Richter Lynch Weimar, 10. Zuli Wir haben lauter Volksparteien. Nun sollen wir auch Volks- gerichte bekommen. Ganz Oeutschland wird geistig zur Volke- küche. Niemals in unserer Geschichte hat man vor Majestäten so mit dem Schweif gewedelt wie heute vor dem Worte „Volk“. Ee ist das weiter nichts als eine Kundenumschmeiche- lung durch die Geschäftemacher der Politik. Nur wenig Auf- rechte haben Mut, zu sagen, was ist: Vox populi, vox Rindvieh. Wollte man wirklich im Geiste von Weimar handeln, so müßte man demütig mit Schiller bekennen: „Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen.“ Also Volksgerichte. Bei der Beratung des Kapitels über Rechtspflege, die die ganze heutige Besprechung über die Verfassungsvorlage ausfüllt, beantragen die Unabhängigen die Abschaffung unseres Richterstandes und seine Ersetzung durch Laien, die vom Volke nach Reichstagswahlrecht erkoren werden. ODas käme letzten Endes auf das Lynchspstem von Wild-West heraus. Wer der Masse mißliebig ist, wird geteert und gefedert, oder man veranstaltet ein Preieschießen auf ihn, oder man verbrennt ihn lebendig. Auf alle Fälle ist es ein Volksfest. Wir möchten wohl wissen, wie die Urteile in einer Stadt ausfallen würden, in der die Unabhängigen die Mehrheit haben. Und da alle paar Jahre diese Volkerichter neu gewählt werden, könnten sie sich in das Recht gar nicht einarbeiten. Wir bekämen eine Klassenjustiz fürchterlichster Art auf Grund stets wechselnden sogenannten Rechtsemp- findens. Diesen ärgsten Wahnsinn unserer hirnverbrannten Zeit lehnt das Haue wenigstens noch ab. Im übrigen benimmt es sich wie der Stier im Porzellanladen. In einer Zeit, in 204