Vorgeschichte
des Waffenstillstandes.
Amtliche Urkunden,
herausgegeben im Auftrage
des Reichsministeriums von
der Reichskanzlei.
Berlin 1919.
Verlag von Reimar Hobbing in Berlin.
Inhaltsvetzeichnis.
Seite
Vorbemergaaa . .. 3
Erste grundlegende Besprechungen. Aufgabe der Hoffnung auf Erzwingung des Friedens durch
Sieg. Nr. 3535333 . . .. . . 13
Vorbereitende Schritte zur Einleitung einer neutralen Vermittelungsaktion. Konflikt mit weitergehenden
Schritten Österreich-Ungarns. Zusammenbruch Bulgariens. Nr. —.0000ot 19
Vorbereitende Schritte für ein Friedensangebot an den Präsidenten Wilson. Nr. 1V—20 29
Drängen der Obersten Heeresleitung auf sofortige Absendung des Friedensangebots. Erste deutsche
Note und anschließende Aktenstücke. Nr. 2—6666 . . . 34
Von der Antwort Wilsons bis zur Erwiderung darauf. Nr. 3N71t1t144 14
Von der zweiten Note Wilsons bis zur Antwort darauf. Nr. 48 — 66. ..................... 58
Aktenstücke über den U-Boot-Krieg während der Zeit vom 10. bis 24. Oktober 1918. Nr. 67—75 96
Von der dritten Note Wilsons bis zur Antwort darauf. Nr. 7—85 ... 98
Von der Anhörung der Generale bis zur vierten Note Wilsons. Nr. 86—1010 111
Abschluß des Waffenstillstandes. Nr. 10—1100 123
Vorbemerkung.
Die hier abgedruckten Aktenstücke beziehen sich auf die Zeit vom 14. August bis
zum 11. November 1918. Sie geben die Beratungen und Verhandlungen wieder, die
zwischen Regierung und Oberster Heeresleitung stattgefunden haben, nachdem diese auf
Grund des militärischen Umschwunges im Juli und August 1918 zu dem Schlusse ge-
kommen war, daß der Feind trotz der gewaltigen Leistungen unserer Heere nicht mehr
durch einen Sieg zum Frieden genötigt werden könne.
Die Veröffentlichung ist erforderlich geworden, um der Legendenbildung ent-
gegenzutreten. Viele Kräfte sind an der Arbeit, die Wahrheit zu entstellen. Zum Teil
kann man ihnen den guten Glauben nicht mehr zusprechen, aber zum Teil ist Unkenntnis
die Ursache der Entstellungen. Über die Verhondlungen dieser Jeit muß daher voll-
ständige Klarheit verbreitet werden. Das Volk will die Wahrheit und jeder der Be-
teiligten hät Anspruch darauf.
Die veröffentlichten Dokumente entstammen den Archiven des Auswärtigen
Amts und der Reichskanzlei. Sie sind Beiträge zur Entstehungsgeschichte des Friedens-
angebots vom 3. Oktober und des Waffenstillstandsabkommens vom 11. November 1918.
Sie sind gleichzeitig Beiträge zum Verständnis der deutschen Revolution und der elemen-
taren Leichtigkeit ihres Sieges.
Die Urkunden sollen ein objettives Urteil über die Verhandlungen zwischen der
Obersten Heeresleitung und der politischen Reichsleitung während der Liquidation des
Krieges ermöglichen. Es ist daher alles aufgenommen worden, was in den genannten
Akten an Außerungen der Obersten Heeresleitung gegenüber der Reichsleitung enthalten
ist. Das Material ist im ganzen chronologisch geordnet. Einige Dokumente zur Auf-
bebung des U-Boot-Krieges sind in einem besonderen Abschnitt zusammengefaßt. Zur
Erleichterung der Ubersicht sind die mit dem Präsidenten Wilson gewechselten Noten
eingefügt.
In großen Zügen ergibt die Sammlung folgendes Entwicklungsbild:
Ausgangspunkt der ganzen Friedensaktion ist die Kaisersitzung in Spa am
14. August 1918 (Nr. 1 und 2). Während General Ludendorff noch Mitte Juli 1918
mit Bestimmtheit erklärt hatte, daß die jetzige Offensive den Feind endgültig und ent-
scheidend besiegen werde (Nr. 2), wird jetzt angenommen, daß es nicht mehr möglich sei,
den Krieg militärisch zu gewinnen und daß daher an eine Verständigung mit dem Feinde,
und zwar durch neutrale Vermittelung, zu denken wäre. Es wird aber nicht etwa der
Auftrag gegeben, die Anknüpfung sofort verzunehmen. Der Entschluß des Kaisers
lautet vielmehr (Nr. 1):
„Es müsse auf einen geeigneten Zeitpunkt ge-
achtet werden, wowir uns mit dem Feinde zu verständigen hätten)=
und nach ihm faßt der Reichskanzler die Beratung dahin zusammen:
Diplomatisch müssen Fäden, betreffend eine Verständigung mit dem
Feinde, im geeigneten Moment angesponnen werden, ein solcher
Moment böte sichn ach den nächsten Erfolgen im Wester.=
1°
— 4 —
Generalfeldmarschall von Hindenburg führt im Anschluß hieran aus,
ddaß es gelingen werde, auf französischem
Boden stehen zu bleiben und dadurch schließlich
dem Feinde unsern Willen aufzuzwingen.=
Mit dem Ergebnis dieser Sitzung stimmt es überein, daß der Reichskanzler
von Hertling ein sofortiges Friedensangebot in der Sitzung des Preußischen Staats.
ministeriums vom 3. September 1918 ablehnt (Nr. 3) und daß die weitergehenden öster-
reichischen Wünsche eines direkten Appells an alle kriegführenden Länder nicht gebilligt
werden (Nr. 4). Die deutsche Anschauung, daß eine neutrale Vermittelung vorzuziehen
und daß auch für diese ein günstigerer Jeitpunkt, namlich die Konsolidierung der deutschen
Front, abzuwarten sei, wird bis zum 10. September in zahlreichen Verhandlungen den
ÖOsterreichern gegenüber vertreten, um sie von ihrem offenen Appell zurückzuhalten.
Erst am 10. September tritt eine teilweise Anderung ein. Generalfeldmarschall
von Hindenburg spricht sich zwar nochmals gegen den Appell an alle kriegführenden Länder
aus, erklärt sich aber nunmehr mit der Vermittelung einer neutralen Macht zur Herbei-
führung einer Aussprache ohne Aufschub einverstanden. Der Widerspruch
Osterreichs, das an seinem Vorschlage festhält und der neutralen Vermittelung wider-
spricht, führt zu weiteren Verhandlungen mit OÖsterreich (noch Nr. 4). Als die Öster-
reicher trotz des deutschen Widerspruchs ihren Appell hinausgehen lassen, dessen höhnische
Lurückweisung man voraussieht, entschließt man sich von deutscher Seite, die neutrale
Vermittelung nebenher zu suchen (Nr. 5). Die Versuche führen nicht zum Hiel.
Inzwischen verschärft Bulgariens Zusammenbruch die Situation wesentlich
(Nr. 6 bis 10).
Vom 21. September an taucht in den Aktenstücken der Gedanke auf, zur Ein-
leitung der Friedensverhandlungen direkt an Amerika heranzutreten. Vorbereitungen
werden getroffen (Nr. 11, 12). Am 29. und 30. September ist Staatssekretär
von Hintze wieder im Großen Hauptquartier. Das Ergebnis der Beratungen zeigt sich
in dem Telegramm von Hintzes an sein Berliner Amt vom 29. September, 9 Uhr
40 nachmittags (Nr. 13):
„Bitte auf Grund Befehl Seiner Majestät und Zustimmung des
Herru Reichskanzlers, in Wien und Konstantinopel vertraulich mitteilen,
daß ich vorschlage, Präsident Wilson Frieden anzubieten auf Grund seiner
14 Punkte und ihn einzuladen, Friedenskonferenz nach Washington zu
berufen nach Aufforderung zu sofortigem Waffenstillstand.
Wenn unsere Verbündeten zustimmen, würde die in Bildung begrif-
fene neue Reichsregierung den Vorschlag auf geeignetem Wege an Präsi-
dent Wilson gelangen lassen, so daß der Vorschlag erst von ihr ausgehen
würde.
Noch am selben Abend gehen aus Berlin die Telegramme nach Wien und Pera
ab (Nr. 14). Die Ubereinstimmung mit Wien wird nach Räckfragen herbeigeführt
(Nr. 16, 19) und die Technik der geheimen Ubermittlung durch die Schweiz mit Bern
verabredet (Nr. 18, 20).
In diesen Tagen tritt die Aktion in ein neues Sta-
dium. Während ursprünglich die Oberste Heeresleitung von der Einleitung von
Friedensschritten vor einer Konsolidierung der militärischen Lage ganz absehen wollte,
später Vorsicht empfahl), bittet sie jetzt auf das dringendste, das Friedensangebot
— 5 —
gerade wegen der akuten Gefährdung der militärischen Lage
sofort hinausgehen zu lassen. Am 1. Oktober kommen eine ganze Reihe bon Tele-
grammen und Telephongesprächen aus dem Großen Hauptquartier mit dem gleichen
Inhalt nach Berlin. „Heute halte die Truppe, was morgen ge-
schehen könne) sei nicht vorauszusehene (Nr. 21). Man solle
das Friedensangebot sofort hinausgehen lassen und damit nicht
erst bis zur Bildung der neuen Regierung warten die sich
verzögern könne. Heute hielte die Truppe noch und wir seien in einer würdigen Lage,
es könne aberjeden Augenblick ein Durchbruch erfolgen und dann
käme unser Angebot im allerungünstigsten Moment= (Nr. 23). Und spät abends:
* General Ludendorff erklärte mir, daß unser Angebot von Bern aus sofort nach
Washington weiter gehen müsse. 48 Stunden könne die Armee nicht
noch warten .. Der General betonte, daß alles darauf ankäme,
daß das Angebot spätestens Mittwoch nacht oder Donners-
tag früh in den Händen der Entente sei und bittet Euer Exzellenz,
alle Hebel dafür in Bewegung zu setzen (Nr. 27). Am selben Nachmittag läßt Hinden-
burg dem Vizekanzler von Payer mitteilen (Nr. 22) vgl. Bericht v. Payers in Nr. 42)
wenn bis heute abend 7 bis 8 Uhr Sicherheit vorhanden sei, daß Prinz Max die Re-
gierung bilde, könne bis zum nächsten Morgen gewartet werden;
sollte dagegen die Bildung der Regierung irgendwie zweifelhaft sein, so halte er die Aus-
gabe der Erklärung heute nacht sür geboten. In einem Vortrag, den der Ver-
treter der Obersten Heeresleitung am 2. Oktober vormittags vor den Parteiführern des
Reichstages hält, kommt auch in diesem größeren Kreise die drängende Lage scharf zum
Ausdruck (Nr. 28).
Pinz Max von Baden sträubt sich aufs heftigsie gegen die gewünschte Friedens.
aktion, weil sie in dieser Form und in diesem Augenvlick einer militärischen Lwangslage
die deutsche Situation für die Friedensverhandlungen offenbar sehr ungünstig gestalten
würde Er berichtet hierüber am 11. Oktober (Nr. 42):
ü„Am Abend des 1. Oktober sei ihm der Reichskanzlerposten angeboten
worden mit dem gleichzeitigen Verlangen, sofort die Friedensvermittelung
Wilsons nachzusuchen; er habe sich dagegen gesträubt und mindestens acht
Tage warten wollen, um die neue Regierung zu konsolidieren und nicht
den Eindruck hervorzurufen, als handelten wir bei unserer Bitte um
Friedensvermittelung unter dem Drucke eines militärischen Jusammen=
bruchs.=
Am 2. Oktober bittet General Ludendorff um den Entwurf der Note (Nr. 29)
und läßt nachmittags selbst eine Fassung telephonieren, die im wesentlichen mit dem
späteren Wortlaut übereinstimmt (Nr. 30). "
Der Prinz hält seine Bedenken aufrecht. Noch am 3. Oktober stellt er schriftlich
eine Reihe von Vorfragen, darunter die Frage (Nr. 32):
Ist die Oberste Heeresleitung sich bewußt,
daß die Einleitung einer Friedensaktion unter
dem Druck der militärischen JZwangslage zum
Verlust deutscher Kolonien und deutschen Ge-
biets, namentlich Elsaß---Lothringens und rein
polnischer Kreise der östlichen Provinzen führen
kann:= (Nr. 32, Liffer 4).
— 6 —
Am gleichen Tage übersendet Hindenburg, der in Berlin anwesend ist, dem
Reichskanzler nochmals schriftlich die Erklärung,
daß die Oberste Heeresleitung aufihrer Forde-
rung der sofortigen Absendung des Friedens-
angebots bestehen bleibt (Nr. 33).
Nach eingehender Besprechung unter den Staatssekretären geht die Note unter
diesem Druck der Obersten Heeresleitung in der Nacht vom 3. zum 4. Oktober hinaus
(Nr. 34).
In der Leit bis zum Eintreffen der Antwort erklärt der Reichskanzler am 6. Ol—
tober nach dem vorliegenden Protokoll nochmals:-Ich habe gegen Note gekämpft),#erstens
weil ich Moment für verfrüht hielt, zweitens weil ich an Feind im allgemeinen mich
wenden wollte. Jetzt müssen wir Konsequenzen in Ruhe überlegen. Jetzt muß Lage
an der Front festgestellt werden, und zwar durch gewiegte Offizierre.. Armeeführer
müssen gehört werdene (Nr. 35). Die Staatssekretäre äußern sich im gleichen Sinne.
Der Gedanke ist offenbar der, daß Ludendorff die militärische Lage auf Grund eines
Zusammenbruchs der Nerven zu schlecht beurteilt haben könnte. Es entsteht nunmehr ein
eigentümlicher Konflikt, der sich durch die ganzen weiteren schweren Verhandlungen von:
6. bis zum 26. Oktober hinzieht: General Ludendorff sieht in der
Befragung anderer Generalc ein Mißtrauen und läßt für
diesen Fall mit seinem Abschied rechnen von dem die Reichs.
leitung eine Beschleunigung des Jusammenbruchs befürchtet (Nr. 35, 38, 39, 54 und
besonders 55, 62, 82).
Der von Rathenau in der Vossischen Jeitung veröffentlichte Plan einer leyée en
masse wird erörtert, aber fallen gelassen, weil die militärischen Stellen, insbesondere
Ludendorff selbst sch von ihr nichts versprechen (Nr. 36, Jiffer 7, Nr. 38 und 43
zu Frage 7).
Wilsons Antwort ist vom 5. Oktober. Sie verlangt eine nähere Festlegung auf
die Punkte des Präsidenten in dem Sinne, daß beim Eintritt in die Diskussion nur noch
eine Verständigung über die praktischen Einzelheiten ihrer Auwendung stattfinden soll.
Ferner wird die Räumung der von Deutschland besetzten Gebiete gefordert und drittens
eine Frage nach den in Deutschland maßgebenden Gewalten gestellt (Nr. 37).
