Entlassung Diesterwegs. Die Gymnasien. 243 konnte, so trat er einstweilen in den Ruhestand, und der tief gekränkte Mann wendete sich fortan mit seiner einseitigen Strenge ganz dem Ra- dikalismus zu. Die unüberlegte Härte der Regierung rächte sich grau- sam; in allen Zeitungen begannen die ergrimmten Volksschullehrer einen anonymen Federkrieg, der den Namen Eichhorns ganz in Verruf brachte. Auch die Gymnasiallehrer betrachteten das neue Regiment mit Miß- trauen, da die Literarische Zeitung den heidnischen Geist des humanistischen Unterrichts in törichten Artikeln zu bekämpfen liebte. Die Besorgnis war freilich grundlos. Der König und sein Minister standen beide viel zu hoch, um die befreiende Macht der klassischen Bildung zu verkennen; sie ließen sich weder durch jenen christlichen Übereifer beirren noch durch die Plattheit der Nützlichkeitslehrer, die eben jetzt in einem Teile der libe- ralen Presse wieder sehr laut forderten, daß die deutsche Jugend nicht mehr zum selbständigen Denken erzogen, sondern durch das Einprägen mannig- faltiger Notizen für das praktische Leben abgerichtet werden sollte. Die Gymnasien blieben ungestört bei ihrem altbewährten Lehrplane, und Eichhorn erweiterte ihn durch die dankenswerte Wiedereinführung des Turnens. Nur der Religionsunterricht wurde gründlich umgestaltet. Erwar seit dem Anfang des Jahrhunderts auf den meisten evangelischen Gym- nasien Preußens und der Nachbarlande erteilt worden nach dem Lehr- buch des Hallenser Kanzlers Niemeyer, des gefeierten Pädagogen, der einst als Urenkel Franckes die Schulstiftungen seines Eltervaters lange Jahre hindurch geleitet, mehrere der ersten Beamten Preußens, Vincke, Bassewitz, Merckel, Bodelschwingh und viele andere namhafte Männer erzogen hatte. Das Lehrbuch zeigte alle Charakterzüge des alten Rationalismus, der jetzt zu Grabe ging: bürgerliche Ehrbarkeit, humane Milde, nüchterne Verstandes- dürre; und dieselbe Macht der Geschichte, welche vor Zeiten das Hallische Waisenhaus, das eigenste Werk des glaubensstarken Pietismus, in die Bahnen der Aufklärung hinübergeleitet hatte, mußte jetzt zu einem neuen Rückschlage führen. Dem wieder erstarkten religiösen Gefühle lonnte Nie- meyers moralisierende Trockenheit nicht mehr genügen. Eichhorn tat nur seine Pflicht, er hielt Schritt mit den lebendigen Kräften der evan- gelischen Kirche, als er nach dem Erscheinen der achtzehnten Auflage das veraltete Lehrbuch aus den Schulen entfernen ließ. Umsonst bemühte sich Herm. Agathon Niemeyer, der Nachfolger des alten Kanzlers in dem Franckischen Familienamte, das Buch seines Vaters gegen den Minister zu verteidigen. Auch andere Gymnasiallehrer, die sich einen Primaner ohne das Niemeyersche Lehrbuch gar nicht vorstellen konnten, betrachteten das Verbot als ein Anzeichen hereinbrechenden Geistesdrucks; und gereizt wie man war, verargte man dem Minister selbst notwendige Maßregeln dis- ziplinarischer Strenge. Oberlehrer Witt, einer von Schöns literarischen Schildknappen, wurde überall in der Presse wie ein Glaubensheld verherr- licht, weiler sich weigerte, aus der Redaktion der scharf oppositionellen Königs- 16*