Moskowitischer Deutschenhaß. 463 ihnen im sechzehnten Jahrhundert ihre eigenen Schüler, die skandinavischen Völker trotzig entgegengetreten, um sich selbst für mündig zu erklären und ein unabhängiges nationales Leben zu beginnen. Jetzt kam die Zeit, da auch die gesamte subgermanische Welt des Ostens, die ihre Gesittung fast ausschließlich den Deutschen verdankte, ihren germanischen Lehrmeistern zu entwachsen versuchte. Der erstarkende Nationalstolz der Magyaren und der Tschechen, der Russen und der Südslawen bekundete sich — das war der notwendige Lauf der Welt — in einem wütenden Deutschen— hasse. In Rußland nahmen auch schon die panslawistischen Ideen über— hand, phantastische Träume von einer Vereinigung aller slawischen Völker, die sich sämtlich dem weißen Zaren unterordnen sollten. Darum be— geisterte sich der russische Adel jetzt für ein Bündnis mit Frankreich, und dieser Gedanke, der schon unter Alexander I. mehrmals aufgetaucht war, fand nunmehr auch in Frankreich manche schwärmerische Anhänger. Man entsann sich wieder der Zeiten, da einst Pozzo di Borgo als russischer Gesandter und französischer Patriot dem Tuilerienhofe seine Ratschläge erteilt hatte. Lamartine, der in seinen überschwenglichen Reden doch zu- weilen ein Herzensgeheimnis seines Volkes prophetisch herausfühlte, nannte das französisch-russische Bündnis „den Schrei der Natur“, eine geographische Notwendigkeit. Die Nationen gleichen in ihrem Gemütsleben den einzelnen Menschen weit mehr, als die demokratische Volksschmeichelei zugeben will; die einen wie die anderen lassen sich oft auf lange hinaus durch fixe Ideen, durch unklare Wahnvorstellungen bezaubern. Rußland und Frankreich waren durch keinerlei Gemeinschaft der Interessen aufeinander angewiesen; nur ein einziges Mal, im siebenjährigen Kriege, hatten sie gemeinsam gegen Deutschland gefochten, und wahrhaftig nicht zu ihrem Ruhme. Was gleich- wohl den Gedanken eines französisch-russischen Bündnisses jetzt wieder be- lebte, war allein der Haß gegen das erstarkende Mitteleuropa; und da diese Empfindung im Westen wie im Osten die Gemüter wirklich be- herrschte, so konnte vielleicht dereinst noch eine Zeit kommen, wo der krank- hafte politische Plan sich verwirklichte. Bis zu diesem Außersten freilich wollte Nikolaus den Moskowitern nicht folgen. An dem Bunde der Ost- mächte hielt er noch immer ebenso fest wie seine vertrauten Ratgeber Nessel- rode und Orlow; den Haß gegen das Julikönigtum und die alte Vorliebe für das preußische Heer gab er auch niemals auf. Deshalb verhöhnten ihn die Panslawisten als einen deutschen Gottorper und benamsten ihn Karl Iwanowitsch — was ihnen nebenbei den Vorteil bot, auf ihren Zaren ebenso ungestraft zu schimpfen wie die radikale Jugend Preußens über ihren „Lehmann“ zu spotten pflegte. In der inneren Politik aber waltete unumschränkt das Moskowitertum mit seinem barbarischen Fremdenhasse. Mit den Jahren wurde die Unordnung an der Grenze doch den Russen selbst lästig. Cancrin zeigte sich, als er zur Zeit des Thronwechsels durch