Bettinas Königsbuch. Prutzs Wochenstube. 249 heit, und nach Frauenart erwarmte sie noch mehr, seit ihr die Ideen des neuen Geschlechts in Fleisch und Blut menschlich nahe traten. Nun da ihre Locken ergrauten und ihr Herz doch nicht altern wollte, wendete sie sich mit Vorliebe an die Jugend; den Studenten widmete sie mit dithyrambischer Weiherede ihr rührendes Erinnerungsbuch „die Günderode“. Geistreiche junge Männer verkehrten täglich mit ihr und begleiteten sie auf ihren Mondscheinwanderungen durch den Tiergarten: so der liebenswür— dige idealistische Ästhetiker Moritz Carriere, so H. B. Oppenheim, ein radikaler Publizist, der, als Schriftsteller sehr langweilig, im Gespräche, wie so viele junge Juden, durch einen Zug genialischer Frechheit bestach. Und ganz jugendlich, ganz phantastisch war denn auch das Idealbild des demokratischen hochherzigen Fürsten, das sie in ihrem Königsbuche ihrem erlauchten Freunde vorhielt: im Staate allenthalben nur Milde, Nachsicht, Verständnis; das Richtbeil begraben; die Freiheit jedes einzelnen durch die Freiheit aller verbürgt, da ein großer Monarch sich nicht wie ein Schulmeister in jeden Stank mischen dürfe; und über allem Hasse der Bekenntnisse die eine „schwebende Religion“ der Zukunft, bei deren fried— licher Schönheit jedes warme Menschenherz sich wohl fühlen sollte. Das alles wurde von Goethes Mutter, der Frau Rat in lebendigen Gesprächen verkündigt; dazwischen hinein hochpoetische Schilderungen, anmutige Er— zählungen von Königin Luise und von Weimars großen Tagen; das Ganze ein so formloses Durcheinander hoher menschenfreundlicher Gedanken und barocker Einfälle, daß der König enttäuscht sagte, er wisse mit dem Buche nichts anzufangen. Greifbaren Inhalt zeigte die Schrift nur in ihren letzten Abschnitten, die von den sozialen Aufgaben der Zeit handelten. Die edle Frau empfand das Elend des armen Volks ebenso tief wie die Dunkel— männer der inneren Mission, von denen sie doch nichts wissen wollte. Sie ließ sich's nicht verdrießen, mit ihren jungen Freunden die entsetzlichen Arbeiterkasernen des Berliner Vogtlandes zu besuchen, und erzählte nun, nichts verhüllend, was sie dort unter den arbeitslosen Webern erlebt hatte. Ergreifend klang ihre Mahnung: Wer ist des Königs Nächster? sein hun— gerndes Volk! Derber, handfester ging Robert Prutz dem neuen Regimente zu Leibe in seiner Politischen Wochenstube, einer aristophanischen Komödie, die, den Literaturdramen Platens nachgebildet, doch unwillkürlich darüber hinaus- strebte; denn die Literatur war jetzt so eng mit der Politik verflochten, mit einem Bilde des Bildes der Welt konnte ein heißblütiger junger Poet sich nicht mehr begnügen, er mußte versuchen, ein Weltenbild zu geben. Unsagbar traurig erschien das Bild der preußischen Welt, das sich hier entrollte. Ausgelassen und übermütig, nicht ohne die Ungerechtigkeit, die der komischen Muse erlaubt sein muß, aber mit entschiedenem satirischem Talente schilderte der Dichter in lustigen Zerrbildern und saftigen Späßen die vergeblichen Geburtswehen der Offenbarungsphilosophie, die glänzenden