Regierung nach ihrer Unterrichtsverwaltung zu beurteilen. Unter allen den hochbegabten Män— nern, welche der König an falscher Stelle vernutzte, hat keiner so schwer, so tragisch gelitten wie Eichhorn. Aus den Geschäften des Zollvereins, der zum guten Teile sein Werk war und gerade jetzt seiner kundigen Führung bedurfte, sah er sich in seinem zweiundsechzigsten Jahre heraus- geschleudert in eine grundverschiedene Tätigkeit; aus dem Ministerium, das die Schlagkraft des Staates vertritt, also von allen seinen Gliedern unbedingten Gehorsam fordern muß, trat er plötzlich hinüber zu der Leitung des geistigen Lebens, das seinen eigenen Gesetzen folgt und vom Staate nur mittelbar, mit schonender Hand gefördert werden kann. Wie sein Vorgänger Altenstein erfuhr er das gemeine Menschenschicksal, daß die Welt die Männer der Tat stets nach ihrer letzten Wirksamkeit beurteilt. Alten- stein hatte das Glück, daß man die schweren staatsmännischen Fehler seiner früheren Jahre über seinen großen Verdiensten um die preußischen Bil- dungsanstalten ganz vergaß. Eichhorn mußte erleben, daß schon die Mit- welt seines ruhmvollen Wirkens für unsere wirtschaftliche Einheit gar nicht mehr gedachte, sondern ihm nur die kampferfüllten, durch Schuld und Unglück verdorbenen, wenig fruchtbaren Jahre seines Alters anrechnete. So ward er einer der bestverleumdeten Männer des Jahrhunderts. Über seine Ernennung grollte nur die Wiener Hofburg, die dem Zollvereins-Demagogen allezeit gram blieb; die preußischen Gelehrten be- grüßten sie anfangs mit Freude, denn der hochgebildete, geistreiche, durch und durch edle Mann hatte einst als Syndikus der Berliner Universität das akademische Leben aus der Nähe kennen gelernt, dann jahrelang mit Schleiermacher und anderen namhaften Gelehrten freundschaftlich ver- kehrt. Und doch sollte gerade dieser Verkehr ihm verderblich werden. Zur Leitung des deutschen Unterrichtswesens gehört vor allem eine tiefe Ehr- furcht vor der Freiheit der Wissenschaft. Unsere Universitäten waren allezeit Republiken und werden es immer bleiben; der rücksichtslose Wahr- heitsmut der deutschen Gelehrten ist von einem oft unbequemen eigen- sinnigen Trotze fast unzertrennlich, der Lehrer verwächst mit seiner Lehre. Dies wußte Wilhelm Humboldt, weil er selbst ein großer Gelehrter war; er sagte rundweg, gelehrte Anstalten könnten nur von innen heraus wachsen, wie die Kristalle sich langsam in der Stille „ankandierten“. Auch Alten- stein empfand ähnlich, weil er noch zu den vornehmen Herren aus Harden- *) König Friedrich Wilhelm an Thile, 24. Jan. 1846.