Straßenkampf in Leipzig. 345 die behagliche Bürgerwehr. Um seine Furchtlosigkeit zu beweisen, kam der Prinz selbst einen Augenblick heraus und verlangte, daß man für die Räumung des Platzes sorgte, dann kehrte er zu seinen Gästen in den Gartensaal zurück, ohne zu ahnen, was sich nun begeben sollte.“) Unter— dessen hatten die Schützen ohne Gewalttätigkeit den Haufen von dem Platze größtenteils hinweggedrängt. Jetzt staute sich die Menge in den Baum— gängen der Promenaden, die den Roßplatz umsäumten. Abermals Stein— würfe, abermals Geschrei und Toben; wiederholte Aufforderungen zum Auseinandergehen verhallten ungehört oder unbeachtet; da feuern zwei Pelotons der Schützen in die dichtgedrängte Menge hinein, sieben aus der Menge werden getötet, mehrere verwundet. Es war eine unglückselige Übereilung, ganz gewiß nicht planvoll vorbereitet; aber auch nicht entschul- digt durch drängende Not; allem Anschein nach hatten zwei Offiziere in- mitten der wüsten Verwirrung, im abendlichen Dunkel den Überblick ver- loren und die augenblickliche Gefahr zu hoch angeschlagen. Als die Kom- munalgarde endlich durch Generalmarsch aufgeboten wurde, da verliefen sich die Massen, aber ein tiefer Groll blieb in den Herzen der Bürger- schaft zurück. Der durch den blutigen Vorfall schmerzlich überraschte Prinz Johann sollte wieder an allem die Schuld tragen, und als er am Früh- morgen abreiste, wurde sein Wagen mit Flüchen und Steinwürfen verfolgt. Alle Parteien überschätzten das traurige Ereignis, denn das Vor- gefühl einer großen Entscheidung zitterte durch die Welt. Freiligrath sang die volltönende Ode auf Leipzigs Tote: Ich bin die Nacht, die Bartholomäusnacht, Mein Fuß ist blutig und mein Haupt verschleiert. Es hat in Deutschland eine Fürstenmacht Zwölf Tage heuer mich zu früh gefeiert — prächtige Verse, die sich neben der nüchternen Wirklichkeit doch fast lächer- lich ausnahmen. Ebenso aufgeregt betrachtete man in Wien diese Pöbel- unruhen, denen die wackere Bürgerschaft der Meßstadt ganz fern ge- blieben war. Metternich sah die seit einem Menschenalter befürchtete Revolution jetzt mit Riesenschritten herannahen und hatte schon im April seinen Diplomaten geschrieben: „Tritt das Übel einmal deutlich aus dem Verstecke, in dem es sich hält, hervor, dann werden die Regierungen sich zu erheben bemüßigt sein, aber Freischaren gegenüberstehen, denen die geregelte Macht in die Länge nur schwer zu widerstehen vermag.“*) Ganz im Sinne des Meisters berichtete nunmehr der k. k. Generalkonsul Hübner in Leipzig, ein kluger, ehrgeiziger Reaktionär, der in der Gesell- *) So berichtet der Prinz selbst (Falkenstein, König Johann von Sachsen S. 160). Seine Erzählung ist, wie sich von selbst versteht, in allem Wesentlichen zuverlässig; doch stammt sie unverkennbar erst aus späterer Zeit und enthält daher einige leicht erklärliche kleine Ungenauigkeiten. **) Metternichs Denkschrift, 30. April 1845.