Am 9. Oktober findet eine mündliche Verhandlung mit Ludendorff statt, in der
dieser einen kurzen Rückblick über die ganze Kriegsgeschichte gibt (Nr. 38). In dieser
Verhandlung erklärt Oberst Heye wiederum: „Es wäre Hasardspiel der Obersten Heeres-
leitung, wenn sie den Friedensschritt nicht beschleunigte, es kann sein, daß wir bis zum
Frühjahr halten, es kann aber auch jeden Tag eine Wendung
kommen. Gestern hing es an einem Faden, ob Durchbruch
gelang. Truppe hat keine Ruhe mehr. Unberechenbar, ob Truppe hält oder nicht.
Jeden Tag neue Uberraschungen. Ich fürchte nicht eine Katastrophe, sondern möchte
Armee retten, damit wir während der Friedensverhandlungen sie noch als Druckmittel
haben.=
Der zuletzt angedeutete Gedanke wird wiedecholt von der Obersten Heeresleitung
aufgenommen. Ludendorff vertritt den Standpunkt, daß Deutschland nicht ge-
zwungen sei, alle Forderungen anzunehmen, daß insbesondere eine etwaige Forderung auf
Preisgabe deutscher Festungen abgelehnt werden könne (Nr. 38, 43). Aber die Ant-
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–4 1 –
worten auf die Frage, wie lange noch Widerstand geleistet werden kann, lauten wechselnd
und unsicher. Ludendorff antwortet dem Staatssekretär Dr. Solf auf die Fragez ob die
Front noch 3 Monate gehalten werden kann, verneinend (Nr. 43), und auf die Frage
des Prinzen Max:
»Kann beim Scheitern der gegenwärtigen Friedensaktion trotz des
Abfalls eines der beiden uns noch verbliebenen Bundesgenossen der Krieg
· allein von uns noch fortgeführt werden?« (Nr. 36).
lautet Ludendorffs Antwort stark bedingt:
»WVenn eine Kampfpausecim Westen eintritt,
ja« (Nr. 43).
Die deutsche Erwiderung auf Wilsons Antwort ergeht noch in vollem Einver—
nehmen mit der Obersten Heeresleitung (Nr. 44, 46, 47). Auf Wunsch des General—
feldmarschalls v. Hindenburg wird ausdrücklich ausgesprochen, daß Deutschland
von der Annahme ausgeht, daß auch die mit den Vereinigten Staaten verbundenen
Mächte sich auf den Boden der Grundsätze des Präsidenten Wilson stellen Nr. 44).
Die zweite Note des Präsidenten Wilson vom 15. Oktober (Nr. 48) wird wesent-
lich schärfer. Sie trennt zum ersten Male den Frieden vom Waffenstillstand, dessen
Bedingungen sdem Urteile und dem Rate der militärischen Berater überlassen werden
müssen, spricht von ungesetzlichen und unmenschlichen Praktiken der deutschen Streit-
kräfte und erklärt, daß die ganze Durchführung des Friedens von der Bestimmtheit und
dem befriedigenden Charakter der Bürgschaften abhängen wird welche in den grund-
legenden Fragen der inneren Gewalten gegeben werden können. Österreich erhält eine
besondere Antwort. Die Bestürzung über diese Note in ganz Deutschland und namentlich
ihre Wirkung auf das Heer ist offenbar groß. Der Widerspruch regt sich überall, der
Stolz bäumt sich auf und die Oberste Heeresleitung möchte zurück. Es erhebt sich nur
die schwere Frage, ob man noch zurückkann. Denn die Offenbarung der schlechten Lage
nach vierjähriger Behauptung des sicheren Sieges hat inzwischen im Ausland und Inland
ihre Wirkung getan.
Das Verhältnis zwischen der Obersten Heeresleitung und der Reichsleitung
dreht sich. Die Oberste Heeresleitung fragt an, ob die deutschen Massen noch einmal in
den Kampf bis zum Außersten mitgehen würden, oder ob die moralische Wiederstandskraft
dafür zu sehr erschöpft sei (Nr. 54). Staatssekretär Dr. Solf sieht in diesen Jeilen
nicht nur einen Appell an das deutsche Volk, sondern zugleich eine Verschiebung der Ver-
antwortlichkeit.
Z *Warum sei denn die Stimmung so gedrückt? Weil die militärische
Macht zusammengebrochen sei. Jetzt aber sage man: Die militärische
Macht wird zusammenbrechen, wenn die Stimmung nicht durchhält. Diese
Verschiebung dürfe man nicht zulassen; sie passe schlecht zu den eigenen
Worten Ludendorffs, der mit dem Kriegsminister einig gewesen sei, daß
eine levée en masse nicht möglich ist.=
Am 17. Oktober finden drei Sitzungen statt (Nr. 55 bis 58). Uber die mittlere
Sitzung mit Ludendorff, in der die gesamte Lage nach allen Richtungen durchgesprochen
wird, liegt eine ausführliche Niederschrift vor (Nr. 57). Ludendorff äußert sich
hoffnungsvoller als vor zwei Wochen über die Möglichkeit, über die nächsten Wochen
hindurch standzuhalten. Aber seine Außerungen sind unbestimmt, wechselnd und
stimmungsgemäß gefärbt; sie finden gegenüber der Wucht der Tatsachen, die zur Sprache
kommen, zum Teil kein volles Vertrauen. Hatten vor kurzem Ludendorff und Heye es
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selbst als Hasardspiel bezeichnet, wenn sie den Friedensschritt nicht beschleunigten
(Nr. 23 u. 38), so heißt es jetzt:
„ Der Krieg ist kein Rechenexempel. Es gibt im Kriege eine Menge
Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten. Was schließlich eintrifft,
weiß kein Mensch. Als wir im August 1914 nach Ostpreußen kamen und
mit Hilfe meines treuen Mitarbeiters Hoffmann die Befehle zur Schlacht
von Tannenberg ausgegeben wurden, da wußte man auch nicht, wie es
gehen würde, ob Rennenkampf marschieren würde oder nicht. Er ist nicht
marschiert und die Schlacht wurde gewonnen. Es gehört zum Krieg
Soldatenglück, vielleicht bekommt Deutschland doch auch wieder
einmal Soldatenglück.= -
Auf die zusammenfassende Frage, ob die Westfront bei Uberführung der Kräfte
aus dem Osten — deren Möglichkeit noch zweifelhaft ist — nach drei Monaten noch
stehen werde, antwortet Ludendorff:
„Ich habe schon dem Herrn Reichskanzler gesagt, ich halte einen
Durchbruch für möglich, aber nicht für wahrscheinlich. Innerlich wahr-
scheinlich halte ich den Durchbruch nicht. Wenn Sie mich auf mein Ge-
wissen fragen, kann ich nur antworten: Ich fürchte ihn nicht.=
Zu seinen eigenen früheren Erklärungen sagt Ludendorff:
„ Es ist auch heute so, daß wir jeden Tag eingedrückt und geschlagen
werden können. Vorgestern ist es gut gegangen; es kann auch schlecht
gehen.“
Die Möglichkeit einer Auffüllung der Truppen im Westen durch Räumung
Weißrußlands und der Ukraine, das Aushalten mit Materialien und mit Produkten,
namentlich mit dem nur noch für wenige Monate reichenden Ol wird ausführlich erörtert.
Es ergeben sich viele ungünstige Faktoren. Man berechnet, wieviel Mannschaften aus dem
Innern bei schärfster Auskämmung freigemacht werden können. Jum Schlusse dieser
Berechnungen sagt der Reichskanzler:
„Also wir können bis nächstes Frühjahr 600 000 bis 700 000
Mann Ersatz aufstellen, die Feinde 1 100 000 Mann, wenn ich nur die
Amerikaner berechne; dazu kommen dann vielleicht die Italiener. Wird
sich also zum Frühjahr unsere Lage verschlechtern oder verbessern?-
General Ludendorff antwortet:
Nach den Qahlen ist es keine Verschlechterung. Aber dazu kommt
die Rückwirkung der Räumung auf unsere wirtschaftliche Lage; wenn wir
zurückgehen, wird die Lage unserer Kriegsindustrie in höchstem Maße ver-
schlechtert. Das konnte man ja immer voraussehen, daß, wenn wir aus
dem Kriege mit unseren jetzigen Grenzen herauskommen, wir militär-
politisch und industriell viel schlechter stehen als früher. Das wird sich auch
jetzt bei einer Räumung zeigen.“
An Ende der Sitzung tritt der Gedankengang des Reichskanzlers klar hervor. Er
weist darauf hin, daß auch nach den weitestgehenden — von dem Prinzen selbst anschei-
nend nicht geteilten — Hoffnungen Ludendorffs der Krieg nur auf beschränkte Leit fort-
geführt werden kann, daß inzwischen mit dem Abfall der beiden noch übrigbleibenden
Verbündeten bestimmt zu rechnen ist und daß sich nunmehr die Frage erhebt: Steht
man am Schlusse besser oder schlechter als heute? Ludendorff
ist der Auffassung, daß es keine schlechteren Bedingungen gibt. ·
Ludendorff:
„Ich habe den Eindruck, ehe wir durch diese Note Bedingungen auf
uns nehmen, die zu hart sind, müßten wir dem Feinde sagen: Erkämpft
euch solche Bedingungen.=
Der Reichskanzler:
„Und wenn er sie erkämpft hat, wird er uns dann nicht noch
schlechtere stellen?
Ludendorff:
»Schlechtere gibt es nicht.«
Der Reichskanzler:
»O ja, sie brechen in Deutschland ein und verwüsten das Land.=
Ludendorff: ·
»Sowei«tsindwirnochnicht.«
Der letzte Satz weicht aus, denn die Möglichkeit der Abwehr ist auch nach
Ludendorffs jetziger Ansicht zum mindesten ungewiß, und die Frage war gerade
die, wie die politische Lage sich nach weiterem vergeblichen Widerstande gestalten
würde. Die Reichsleitung zieht offenbar dreierlei in Betracht. Erstens, daß im Falle
der Kapitulation die politische Lage schlechter sein würde. Iwar stellt die letzte
Note des Präsidenten Wilson scharfe und kränkende Modalitäten des Waffenstillstandes
in Aussicht. Auch diese Note hält aber für den eigentlichen Friedensvertrag an den be-
kannten Punkten des Präsidenten fest. Wenn es wirklich gelänge, den Krieg noch einige
Monate fortzusetzen, so würde man im Falle des schlechten Ausgangs diesen Boden nicht
mehr unter den Füßen haben. Daneben steht ein zweiter Gedanke. Es war zwar schon
damals, besonders nach dem Tone der letzten Note zu befürchten, daß Wilson später
seine Grundsätze verletzen oder die Verletzung dulden würde. Aber da die Note selbst
eine klare Verletzung noch nicht enthielt, hätte man sich im Falle des Abbruchs der Ver-
handlungen auf einen klaren Wortbruch nicht berufen können. Daher wäre ein
Aufruf zum Endkampf nach der Auffassung der Reichsleitung, auch wenn man sich dazu
entschließen wollte, auf die Dauer ohne Kraft gewesen. Das Verlangen auf Räumung
und auf Einstellung des U.Boot-Krieges, die allgemein gehaltenen Forderungen auf De-
mokratisierung waren nach der Ansicht des Reichskanzlers bei aller Schwere keine Gründe,
die, nachdem einmal die Verhandlungen über einen Wilson-Frieden eröffnet waren, das
deutsche Volk, das zum größten Teil Demokratisierungen in mehr oder weniger entschie-
denem Umfange selbst wünschte, zu dem furchtbaren letzten Kampf auf die Dauer erheben
konnten. Dazu kamen drittens allgemeine Erwägungen. Durch den auch nach der
letztgen Meinung Ludendorffs wenig aussichtsvollen Kampf würde mit Sicherheit Tod
und Elend weiter schrecklich gewütet haben. Die Lahl der unglücklichen, schwer Kriegs-
verletzten hätte sich nutzlos vermehrt. Die Jerstörung Belgiens und Nordfrankreichs
durch die Kämpfe und durch einzelne, auch bei Milderung der zuletzt geübten Praxis
unvermeidlich bleibende Eingriffe auf dem Rückzug würde fortgesetzt und die Verwüstung
in das eigene Land getragen sein. Die materielle Last hätte sich ins unendliche gesteigert.
lbrigens mußten auch Frankreich und Belgien die mit dem Vormarsch in jedem Falle
verbundenen weiteren Lerstörungen scheuen. Darin erblickte die Reichsleitung eine
Stärke der momentanen politischen Lage; denn diese Gegner hatten dadurch auch
ihrerseits ein Interesse an sofortigem Waffenstillstand, mehr als etwa nach dem Erreichen
der deutschen Grenze.
— 10 —
In der nachfolgenden dritten Sitzung vom 17. Oktober (Nr. 58) wird die Be—
ratung fortgesetzt. Inzwischen sind schlechte Nachrichten aus Österreich eingegangen.
Im übrigen ist das Bild das gleiche. Ludendorff selbst befürwortet zwar mit Rücksicht
auf den befürchteten Abfall OÖsterreichs nach wie vor die Fortsetzung der Friedensver-
handlungen, meint aber, man brauche trotzdem nicht jede Bedingung anzunehmen; es
sei immer noch Zeit, klein beizugeben. „Wenn wir tatsächlich geschlagen werden sollten,
so müßten wir eben sofort kapitulieren. Gefährlich könnte es werden, wenn wir bei
Verdun eine Niederlage erlitten, sonst sehe er die Gefahr nicht für so groß an.=
Nach diesen Beratungen tritt wegen der schwankenden und sich zum Teil wider-
sprechenden Außerungen Ludendorffs über die militärische Lage wieder das Bedürfnis
hervor, andere Generale zu hören, diesmal, weil die Gefahr einer zum Teil zu
günstigen Beurteilung besteht (Nr. 62). Aber Ludendorffs Widerspruch gegen eine
solche Anhörung ist noch nicht beseitigt und man muß fürchten, mit seiner Entlassung
den Zusammenbruch des Heeres zu beschleunigen (vgl. Nr. 55).
Am 20. Oktober läßt Hindenburg telephonieren (Nr. 63):
?„Die Türkei hat Sonderverhandlungen begonnen. Österreich-
Ungarn wird bald folgen. Wir werden sehr bald in Europa allein
dastehen. Die Westfront ist in großer Anspannung. Ein Durchbruch
bleibt möglich, wenn ich ihn auch nicht befürchte. Durch Absetzen vom
Jeinde . . könnte ein nachhaltiger Widerstand organisiert werden
Aber selbst, wenn wir geschlagen würden, ständen wir nicht wesentlich
schlechter da, als wenn wir jetzt schon alles annähmen.
Also eine sehr ungünstige Darstellung der militärischen Lage, an die sich wieder
das Urteil schließt, daß Deutschland im Falle einer Austragung des Kampfes mit unglück-
lichem Ausgang nicht schlechter dastehen würde.
Es folgt die deutsche Antwort vom 20. Oktober. Diesmal besteht eine sachliche
Differenz mit der Obersten Heeresleitung. Sie tritt hauptsächlich wegen der Einstellung
des U-Boot-Krieges zutage. In einer vor Absendung der Note einberufenen Besprechung
mit deutschen Auslandsvertretern (Rosen, Graf Brockdorff-Rantzau, Graf Metternich)
hatten diese sich übereinstimmend für das Entgegenkommen in der U-Boot--Frage aus-
gesprochen.
Über das letzte Stadium des U-Boot-Krieges enthalten die Nummern 67 bis 75
näheres. Es wird die Hoffnung geäußert, daß nicht die unglückliche Torpedierung eines
amerikanischen Passagierdampfers dazwischenkommen möge. Aber gerade jetzt, d. h. vor
den zuletzt besprochenen Noten, trifft die Nachricht von der Torpedierung der Leinster ein
und verschärft die Stimmung in den Vereinigten Staaten.
