Preußische Eisenbahnpolitik. Das Aktiengesetz. 495 das alte unüberwindliche staatsrechtliche Bedenken: ohne Reichsstände durfte die Krone keine Anleihen aufnehmen, auch hatte sie den Provinzial= ständen bereits angekündigt, daß sie für jetzt auf Staatsbahnen verzichte. Deshalb allein empfahl Rother ein vermittelndes System, das offenbar den Übergang zu dem Staatsbahnsystem der Zukunft bilden sollte. Er verlangte, der Staat müsse die Hauptlinien unter seiner Leitung und Auf- sicht durch Aktiengesellschaften bauen lassen, und ihnen aus seinen regel- mäßigen Einnahmen 2 Mill. Tlr. jährlich zuschießen, auch nötigenfalls eine Verzinsung von 3⅛½ Prozent verbürgen, die Zinsen seiner eigenen Aktien aber nebst neuen Überschüssen in einem besonderen Eisenbahnfonds ansammeln, um späterhin, nach zwanzig Jahren etwa, die Bahnen selbst anzukaufen. Also erscheine der Staat immer nur als Gläubiger, nie als Schuldner, und das Staatsschuldengesetz von 1820 bleibe unverletzt.) Ob- wohl diese letzten Sätze sich mit guten Rechtsgründen anfechten ließen, und mehrere der andern Minister, zumal der sparsame Thile, die Pläne des klugen alten Herrn allzu kühn fanden, so drang er doch bei dem Mon- archen durch. Im wesentlichen nach seinen Vorschlägen wurde die Eisen- bahnpolitik während der nächsten Jahre gehandhabt. Das Privatkapital in den mittleren und den westlichen Provinzen zeigte sich gewagten Unternehmungen nur zu sehr geneigt. Jetzt zum ersten Male wurde Berlin von dem Fieber wüsten Aktienschwindels er- griffen, das seitdem noch so oft wiederkehren sollte. Das böse Beispiel gab England. Da die Geschäftswelt von der Überlegenheit großer Eisenbahnen noch nichts ahnte, so drängten sich in Großbritannien die Gründungen. In den zwölf Jahren bis 1844 waren dort 44 Eisenbahngesellschaften entstanden, in dem einen Jahre 1845 bildeten sich 118 neue; geplant waren ihrer noch 1263 mit einem angeblichen Kapitale von 562 Mill. Lstrl.-) und es bedurfte noch vieljähriger schlimmer Erfahrungen, bis sich endlich die große Nordostbahngesellschaft aus der Verschmelzung von 37 kleinen Bahnen bildete. Vor diesem Übermaße des Schwindels blieb Preußen freilich bewahrt, dank seiner Armut und der strengeren Staatsaufsicht. Immerhin ward der Tanz um das goldene Kalb ganz schamlos. Männer aus allen Ständen, selbst Offiziere in Uniform, berühmte Künstler und Gelehrte drängten sich täglich in das winklige Börsengebäude neben dem Dom, um mit den Aktien aller Länder zu schachern. Da wurden durch das Gesetz vom 24. März 1844 alle Zeitkäufe über inländische, alle Ge- schäfte über ausländische Aktienpromessen plötzlich verboten. Das von Bodelschwingh entworfene, strenge, aber notwendige Gesetz wirkte furchtbar, weil es ganz unvermutet von der absoluten Krone ausging, und keiner- lei ständische Verhandlungen die Geschäftswelt darauf vorbereitet hatten. *) Rother, Promemoria zur Förderung des Eisenbahnbaues, an Thile übersandt, 21. Febr. 1843. **) Bunsens Bericht, 18. Nov. 1845.