— 155 — Eine besondre Gattung bildet das Volkslied. Schlichte, einfache, aber doch ergreifende Singweisen; alte, viel- fach veränderte und verstümmelte, traditionell übernommene und weitergegebene Texte; volksmäßig gedacht und gefühlt.) Aber das Volkslied ist zweifellos, wenn nicht im Aussterben, so doch im Rückgange. Mancherlei greift zusammen, um dem Volks- gesang immer mehr Boden zu entziehen. Die Gesangvereine, welche aus derselben Neigung des Volkes hervorgegangen sind, wie das Volkslied, thun eigentlich dem Volksliede selbst den größten Abbruch. Den ersten Versuch, das Volkslied zu sammeln, so weit es noch lebt, bilden die „Volkslieder aus dem Erzgebirge“. Allerdings ist auch in dieser Sammlung die Benennung Volkslied überaus freigebig ausgetheilt worden. Vor allem müssen Text und Melodie volksthümlich und untrennbar sein. Die Soldaten= und Kriegslieder gehören dem ganzen deutschen Vaterlande an; sie sind nicht erzgebirgisch. Nächstdem ist eine Anzahl alter und bekannter Lieder nur lokal abgeändert. Der litterarische Werth dieser Sammlung ist trotzdem aber sehr bedeutend, da ein großer Theil der Lieder nur noch von alten Leuten gekannt wird und die Dialektformen im Ab- sterben begriffen sind. Die kunstlosen, frischen und gut gedachten Tschumperlieder, sowie die Kinderlieder und Kinder- spiele kann man man als das vorzüglichste der Sammlung bezeichnen. Dieselbe hat auch sehr anerkennende Beurtheilung gefunden. (Grenz- boten u. s. w.) Jedes Gebirgsvolk hat auch eine reiche Sagenwelt. Im Erzgebirge herrscht eine schwer bestimmbare, nach vielerlei Richtungen hin sich kundgebende Vielgeisterei vor. Es ist eine Sagenfülle; es giebt eine Unzahl von Wald-, Berg-, Haus-, Burg= und Poltergeistern; die Mehrzahl der Erzgebirgssagen lehnt sich aber an den Bergbau und das Bergmannsleben an. . Der bergmännische Beruf mit seinen zahlreichen Ueberlieferungen bringt ja überhaupt leicht abergläubische Vorstellungen mit sich.“*) Das nächtliche Dunkel und die Einsamkeit des Schachtes regen mit ihrer tiefen Stille, zu welcher ja jedes Geräusch in starken, leicht schauer- erregendem Gegensatz tritt, die Phantasie des Menschen außerordentlich an. Die Bedingungen, welche die Entstehung bergmännischer Sagen begünstigen, sind allerwärts fast genau dieselben; daher die Aehnlich-- keit aller Bergmannssagen. Die Sagen, welche mit dem Bergbau, *) Volkslieder aus dem Erzgebirge. Gesammelt und herausgegeben. von Dr. Alfred Müller. Annaberg. Graser. 1883. Das Volkslied im Erzgebirge Glückauf (Zeitschrift) 1883. S. 11. *:) Bergmännische Sagen. Fr. Wrubel. Freiberg, Craz & Gerlach. 1883.