Ronge und der heilige Rock. 337 Trotzdem rief Ronges Schreiben eine starke, freilich nicht nachhaltige Erregung hervor. Das Trierer Schauspiel erschien weiten Kreisen wie eine mutwillige Verhöhnung aller modernen Bildung; denn die Zeit wähnte sehr frei zu denken, und nur wenige helle Köpfe bemerkten schon, daß in diesem durch so mannigfache Gegensätze zerklüfteten Jahrhundert auch der rohe Autoritätsglaube hüben und drüben eine gewaltige Macht besaß, da die einen ebenso blind auf die Zeitungen und die Schlagworte der Tagespolitik schwuren, wie die anderen auf Heiligenbilder und Reliquien. In Schlesien zeigten die Ultramontanen seit Sedlnitzkys Sturz einen her- ausfordernden Hochmut, der das ohnehin unzufriedene Volk reizte; der Breslauer Pöbel verhöhnte nicht selten die geistlichen Herren auf der Straße, selbst Fürstbischof Diepenbrock ward einmal von Studenten öffent- lich beschimpft. Auch die unklaren reformatorischen Gedanken regten sich wieder, die aus der katholischen Kirche Schlesiens niemals ganz ver- schwunden waren,) gutmütige Vorstellungen von einer geläuterten Kirche, welche nicht römisch und doch katholisch sein sollte. Nach wenigen Wochen schon gründete Ronge eine Gemeinde, die sich von Rom förmlich lossagte. Sie bestand zumeist aus kleinen Leuten der Mittelklassen; aber auch zwei Männer von geachtetem wissenschaftlichem Namen schlossen sich an, erst der Kirchenrechtslehrer Professor Regenbrecht, dann der gelehrte, grund- ehrliche Pater Anton Theiner, beide den Klerikalen längst verhaßt als unerschrockene Kämpfer wider den Zölibat und andere römische Miß- bräuche. Unterdessen hatte auch Kaplan Czerski in Schneidemühl, ein wegen heimlicher Ehe verurteilter Priester, mit starkem Anhang die römische Kirche verlassen, und bald bildeten sich in zweiundzwanzig nord- deutschen Städten Dissidentengemeinden, die den widerspruchsvollen Namen der Deutschkatholiken annahmen. Im Süden war der Zulauf schwächer, da Osterreich und Bayern die neue Sekte mit äußerster Härte verfolgten. Das gläubige Landvolk hielt sich überall fern. Mehr als 60000 Be- kenner zählte der Deutschkatholizismus niemals, und die volle Hälfte gehörte Ronges schlesischer Heimat an. Im Vatikan war anfangs der Schrecken groß; denn wer mochte wissen, wohin ein Schisma auf diesem heißen Boden, in dem Vaterlande der einzigen siegreichen Ketzerei noch führen konnte? Der Klerus erhielt Befehl, mit weltkluger Mäßigung zu verfahren, und nur die abtrünnigen Priester wurden exkommuniziert. Die Evangelischen hingegen hießen Ronges Unternehmen willkommen; ihrer viele sahen ja das Wesen des Protestan- tismus allein in der Bekämpfung des Papsttums, und auch die Gläubigen lebten der Überzeugung, daß die evangelische Lehre die dem deutschen Ge- müte entsprechende Form des Christentums ist, sie hofften auf die kirchliche Wiedervereinigung der Nation. Fast in allen Städten, wo deutschkatholische Gemeinden entstanden, beeilten sich die Protestanten, ihnen die Rathaussäle *) S. o. III. 416 f. v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 22