zuhalten. Bei einem Hammelsprung stellt sich schon heute in der ersten halben Stunde heraus, daß nicht die Hälfte der Ab- geordneten anwesend ist. „199“, wird dem Präsidenten Fehren- bach zugerufen, „1991“ Er winkt matt ab, als wolle er sagen: „Weiß schon! Weiß schon!", läßt sich wortlos in seinen ragenden Adlersessel fallen, verschnauft sich erst eine ganze Weile wie ein verzweifelnder Lebrer inmitten einer Horde unbelehrbarer Zungen und beraumt dann, unter Schließung der jetzigen, eine neue Sitzung an. Nach 25 Minuten ist die nötige Zahl Volkevertreter herantelephoniert worden, und die Beratung kann weitergehen. In den Bänken gerade der Regierungsparteien klaffen die größten Lücken. Rur ein knapp über die Hälfte gefülltes Haus beschließt — und so ist es alle Tage — über die grundlegenden Gesetze des Deutschen Reiches. Sobald sie aber in dieser leichtfertigen Art entstanden sind, sollen sie auf einmal heilig und möglichst unantastbar sein. Von da ab, so wird heute be- schlossen, ist zu jeder Verfassungsänderung eine Zweidrittel- mehrheit in einem mindestens zu zwei Oritteln gefüllten Hause nötig. Dabei wissen wir, daß die mit der Hälfte be- schlußfähige Nationalversammlung, wie der Ausfall der Kreis- tagswahlen im ganzen Lande erweist, gar nicht mehr dem Willen der Nation entspricht, die im Januar noch gänzlich unaufgeklärt und im vollen Wilson-Rausche an die Urne ging. Das wissen auch die regierenden Parteien. In ihrer Angst vor dem kommenden Umschwung sind sie daher zu allem be- reit, auch zu einem verbrecherischen Attentat auf das Selbst- bestimmungerecht des Volkes: es wird in ihren Konventikeln der Plan erwogen, die jetzige verfassunggebende Nationalver- sammlung, die nach Erledigung ihrer Aufgaben auseinander- gehen müßte, ohne Neuwahlen einfach als Reichstag weiterbestehen zu lassen, sich also auf diese Art die verfallenen Mandate weiter zu erschleichen. 196