Gegenwart mit Recht sich rühmt, niemals ein bloßes Geben und Empfangen gewesen. In dieser tröstlichen Erkenntnis werden wir bestärkt, wenn wir sehen, wie die Ideen eines deutschen Klassikers über den höchsten Gegenstand männlichen Denkens, über die Freiheit, neuerdings von zwei ausgezeichneten politischen Denkern Frankreichs und Englands auf sehr eigentümliche Weise weitergebildet worden sind. Als vor einigen Jahren Wilhelm von Humboldts Versuch über die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zum ersten Male vollständig er— schien, da erregte die geistvolle Schrift auch in Deutschland einiges Aufsehen. Wir freuten uns, einen tieferen Einblick zu gewinnen in den Werdegang eines unserer ersten Männer. Die feineren Geister spürten mit Entzücken den belebenden Hauch des goldenen Zeitalters deutscher Humanität, denn wohl nur in Schillers nah— verwandten Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen— geschlechts ist das heitere Idealbild schöner Menschlichkeit, das die Deutschen jener Zeit begeisterte, ebenso beredt und vornehm ge— schildert worden. Unsere Politiker aber blieben von der Schrift fast unberührt. Dem geistvollen Jünglinge, der soeben den ersten Blick getan in das selbstgenügsame Formelwesen der Bureaukratie Friedrich Wilhelms II. und sich von diesem leblosen Treiben er- kältet abwandte, um daheim einer ästhetischen Muße zu leben — ihm war wohl zu verzeihen, daß er sehr niedrig dachte vom Staate. Dalberg hatte ihn aufgefordert, das Büchlein zu schreiben — ein Fürst, der alle Güter des Lebens durch eine allwissende und all- fürsorgende Verwaltung mit vollen Händen über sein Land aus- zustreuen gedachte. Um so eifriger betonte der junge Denker, der Staat sei nichts anderes als eine Sicherheitsanstalt, er dürfe nimmermehr weder mittelbar noch unmittelbar auf die Sitten oder den Charakter der Nation einwirken; der Mensch sei dann am freiesten, wenn der Staat das mindeste leiste. Wir Nachlebenden wissen nur zu wohl: das alte deutsche Staatswesen ging eben daran zugrunde, daß alle freien Köpfe sich so krankhaft feindselig zum Staate stellten, daß sie den Staat flohen, wie der Jüngling 6