536 V. 7. Polen und Schleswigholstein. ehe man so heftige Vorwürfe erhebt, müßte man wenigstens die Stimme der griechischen Nation hören.“*) In Athen erregten Palmerstons Wut— ausbrüche und die wachsende Anmaßung seines Gesandten Lyons nur Widerwillen. Kolettis behauptete sich, und unter seiner mehrjährigen Regierung drang die französische Gesinnung den Hellenen in Fleisch und Blut. Den deutschen Philologen, zumal dem geistvollen Otfried Müller, der auf dem Hügel von Kolonos sein frühes Grab fand, widmeten sie wohl einige Hoch— achtung; ihre Liebe aber schenkten sie, wie alle Orientalen, den Pariser Sitten. Der Tuilerienhof beeiferte sich auch, durch seine freundliche Hal— tung solche Empfindung zu bestärken, und ganz unwiderstehlich erschien diesem halbgesitteten Volke die Macht der französischen liberalen Phrase. Die beiden Hauptplätze Athens hießen nach dem Pariser Muster der Ein— trachtsplatz und der Verfassungsplatz, man lustwandelte abends von der Homonoia zum Syntagma. Doch die Eintracht stand auf ebenso schwachen Füßen wie das Grundgesetz. Die politische Kraft der Hellenen war durch die berechnete Grausamkeit der Schutzmächte, durch inneren Zwist und kaufmännische Waffenscheu auf lange hinaus geschwächt, und die sanfte Schirmherrschaft, welche der französische Gesandte fortan im Schatten der Akropolis ausübte, bedeutete für Europa sehr wenig. In Athen konnten England und Rußland den Schein der Freund- schaft wahren, weil beide das Verderben ihres Schützlings planten. Sonst ließ sich die natürliche Nebenbuhlerschaft der beiden Mächte nirgends mehr im Oriente ganz verhüllen. Nesselrode wiederholte beständig die friedfer- tigen Beteuerungen, die er schon vor Jahren dem britischen Kabinett ge- geben hatte: „die Politik des Kaisers im Oriente wird von denselben Grundsätzen beherrscht, welche sie in Europa leiten. Entfernt von jedem Er- oberungsplane hat diese Politik zum einzigen Zweck die Aufrechterhaltung der Rechte Rußlands und die Achtung vor den durch andere Mächte er- worbenen legitimen Rechten. Der Gedanke, die Ruhe der englischen Be- sitzungen in Indien auch nur zu stören, ist dem Geiste unseres erhabenen Herrn niemals nahe getreten.“**) Wenn solche Versicherungen in London eintrafen, dann sagte Robert Peel schwermütig: man darf im öffentlichen Interesse nicht annehmen, daß Rußland seine Versprechungen nicht halten wird. Mittlerweile eroberten die Heere des Zaren nach und nach den Kaukasus, und seit das Waffenglück ihnen günstig wurde, zeigte die Nation lebhafte Freude an dem Kriege. Das Kaspische Meer war bereits ein moskowitischer Binnensee; russische Dampfer, mit persischen Kohlen geheizt, befuhren seine Gewässer, und also im Rücken gedeckt, drangen die nordischen Eroberer weiter und weiter in die transkaspischen Gebiete. Die wieder- *) Canitz an Westmoreland, 30. Mai 1877. **) Nesselrode an Pozzo di Borgo, 20. Okt. 1838.