romanischen Wesen schlummern, wieder zu erwecken trachtet. Mehr kühn als gründlich springt der geistreiche Mann mit den histori— schen Tatsachen um; er meint kurzweg, erst das Christentum habe den Wert und die Würde der Person erkannt. Nun muß unser herrlicher Heide Humboldt durchaus ein christlicher Philosoph sein, nun muß im neunzehnten Jahrhundert das Zeitalter nahen, da die Ideen des Christentums sich vollständig verwirklichen und das Individuum herrschen wird, nicht der Staat. Der Franzose wird unter zahlreichen Lesern nur eine kleine Gemeinde von Gläubigen finden. Mills Buch dagegen ist von seinen Landsleuten mit dem höchsten Beifall aufgenommen worden. Man hat es das Evan- gelium des neunzehnten Jahrhunderts genannt. In der Tat schla- gen beide Schriften Töne an, welche in der Brust jedes modernen Menschen mächtigen Widerhall finden; darum ist lehrreich zu prüfen, ob sie wirklich die Grundsätze echter Freiheit predigen. Haben wir auch gelernt, die Worte des griechischen Philosophen tiefer zu begründen und ihnen einen reicheren Inhalt zu geben, so ist doch kein Denker über jene Erklärung der Freiheit hinaus- gekommen, welche Aristoteles gefunden. Er meint in seiner er- schöpfenden empirischen Weise, die Freiheit umfasse zwei Dinge: die Befugnis der Bürger nach ihrem Belieben zu leben, und die Teilnahme der Bürger an der Staatsregierung (das abwechselnde Regieren und Regiertwerden). Die Einseitigkeit, welche der Hebel alles menschlichen Fortschreitens ist, bewirkt, daß die Völker fast niemals dem vollen Freiheitsbegriffe nachstrebten. Vielmehr ist bekannt, wie die Griechen sich mit Vorliebe an dieses letztere, an die politische Freiheit im engeren Sinne, hielten und einem schönen und guten Gesamtdasein willig die freie Bewegung des Menschen zum Opfer brachten. Gar so ausschließlich, wie gemeinhin be- hauptet wird, war die Vorliebe der Alten für die politische Frei- heit freilich nicht. Jenes Wort des griechischen Denkers beweist ja, daß ihnen das Verständnis für das Leben nach eigenem Be- lieben, für die bürgerliche, persönliche Freiheit keineswegs fehlte. Aristoteles weiß sehr wohl, daß auch eine Staatsgewalt denkbar 8