In der dritten Note Wilsons vom 23. Oktober 1918 (Nr. 76) wiederholt der
Pääsident den Hinweis auf seine Botschaft vom 18. Januar 1918 und seine folgenden
Botschaften. Er teilt mit, daß er den anderen Regierungen vorgeschlagen habes falls sie
geneigt seien, den Frieden zu den angebotenen Bedingungen und Grundsätzen herbei-
zuführen, den Waffenstillstand einzuleiten und fügt hinzu:
„Die Annahme dieser Waffenstillstandsbedingungen durch Deutsch-
land wird den besten konkreten Beweis dafür erbringen, daß es die
Grundsätze des Friedens annimmt, denen die ganze Aktion entspringt.=
Die Note endet mit längeren Ausführungen, in denen der Präsident nochmals
Zweifel über die inneren Machtverhältnisse in Deutschland äußert.
— 11 —
Im Anschluß an diese Note mehren sich die Aktenstücke, die von der Abdankung
des Kaisers und des Kronprinzen handeln. Ob Wilson die Abdankung als Voraus-
setzung bezeichnen will, geht nach der Auffassung des Auswärtigen Amts aus dem Text
nicht klar hervor (Nr. 96), wohl aber verstärkt sich der Eindruck, daß die Abdankung,
wenn sie freiwillig und vor der Entgegennahme der Waffenstillstandsbedingungen ge-
schähe, die Verhandlungen erleichtern und klären würde (Nr. 77, 78, 94, 95, zu vgl.
Nr. 59). Uber diese Frage ist mehr gesprochen, als schriftlich niedergelegt worden; die
Dokumente sind daher nur lückenhaft.
Ferner wird die Frage des Rücktritts von Hindenburgs und namentlich Luden-
dorffs in diesem Lusammenhange erwogen. Die Frage verquickt sich mit dem Ver-
langen des Kabinetts, noch andere Generale zu hören, ein Verlangen, das bisher wegen
der Rücktrittsandrohung Ludendorffs immer wieder zurückgestellt worden war. Luden-
dorff lehnt die Anhörung nochmals energisch ab (Nr. 82). In der Nachmittagssitzung
vom 26. Oktober teilt von Payer mit, daß der Kaiser das Entlassungsgesuch Ludendorffs
angenommen, dagegen Hindenburg bewogen habe, im Amte zu bleiben (ebenda). In
dieses Stadium fällt die Mitteilung, daß Wien um einen Separatfrieden nachgesucht
habe (Nr. 83, d4). Die deutsche Antwort an Wilson wird abgesandt (Nr. 85).
Am 28. Oktober treffen die Generale von Mudra und von Gallvitz ein
(Nr. 86). Sie äußern sich in dem Sinne, daß man noch die letzten Mittel zeigen
müsse, um zu beweisen, daß es noch nicht zu schlecht stehe. Die ihnen während der
Sitzung eröffnete Mitteilung von dem Sonderschritt Osterreichs ruft allerdings schwere
Besorgnis und Zweifel an der Möglichkeit eines ernsteren Widerstandes hervor.
Ein vergeblicher Austausch von Telegrammen mit Wien zur Verhinderung des
Sonderfriedens und die Mitteilung von dem Waffenstillstand der Türkei folgen
(Nr. 87 bis 92). Am 5. November erstattet der neue Ersie Generalquartiermeister
Generalleutnant Gröner ein ausführliches Gutachten (Nr. 100). Inzwischen erlebt die
ruhige Politik der konsequenten Fortführung des am 3. Oktober unwiderruflich ein-
geleiteten Schrittes noch einen wichtigen Erfolg: Die Lansingsche Note trifft ein, in der
ausdrücklich mitgeteilt wird, daß die alliierten Regierungen für den endgültigen
Friedensvertrag die Wilsonschen Punkte mit zwei bestimmt bezeichneten Ausnahmen
ebenfalls angenommen haben (Nr. 101).
Es folgt der Abschluß des Waffenstillstandes (Nr. 102 bis 110). Die Be-
dingungen für den Stillstand der Kämpfe sind maßlos. Aber eine Ablehnung ist nicht
möglich. Der am 3. Oktober beschrittene Weg muß zu Ende gegangen werden. Nachdem
einmal die deutsche Regierung auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung damals selbst
die Punkte Wilsons als ernsthafte Grundlage des Friedens bezeichnet und angenommen
hatte und nachdem auch die Gegner sich auf diese Punkte verpflichtet haben, sieht das
deutsche Volk den Krieg als abgeschlossen an. Wilson ist der populärste Mann im ganzen
Lande, und trotz aller Entrüstung über die Härte des Waffenstillstandes hofft das
Volk auf die Gestaltung des endgültigen Friedens nach unparteiischer Anwendung seiner
Sätze. Jeder Versuch einer Hinausschiebung wäre jetzt dem Strom entgegengelaufen;
wo die Mannschaften einen solchen Versuch vermuten, erheben sie sich. In diesem
Stadium bestehen keine Meinungsverschiedenheiten mehr mit der Obersten Heeresleitung.
Am 10. November funkt diese mit der Unterschrift Hindenburgs gleichzeitig nach
Berlin und an die mit Foch verhandelnde Waffenstillstandskommission, in welchen
Punkten versucht werden muß, Erleichterungen zu erreichen (Nr. 107). Das Telegramm
endet mit den Worten:
3½
12 —
* Gelingt Durchsetzung dieser Punkte nicht,
so wäre trotzdem abzuschließen. Gegen Ablehnung
Punkt 1, 4, 5, 6, 8, 9 wäre flammender Protest unter Berufung auf
Wilson herbeizuführen.=
Am 11. November 1918 tritt der Waffenstillstand in Kraft. Damit schließen
die Urkunden.
* * *
Die alliierten und assoziierten Regierungen haben inzwischen die vollständige
Wehrlosigkeit, in die Deutschland durch die Waffenabgabe versetzt war, dazu ausgenutzt,
im Friedensvertrag Bedingungen durchzusetzen, die, wie Lloyd George im Unterhause
sagte, bezwecken, an Deutschland »ein Exempel zu statuieren«, und die den Wilsonschen
Grundsätzen und den förmlichen Zusagen der Lansingschen Note vom 5. November 1918
widersprechen. Diese Jusagen sind damit gebrochen worden. Aber sie bleiben als
Rechtsgrundlage für das unveränderliche Verlangen nach einer Revision des Friedens-
vertrags bestehen.
Zur Beüuchtung.
Die Aufzeichnungen über die Sitzungen der Staatssekretäre (Nr. 35, 38, 39,
42, 54, 55, 58, 82, 86) haben zum Teil den Beteiligten nach der Sitzung nicht zur
Durchsicht vorgelegen; es sind dienstliche Niederschriften, die in der Sitzung ode-
unmittelbar danach teils von dem Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei, teils
von dem Pressechef des Reichskanzlers, teils von einem Vortragenden Rat in der
Reichskanzlei angefertigt worden sind. Sie können daher nicht wörtlich als zur
verlässige Urkunden angesehen werden, geben aber den allgemeinen Gang der Ver-
handlungen richtig wieder. Eine bis ins einzelne gehende sachliche Zuverlässigkeit
kann die Aufzeichnung über die große Sitzung vom 17. Oktober 1918 (Nr. 57) in
Anspruch nehmen; sie ist auf Grund stenographischer Mitschrift sorgfältig aufgestellt
und hat auch dem General Ludendorff vorgelegen.
Erste grundlegende Besprechungen. Aufgabe der
Hoffnung auf Erzwingung des Friedens durch Sieg.
Nr. 1 bis Nr. 3.
Nr. 1.
Besprechung im Großen Hauptquartier
am 14. August 1918.
Unterzeichnetes Protokoll.
Anwesend:
S. M. der Kaiser und König,
S. Kgl. Hoheit der Kronprinz,
der Reichskanzler,
der Generalfeldmarschall von Hinden burg,
der 1. Generalquartiermeister General Ludendorff,
der Staatssekretär des Außern,
Generaladjutant von Plessen /
Chef des Zivilkabinetts von Berg,
Chef des Militärkabinetts Freiherr von Marschall.
Der Reichskanzler ausführt die innere Lage. Stimmung kriegsmüde — Er-
nährung unzureichend, noch schlimmer Bekleidungsmangel. Wahlrechtsreform.
General Ludendorff: Strengere innere Zucht erforderlich. Jusammenfassung
der inneren Kräfte mit größter Energie. Bestrafung Lichnowskys.
Der Staatssekretär äußert sich über die äußere Lage. Die Siegeszuversicht des
Feindes und sein Kriegswille seien zur Zeit gehobener denn je. Der Grund sei zum
Teil die letzten militärischen Erfolge im Westen; der Hauptpunkt sei aber die ursprüng-
liche und stets zunehmende Uberzeugung, daß die Alliierten mit ihren vergleichsweise
unerschöpflichen Reserven an Menschen, Rohstoffen und Fabrikaten allein mit der
Zeit die verbündeten Hentralmächte zerschmettern müßten. Nach Ansicht unserer
Feinde arbeitet die Jeit für sie. Je länger der Krieg dauert, desto mehr vermindert sich
in den Zentralmächten der Bestand an Menschen, Rohstoffen und Fabrikaten, während
die Alliierten in allen drei Punkten auf Vermehrung rechnen. In jüngster Zeit ist
bei den Alliierten hierzu die Hoffnung getreten, dem Faktor Zeit durch militärische
Erfolge nachhelfen zu können. Soviel für den Feind.
Die Neutralen sind überaus kriegsüberdrüssig; auch bei ihnen befestigt sich die
Meinung, daß allein durch die Zeit die Jentralmächte zur Niederlage verurteilt seien;
allerdings würden die Neutralen am liebsten sehen einen Frieden ohne einen Sieg für
irgendwelche Partei. Aus Gefühlsrücksichten ist den meisten Neutralen der Sieg unserer
JFeinde sympathischer. Vor allem uber wollen sie das Kriegsende sehen, gleichgültig
welches. Daher sind sie auch bereit, auf unsere Niederlage hin mitzuarbeiten. Ein Be-
weis sei das Vorgehen Spaniens gegen unsere Torpedierungen, welches uns vor das
4
— 14 —
Mrblem stellt, entweder den U-Boot-Krieg einzuschränken, oder Krieg. Dieser Vorgang
sei um so bedenklicher, als bei Bekanntwerden andere Neutrale ihm folgen würden.
Verbündete: Österreich erklärt — und unsere eigenen Nachrichten geben eine
Bekräftigung dieser Meinung —, daß es am Ende seiner Kräfte angelangt sei, daß es
nicht länger als durch den Winter aushalten könne, daß selbst ein Winterfeldzug mehr
als zweifelhaft sei.
Bulgarien stellt größte Anforderungen an Subsidien und Lieferung von Waren
und ist wegen Erschöpfung seiner Armee angeblich wenig leistungsfähig.
Die Türkei hat sich in einen Mord- und Beutekrieg im Kaukasus gestürzt, kommt
uns dort in die Quere und setzt unseren Einwendungen und Mahnungen die bekannte
Resistenz des Orientalen und des Schwächeren entgegen. Wir haben die Wahl) unsere
Bundesgenossen gewähren zu lassen, oder uns mit ihren anspruchsvollen Forderungen
einverstanden zu erklären. In unserer Lage ist die Wahl von vornherein entschieden. —
Der Chef des Generalstabes des Feldheeres hat die krie-
Ferische Situation dahin definiert) daß wir den Kriegs-.
willen unserer Feinde durch kriegerische Handlungen
nicht mehr zu brechen hoffen dürfen, und daß unsere
Kriegführung sich als Ziel setzen muß, durch eine strate-
gische Defensive den Kriegswillen des Feindes mählich
zu lähmen). Die politische Leitung beuge sich vor diesem Ausspruch der größten
Feldherrn, die dieser Krieg hervorgebracht habe und zieht daraus die politische
Konsequenz, daß politisch wir außerstande sein würden, den Rriegswillen des
Gegners zu brechen, und daß wir daher gezwungen seien, dieser Kriegslage in der Füh-
rung unserer Politik hinfort Rechnung zu tragen.
S. Kgl. Hoheit der Kronprinz erklärt, alles was der General Ludendorff und
der Staatssekretär gesagt hätten, zu unterschreiben und betont, es müßte in strengerer
Lucht die innere Front zusammengefaßt werden.
Seine Majestät: Die Stellvertretenden Kommandierenden Generale und der
Kriegsminister müssen im Innern bessere Ordnung halten. An die Generale wolle er
diesbezüglich neue Order erlassen. Die Jivilbehörden hätten mitzuwirken an strikterer
Durchführung der Staatsgewalt.
In bezug auf Ersatz müsse besser ausgekämmt werden. In Berlin liefen noch
eine Menge junger Leute frei herum.
Seine Majestät billigen die Ausführungen über die außenpolitische Lage) doch
leidet auch der Feind, es würden ihm viele Menschen totgeschlagen, seine Industrie
finge schon an, brach zu liegen infolge Mangels an Rohstoffen; auch Lebensmittel man-
gelten. Die diesjährige Ernte in England sei schlecht; die Tonnage vermindert sich
ständig, vielleicht kommt durch diesen Mangel England allmählich dazu, sich zum Frie-
den zu bekehren.
Seine Mgjestät erklären die Charakterisick der politischen Situation für richtig,
es müsse auf einen geeigneten Jeitpunkt geachtet werden;,
wo wir uns mit dem Feind zu verständigen hätten. Neutrale
Staaten (der Kaiser bezeichnet solche) seien geeignete Media. Zur Schwächung
der Siegeszuversicht des Feindes, zur Hebung der Zuversicht des deutschen
Volkes sei die Bildung einer Propagandakommission erforderlich. Flammende Reden
1) Die Sperrungen sind bei der Herausgabe vorgenommen. Dies gilt im wesentlichen für alle
hier veröffentlichten Urkunden.
— 15 —
müßten gehalten werden von angesehenen Privatpersonen (Ballin, Heckscher) oder von
Staatsmännern. In die Kommission seien Männer von entsprechenden Fähigkeiten zu
berufen, nicht sowohl Beamte. Die politischen Direktiven müsse das Auswärtige Amt
geben.
Die einzelnen Ressorts müßten nicht wie bislang gegeneinander arbeiten und
voreinander Geheimniskrämerei treiben. Die Militär- und Zivilbehörden müßten zu-
sammenarbeiten, der Kriegsminister müsse die Kommandierenden Generale unterstützen
und sie nicht im Stiche lassen.
Der Reichskanzler spricht sich für eine energische Aufrechterhaltung der Auto-
rität im Innern aus. Bezüglich der Propaganda bestehe ein reichhaltiges Programm,
das schon verwirklicht würde.
Diplomatisch müßten Fäden betreffend eine Verständigung mit dem Feinde im
geeigneten Moment angesponnen werden. Ein solcher Moment böte sich nach den
nächsten Erfolgen im Westen.
Generalfeldmarschall von Hindenburg führt aus, daß es
gelingen werde,'auf französischem Boden stehen zu bleiben
und dadurch schließlich den Feinden unsern Willen
aufzuzwingen).
Folgen die Unterschriften:
H. 14. 8.
L. 14. 8.
Hertling 17. 8.
v. H. 14. 8.
