— 121 — österreichischen Divisionen an der Westfront weiter zu unseren Ungunsten verschoben. Die durchschnittliche Bataillonsstärke beträgt beim Franzosen etwa 600, beim Engländer etwa 700, beim Amerikaner etwa 1 200, während sie bei uns auf durchschnittlich 500 Mann gesunken ist. So ist es nötig, Divisionen, die abgekämpft und übermüdet aus der Front zurückgezogen waren, oft nach wenigen Tagen der Ruhe und ohne ausreichende Juführung von Ersatz wieder einzusetzen. Mit der Fortsetzung der starken feindlichen Angrifse ist zu rechnen. Es ist daher mehrfach sehr ernst der Entschluß erwogen worden, die Armee in eine kürzere und Kräfte ersparende Linie, in der ungefähren Linie Antwerpen — westlich Brüssel— Charleroi— Maas zurüzunehmen. Dagegen sprachen aber schwerwiegende Gründe. Die politische Lage erforderte es, so lange als möglich größeren Geländeverlust zu ver- meiden. Die vollständige Räumung des aufzugebenden Gebietes, in dem sich noch bis vor wenigen Tagen 80 000 Verwundete befanden und das mit ungeheuren Vorräten an Kriegsmaterial und Vorräten aller Art angefüllt ist, ist nicht unter mehreren Wochen durchzuführen. Die Eisenbahnlage im besetzten Gebiet, die schon jetzt äußerst gespannt ist, wird sich bei der Jurücknahme der Front durch den Verlust eines engmaschigen Eisenbahnnetzes mit zahlreichen leistungsfähigen Betriebsbahnhösen aufs neue derart verschärfen, daß zwar eine notdürftige Versorgung der Truppen in der neuen Stellung durchführbar erscheint, die Möglichkeit zu schnellen Truppenverschiebungen hinter der Front aber nahezu aufhört. Auch führt jeder Schritt rückwärts zu einer Einschränkung unseres wirtschaftlichen Lebens und damit vor allem zur Schädigung unserer Kriegs- industrie. « Immerhin kann die O. H. L. den Entschluß, weiter auszuweichen, nicht länger herausschieben. Ihre erste Pflicht ist und bleibt es, eine ent- scheidende Niederlage des Heeres unter allen Umständen zu vermeiden. Gelingt dem Feinde ein Durchbruch, so besteht aber diese Gefahr, da die O. H. L. über genügende kampfkräftige Reserven nicht mehr verfügt. Schwenkt die nördliche Heereshälfte somit allmählich in die angegebene Linie zurück, so ist zu hoffen, daß für etwa 14 Tage schwere Kämpfe vermieden werden, damit etwas Zeit und Ruhe für die ermüdete Truppe gewonnen wird. Die militärische Lage verbessert sich aber im großen nicht, da die Stellung nicht fertig aus- gebaut ist und die Eisenbahn= und Wirtschaftsfragen sich erheblich verschlechtern. Bei der Jurücknahme der Front ist es nicht zu vermeiden, daß ein großer Deil Belgiens wieder schwer geschädigt wird. Wenn auch durch schärfste Befehle jede Verwüstung des Landes verboten ist, so sind die aus militärischen Gründen notwendigen Jerstörungen und Härten für die betroffene Bevölkerung nicht zu vermeiden. . Die Berichte über die Stimmung im Heere lassen erkennen, daß einzelne Divi- sionen trotz langen Einsatzes und erheblicher Verluste sich bewunderswertschlugen,während andere, die frisch in den Kampf kamen, ohne klar erkennbare Gründe versagten. Jeden- falls haben das Waffenstillstandsangebot und die mutlosen und unzufriedenen Presse- äußerungen niederdrückend auf die Stimmung gewirkt. Von allen Seiten wird immer wieder gemeldet, daß die aus der Heimat zurückkehrenden Urlauber und die aus dem Osten herangeführten Ersatzmannschaften die Stimmung ungünstig beeinflussen. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß die letzteren häufig von bolschewistischem Geiste an- gehaucht sind. Wo es gelungen ist, die Stimmung hochzuhalten, ist es insonderheit das Verdienst einzelner tatkräftiger Vorgesetzter. Es ist daher von ausschlaggebender Bedeutung, alles zu tun, um das Offizierkorps durch Ausbildung, richtige Anleitung 31