Freytag. 395 mitten in seiner Entwicklung, seine Helden spielten noch übermütig mit dem Leben, ohne es handelnd zu beherrschen; die Zeit sollte noch kommen, da er der Lieblingsdichter des deutschen gebildeten Bürgertums wurde. Auffällig unterschied sich Freytag von den anderen Dramatikern auch durch den Adel seiner einfachen, reinen, seelenvollen Sprache. Wer diese Dramen las oder die Gedichte Geibels und Dingelstedts, oder die Prosa der Brüder Grimm, Rankes, Dahlmanns, Schellings, der mußte freudig erkennen, daß die frische Lebenskraft der jüngsten und bild samsten Kultur- sprache weder unter der Jätelust der urteutonischen Sprachreiniger, noch unter der fremdbrüderlichen Ziergärtnerei der Jungdeutschen ernstlich ge- litten hatte. Alle diese Schriftsteller schrieben gut deutsch, keiner dem andern gleich, und in der Freiheit des individuellen Stils lag unsere Stärke. Die straffen Saiten der alten herrlichen Goldharfe gaben noch vollen Klang, sie harrten immer nur des Meisters, der sie spielen konnte. Mit gerechtem Stolze rief Rückert unserer Sprache zu: Durch der Eichenwälder Bogen Bist du brausend hingezogen, Bis der letzte Wipfel barst. Durch der Fürstenschlösser Prangen Bist du klingend hergegangen, Und noch bist du, die du warst. — Die Poesie bleibt allezeit die eigentlich nationale Kunst. Wie ihre Sprache nur von den Volksgenossen ganz verstanden wird, so schöpft auch der Dichter die Ideale für sein bewußtes Wirken geradeswegs aus dem Leben seines eigenen Volks; alle großen christlichen Nationen, wie vieles sie auch dem Gedankenaustausche mit dem Auslande verdanken mochten, haben sich ihre klassische Dichtung wesentlich aus eigener Kraft geschaffen, auf sehr verschiedenen Altersstufen, manche in Zeiten, da die anderen Völker sämtlich brach lagen, aber alle dann, wenn ihnen die eigene Seele frei und reich ward. Das Gemüt ist national, Ohr und Auge sind Weltbürger. Die großen Epochen der Musik und der bildenden Künste, Gotik, Renaissance, Barock und Zopf gehören, trotz der Mannigfaltig- keit der nationalen Stile, allen Kulturvölkern an; aus der Gemeinsam- keit der Sitten und Trachten, des Verkehres und der Weltverhältnisse bildete sich jedes Jahrhundert bestimmte Tonempfindungen und Formen- typen aus, denen sich keine Nation ganz entziehen konnte. Und dieser weltbürgerliche Zug der bildenden Künste verleugnete sich auch nicht in dem neunzehnten Jahrhundert, das unstet suchend, hastig schaffend seinen eigenen Stil niemals recht zu finden vermochte. Der erhabene Idealismus, der einst unter den deutschen Malern in Rom zuerst erwacht war, hatte auch die französische Kunst nicht unberührt gelassen; doch schon nach zwei