Wilhelm I, R.
v. B. 19. 8.
Wilhelm, Kronprinz.
Als Anlage ist hinzugefügt ein Brief Hertlings vom 17. August:
Zur Ergänzung der Aufzeichnung des Staatssekretärs erlaube ich mir, zu den
von mir gemachten Ausführungen folgendes hinzuzufügen:
Ich habe zugesagt, mich sofort an die obersten Justizbehörden im Reiche und
in Preußen zu wenden und ihnen in amtlicher Weise von den äußerst schädlichen
Wirkungen Kenntnis zu geben, welche die von den Feinden betriebene Verbreitung der
Lichnowskyschen Denkschrift an unserer Front hervorruft, da dies unzweifelhaft für die
Beurteilung des Falles von Einfluß sein müsse. "
2. Bezüglich der Wahlrechtsreform in Preußen habe ich ausgeführt, daß das
von S. M. dem Kaiser und König gegebene Wort eingelöst werden müsse, und ich bei
der Ubernahme des Reichskanzlerpostens ausdrücklich die Verpflichtung hierzu über
nommen hätte. Es müsse somit von seiten der Regierung alles geschehen, um die Wahl-
reform in Preußen durchzuführen. Der Schein, daß sie hierzu nicht den Mut und nicht
die Macht habe, würde sie um alles Vertrauen und alle Autorität bringen, und dabei
handele es sich nicht etwa um die Person der Minister, sondern direkt um Monarchie
und Dynastie.
1) Dieser Satz des Generalfeldmarschalls lautete in dem Protokoll ursprünglich: G. v. H. ohofft-,
daß es »dennoch« gelingen werde usw. Die ünderung in die bestimmtere Form# führt aus, daß es ge-
lingen werde= stammt nach Schrift und benutztem Stift von General Ludendorffs Hand.
Nr. 2.
Vermerke des damaligen Staatssekretärs
des Auswärtigen Amts von Hintze über Besprechungen
mit General Ludendorff im Juli und August 1918)).
Mitte Juli 1918, vor Antritt des Postens des Staatssekretärs, hatte ich in
Avesnes General Ludendorff die förmliche und bestimmt gefaßte Frage vorgelegt, ob er
sicher wäre, mit der jetzigen Offensive den Feind endgültig und entscheidend zu besiegen!
General Ludendorff hatte meine Frage wiederholt und darauf erklärt: „Darauf ant-
worte ich mit einem bestimmten „Ja“.a «
Vor der Besprechung zu vieren zwischen dem Reichskanzler, dem Generalfeld-
marschall, General Ludendorff und mir — ich glaube am 13. August — hat mich
General Ludendorff allein beiseite genommen und mir eröffnet, er habe mir im Juli
gesagt: er sei sicher mit der im Gang befindlichen Offensive den Kriegswillen des Feindes
zu brechen und ihn zum Frieden zu nötigen; diese Sicherheit habe er jetzt nicht mehr.
Auf meine Frage, wie er sich die Weiterführung des Krieges denke, hat General
Ludendorff geantwortet, wir würden durch eine strategische Defensive imstande sein,
den Kriegswillen des Feindes zu lähmen und ihn so mählich zum Frieden zu bringen.
In der angeführten Besprechung zu vieren hat niemand dieses ausschlaggebende Thema
wieder angeschnitten. Erst im Kronrat — 14. August — habe ich es wieder vor-
gebracht und behandelt, siehe Protokoll. General Ludendorff hat damals die große
Offensive= als nicht mehr möglich bezeichnet, wohl aber eine strategische Defensive mit
gelegentlichen offensiven Vorstößen, mit guter Aussicht auf endliche Lähmung des Kriegs.
willens des Feindes. Generalfeldmarschall von Hindenburg beurteilte die militärischen
Aussichten noch günstiger. Die politische Lage, so wie ich sie vor dem Kronrat aus-
einandergesetzt hatte, verbot mir, an diesen Erfolg der strategischen Defensive zu
glauben. Das habe ich im Kronrat erklärt und die Ermächtigung zur Anbahnung des
Friedens mit diplomatischen Mitteln verlangt. Darunter begriff ich auch: Minderung
der bis dahin aufgestellten Kriegsziele. Hierfür war O. H. L. damals noch nicht zu
haben: siehe Schlußsatz des Protokolls vom 14. August. Die mir erteilte Ermächtigung
zu Friedensschritten wurde dadurch:) beschränkt, was ich aber mählich zu beheben
hoffte; mit Recht, wie die Zukunft bewies. Indes eine wesentliche Beschränkung der
Ermächtigung war die folgende: #der geeignete Moment müsse abgewartet werden, ehe
diplomatische Fäden anzuspinnen wären; ein solcher Moment böte sich nach dem
nächsten (unserem) Erfolg an der Westfront.G Später — im September — wurde als
Moment bezeichnet: wenn die Rückwärtsbewegung unserer Armee zum Stehen
gekommen sein würde, etwa in der Siegfriedstellung.“
—–-
1) Diese Aufzeichnungen hat Herr v. Hintze im Frühjahr 1919 zu den Akten des Auswärtigen
Amts gegeben.
2:) Durch Festhalten an den Kriegszielen, die für den' Kall „Sieg aufgestellt waren. (An-
merkung v. Hingzes.)
1
Nr. 3.
Sitzung des Königlichen Staatsministeriums.
Auszug#.
Berlin, den 3. September 1918.
In der heutigen Sitzung des Königlichen Staatsministeriums wurde folgendes
verhandelt:
Der Herr Ministerpräsident sprach zunächst den Herren Staatsministern seinen
Dank aus für die ihm zu seinem 75. Geburtstage freundlichst dargebrachten Glückwünsche
und für die Blumenspende.
Sodann erörterte er die gegenwärtige Folitische Lage, welche eng mit der der-
zeitigen militärisehen Lage verknüpft sei. Er hoffe, daß über die letztere der Herr Kriegs-
minister noch einige nähere Mitteilungen machen könne.
An leitender Stelle stebe der Wunsch, daß jeder gangbare Weg betreten werden
müsse, der zu einer Verständigung mit dem Feinde führen könne. Ein Friedens-
angebot könne und dürfe nicht gemacht werden, das
würde von unsern Feinden doch nur schnöde abgewiesen
werden. Dagegen müßten Jäden angesponnen werden, und es müsse jede Gelegenheit
wahrgenommen werden, die zum Liele führen könne, möglichst durch neutrale oder sonst
geeignete Persönlichkeiten. Man müsse etwa zum Feinde sagen: „Ihr sehtihr
könnt uns nicht besiegen, Deutschland wird seine Existenz-
berechtigung und seinen Platz an der Sonne in demihm auf-
gezwungenen Verteidigungskriege zweifellos si'egreich
behaupten, aber wir sind stets bereit, wie das schon
[viederholt und unzweideutig von der deutschen Regie-
rung betont worden ist, einen ehrenhaften Frieden abzu-
schließen.-Uber die einzelnen dabei aufzustellenden Friedensbedingungen werde
jetzt auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers ein genaues Programm aufgestellt werden.
Diese soeben dargelegte Stellungnahme sei in Besprechungen festgelegt, die in Spa unter
dem Vorsitz des Kaisers stattgefunden hätten, an denen außer den Generalen von Hinden-
burg und Ludendorff auch der Kronprinz teilgenommen, und in denen eine völlige
Cinigung unter allen Beteitigten stattgefunden habe. Erschwert werde die Lage noch
durch das unbedingte Friedensbedürfnis, welches sich in Österreich-Ungarn immer mehr
geltend mache. Die österreich-ungarische Regierung habe ihn wissen lassen, daß sie an
alle Feinde ihre Bereitschaft, Frieden zu schließen, mitteilen wolle. Es sei ihm zwar
gelungen, einen solchen verhängnisvollen Schritt zurückzuhalten, aber dahingehende
Wünsche würden jetzt wieder immer energischer in Österreich-Ungarn vertreten. Der
!) Der Ausiug befindet sich so, wie hier wiedergegeben, in den Akten des Auswärtigen Amtes
5
18 —
Staatssekretär von Hintze sei gerade aus diesem Grunde jetzt nach Wien gereist und
könne daher an der heutigen Verhandlung zu seinem eigenen Leidwesen nicht teilnehmen.
Auch bei uns im Lande sei die Stimmung gegenwärtig zweifellos schlecht, und
deshalb müßten auch wir ernstlich den Versuch machen, mit Ehren aus dem Kriege
berauszukommen. Uber die Frage, wie der gegenwärtigen schlechten Stimmung, die
durch die militärische Lage an sich nicht begründet sei,
mit Erfolg entgegengetreten werden könne, sei in Spaa bei den erwähnten Besprechungen
verhandelt. Es komme darauf an, das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu heben
und die üble Wechselwirkung zwischen Front und Heimat, die überall zu beobachten sei,
zu paralysieren. Eine entsprechende Organisation, die eine dahingehende Propaganda
im Inlande und im Auslande betreiben solle, sei dem Auswärtigen Amt angegliedert
und dem Staatssekretär von Hintze unterstellt. Sie sei bereits in Tätigkeit getreten
und habe auch schon einige günstige Wirkungen erzielt.
Der Herr Kriegsminister führt aus, er könne über die augenblickliche militärische
Lage wenig sagen. Er wolle sich erst jetzt ins Hauptquartier begeben, um nähere Infor-
mationen einzuziehen. Er müsse aber auf die großen Schwierigkeiten des Ersatzes, die
jetzt beständen, hinweisen. Er müsse und wolle den jüngsten Jahrgang aus der Front
zurückhalten, das mache aber ein starkes Auskämmen in der Hivilbevölkerung nötig.
Herr Staatsminister von Waldow sprach die Befürchtung aus, daß infolge dieser
Maßnahmen auf dem Lande nicht genügend Arbeiter bleiben würden, namentlich für die
bevorstehende Kartoffelernte.
Der Herr Kriegsminister widerlegte diese Befürchtung durch den Hinweis, daß
für diese Zwecke gerade der zurückgehaltene jüngste Jahrgang verwandt werden solle.
Der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten wies darauf hin, daß ihm von dem
Kriegsministerium angesonnen sei, noch weitere 15 v. H. aus seinem Personal heraus.
zuziehen. Er glaube kaum, daß er diesem Ansinnen ohne Gefahr für den Betrieb nach-
kommen könne.
Der Herr Kriegeminister hoffte, daß dies noch möglich sein werde, wie es auch
in andern Betrieben gegangen sei.
gez. Heinrichs.
Vorbereitende Schritte zur Einleitung einer neutralen
Vermittlungsaktion. Konflikt mit weitergehenden
Schritten Österreich-Ungarns. Zusammenbruch
Bulgariens. Nr. 4 bis Nr. 10.
Nr. 4.
Chronologische Abersicht der Entwichlung
des österreich-ungarischen Eriedensvorschlages).
Berlin, den 19. September 1918.
10. August. Meldung des Generals von Cramon wird bekannt, daß
Kaiser Karl in kategorischer Form erklärt habe, man müsse noch im Laufe des
Jahres 1918 unter allen Umständen Frieden schließen. Falls kein allgemeiner Friede
zustande käme, müsse er Sonderfrieden schließen. .
14. August. Besprechungen im Großen Hauptgquartier.
Anwesend: Seine Majestät, Kronprinz, Reichskanzler, Hindenburg, Ludendorff,
Staatssekretär, Plessen, Berg, Marschall.
Politische Konsequenz: Wir sind militärisch außerstande,
Kriegswillen des Gegners zu brechen und sind gezwungen
dieser Kriegslage in der Führung unserer Politik hin-
fort Rechnung zu tragen. Diplomatisch sollen Fäden be-
treffend eine Verständigung mit dem Feinde im geeig-
neten Moment angesponnen werden. Ein solcher Moment
böte sich nach dem nächsten Erfolge im Westen. O. H. L.
führt aus, daß es gelingen werde, auf französischem
Boden stehen zu bleiben und dadurch schließlich den
Feinden unseren Willen aufzuzwingen.
14. und 15. August. Beratungen im Großen Hauptquartier mit Kaiser
Karl und Graf Burian über Möglichkeiten, Frieden herbeizuführen. Graf Burian
vertritt die Ansicht:
1. den Schritt möglichst bald zu tun,
2. den Schritt in der Form des direkten Appells an alle kriegführenden
Länder zu tun.
Wir vertreten demgegenüber die Ansicht:
1. Es müsse ein günstiger Jeitpunkt dafür abge-
wartet werden jetziger Jeitpunkt sei wegen un-
geklärter militärischer Lage verfrüht. Es sei
besser, zu warten, bis Festsetzen in neuer Linie
bzw. ein etwaiger militärischer Erfolg Rück-
schlag bei Gegnern hervorrufe.
— ßr—
1) Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes.
5“
20
2. Bezüglich der Form sei neutrale Vermittlung
vorzuziehen. "
Burian behält sich vor, seinen Friedensvorschlag genau zu formulieren.
Im Gespräch zwischen beiden Kaisern bemüht sich Seine Majestät, dem Kaiser
Karl die Vorteile unserer Methode klar zu machen und gewinnt den Eindruck, daß
Kaiser Karl durch seine Argumente überzeugt ist.
Schlußergebnis: Verhandlungen sollen fortgesetzt werden; dazu wünscht
Graf Burian möglichst baldige Reise des Reichskanzlers und Staatssekretärs nach
Wien.
21. August. Prinz Hohenlohe überreicht formulierten ersten Entwurf der
österreich-ungarischen Note, der grundsätzlich direkten Appell an alle kriegführenden
Staaten enthält, zu einer vertraulichen und unverbindlichen Aussprache über die Grund-
prinzipien eines Friedensschlusses in einem Ort des neutralen Auslandes Delegierte
zu entsenden.
25. und 26. August. Es wird hier bekannt, daß Graf Burian am
19. August, d. h. nach den getroffenen Abreden in Spa hinter unserm Rücken bereits
versucht hat, auf die bulgarische und türkische Regierung einen Druck auszuüben, dahin-
gebend, sich mit seinem Vorschlage einverstanden zu erklären. Graf Burian hat dabei
nach deren Angaben sogar den Eindruck erweckt, als wenn die deutsche Regierung sich
bereits mit seinem Vorschlage einverstanden erklärt hätte. Gleichzeitig hat er von sich
aus erklärt, unter allen Umständen in 8 bis 10 Tagen mit der Demarche vorzugehen,
weil er dadurch die öffentliche Meinung der Welt für uns zu gewinnen hoffe. Bei
seinem Schritt hat Graf Burian die mit Graf Czernin getroffene Vereinbarung, an
unsere östlichen Bundesgenossen erst immer dann heranzutreten, nachdem Einigung
zwischen Berlin und Wien erzielt ist, verlassen.
Gesandter Sofia und Botschafter Pera werden über den tatsächlichen Sach-
verhalt informiert.
27. August. Nachdem sowohl in mündlichen Verhandlungen mit Prinz
Hohenlohe, wie in Anweisungen an Graf Wedel, Graf Burian von unserer Auf-
fassung in Kenntnis gesetzt war, daß wir den von ihm vorgeschlagenen
Schritt für unzweckmäßig, dagegen die neutrale Vermitt-
lung zueinem günstigen Jeitpunkte für den einzigrichtigen
Weg des Vorgehens erachten, übergibt Prinz Hohenlohe eine Notiz, in
der Graf Burian erneut seine Argumente zugunsten sofortigen Vorgebens und zu-
gunsten seiner Methode vorbringt, sowie um die unverweilte Ausführung der ihm ge-
gebenen Jusage einer Reise des Herrn Reichskanzlers und des Herrn Staatssekretärs
nach Wien zur gemeinsamen Beratung bittet.
