766 XXXII. List an König Friedrich Wilhelm. weinerliche Erzählung von Heines „Exil“ ist weiter nichts als eine häßliche Lüge, deren jeder gewissenhafte Historiker sich schämen sollte. Jene Anfrage des Grafen Bresson konnte natürlich nur den einen Grund haben, daß Heine sich vorher in Paris um die Naturalisation beworben hatte. Ist diese Na- turalisation dann wirklich erfolgt? Allem Anschein nach, jal Das einzige rechtliche Hindernis, das ihr entgegenstehen konnte, war durch die bündige Erklärung des preu- ßischen Auswärtigen Amtes beseitigt, und die französische Regierung behandelte Heine sortan amtlich als Franzosen. Als im Januar 1845 Guizot die Mitarbeiter der unter- drückten radikalen Zeitschrift Vorwärts, sämtlich Ausländer, auszuweisen beschloß, da wurde nur der Franzose Heine ausgenommen. A. Ruge, der damals beständig mit ihm verkehrte, schrieb in einem Briefe v. 26. Jan. 1845: „Heine ist naturalisiert, also nicht auszuweisen,“ und das nämliche sagt er in seinen „Studien und Erinnerungen aus den Jahren 1843—45“ (Sämtliche Werke V. 401). Ist es wahrscheinlich, daß Heines nächste Freunde über eine solche Frage, die im Augenblicke geradezu eine Lebensfrage war, nicht Bescheid gewußt hätten? Ist es glaubhaft, daß die französische Regierung, die vor kurzem wegen Heines Naturalisation einen diplomatischen Schriftwechsel ge- führt hatte, sich über die Staatsangehörigkeit dieses Mannes, dessen Name in den Listen ihrer geheimen Pensionäre stand, gröblich geirrt haben sollte? Diesen handgreiflichen Anzeichen steht schlechterdings nichts entgegen als die Behauptung Heines selbst, der im Jahre 1854 öffentlich erklärte: er hätte zwar alle Vorbereitungen zur Natu- ralisation getroffen, aber, gehindert durch „den närrischen Hochmut des deutschen Dichters", sie niemals ausgeführt. Wie viel das Wort Heines gelten soll? — darüber mag jeder nach seiner Empfindung entscheiden. Meinerseits glaube ich: die Versicherung Heines, daß er niemals Franzose geworden sei, hat für die historische Wissenschaft genau den- selben Wert, wie seine ebenso inbrünstige Beteuerung, daß er „wegen seiner Liebe zu Deutschland dreißig Jahre im Exile verlebt“ hätte. XXXII. List an König Friedrich Withelm. Zu Bd. V. S. 482. Euerer Kön. Majestät Gesandter am hiesigen Hofe, Chevalier Bunsen, versichert mich, Allerhöchstdieselben wür- den es nicht ungnädig aufnehmen, wenn ich Ihnen schriftlich die Gefühle jener tiefen Verehrung aussprechen würde, von welchen ich gegen Allerhöchstd’eselben längst durch- drungen bin. Schon im Sommer 1835 stand mir das Glück bevor, Ew. K. Majestät nahe zu kommen. Damals in Berlin anwesend in der Absicht, eine große Kompagnie zur Unter- nehmung sämtlicher preußischer Eisenbahnen zu stiften, war ich mit dem damaligen Major Willisen, Ew. K. Maj Adjutant, bekannt, und durch ihn ward Einleitung ge- troffen, daß mir die Gnade einer Audienz bei Allerhöchstdemselben zu teil werden sollte. Leider aber wurden Höchstdieselben am Abend vor dem hierzu anberaumten Tage durch Dienstverhältnisse nach Pommern gerufen, und damit habe ich einen Unstern er- fahren, der mir von den vielen, die mich in meinem bewegten Leben betroffen haben, nachher oft als der unglücklichste erschienen ist, weil ich dadurch wahrscheinlich des Privilegiums beraubt worden bin, mein seitheriges Tun und Lassen bei Ew. Königl. Majestät unmittelbar zu rechtfertigen. Es ist falsch, wenn man mich für einen Gegner Preußens hält. Gibt es in Deutschland Patrioten, und ich glaube ihre Zahl ist nicht gering, die von der Über- zeugung durchdrungen sind, Preußen habe die hohe Bestimmung, durch Reaktion gegen