unseren Staaten ihre kostbaren Kunstanstalten schließen? Wir alten Kulturvölker werden doch nicht in die rohe Vorstellung zurückfallen, welche in der Kunst einen Luxus sieht; sie ist uns wie das tägliche Brot. In der Tat, der Ruf nach äußerster Beschränkung der Staatstätigkeit wird heute von der Theorie um so lauter erhoben, je mehr die Praxis, auch in freien Ländern, ihm widerspricht. Im Kampfe mit einer alles umfassenden Staats- gewalt, welche die Gesellschaft nicht leiten, sondern ersetzen möchte, ist unter dem zweiten Kaiserreiche die Schule der Tocqueville, Laboulaye, Ch. Dollfus groß geworden, welche ihrerseits über das Ziel hinausschlägt und im Staate nur eine Schranke, eine unter- drückende Gewalt sieht. Auch Mill ist beherrscht von der Meinung, je größer die Macht des Staates, desto geringer die Freiheit. Der Staat aber ist nicht der Feind des Bürgers. England ist frei, und doch hat die englische Polizei eine sehr große diskretio- näre Gewalt und muß sie haben: genug, wenn der Bürger jeden Beamten zur gerichtlichen Verantwortung ziehen darf. Glücklicherweise wirkt dieser steigenden Ausdehnung der Staats- gewalt ein anderes historisches Gesetz entgegen. In demselben Maße als die Bürger reifer werden für die Selbsttätigkeit, in demselben Maße ist der Staat verpflichtet, ja physisch gezwungen, zwar dem Umfange nach vielseitiger, aber der Art nach beschei- dener zu wirken. War der unreife Staat ein Vormund für ein- zelne Zweige der Volkstätigkeit, so umfaßt die Fürsorge des hoch- gebildeten Staates das gesamte Volksleben, aber er wirkt, soweit möglich, nur anspornend, belehrend, Hindernisse wegräumend. Diese Forderungen also muß ein reifes Volk zur Sicherung seiner persönlichen Freiheit an den Staat stellen: als ein Rechtsgrund- satz ist anzuerkennen das fruchtbarste Ergebnis der metaphysischen Freiheitskämpfe des vergangenen Jahrhunderts, die Wahrheit, der Bürger soll vom Staate nie bloß als Mittel benutzt werden. Sodann: jede Wirksamkeit der Regierung ist segensreich, welche die Selbsttätigkeit der Bürger hervorruft, fördert, läutert; jede von Ubel, welche die Selbsttätigkeit der einzelnen unterdrückt. 23