Und wo ist sie hin, die edle mit Geist und Empfindung gesättigte Geselligkeit, die in den Tagen von Weimar freilich nur einige auserwählte Kreise unseres Volkes beglückte? Die schamlose Frech— heit der Halbwelt auf der einen, die unleugbar steifen, gezwun— genen Formen unserer guten Gesellschaft auf der anderen Seite — in einer solchen Umgebung erlangt der Künstler nicht leicht die harmonische Bildung der sittlichen und der sinnlichen Kräfte. Das Edle und Große dieser durchaus von der Politik, der Volks- wirtschaft, der Wissenschaft beherrschten Welt begeistert zu empfin- den, ihr Leben mitzuleben und dennoch das Schöne, nichts als das Schöne zu schaffen, das ist die schwere Aufgabe des modernen Dichters. Ein Zug der Resignation, das Bewußtsein, daß nicht jede Zeit dem Künstler das Höchste zu erreichen gestattet, wird in solchen Tagen oft den Geist des Dichters ergreifen; und sicherlich viele der heutigen Poeten haben zuweilen mit eingestimmt in die Bitte, welche Friedrich Hebbel einst an seine Muse richtete: Du magst mir jeden Kranz versagen, wie ihn die hohen Künstler tragen, nur daß, wenn ich gestorben bin, ein Denkmal sei, daß Kraft und Sinn noch nicht zu Wilden und Barbaren aus meiner Zeit entwichen waren. Das ganze Wesen des Mannes liegt in diesen Zeilen: sein Stolz, sein ernster Künstlersinn und jene hoffnungslose Verstimmung, die ihn seinem Volke entfremdete. Aber wie schwer er auch irrte, den Ruhm, den er sich in jenen Zeilen erfleht, wird ihm heute kein Unbefangener mehr versagen. Er dachte groß von seiner Kunst, er lebte ihr mit rastlosem, fruchtbarem Fleiße, mit Andacht und Sammlung, treu seinem Ausspruch: „leben heißt tief einsam sein“. Oftmals berührt von den Sünden der Zeit, die er lästerte, hat er nie wissentlich ihren Launen gehuldigt; in ihm waltete jene vornehme Selbstgewißheit, welche jedes unmittelbar tendenziöse Einwirken der Poesie auf die Gegenwart verschmäht und sich des 279