28. August. Graf Wedel wird informiert, daß Behauptung des Grafen
Burian, wir hätten uns mit seinem Vorschlage einverstanden erklärt, nicht den Tat-
sachen entspricht. Wir haben lediglich eine Prüfung der österreich-ungarischen Note
in Aussicht gestellt und betont, daß irgegenwärtigen Jeitpunkt für
angeregte Demarche bei unseren Feinden für verfrüht
halten. Einvernehmen zwischen uns und österreich ungarischer Regierung über
modus Drocedendi war somit noch nicht erzielt. Graf Burian hat daher durch Her-
antreten an türkische und bulgarische Regierung binter unserm Rücken bewährte Tra-
dition verlassen. Noch arößeres Befremden hat Erklärung Ministers hervorgerufen,
unter allen Umständen in 8 bis 10 Tagen vorgeben zu wollen. Graf Wedel soll hier-
über Graf Burian fragen und auf bedentkliche Konsequenzen derartigen Vorgebens
— 21 —
hinweisen. Sollte Graf Burian nicht bestimmte Jusicherung geben, derartiges Vor-
gehen in Zukunft nicht zu wiederholen, soll Graf Wedel als persönliche Ansicht aus-
sprechen, daß er sich befriedigende Ergebnisse von einem Besuch Reichskanzlers und
Staatssekretärs in Wien nicht versprechen könne. Ferner erhielt Graf Wedel Argu-
mente an die Hand, um auf Graf Burian zugunsten der von uns geplanten neutralen
Vermittlungsaktion einzuwirken. Diesbezüglich nehmen wir an, daß neutraler
Vermittler vor Ubernahme der Mission verlangen würde,
vonunsüber Grundlagen unterrichtet zuwerden, auf denen
wir zum Friedensschluß bereit sein würden. Diesem Ver-
langen würden wir unter Voraussetzung entsprechen
können, daß auch seitens unserer Gegner eine Mitteilung
ibrer Kriegsziele in großen Linien an den Vermittler er-
folgt. Auf diese Weise Anbahnung gegenseitigen Mei-
nungsaustausches ohne den Nachteil, daß wir als die Bit—
tenden erscheinen.
30. August. Talaat, der auf Reise nach Berlin in Wien Aufenthalt
mimmt, wird gebveten, in Wien für unseren Standpunkt einzutreten
Prinz Hohenlohe bei Staatssekretär, liest Telegramm Burians vor:
Friedensschritt dringlich, unverschiebbar. Burian werde, wenn wir nicht mitmachen,
ihn von sich aus unternehmen. Auf neutrale Intervention sei nicht zu rechnen.
Siaatssekretär entgegnet in dringlicher Form: Befremdet über Aktion mit Bulgarien
und Türkei hinter unserm Rücken, ferner zugunsten neutraler Vermittlung und
späterem Jeitpunkt. Graf Wedel erhält diesbezügliche dringliche Weisung: Ernst der
Lage zu berücksichtigen, der für Österreich-Ungarn aus Sondervorgehen entstehen
könnte.
1. September. Graf Wedel meldet: Kaiser Karl sei treibende Kraft.
Auf Grund gestriger Vorstellungen (Weisung vom 30. September) habe Graf
Burian bei Kaiser Karl gerade noch kurzen Aufschub erreicht.
3. bis 5. September. Nachdem auch am 2. September eine geeignete
Grundlage für eine Verständigung mit Graf Burian in der Friedensfrage nicht erzielt
worden war, ist Staatssekretär mit Unterstaatssekretär von Stumm persönlich in Wien
anwesend (Reichskanzler ist trotz österreich-ungarischer Aufforderung nicht gereist).
Auch die eingehenden mündlichen Verhandlungen mit Graf Burian, ferner ein persön-
licher Vortrag des Herrn Staatssekretärs vor Seiner Majestät dem Kaiser Karl
führten zu keiner Verständigung. Staatssekretär vertrat erneut die
deutsche Absicht, die Friedensaktion durch neutrale Ver-
mittlung und zu einem etwas späteren günstigern ZJeit-
runkte erfolgen zu lassen (etwa 2 Wochen bis zur Beendi-
aung der Rückbewegung des deutschen Heeres.) Demgegenüber
Graf Burian: Sofort und direkt. Trotz scheinbaren gelegentlichen Ent-
gegenkommens des Grafen Burian und Justimmung von Wekerle und Arz hält am
Schluß der dreitätigen Besprechungen Graf Burian an ursprünglichem Standpunkt fest.
7. September. Durch Eingreifen des Generals Cramon im Verein mit
Generaloberst von Arz willigt Kaiser Karl in Aufschub der österreich-ungarischen Note
und ersucht Generalfeldmarschall von Hindenburg um Beantwortung folgender Fragen:
1. Wo bezw. in welcher Linie beabsichtigt O. H. L. endgültig Widerstand
zu leisten?
22
10
Wann wirt diese Linie erreicht sein?
3. Wann ungefähr erscheint der O. H. L. die beabsichtigte Anregung zu Be-
sprechungen über Friedensverhandlungen nach der Kriegslage möglich und
angezeigt!?
Nach Ansicht Kaiser Karls wäre jeder Aufschub für uns eine Schädigung, weil
Gegner dadurch Gelegenheit erhalten, sich dauernd zu verstärken.
10. September. Generalfeldmarschall von Hindenburg
[pricht sich nach persönlicher Rücksprache mit Exzellen;z
von Hintze im Großen Hauptquartier dahin aus, daß er der
Absendung der beabsichtigten Note SÖsterreich-Ungarns
(d. h. des direkten Appells an alle kriegführenden Länder)
nicht zustimmen könne, er halte diesen Schritt für unsere
Heere und Völker für verderblich. Dagegen sei er mit Ver-
mittlung einer neutralen Macht zur Herbeiführung einer
Aussprache ohne Aufschub einverstanden.
Gleichzeitig ernente Unterredung zwischen Graf Wedel und Graf Burian. Graf
Burian erklärt, er sei entschlossen, Friedensnote abzulassen und könne nicht länger
kögern. Graf Wedel warnt vor Ubereilung und ersucht dringend, so lange zu warten,
his Resultat unmittelbar bevorstehender Besprechung Staatssekretärs mit O. H. L. fest-
stünde. Eindruck: Graf Burian vielleicht unseren Argumenten zugänglich, treibende
Kraft Kaiser Karl. Mit Mühe Jusage erreicht, daß Burian Kaiser Karl vorschlagen
will, noch einige Tage zu warken. Absendung Note schwerlich zu verhindern, höchstens
karzer Aufschub erreichbar. «
Es wird erneut in Erwägung gezogen eine direkte Einwirkung Seiner Majestät
des Kaisers auf Kaiser Karl. Seine Majestät der Kaiser steht unter dem Eindruck, daß
Kaiser Karl bei letzter Zusammenkunft in Spa sich mit Anregung der Vermittlung
neutraler Macht einverstanden erklärt habe.
11. September. Als Ergebnis neuerlicher Bespre—
chungen zwischen Seiner Majestät, O. H. L. und Staats-
sekretär Einverständnis mit sofertiger Einleitung Frice=
densdemarche bei neutraler Macht. Wien soll zum Bei-
tritt bzw. Einverständnis aufgefordert werden, ebenso
Sofia und Konstantinopel.)
In besonderer Audienz des Generals von Cramon bei Kaiser Karl verhält sich
dieser gegen Vermittlung durch neutrale Macht ablehnend und behält sich im übrigen
seine Cutschlüsse vor, ohne sich bestimmt zu äußern.
Graf Wedel äußert sich skeptisch bezüglich Wirksamkeit eines Allerhöchsten Tele.
gramms, ebenso bezüglich Mitwirkung von Tisza und Wekerle zu unseren Gunsten; er
hält wohl kurze Verschiebung der Ausführung, aber nicht Abänderung des Entschlusses
für erreichbar.
1) Das Telegramm v. Hintzes aus dem Großen Hauptquartier vom 11. September 1918 (An-
kunft 55 Uhr nachmittag), auf dem diese Stelle der Auszeichnung beruht, lautet:
Seine Majestät und Oberste Heeresleitung sind mit sofortiger Einleitung Demarche bei
neutraler Macht einverstanden. Bitte Botschafter Wien dies drahten mit Auftrag, es der
österreichisch-ungarischen Regierung zu notifzieren und zum Beitritt bzw. Einverständnis
aufjzufordern, desgleichen Gesandten Sofia und Grafen Bernstorff, Talaat Pascha. Bitte
Reichskanzler verständigen. « Hintze.
— 23 —
Auch bulgarische Regierung wird durch Graf Oberndorff aufgefordert, unsere
diplomatische Aktion in Wien zugunsten der neutralen Vermittlung zu unterstützen.
Beide Regierungen sagen Unterstützung zu, geben sich aber keiner Hoffnung auf
Erfolg hin.
Graf Wedel meldet nach Kenntnis, daß wir mit sofortiger Friedensdemarche
einverstanden sind, daß neutrale Vermittlung in Wien nicht zu erreichen, weil
man sich in Wien Rolle des Friedensstifters nicht von
anderem nehmen lassen will und Kaiser Karl sich von ihr
Wiederherstellung entschwundenen Vertrauens zur Krone verfpricht, was bei
Furcht vor Revolution als höchstes Ziel angesehen wird. Selbst bei Nichtgelingen der
Demarche rechne man Vertrauenserfolg, da von Wien ausgehende Note Justimmung der
öffentlichen Meinung finden wird, die von Friedenssehnsucht beherrscht wird, daber
Absendung der österreichischen Note sicher. Man würde sich in Wien damit begnügen,
uns die Demarche vorher mitgeteilt zu haben und lieber auf unsere Zustimmung ver-
zichten als Ausführung aufgeben.
12. September. Graf Wedel erhält Weisung, Graf Burian sofort aufzu-
suchen, um ihn nochmals vor seinem Friedensschritt zu warnen und ihm erneut zu er-
klären, daß Eindruck in Deutschland sein würde: Österreich-Ungarn verrät uns. Wir
sind außerstande, diesen Eindruck zu verhindern. Graf Wedel soll nochmals zugunsten
neutraler Vermittlung sprechen und besonders ausführen, daß,falls diese scheitere, uns
alle andern Wege offen blieben, während bei Einschlagen Burianschen Schrittes kein
anderer Weg, besonders nicht Aufrufung Neutraler) möglich sei. Deutsche Regierung
könne nach österreich-ungarischem Schritte nicht erklären, daß sie ihm vorher zuge-
stimmt hätte. Verantwortung für Sperrung der Mediation bhleibe bei
Graf Burian.
Graf Wedel meldet, daß Burian auf Hinweis der Gefährdung Bündnisses feier-
lich betont habe, er werde durch bündige Erklärungen jeden Zweifel an Bündnistreue
rasch zerstreuen. Etwas später erscheint Kabinettschef Graf Coloredo bei Graf Wedel
und teilt mit, daß Graf Burian Friedensnote am Sonnabend, den 14. d. Mts.) los-
lassen werde. Die Gründe dafür seien uns bekannt, Burian werde darin bestärkt durch
Mitteilung Wiener Schweizer Gesandten an türkischen Botschafter, wonach Schweiz
kürzlich Friedensfühler bei Entente ausgestreckt und von dieser Antwort erhalten habe,
daß Mediation neutraler Macht als unfreundlicher Akt betrachtet werden würde. In
demselben Sinne habe sich neuer schwedischer Ministerpräsident geäußert und bezüglich
des Zeitpunktes der Aktion habe sich Generalfeldmarschall von Hindenburg ja
ausdrücklich mit sofortiger Aktion bereit erklärt. Burian bittet um Einwirken auf
unsere Presse, damit keine Mißstimmung hervortritt. Sollte dies trotzdem eintreten,
so garantiert er, Iweifel an Österreichs Bundestreue innerhalb 24 Stunden zu zerstreuen.
Schließlich bat Burian, deutsche Regierung möchte möglichst bald zustimmen, auf Note
antworten, damit eventuell Mißdeutung bei Gegnern, als bedeute Aktion einen Separat-
schritt Osterreich-Ungarns, von vornherein die Spitze abgebrochen werde. Veröffentlichung
der Note sei für Sonntagvormittag beabsichtigt.
Pinz Hohenlohe teilt Staatssekretär schriftlich mit, daß er ein Telegramm Graf
Burians erhalten habe mit der Mitteilung, daß Österreich-Ungarns Demarche am Sonn-
abend, den 14. d. M. erfolgen würde.
13. September. (Ankunft des Telegramms 2 Minuten nachmittags.)
Auf erneute Vorstellungen des Grafen Wedel wiederholt Burian seine bekannten Gründe
gegen die neutrale Vermittlung und zugunsten seines Programms mit dem Hinzufügen,
daß die Würfel bereits gefallen seien. Verantwortung dafür über-
nehme er allein voll und ganz. Er werde alles tun, um etwaige Iweifel an Bundestreue
zu zerstreuen. Wiederholt seine Bitte um rasche deutsche Zustimmung. Er lege aller-
größten Wert darauf, auch nur den Schein einer Divergenz zu vermeiden.
General von Cramon erbittet eine weitere Audienz bei Kaiser Karl.
Kaiser Karl bleibt auf seinem Standpunkt, wenn man in Deutschland zu der
Ansicht käme, als gedächte Osterreich-Ungarn nicht länger an der Seite Deutschlands
auszuhalten, so sei der Iweifel an seiner Bundestreue nachgerade beleidigend für ihn.
Er sei bundestreu gewesen und werde es bleiben. Er hoffe dringend, daß Deutschlands
Antwort so ausfallen würde, daß sie verbündeten Mächten nicht zum Schaden gereichen
könne. Er habe in loyalster Weise Kaiser Wilhelm von seiner Absicht benachrichtigt und
sei fest davon überzeugt, daß die am 14. abgehende Note bei allen kriegführenden Mächten
cinen günstigen Eindruck hervorrufen würde.
Seine Majestät erhält ein Telegramm vom Kaiser Karl, worin dieser unter
Ablehnung der neutralen Vermittlung an der öster-
reichischerseits in Aussicht genommenen Form festhält und um rasche Justimmung
Seiner Majestät bittet. Der österreichisch ungarische Militärbevollmächtigte tele-
graphiert zurück an Kaiser Karl, daß Seine Majestät ihn bitten ließe, mit beabsichtigtem
Schritt jedenfalls so lange zu warten, bis die Allerhöchste Antwort eintreffe. Dies
könne keinesfalls bis 14. vormittags erfolgen, da Seine Majestät zunächst mit Reichs-
kanzler sich in Verbindung setzen müsse.
14. September. Seine Majestät der Kaiser schickt ein Telegramm an
Kaiser Karl, worin Bedauern ausgedrückt wird, daß dieser ungeachtet der deutschen
Stellungnahme seinen Schritt zur Ausführung bringe. Das Bundesverhältnis bedinge,
daß Deutschland und Osterreich-Ungarn in Fragen von so weitgehender Bedeutung nur
in voller Ubereinstimmung vorgehen, andernfalls verliert das Bündnis Inhalt und
jede Bedeutung. Unter Hinweis auf die Gefahren des österreichisch-ungarischen Schrittes
und unter nochmaliger Anführung der Vorteile der neutralen Vermittlung gibt sich
Seine Majestät der bestimmten Hoffnung hin, daß Kaiser Karl in letzter Stunde sich
des Ernstes der Lage bewußt werde und seine Regierung anweisen wird, auf die geplante
Demarche zu verzichten.
