616 V. 8. Der Vereinigte Landtag. schaft zusammen. Die Provinzen wie die Stände des Vereinigten Land— tags besaßen das Recht, die Sonderung in Teile zu verlangen; aber von dieser gefährlichen Befugnis versuchten nur zweimal, ganz zu An— fang der Tagung, einzelne Heißsporne Gebrauch zu machen. Beide Male vergeblich. Der Landtag wollte ein untrennbares Ganzes bleiben; die Naturgewalt der nationalen Einheit, der Ernst des preußischen Staats— gedankens hielt alle Sondergelüste danieder. Das war es, was Metter— nich vor allem fürchtete. Er wußte wohl, daß Österreich und Frankreich die geborenen Feinde der deutschen Einheit waren, und warnte Guizot vor den großen Gefahren, welche dieser Landtag den beiden Höfen zu bereiten drohe; er stachelte die partikularistische Angst des Königs von Württemberg gegen das Deutschtum und den „alles oder nichts sagenden Begriff“ der Nationalität. Als festes Bollwerk wider das werdende Deutschland dort im Norden empfahl er den Deutschen Bund, die natür- liche Stütze des Partikularismus. Zum ersten Male, seit es ein Königreich Preußen gab, traten die Stände als eine selbständige Macht der Krone gegenüber; und wie stark und mannigfaltig erschien das nationale Leben, das hier plötzlich Sprache gewann, wie wenig hatte man draußen im Reich von den großen Verhält- nissen des wirklichen deutschen Staates gewußt. „Preußen hat wieder einen Adel“ — so sagte eine ehrliche liberale Zeitung ganz verwundert; denn das landläufige Zerrbild vom preußischen Junkertum paßte wahrhaf- tig nicht auf die tapferen, gebildeten, patriotischen Edelleute, die im Ver- einigten Landtage, manche als Wortführer des Liberalismus, alle gleich freimütig auftraten; viele von ihnen erklärten sich sogar bereit — frei- sinniger als der bayrische Adel — auf ihre Patrimonialgerichtsbarkeit zu verzichten. Fast noch mehr überraschte die Deutschen der Kleinstaaten das stolze Selbstgefühl des preußischen Bürgertums, das in der älteren Ge- schichte der Monarchie fast immer nur eine bescheidene Rolle gespielt hatte, jetzt aber, rasch erstarkt unter dem Schutze des Zollvereins, seine großen wirtschaftlichen Interessen nachdrücklich vertrat. Auch das alte streng protestantische Preußen war nicht mehr; die Parität der Bekenntnisse ward in den Formen überall sorgsam gewahrt, und die aufgeklärten Ber- liner Katholikenhasser wollten nicht begreifen, warum der Landtag das Fronleichnamsfest als einen Feiertag ehrte. Überhaupt kam ein neuer, freierer, großstädtischer Zug in das Berliner Leben, seit die Fürsten und Grafen des Westens, die schle- sischen Granden und der ostpreußische Adel, der bisher immer still da- heim geblieben war, alle bei Hofe erschienen und der König auch die Vertreter der Städte und der Landgemeinden zu seinen Festen lud; erst seit diesen Anfängen der parlamentarischen Kämpfe begann Berlin zur wirklichen Hauptstadt zu werden. Und wie reich war dieser erste Land- tag an rednerischen Talenten, an mutigen, erfahrenen, ehrenhaften