538 V. 7. Polen und Schleswigholstein. sich die Meinung gebildet, daß die Türkei von innen heraus verjüngt, der christlichen Kultur angenähert werden müsse. Mit Hilfe seines Freundes Reschid Pascha erreichte er auch einzelne kleine Milderungen der barbari— schen Gesetze: die Folter ward abgeschafft, und der Großherr versprach min- destens, daß der Übertritt zum Christentum nicht mehr mit dem Tode be- straft, Christenkinder nicht mehr gewaltsam dem Islam zugeführt werden sollten. Das alles änderte freilich gar nichts an dem Wesen dieser orienta- lischen Theokratie, an der hoffnungslosen Knechtschaft der Rajah-Völker. Die russenfeindliche liberale Presse Europas aber verherrlichte mit treu- fleißiger Begeisterung alle die Wundertaten der türkisch-englischen Reform- politik. Unermeßlich war der Jubel, als ein diplomatisches Prunkmahl ab- gehalten wurde im Palaste Beglerbeg, in jenen üppigen Kuppelsälen, wo der Harem des Padischahs sich morgens in Gegenwart seines erhabenen Gebieters zu baden pflegte, und der große Elchi den Trinkspruch aus- brachte: die Zivilisation und der Fortschritt in der Türkei, die entente cordiale überall, vornehmlich zwischen Abendland und Morgenland! Nach langen Jahren erst sollte Stratford selbst erkennen, daß er edle Kraft an ein unmögliches Unternehmen verschwendet hatte, daß die Sitten des Harems sich mit der christlichen Kultur doch nicht so leicht vereinigen ließen. Vorläufig behauptete der englische Gesandte am Goldenen Horn eine Herr- schaft, die nur selten durch das Erscheinen eines russischen Generaladjutan- ten unliebsam gestört wurde. Zar Nikolaus wartete seiner Stunde, da er wohl einsah, daß seine Diplomaten es mit Stratfords überlegener Persön- lichkeit nicht aufnehmen konnten. Er sagte grimmig: ich tue nichts gegen den Bosporus, solange England und Frankreich sich ruhig halten; wagen sie aber etwas, „dann werde ich gewiß der erste in Konstantinopel sein und nicht loslassen.“7?) In Deutschland ward das öffentliche Urteil zugleich berichtigt und ver- wirrt durch die Fragmente aus dem Orient von dem Tiroler Jakob Fall- merayer, ein geistreiches Buch, das den allgemeinen Russenhaß noch stärker aufreizte als vordem Urquharts Portfolio. „Der Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen persönlicher Freiheit und schmachvollem Russen- tum, zwischen pfäffisch-demütiger Niederträchtigkeit und freier sittlicher Würde“ erschien dem Fragmentisten als der Inhalt der neuen Geschichte. Fallmerayer war auf seinen weiten orientalischen Reisen und durch gründ- liche Erforschung der byzantinischen Geschichte zu der Überzeugung ge- langt, daß geistliche Allmacht und menschliche Erniedrigung überall zu- sammengehen = einer Ansicht, die sich dort in den Landen des Islams und des Cäsaropapismus allerdings jedem freien Geiste von selber auf- drängt; er bewunderte Konstantinopel als „die Metropolis des Erdbodens, wo die Lose für Europas Zukunft geschrieben würden.“ Der phantastische — — — *) Rochows Bericht, 30. Dez. 1846.