Graf Wedel meldet am Nachmittag, daß Antworttelegramm Kaiser Wilhelms
nachmittags im Ministerium des Außern noch nicht bekannt war, daß Angelegenheit be-
reits so weit gediehen sei, daß sie keinesfalls mehr rückgängig gemacht werden könne.
Telephonisch trifft aus Wien nachmittags die Mitteilung ein, daß die Vertreter
der Presse bereits zur Empfangnahme von Instruktionen in der Friedensangelegenheit im
Ministerium des Außern sich versammelten.
Abends wurden die deutschen Presse= und Darteiführer vom Staatssekretär
persönlich vom österreich-ungarischen Schritte in Kenntnis gesetzt.
Etwas später trifft der Wortlaut der österreich ungarischen Note durch die
Telegraphenbureaus hier ein.
— — — —— — —
— 25 —
Nr. 5.
Vermerk.
Vom 18. September und von den folgenden Tagen datieren Telegramme, in
denen von Versuchen berichtet wird, die gemacht worden sind, um in Verbindung mit dem
österreichischen Schritt die Vermittelung einer neutralen Macht
herbeizuführen. Nach einem Telegramm vom 29. August war günstige Aufnahme eines
solchen Wunsches zu erwarten. Der jetzt eingeleitete Gedankenaustausch zog sich bis in
die letzten Septembertage hin, führte aber nicht zum Jiel. Die Veröffentlichung der
Aktenstücke hierüber muß, da sie keine einseitig deutsche Angelegenheit ist, späterer Zeit
vorbehalten bleiben.
Nr. 6.
Delegramm.
Großes Hauptquartier den 26. September 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Dringend. .
Heute nacht ließ mich General Ludendorff rufen, um mir mitzuteilen, General
von Cramon habe gedrahtet, daß Bulgarien nach Wiener Meldungen einen sofortigen
Sonderfrieden abschließen wolle. Bei Bekanntgabe dieser Absicht seien in Sofia wüste
Schmähreden gegen Deutschland gehalten, das seinen Bundesgenossen im Stich gelassen
habe. Jalls diese Nachricht sich bewahrheitet, wolle Osterreich sich mit Rumänien ver-
ständigen.
General Ludendorff tritt dieser Auffassung bei und bittet Euere Exzellenz wei-
teres wegen Rumänien zu veranlassen.
Ich habe dringendst darauf hingewiesen, nichts zu übereilen und vor absolut
sicherer Nachricht nicht für unsern Feind Rumänien unsern bulgarischen Bundesgenossen
preiszugeben.
Der österreich-ungarische Militärbevollmächtigte, Feldmarschall Baron Klepsch,
der bei der Besprechung anwesend war,) hat mit mir folgendes Telegramm an seine
Heeresleitung aufgesetzt und abgesandt:
„ General Cramons Mitteilung von der Absicht Bulgariens, einen Sonder-
frieden zu schließen, hat die O. H. L. veranlaßt, trotz allem Ernst der Lage an allen
Fronten 5 Divisionen zu entsenden, welche größtenteils bei Nisch aufmarschieren werden.
In Anbetracht der hohen Tragweite der Lage bittet die O. H. L., daß auch
österreich-ungarischerseits außer den zwei bestimmten mindestens noch eine Division nach
Bulgarien bestimmt werden, da es sich um den gesicherten Schutz der Verbindung mit
Rumänien und der Türkei handelt. Außerdem ist die O. H. L. der Ansicht, daß man
sich mit Rumänien verständigen könnte, falls zunächst zweifellos festgestellt wäre in Ber-
lin und Wien, daß Bulgarien tatsächlich einen Separatfrieden schließt."
General Ludendorff sagte mir, daß die bulgarische Armee sich anscheinend völlig
aufgelöst habe. Er würde bei Nisch mit starken Kräften aufmarschieren und Anschluß
nach Westen an General von Planzer zu suchen.
#
— 26 —
Ich darf im Namen der O. H. L. ergebenst bitten, Legationsrat Horstmann
zur schärfsten Aufmerksamkeit in Rumänien zu veranlassen, da rumänische Unruhen in
unserm Rücken katastrophal wirken würden.
Ob die von der Ukraine über Konstantinopel nach Bulgarien dirigierte deutsche
Division noch in Bulgarien rechtzeitig eingreifen kann, erscheint fraglich. Immerhin ist
sie für den Schutz Konstantinopels von größtem Wert.
gez. Lersner.
Nr. 7.
Telegramm.
Großes Hauptquartier, den 27. September 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Heute, Donnerstag fruh, habe ich an Grafen Oberndorff gedrahtet:
* Falls Euer Hochgeboren der Ansicht sind, daß deutsche Truppen nach
Sofia gelegt werden müssen, erbitte ich gehorsamst Drahtnachricht.=
Hierauf hat mir Graf Oberndorff geantwortet:
?* Dringendst empfehle ich aus politischen Gründen schleunigst deutsche Truppen
nach Sofia und Umgebung zu entsenden.“
Das Einverständnis Euerer Exzellenz voraussetzend habe ich General Ludendorff
hierauf veranlaßt, folgendes Telegramm an Oberbefehlshaber General von Scholz zu
senden:
„ Anwesenheit deutscher Truppen in Sofia kann Lage in Bulgarien retten. Ich
habe deshalb Befehl gegeben, sämtliche durch Sofia fahrende deutsche Truppen daselbst
auszuladen und an Straße Sofia-Pirot, hart westlich Sofia, zu versammeln. Offiziell
dienen diese Truppen als Rückhalt für die weichende bulgarische Armee), tatsächlich sollen
sie den König gegenüber seiner Regierung schützen. Zur Führung der Truppen bitte ich
Euere Exzellenz sofort den tatkräftigsten deutschen General zur Ubernahme des Kom-
mandos nach Sofia zu entsenden. Er hätte sich sogleich mit der deutschen Gesandtschaft
in Verbindung zu setzen.=
Ich habe von mir aus an Grafen Oberndorff hinzugefügt: „ Voraussichtlich
treffen die deutschen Truppen Freitag, den 27. abends, oder Sonnabend, den 28.) Sofia
ein. Sie werden vorläufig aus zwei Infanterie-Bataillonen, vier Batterien und etwas
Kavallerie bestehen. Hier in Spa sieht man die Lage durchaus hoffnungsfreudig an
und hofft bestimmt, die bulgarische Katastrophe zu verhindern.
Euer Hochgeboren darf ich ergebenst anheimstellen, General Gantschew nach
Euer Hochgeboren Gutdünken von vorstehendem Kenntnis zu geben.“
— 27 —
General Ludendorff bittet Euer Exzellenz, dem Grafen Oberndorf nunmehr
weitere Weisungen zukommen zu lassen und dem Oberst von Massow Kenntnis zu geben.
gez. Lersner.
Nr. 8.
Telegramm.
Aufgenommen O. K. Scholz, den 29. September 1918.
Der Kais. Militärbevollmächtigte an Auswärtiges Amt.
Werde mit General Michael Sawow morgen Sonntag Sofia eintreffen. Er
ist bereits in Fühlung mit dem König und sieht mit Zuversicht seiner nächsten Aufgabe
entgegen, die Regierung zu stürzen und das Heer zu ordnen. Willisen wird mit uns bis
Jagodina reisen.
Massuow.
Nr. 9.
Telegramm.
Sofia, den 30. September 1918.
Bulgarische Regierung hat eben von Ljaptschew telegraphische Mitteilung aus
Saloniki erhalten, daß Waffenstillstand unterzeichnet. Sie hat Mit-
teilung der Bedingungen verlangt.
gez. Oberndorff.
Nr. 10.
Delegramm.
Großes Hauptquartier, den 2. Oktober 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
O. H. L. hat, nachdem ich Euer Exzellenz Telegramm bei General Ludendorff
verwertet habe, an Heeresgruppe Scholz gedrahtet:
„Soweit Lage hier zu übersehen, muß auf jede Hoffnung, Bulgarien politisch
noch weiter an unserer Seite zu halten, verzichtet werden. Die in Altbulgarien befind-
lichen deutschen Truppen sind daher nunmehr. nach rein militärischen Gesichtspunkten zu
verwenden. In den Vordergrund tritt hierbei, der Entente den Weg über Sofia an die
Donaulinie möglichst lange zu sperren. Bahnzerstörungen zunächst nur auf serbischem
Gebiet, auf bulgarischem nur vor unmittelbarem Anmarsch von Ententetruppen. Der
7*
— 28 —
Anschluß unserer Kräftegruppe bei Sofia an unsere Versammlung bei Nisch muß gesichert
bleiben. Gewaltmaßregeln gegen Bulgarien müssen aus politischen Gründen vermieden
werden. Massow ist zu verständigen.«
Stelle gehorsamst anheim, Graf Oberndorff Kenntnis zu geben, damit keine
Unklarheit entsteht.
gez. Lersner.
Vorbereitende Schritte für ein Friedensangebot an
den Präsidenten Wilson. Nr. 11 bis Nr. 20.
Nr. 11.
Telegramm.
(Großes Hauptquartier, den 21. September 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Eigenhändig für Herrn Staatssekretär.
General Ludendorff fragte mich, ob Euere Exzellenz gedächten, durch Fürst
Hohenlohe-Langenburg in Bern an Amerika wegen Friedensverhandlungen heranzu-
treten.
gez. Lersner.
Nr. 12.
Aufzeichnung).
Berlin, 28. September 1918.
Wichtigste Voraussetzung für die Einleitung des Friedens ist die sofortige Bil-
dung einer neuen Regierung auf breiter nationaler Basis auf freie Initiative Seiner
Majestät des Kaisers. Hierzu wäre erwünscht, daß möglichst schon morgen abend ein
Telegramm in Berlin eintrifft, das die Annahme der von Graf Hertling erbetenen
Demission mitteilt und den Vizekanzler von Payer beauftragt, dem Kaiser sofort wegen
der Person des neuen Kanzlers und der Jusammensetzung der neuen Regierung Vor-
schläge zu machen. Das neue Kabinett soll alle Kräfte des Volkes auf breitester
nationaler Grundlage zusammenfassen und der Verteidigung des Vaterlandes nutzbar
machen. Um die Erreichung dieses Jieles zu sichern, soll der Vizekanzler auf ausdrück-
lichen Wunsch des Kaisers das Präsidium des Reichstages und die Parteiführer hören
und im engsten Einvernehmen mit der Volksvertretung seine Vorschläge ausarbeiten.
Die auf diese Weise neu gebildete Regierung würde im gegebenen Moment an
den Präsidenten Wilson heranzutreten haben mit dem Ersuchen
die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen und zu diesem Iwecke
allen kriegführenden Parteien die Entsendung von bevollmächtigten De-
legierten nach Washington vorzuschlagen.
Je nach den Wünschen unserer militärischen Stellen
würde dem Präsidenten nahezulegen sein, die Krieg-
führenden eventuell gleichzeitig zum Abschluß eines so-
fortigen Waffenstillstandes einzuladen. Unsere Aufforderung
an Herrn Wilson wäre von der Erklärung zu begleiten, daß Deutschland, eventuell der
Vierbund, bereit ist, den Friedensverhandlungen als Pro-
gramm die bekannten 14 Punkte des Präsidenten zugrunde
zu legen.
1) Gefertigt im Auswärtigen Amt.
— 30 —
Es dürfte sich empfehlen, unsere Mitteilung auf direktestem Wege an Herrn
Wilson gelangen zu lassen und ihm dabei die Frage der öffentlichen oder geheimen Be-
handlung anheimzustellen. Am zweckmäßigsten wäre wohl, daß einer der kaiserlichen
Gesandten in den neutralen Hauptstädten beauftragt würde, die Mitteilung schriftlich
seinem amerikanischen Kollegen zu übergeben. Die Wahl des neutralen Landes müßte von
der Eignung der in Frage kommenden amerikanischen Vertretung abhängig gemacht
werden. Eine geheime telegraphische Anfrage ergeht dieserhalb heute an die verschiedenen
kaiserlichen Gesandten.
Nr. 13.
Telegramm.
Großes Hauptgquartier, den 29. September 1918,
9 Uhr 40 Min. nachm.
Der Kais. Staatssekretär an Auswärtiges Amt.
Jür Herrn Unterstaatssekretär.
Bitte auf Grund Befehls Seiner Majestät und Justimmung des Herrn
Reichskanzlers in Wien, Konstantinopel vertraulich mitteilen, daß ich vorschlage,
Präsident Wilson Frieden anzubieten auf Grund seiner 14 Punkte und ihn einzu-
laden, Friedenskonferenz nach Washington zu berufen unter Aufforderung zu sofortigem
Waffenstillstand.
Ob Sofia gleiche Mitteilung zur Jeit zu machen ist, hängt von morgigen Nach-
richten ab.
Wenn unsere Verbündeten zustimmen, würde die in Bildung begriffene neue
Reichsregierung den Vorschlag auf geeignete Weise an Präsident Wilson gelangen
lassen, so daß der Vorschlag erst von ihr ausgehen würde.
gez. Hintze.
Nr. 14.
Delegramm.
Berlin, den 29. September 1918
1. Wien.
2. Pera.
Dringend.
Bitte dortiger Regierung vertraulich mitteilen, daß die Kaiserliche Regierung
vorschlägt, Präsident Wilson Frieden anzubieten auf Grund seiner 14 und 4 Punkte
vom 8. Januar und seiner 4 Leitsätze vom 11. Februar und ihn einzuladen, Friedens-
konferenz nach Washington zu berufen unter Aufforderung zu sofortigem Waffenstill.
stand. Wenn unsere Verbündeten zustimmen, würden wir den Vorschlag auf geeignete
Weise an Präsident Wilson gelangen lassen.
Zu Euerer Exzellenz Orientierung und streng vertraulichen Verwertung:
Neue Reichsregierung auf demokratischer Grundlage ist in Bildung begriffen und wird
voraussichtlich morgen konstitniert werden. Sie soll bei Einleitung Friedensaktion im
Amte sein.
Ganz geheim. Prinz Hohenlohe hat erklärt, daß sterreich-Ungarn am Ende
seiner Kräfte und Aussprache mit uns nötig sei. Rifaat Pascha hat im Namen der
Pforte Besprechung unter den Verbündeten über die durch Vorgänge in Bulgarien ge-
schaffene Lage angeregt, die neue Stellungnahme erfordere, und damit auch Friedens-
bedürfnis der Türkei durchblicken lassen. Unsere militärische Lage ist schwierig. In-
wieweit Euere Exzellenz vorstehende Momente zur Begründung unseres Vorschlags
andeutungsweise verwerten wollen, stelle ich Ihrem Ermessen anheim.
Schleunigste Zustimmung dringend erwünscht. Drahtbericht über Annahme
Ihres Schrittes.
Gleiche Weisung ergeht nach Pera und Wien. Sofia wird vorläufig nicht
verständigt.
gez. Unterstaatssekretär von Stunmm.
Nr. 15. 1
Berlin, den 30. September 1918.
Sofia. Dringend.
Ganz geheim. Jur ausschließlichen persönlichen streng vertraulichen Orien-
tierung.
