Um 10 Uhr früh hat man heute angefangen; und auf 10 Uhr abends geht die Uhr beim Schluß. Erzberger, der — das muß der Neid ihm lassen — bewundernswert frisch bleibt, da er ja nicht durch Unterernährung geschwächt ist, hat seine Augen und Ohren überall. Sein Fraktionskollege, der alte Weißbart Herold, hält noch in später Stunde eine lange Rede, ohne zu merken, daß alles laut stöhnt, daß Rufe des Unwillens laut werden und daß diejenigen, die nicht rufen, es nur deshalb nicht tun, weil sie nicht mehr die Kraft dazu aufbringen. Ha schickt Erzberger einen Abgeordneten aus, der soll Herrn Herold den Mund stopfen. Dann einen zweiten Kollegen. Schließlich eilt er selber leichtfüßig ins Parkett und bläst den Zapfenstreich. Auch der Präsident Fehrenbach scheint von der allgemeinen Mattigkeit zur Strecke gebracht zu sein. Er kann nichts mehr zur Abkürzung der Debatte tun. Redner kommen und gehen, Paragraphen schwirren, Vor- lagen werden Gesetze. Nicht nur die Reichsabgabeordnung, sondern auch die Postgebühren, die Tabaksteuer, das Gesetz über Wochenhilfe und Wochenfürsorge, bei dem den weib- lichen Abgeordneten sämtlicher Fraktionen von den männ- lichen Gesetzgebern galant der Vortritt gelassen wird. Dazu eine Erklärung des Ministerpräsidenten über die polnische Frage, dazu ein Scheffel voll kleiner Anfragen; der Schrei nach Ferien wird allmählich elementar. Auf dem Wege zur Verlumpung Weimar, 20. August Sn der guten alten Zeit war es höchst unpopulär, für neue Steuern zu stimmen. In der Wahlbewegung wurde von den 309