Beratungen über die Ehescheidung. 251 Nach dem Thronwechsel ward die Reform alsbald ernstlich erwogen; es galt, den christlichen Staat auf dem Boden des christlichen Hauswesens aufzubauen. Gerlach erhielt den Auftrag, unter Savignys Oberleitung den Entwurf eines Ehescheidungsgesetzes auszuarbeiten; er rühmte das Unternehmen als „eine Sr. Majestät persönlich eigene, die innersten, tiefsten Tendenzen der Regierung des Königs bezeichnende Maßregel“.*) Als gewiegter Kenner der Geschichte gab der Minister unbefangen zu, daß die Staatsgewalt weder Sittlichkeit erzwingen noch Unsittlichkeit verhüten könne; genug, wenn sie durch den Ernst ihrer Gesetze verhindere, daß die Begriffe des Volks von Recht und Unrecht, Gut und Böse sich verwirrten. Trotzdem genehmigte er den Entwurf seines Freundes, der in purita— nischem Eifer weit über diese Grundsätze hinausging. Gerlach wollte von den Scheidungsgründen des Landrechts ihrer elf aufheben, die Eheschei— dung in der Regel nur nach einer vorläufigen langen Trennung von Tisch und Bett gestatten, den Ehebruch auch ohne den Antrag des ver— letzten Gatten bestrafen; so blieb gar kein Raum mehr für das christliche Verzeihen und Erbarmen, das doch von solchen, mehr sittlichen als recht- lichen Streitfällen nicht ausgeschlossen werden darf. Kaun hatte Savigny diese Vorschläge im November 1842 dem Staats- ministerium unterbreitet, so wurden sie schon widerrechtlich in den Zeitungen veröffentlicht, gewiß nicht ohne die Mitschuld eines der unzufriedenen alten Geheimen Räte, die fast allesamt noch auf dem Boden des Land- rechts standen. Die Wirkung war furchtbar. Auf der ganzen Linie der liberalen Presse erscholl der Lärmruf: die Grundsätze Friedrichs des Großen werden preisgegeben, die Krone will die Unauflöslichkeit der Ehen anbefehlen. Der alte Argwohn gegen Friedrich Wilhelms katholische Nei- gungen sprach sich überall lebhaft aus; und, wie üblich, wurde Eichhorn wieder als der Urheber alles Unheils verlästert, obgleich er bei diesem Gesetze nur in zweiter Reihe mitwirkte. Die Königsberger Zeitung ver- herrlichte die Scheidungen auf Grund unüberwindlicher Abneigung also: „wir halten diese Bestimmung für die Blüte unserer Gesetzgebung, weil sie des freien Menschen würdig ist;“ sie sprach von „dem Schrei des Un- willens in der ganzen Nation“ und schalt so ungebärdig, daß der König das Blatt seinem Kabinettsminister sendete mit der entrüsteten Frage: „haben wir noch Richter, die nach dem Gesetze erkennen?"“#:#) Auch an frechen Gesellen fehlte es nicht, die nach den Lehren des Jungen Deutsch- lands das freie Konkubinat priesen und die Zwangsehe der Frömmler verhöhnten. Umsonst verteidigte Puchta die wohlberechtigten Grundgedanken des Entwurfs in einer geistvollen Flugschrift „die Ehescheidungsfrage“; seine ruhige Stimme verhallte in dem allgemeinen Toben. *) Gerlachs Votum, 15. Dez. 1842. *“) König Friedrich Wilhelm an Thile, 3. Dez. 1842.