Gesamte Lage zwingt uns baldigst mit Friedensangebot an Amerika heran-
zutreten.
gez. von Hintze.
Nr. 16.
Telegramm.
Wien, 30. September 1918, 4 Uhr 30 Min.
Der Kais. Botschafter an Auswärtiges Amt.
Nach Auftrag ausgeführt. Graf Burian war nicht überrascht, erblickte
Ursache Vorschlags in Abfall Bulgariens, schwieriger Lage der Türkei und vor allem
im Inhalt der durch Botschafter Prinz Hohenlohe überbrachten Mitteilung"). Ich habe
hinzugefügt, daß Eile erwünscht sei, wenn man sich aus diesen Gründen zu solchem
Schritt entschließe, da bei den schweren Kämpfen an der Westfront weitere Opfer
möglichst vermieden werden sollten. Graf Burian erklärte, daß wir grundsätzlich auf
Annahme unseres Vorschlages rechnen könnten. Doch könne er mir formelle Antwort
erst heute abend, vielleicht erst morgen geben, da er Justimmung Kaisers und nach
Verfassung Ministerpräsidenten einholen müsse. Bedenken erhob Burian gegen Vor-
schlag der Abhaltung der Konferenz in Washington. Abgesehen von den technischen
Schwierigkeiten bei der großen Entfernung, befürchte er für uns ungünstige Atmo-
sphäre. Diese Bedenken wiege das Kompliment für Präsident Wilson nicht auf Er
glaubt, wir sollen Haag vorschlagen und nur, wenn es sich nicht vermeiden läßt,
Washington annehmen.
gez. Wedel.
1) Zu vergl. oben Nr. 14.
– 32
Nr. 17.
Telegramm.
Großes Hauptquartier, 30. September 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Oberste Heeresleitung bittet von allen Veröffentlichungen über unseren
Friedensschritt Kenntnis zu erhalten, damit sie die Armee rechtzeitig benachrichtigen
kann. Es besteht sonst Gefahr, daß Demoralisation eintritt.
gez. Lersner.
Nr. 18.
Telegramm.
Berlin den 30. September 1918.
Gesandter Bern.
Es handelt sich um sofortiges offizielles Friedensangebot an Wilson auf
Grundlage der sämtlichen von diesem aufgestellten PLunkte.
Bitte umgehende Außerung, ob 1. bei Ubermittlung durch Schweizer Regierung
vorzeitige Indiskretion gegenüber Entente zu befürchten, 2. zutreffendenfalls, ob Schweizer
Regierung ernstlich Anstoß nehmen würde, falls wir uns nicht Vermittlung Schutzmacht
sondern anderer neutraler Regierung (Holland, Dänemark) bedienten.
gez. von Stumm.
Nr. 19.
Telephongespräch
des Legationssekretärs Dr. Jordan, Berlin (Auswärtiges Amt), mit Prinz Erbach
und Graf Wedel „Wien (Deutsche Gesandtschaft), 1. Oktober 1918.
Jordan: „ Hier Jordan. Exzellenz Stumm beauftragt mich mitzuteilen, daß es
unbedingt erforderlich sei, nicht nur prinzipielle Annahme unseres Vorschlags, sondern
auch formelle Antwort bereits heute mittag in Berlin zu haben, da Schritt noch heute
unternommen werden soll. Verhandlungsort sei von sekundärer Bedeutung. Wa-
sbington solle zunächst nur aus Höflichkeitsgründen vorgeschlagen werden, ohne dadurch
Möglichkeit anderen Ortes auszuschließen. Wir müssen unter allen Umständen Ant-
wort bis heute Mittag haben. Vielleicht ist die verfassungsmäßige Justimmung in-
zwischen schon eingetroffen Bitte hiermit sofort zu Herrn Botschafter zu gehen, ich
bleibe am Apparat.
Wedel: „ Hier Botschafter Graf Wedel. Regierung prinzipiell einver-
standen, kann aber Zustimmung zur Ausführung erst geben, wenn sie die Modalitäten
keunt und billigt. Graf Burian erklärt, er könne sich nicht mit gebundenen Augen aus-
liefern, zumal er hier doch auch Rede und Anwort stehen müsse. Hiesige Regierung
wollte den Schritt drüben auch machen. Prinz Hohenlohe habe ihm kurz gemeldet, daß
der Schritt durch-einen Amerikaner gemacht werden sollte, er habe angenommen, daß
er durch die Schutzmächte ausgeführt werden solle. Mit diplomatischen Geheimmitteln
werde man sich nach seiner Uberzeugung einer Ablehnung oder einer sehr unangenehmen
in unseren inneren Verhältnisse eingreifenden Antwort aussetzen, es sei denn, daß wir
kereits durch einen von drüben kommenden Wink dagegen gesichert seien. Dann müsse
er um Orientierung darüber bitten. Er habe auch geglaubt, daß die neue Regierung
den Schritt tun werde, die alte würde nach seiner Uberzeugung eine ablehnende Antwort
erhalten. Er bitte, Prinz Hohenlohe genau zu orientieren, wie die Sache behande#lt
werden solle, um dann Stellung nehmen zu können. Bis dahin könne Regierung nur
dem Prinzip, aber nicht der ihr noch unbekannten Ausführung zustimmen. Bitte Ant-
wort.
Jordan: Darf gehorsamst vorschlagen: Drahtverbindung aufrecht zu
erhalten, um Eurer Exzellenz gegebenenfalls hiesige Auffassung sofort melden zu können.
Der Herr Staatssekretär wird jetzt mit Prinz Hohenlohe sprechen. Uber Unterredung
werden Euer Exzellenz noch benachrichtigt. Staatssekretär bittet, inzwischen nochmals
Angelegenheit bei Graf Burian zu betreiben.
Nr. 20.
Telegramm.
Wedel, Wien.
Berlin, den 1. Oktober 1918.
Wir haben Gedanken, Demarche durch Amerikaner machen zu lassen, aufge-
geben, und beabsichtigen durch die schweizerische Regierung als unsere Schutzmacht an
Mäsident Wilson heranzutreten.
Sobald die neue Regierung gebildet ist, soll der Kaiserliche Gesandte in Berr
folgende Instruktion erhalten:
? Bitte dortiger Regierung sofort folgende Note zu übergeben: Der unter-
zeichnete Kaiserliche Gesandte ist beauftragt und hat die Ehre, die Eidgenössische Re-
gierung zu ersuchen, den Herrn Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika tele-
graphisch wissen zu lassen, daß die Kaiserliche Regierung den Präsidenten Wilson bittet,
die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen, und zu diesem Lwecke Bevoll-
mächtigte aller kriegführenden Staaten nach Washington einzuladen. Die Kaiserliche
Regierung verbindet damit die Anregung, den Kriegführenden den Abschluß eines so-
fortigen allgemeinen Waffenstillstandes auf allen Fronten vorzuschlagen. Sie erklärt,
daß sie die in der Bolschaft des Präsidenten vom 8. Januar niedergelegten 14 Punkte
und die in der Botschaft vom 11. Februar aufgestellten 4 Leitsätze als Grundlage für
die Friedensverhandlungen annimmt.
Eventuelle Richtigstellung Formalien Ew. pp. überlassen. Bitte Wortlaut
übergebener Note sofort drahten und mit allen Mitteln darauf dringen, daß die schwei-
zerische Regierung mit größter Beschleunigung handelt und einstweilen unbedingte Dis-
kretion wahrt. Drahtbericht über Ausführung und Aufnahme.
Euer Exzellenz wollen Wortlaut Graf Burian unverzüglich mitteilen. UÜber
Zeitpunkt der Ausführung unserer Demarche erhalten Sie rechtzeitig Kenntnis, damit
unser Schritt und der des Wiener Kabinetts möglichst gleichzeitig erfolgt.
gez. Hintze.
Drüngen der Obersten Heeresleitung auf sofortige
Absendung des Friedensangebots. Erste deutsche
Note und anschließende Aktenstücke. Nr. 21 bis Nr. 36.
Nr. 21.
Delegramm.
Großes Hauptquartier den 1. Oktober 1918, 1 Uhr nachm.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
General Ludendorff bat soeben Freiherr von Grünau und mich in Gegenwart
von Oberst Heye, Euer Exzellenz seine dringende Bitte zu übermit-
telndaß unser Friedensangebot sofort hinausgeht. Heute
haltedie Truppe, wasmorgengeschehenkönne seinicht vor-
auszusehen.
Ich habe darauf hingewiesen, daß es doch nichts an unserer Lage ändern könne,
ob unser Angebot heute oder in den nächsten Tagen erfolge. Baron Grünau wird
Euer Exzellenz gleichfalls später drahten, daß er noch mit Seiner Majestät Rücksprache
nehmen wird.
gez. Lersner.
Nr. 22.
Großes Hauptquartier, 1. Oktober 1918, 1 Uhr 30 nachm.
An
Major Frhr. v. d. Bussche
für den Vizekanzler von Payer.
Wenn bis heute abend 7 bis 8 Uhr Sicherheit vorhanden ist, daß Prinz Mar
von Baden die Regierung bildet, so bin ich mit dem Aufschub bis morgen vormittag
einverslanden.
Sollte dagegen die Bildung der Regierung irgendwie zweifelhaft sein, so halte
ich die Ausgabe der Erklärung an die fremden Regierungen heute nacht für geboten.
gez. von Hindenburg.
Notiz übergeben 1. Oktober 2 Uhr nachm.
An Exzellenz von Payer.
gez. v. d. Bussche.
Nr. 23.
Delegramm.
Großes Hauptquartier den 1. Oktober 1918, 2 Uhr nachm.
Der Kais. Wirkliche Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Geheim.
General Ludendorff sagte mir eben in Gegenwart von Oberst Heye und Lersner,
Euerer Exzellenz seine dringende Bitte zu übermitteln, das Friedensangebot sofort hin-
— 35 —
ausgehen zu lassen und damit nicht erst bis zur Bildung der neuen
Regierung zu warten die sich verzögern könne.
Heute hielte die Truppe noch und wir seien noch in einer würdigen Lage, e s
könne aber jeden Augenblick ein Durchbruch erfolgen und
dann käme unser Angebot im allerungünstigsten Moment.
Er käme sich vor wie ein Hasardspieler" und es könne
jederzeit irgendwo eine Division versagen.
Ich habe den Eindruck, daß man hier völlig die Nerven verloren hat, und möchte
glauben, daß wir schlimmstenfalls nach außen hin den Schritt mit der Haltung Bul-
gariens begründen können.
Grünau.
Nr. 24.
Delegramm.
Großes Haurtquartier den 1. Oktober 1918, 2 Uhr 25 Minuten.
Der Kais. Wirkliche Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Dringend.
Seine Majestät sind mit Euer Exzellenz der Meinung, daß fraglicher Schritt
erst durch neue Regierung erfolgen soll.
Grünau.
Nr. 25.
Telegramm.
Berlin, den 1. Oktober 1918, 7 Uhr 20 nachm.
1. Grünau.
2. Lersuner.
Bildung neuer Regierung voraussichtlich heute 1. Oktober nachts. Dann kann
Angebot sofort in derselben Nacht hinausgehen. Militärische Lage ist
stärkstes Druckmittel gegenüber unsinnigen und an-
spruchsvollen Parteien.
gez. von Hintze.
Nr. 26.
Delegramm.
Großes Hauptguartier den 1. Oktober 1918, 9 Uhr 45 Min.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
General Ludendorff bittet, ihm baldigst Wortlaut unseres Friedensangebotes
mitzuteilen, ferner, wann es an Wilson abgeht. Er bittet, Friedensangebot auch den
andern feindlichen Mächten mitzuteilen.
97
— 36 —
Im Angebot müßte Aufforderung an Feinde stehen,
Ort für Waffenstillstandsverhandlungen an der Front zu
bestimmen. Waffenstillstandskommission: General von Beseler, Oberst von Win-
terfeld, Major Brinkmann, Major von Harbon, ein Hauptmann, zwei Seeoffiziere, ein
Vertreter des Auswärtigen Amtes, voraussichtlich Zeki Pascha und Feldmarschalleutnant
Baron Klepsch.
Sollten die Waffenstillstandsverhandlungen sofort beginnen, würde ich, Euerer
Exzellenz Einverständnis voraussetzend, als Vertreter des Auswärtigen Amtes mit-
fahren, bis Euere Exzellenz einen Herrn bestimmt haben.
Vollmachten für Soldaten wird Feldmarschall ausstellen, für Zivil wohl der
Herr Reichskanzler.
gez. Lersner.
Nr. 27.
Delegramm.
Großes Hauptquartier, den 1. Oktober 1918,
aufgegeben 2. Oktober, 12 Uhr 10 Min. vorm.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
General Ludendorff erklärte mir, daß unser Angebot von Bern aus sofort
nach Washington weitergehen müsse. 48 Stunden könne die Armee nicht
noch warten. Er (Wort fehlt, wohl bäte -) Euere Exzellenz dringendst, alles zu
tun, damit das Angebot auf allerschnellste Weise durchkäme.
Ich wies deutlich darauf hin, daß der Feind trotz aller Beschleunigung kaum
vor Ablauf einer Woche antworten werde. Der General betonte, daß alles dar.
auf ankäme, daß das Angebot spätestens Mittwoch Nacht oder Donnerstag früh
in Händen der Entente sei und bittet Euere Exzellenz alle Hebel dafür in Bewegung zu
setzen. Er glaube, daß zur Beschleunigung vielleicht die Note von der schweizerischen
Regierung durch Funkspruch von Nauen an den Adressaten mit Schweizer Chiffre ge-
geben werden könne. Z„
gez. Lersner.
Nr. 28.
Vortrag des Vertreters der O. H. L.
Major Frhr. von dem Bussche
vor den Parteiführern des Reichstags am 2. Oktober 1918 vormittags.
Die militärische Lage vor den letzten großen Ereignissen ist durch General
Wrisberg bekanntgegeben. In wenigen Tagen hat sie sich grundlegend geändert.
Der Zusammenbruch der bulgarischen Front warf unsre Dispositionen über
den Haufen. Die Verbindung nach Konstantinopel war bedroht, ebenso der für unsre
Versorgung unentbehrliche Schiffahrtsweg auf der Donau. Wir waren gezwungen,
wollten wir der Entente nicht völlig freie Hand auf dem Balkan lassen, das Schwarze
— 37 —
Meer und Rumänien preiszugeben, deutsche und für die Westfront bestimmte öster-
reichisch-ungarische Divisionen einzusetzen. Schnellster Entschluß war nötig. Die An-
fänge unfrer Truppe sind ausgeladen. Es besteht begründete Hoffnung, die Lage auf
dem Balkan, soweit es für unsere Interessen nötig ist, wiederherzustellen, leider) wie ich
ausführen werde, nicht ohne schwerwiegenden Schaden für die Gesamtlage.
Fast gleichzeitig mit der Offensive in Mazedonien setzten gewaltige Angriffe im
Westen ein. Sie fanden uns nicht unvorbereitet. Alle Maßnahmen, sie abzuwehren,
waren getroffen. Ostdivisionen zum Freimachen von erprobten Westdivisionen waren im
Anrollen. Leider mußte ein Teil von ihnen nach dem Balkan abgedreht werden. Der
letzte wehrfähige Mann aus dem Osten war herangezogen. Wir sahen mit Ruhe dem
Entscheidungskampf entgegen. An welchen Stellen der Front die Angriffe einsetzen
würden, verstand die Entente geschickt zu verschleiern. Vom Meere bis zur Schweiz
zeigten sich Angriffsvorbereitungen, am stärksten gegen Lothringen und den Sundgau.
