372 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft. bayrischen Catilina Friedrich Rohmer nicht zurück hinter den Brüdern Bauer und den Berliner Freien, die einmal beim Saufgelage ein kräftiges Pereat Gott! gröhlten. Einer aus Rohmers Kreise, A. Widmann, schilderte seine Erlebnisse, sobald er aus dem Taumel erwacht war, in einem Romane „der Tannhäuser“; und als er drei Jahre später, 1850 in der Zeit der politischen Enttäuschung, sein geistreiches Buch herausgab, da konnten die ernüchterten Leser schon kaum mehr begreifen, daß man „dies neue Titanentum, das unserer Revolution vorausging“, jemals be- wundert hätte. In solchen Tagen besaß das halb poetische, halb patriotische Pathos der politischen Lyrik seine volle Berechtigung. Wenn die neuen Zeitpoeten in wohlgereimten Versen die Nation beschworen, fortan das Verseschweißen zu lassen, so bekundeten sie durch den wunderlichen Widerspruch nur, was dies tatenarme und tatendurstige Geschlecht wirklich empfand. Sie glaub- ten den Deutschen etwas völlig Neues zu bringen und betrachteten geringschätzig die von Heine so oft verhöhnte Jünglingspoesie des Be- freiungskriegs. Dennoch sind von ihren feiner und glätter durchgebildeten Gedichten nur sehr wenige so lebenskräftig bis zur Nachwelt durchgedrungen wie die kunstlosen Lieder Arndts und Körners, Schenkendorfs und Fou- qués. Die Dichter des großen Völkerkampfes besangen den Krieg, die einzige der künstlerischen Anschauung sofort vertraute politische Tätigkeit; sie erweckten durch ihre patriotische Begeisterung ewige, rein menschliche Gefühle, Waffenlust und Schlachtenzorn, Siegeshoffnung und Sieges- freude; sie verfolgten ein bestimmtes, dem schlichten Sinne verständliches Ziel, die Befreiung des Vaterlandes von den fremden Unterdrückern; sie dichteten mit dramatischer Wahrheit, oft recht eigentlich aus dem Steg- reife, fast im Angesichte des Feindes, und blieben bescheiden, weil in großer Zeit die Tat das Wort beschämt. Die modernen friedlichen Ideale konsti- tutioneller Freiheit, bürgerlicher Gleichberechtigung, nationaler Einheit boten hingegen einen weit spröderen Stoff, der nur durch mächtige Leiden- schaft, durch ungewöhnliche Größe des Urteils künstlerisch bezwungen und gestaltet werden konnte; das leichtere Talent lief hier immer Gefahr, in die Leere der phrasenhaften Allgemeinheit oder in den Kleinsinn des Parteihasses oder in die Prosa der rohen Satire zu verfallen. Und begreiflich genug, daß die neuen politischen Dichter sich selbst über- schätzten, denn vor glorreichen Taten brauchten ihre großen Wortenicht zu erröten; sie hielten sich für die gottbegnadeten Führer der Zeit, weil selbst die Männerwelt ihren Liedern freudig lauschte. So stürmische Huldigungen, wie sie Herwegh auf seiner Triumphreise erlebte, waren einem deutschen Dichter von ernsten Männern kaum je bereitet worden, und fast schien es, als sollte die Dichtung wieder stolz und breit in die Mitte unseres Volks- lebens treten. In Wahrheit war diese Begeisterung rein politisch. Die politischen Lieder klangen den Hörern wie verhaltene Parlamentsreden und