482 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. und es gelang ihm leicht, den sanguinischen, für neue Gedanken immer empfänglichen Bunsen ganz zu bezaubern.) Dort verfaßte er einen langen Aufsatz über die Allianz zwischen Großbritannien und Deutschland — eine seltsame Denkschrift, die sich nur aus seiner leidenschaftlichen patriotischen Besorgnis erklären ließ. Wer hatte schärfer als List die großartige Selbst- sucht der britischen Handelspolitik durchschaut? wer klarer erkannt, daß die Engländer in Deutschland ihren gefährlichsten Nebenbuhler sahen? Und dieser selbe Mann suchte jetzt die Briten zu gewinnen durch Lobreden, die der Insulaner als pflichtschuldigen Tribut der verachteten Foreigners stets kaltblütig hinnimmt; er zeigte ihnen, daß sie ihre Überlegenheit gegen Nordamerika und gegen eine drohende russisch-französische Allianz nur dann behaupten könnten, wenn sie sich fest mit Deutschland verbündeten; darum müßten sie, selber beim Freihandel verharrend, darein willigen, daß Deutschland durch hohe Schutzzölle des Zollvereins allmählich erstarkte. In dem Augenblick also, da die englische Regierung zum Freihandel überging, mutete er ihr zu, in Deutschland ein strenges Schutzzollsystem zu begünstigen, das seine Spitze doch nur gegen Großbritannien richten konnte. Wunderlicher hat ein genialer politischer Kopf kaum jemals geirrt. Diese Abhandlung sendete List an Peel und Palmerston, unbekümmert um das Kopfschütteln des preußischen Gesandten. Beide Staatsmänner ant- worteten, wie sich von selbst verstand, höflich ablehnend. Peel erinnerte an den Glaubenssatz der Freihändler, daß jede Nation die Waren erzeugen solle, die sie am billigsten hervorbringe; Palmerston aber sagte mit einer frommen Salbung, die dem alten Schalk ergötzlich anstand: „der Freihandel wie die Wohltätigkeit beginnt zu Hause.“ Zugleich wurde die Denkschrift nach Berlin geschickt, und List wagte, in einem begleitenden Briefe dem Könige seine Dienste anzubieten, obgleich seine Partei alle diese Jahre hin- durch die preußische Politik bis aufs Blut bekämpft hatte. „Es ist falsch“, so schrieb er, „wenn man mich für einen Gegner Preußens hält.“ Er glaube aber, „daß der Geist des erleuchteten Herrschers von Preußen nicht immer der Geist der preußischen Bureaukratie sei.“ Und „deshalb“, fuhr er fort, „bestehe ich getrost das Wagnis, in einer Sache, die das höchste Wohl des Vaterlandes in Frage stellt, von einer befangenen Bureaukratie an die glückliche Geistesfreiheit und Geistesstärke Ew. K. Majestät zu appellieren.“ Er schloß mit der Erklärung, „daß ich bereit sei, mit Freuden jede Bürde zu tragen, die Ew. K. Majestät in Ihrer Weisheit und zum Besten des Vaterlandes meinen Schultern aufzulasten für gut finden sollten.“) Brief und Denkschrift mußten dem Monarchen gefallen. Die Aus- fälle auf die Bureaukratie taten ihm wohl, und im Grunde des Herzens war er noch immer schutzzöllnerisch gesinnt, gleich dem Prinzen von * BuMunsens Berichte, 26. Juni, 31. Juli 1846. **) List an König Friedrich Wilhelm, 31. Juli 1846. S. Beilage 32.