Wir waren gezwungen, unsere Reserven zu verteilen und die ganze Front mehr oder
weniger abwehrbereit zu halten. Namhafte Kräfte mußten besonders in Lothringen und
dem Sundgau zum Schutz deutschen Bodens bereitgestellt werden.
Nach Durchführung der erforderlichen Bewegungen bestand die sichere Zuver-
sicht, die bevorstehenden Schlachten siegreich zu bestehen und den Vernichtungswillen
unserer Gegner durch ihre zu erwartenden großen Verluste zu brechen.
In der Folge gelang es überall, den Feind da, wo er durch Tanks, Uberraschung
oder lbermacht in unsere Linie eingedrungen war) aufzuhalten, seinen Stoß durch recht-
zeitig herangeführte Reserven aufzufangen. Die Kämpfe der letzten sechs Tage sind trotz
Einbuße an Gefangenen und Gerät siegreich bestanden. Der Gegner hat im Vergleich
mit unsren Erfolgen in den Frühjahrsoffensiven geringe Fortschritte erzielt. In den
meisten Stellen sind seine mit ungewöhnlicher Zähigkeit fortgesetzten Stürme abgewiesen.
Nach Meldung unsrer Truppen hat er schwerste Verluste erlitten.
Unsere Truppen haben sich in überwiegender Hahl vortrefflich geschlagen und
lUbermenschliches geleistet. Der alte Heldensinn ist nicht verlorengegangen. Die feind-
liche Ubermacht hat die Truppe nicht erschreckt. Offiziere und Mann wetteifern mit-
einander.
Trotzdem mußte die O. H. L. den ungeheuer schweren Entschluß fassen, zu
erklären, daß nach menschlichem Ermessen keine Aussicht mehr
besteht, dem Feinde den Frieden aufzuzwingen.
Entscheidend für diesen Ausgang sind vor allem zwei Tatsachen: die Tanks.
Der Gegner setzte sie in unerwartet großen Mengen ein. Wo sie, noch dazu nach sehr
ausgiebiger Vernebelung unfrer Stellungen, überraschend auftraten, waren ihnen häufig
die Nerven unsrer Leute nicht mehr gewachsen. Dort brachen sie durch unfre vordersten
Linien durch, bahnten ihrer Infanterie den Weg, erschienen im Rücken, erzeugten örtliche
Paniken und brachten die Gefechtsführung durcheinander. Waren sie erst erkannt,
wurden unsre Tankabwehrwaffen und unfre Artillerie schnell mit ihnen fertig. Dann
war aber das Unglück schon geschehen, und lediglich aus den Erfolgen der Tanks sind die
hohen Gefangenenzahlen, die unfre Stärken so empfindlich herabsetzten und einen
schnelleren Verbrauch der Reserven als bisher gewohnt herbeiführten, zu erklären.
Dem Feind gleiche Massen deutscher Tanks entgegenzustellen, waren wir nicht in
der Lage. Sie herzustellen, ging über die Kräfte unfrer aufs äußerste angespannten
Industrie, oder andre, wichtigere Dinge hätten liegen bleiben müssen.
Restlos entscheidend ist die Ersatzlage geworden. Das Heer ist in die große
Schlacht mit schwachen Beständen gegangen. Trotz aller Maßnahmen sanken die Stärken
10
unsrer Bataillone von rund 800 im April auf rund 540 Ende September. Auch diese
Zahl ließ sich nur durch Auflösen von 22 Infanterie-Divisionen — 66 Infanterie-
Regimentern halten.
Die bulgarische Niederlage fraß weitere sieben Divisionen. Es besteht keine
Aussicht, die Stärken auf größere Höhen zu bringen. Der laufende Ersatz, Wieder-
genesene, Ausgekämmte, wird nicht einmal die Verluste eines ruhigen Winterfeldzuges
decken. Nur die Einstellung des Jahrganges 1900 wird die Bataillonsstärken einmalig
um 100 Köpfe erhöhen. Dann ist unsere letzte Menschenreserve verbraucht.
Die Verluste der im Gange befindlichen Schlacht sind, wie gesagt, über
Erwarten groß, besonders an Offizieren. Das ist ausschlaggebend. Die Truppe ver—
langt mehr denn je, soll sie halten oder angreifen, das Beispiel ihrer Offiziere. Die
Offiziere mußten und haben sich rückhaltslos eingesetzt und geopfert. Die Regiments-
kommandeure und höheren Führer kämpften mit in den vordersten Linien. Nur ein
Beispiel: Eine Division verlor in zwei Kampftagen ihre sämtlichen Offiziere, tot oder
verwundet, drei Regimentskommandeure tot. Der geringe noch vorhandene Stamm
an aktiven Offizieren ist zusammengeschmolzen. Der Aufbau der aus dem Großkampf
kommenden Divisionen ist kaum noch durchführbar. Das gleiche wie vom Offizier= gilt
vom Unteroffizierkorpgs. Der Feind ist durch die amerikanische
Hilfe in der Lage, seine Verluste zu ersetzen. Die amerika-
nischen Truppen als solche sind nicht von besonderem Wert oder gar den unserigen über-
legen. Wo sie durch Masseneinsatz anfängliche Erfolge erzielten, wurden sie trotz ihrer
Übermacht abgewehrt. Entscheidend wurde aber, daß sie weite Frontstrecken übernehmen
konnten und dadurch dem Engländer und Franzosen die Möglichkeit gaben, eigene
kampfgewohnte Divisionen freizumachen und sich fast unerschöpfliche Reserven zu schaffen.
Bis jetzt reichten unsere Reserven aus, um die Lücken zu füllen. Die Eisenbahn
brachte sie rechtzeitig heran. Unerhört schwere Anstürme wurden abgewiesen. Die
Kämpfe wurden als von bisher nicht dagewesener Schwere geschildert. Nun gehen
unsre Reserven zu Ende. Greift der Gegner weiter an, so kann es die Lage fordern,
daß wir auf großen Frontstrecken kämpfend ausweichen. Wir können auf diese Art den
Krieg noch auf absehbare Jeit weiterführen, dem Gegner schwere Verluste beibringen,
verwüstetes Land hinterlassen, gewinnen können wir damit nicht mehr.
Diese Erkenntnisse und Ereignisse ließen in dem Generalfeldmarschall und
General Ludendorff den Entschluß reifen, S. M. dem Kaiser vorzuschlagen, zu ver-
suchen, den Kampf abzubrechen, um dem deutschen Volk und seinen Verbündeten weitere
Opfer zu ersparen.
Ebenso wie unfre große Offensive vom 15. Juli sofort eingestellt wurde, als
ihre Fortführung nicht mehr im Verhältnis zu den zu bringenden Opfern stand, ebenso
mußte jetzt der Entschluß gefaßt werden, die Fortsetzung des Krieges als aussichtslos
aufzugeben. Noch ist hierzu Jeit. Noch ist das deutsche Heer stark genug, um den
Gegner monatelang aufzuhalten, örtliche Erfolge zu erringen und die Entente vor neue
Opfer zu stellen. Aber jeder Tag weiter bringt den Gegner seinem Jiel näher und wird
ihn weniger geneigt machen, mit uns einen für uns erträglichen Frieden zu schließen.
Deshalb darf keine Jeit verlorengehen. Jede 24 Stunden können die Lage ver-
schlechtern und dem Gegner Gelegenheit geben, unsre augenblickliche Schwäche klar
zu erkennen.
Das könnte die unheilvollsten Folgen für die Friedensaussichten wie für die
militärische Lage haben.
— 39 —
Weder Heer noch Heimat dürfen irgend etwas tun, was Schwäche erkennen ließe.
Im Gegenteil, Heimat und Heer müssen noch fester als bisher zusammenhalten. Gleich-
zeitig mit dem Friedensangebot muß eine geschlossene Front in der Heimat erstehen, die
erkennen läßt, daß der unbeugsame Wille besteht, den Krieg fortzusetzen, wenn der Feind
uns keinen Frieden oder nur einen demütigenden Frieden geben will.
Sollte dieser Fall eintreten, dann wird das Durchhalten des Heeres entscheidend
von der festen Haltung der Heimat und dem Geist, der aus der Heimat zum Heere
dringt, abhängen.
Nr. 29.
Telephonische Mitteilung
von General Ludendorff an den Vizekanzler v. Payer,
aufgenommen von Frhr. v. d. Bussche am 2. Oktober 1918, 12 Uhr 20 nachm.
Aus dem Inhalt der beabsichtigten Friedensnote ist mir nur bekannt:
»Daß die 14 Punkte der Wilsonschen Note als Grundlage für die
Friedensbesprechungen dienen sollen, nicht aber als vom Feinde auferlegte
Bedingungen gelten sollen.=
Soweit habe ich mich einverstanden erklärt. Nachdem aber gesagt ist, die
O. H. L. sei mit dem ganzen Inhalt der Note einverstanden, bitte ich um Mitteilung der
Note vor ihrer Herausgabe, um dazu Stellung nehmen zu können.
Nr. 30.
Delephon-Gespräch
zwischen dem Legationsrat von Lersner (Großes Hauptquartier) und dem Legations-
sekretär Dr. Jordan (Auswärtiges Amt), 2. Oktober 1918, 2 Uhr 40 Minuten
nachmittags.
* Hier Legationsrat von Lersner. Bitte sofort dringend Herrn Legationssekretär
Dr. Jordan zum Apparat. General Ludendorff schlägt folgenden
Wortlaut vor:
? Die deutsche Regierung ersucht den Päsidenten der Vereinigten Staaten von
Amerika, die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen und zu diesem Zweck Be-
vollmächtigte aller kriegführenden Staaten einzuladen.
Sie erklärt sich damit einverstanden, daß die vom Präsidenten der Vereinigten
Staaten von Amerika in der Kongreß-Botschaft vom 8. Januar 1918 und in seinen
späteren Kundgebungen aufgestellten Programmpunkte als Grundlage für die Friedens-
verhandlungen dienen.
Im Anschluß hieran schlägt die deutsche Regierung den Abschluß eines Waffen-
Uillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft vor und ersucht den Präsidenten der
Vereinigten Staaten von Amerika den Waffenstillstand, um weiteres Blutvergießen zu
vermeiden, schon jetzt herbeizuführen.
General Ludendorff fragt weiter:
1. Warum sind Österreich-Ungarn und Türkei nicht (Wort fehlt)!
2. Die O. H. L. setzt voraus, daß es sich nur um die bekannten 14 plus
4 Programmpunkte Wilsons handelt.
gez. Lersner.
— 40 —
Nr. 31.
Telegramm.
Großes Hauptquartier den 3. Oktober 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
General Ludendorff bitte um Mitteilung unserer Friedensnote.
gez. Lersner.
Nr. 32.
Telegramm.
Berlin , den 3. Oktober 1918.
Dringend.
Bevor ich mich über die Einleitung der von der O. H. L. gewünschten Friedens-
altion schlüssig mache, beehre ich mich, Euere Exzellenz um Stellungnahme zu folgenden
Fragen zu bitten:
1. Wie lange kann die Armee den Feind noch jenseits der deutschen Grenze
halten?
2. Muß die O. H. L. einen militärischen Lusammenbruch erwarten und be-
jahendenfalls in welcher Jeit? Würde der Zusammenbruch das Ende
unserer militärischen Widerstandskraft bedeuten?
3. Ist die militärische Lage so kritisch, daß sofort eine Aktion mit dem Ziel
Waffenstillstand und Friede eingeleitet werden muß?!
4. Für den Fall), daß die Frage zu 3 bejaht wird, ist die O. H. L. sich be-
wußt, daß die Einleitung einer Friedensaktion unter dem Druck der mili-
tärischen Owangslage zum Verlust deutscher Kolonien und deutschen Ge-
biets, namentlich Elsaß-Lothringens und rein polnischer Kreise der östlichen
Provinzen führen kann?
5. Ist die O. H. L. mit Absendung des anliegenden Notenentwurfs einver-
standen?
Euerer Exzellenz wäre ich für sofortige Antwort dankbar.
gez. Prinz Max Reichskanzler.
Seine Exzellenz dem Chef des Generalstabes des Feldheeres
Herrn Generalfeldmarschall von Hindenburg,
hier.
Nr. 33.
Chef des Generalstabes Berlin, den 3. Oktober 1918.
des Feldheeres.
An den
Herrn Reichskanzler.
Die Oberste Heeresleitung bleibt aufihrer am Sonn-
tag, den 29. September d. J. gestellten Forderung der so-
— 41 —
fortigen Herausgabe des Friedensangebotes an unsere
Feinde bestehen.
Infolge des Zusammenbruchs der mazedonischen Front, der dadurch notwendig
gewordenen Schwächung unserer Westreserven und infolge der Unmöglichkeit, die in den
Schlachten der letzten Tage eingetretenen sehr erheblichen Verluste zu ergänzen, besteht
nach menschlichem Ermessen keine Aussicht mehr, dem Feinde den Frieden aufzuzwingen.
Der Gegner seinerseits führt ständig neue, frische Reserven in die Schlacht.
Noch steht das deutsche Heer festgefügt und wehrt siegreich alle Angriffe ab.
Die Lageverschärftsich aber täglich, und kann die Oberste
Heeresleitung zu schwerwiegenden Entschlüssen zwingen.
Unter diesen Umständen ist es geboten, den Kampf abzubrechen, um dem deut-
schen Volke und seinen Verbündeten nutzlose Opfer zu ersparen. Jeder versäumte
Tagkostet Tausendenvontapferen Soldaten das Leben.
gez. von Hindenburg Generalfeldmarschall.
Nr. 34.
Die erste deutsche Note an den Präsidenten Wilson
vom 3. Oktober 1918.
Die deutsche Regierung ersucht den Präsidenten der Vereinigten Staaten von
Amerika, die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen, alle kriegführenden
Staaten von diesem Ersuchen in Kenntnis zu setzen und sie zur Entsendung von Bevoll-
mächtigten zwecks Anbahnung von Verhandlungen einzuladen. Sie nimmt das von dem
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Kongreßbotschaft vom 8. Ja-
nuar 1918 und in seinen späteren Kundgebungen, namentlich der Rede vom 27. Sep.
tember aufgestellte Drogramm als Grundlage für die Friedensverhandlungen an.
Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deutsche Regierung den
sofortigen Abschluß eines Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in den Luft herbei.
zuführen. . · «
gez. Max, Prinzvon Baden.
Reichskanzler.
Nr. 35.
Besprechung beim Reichskanzler.
Berlin den 6. Oktober 1918
Auszug.
Anwesend:
Reichskanzler,
Graf Rödern,
von Payer,
Erzberger!
Groeber,
Scheidemann,
Solf,
Radowitz,
Deutelmoser!
Lewald.
L
42 —
Besprechung der Notee.
Reichskanzler: Ich habe gegen Note gekämpft. Erstens, weil ich Moment für
verfrüht hielt, zweitens, weil ich an Feind im allgemeinen mich wenden wollte.
Jetzt müssen wir Konsequenzen in Ruhe überlegen. Jetzt muß
1. Lage an der Front festgestellt werden, und zwar durch gewiegte Offiziere,
2. Botschafterkonferenz. Beste Köpfe über England und Amerika hören.
Solf: Haeften!) sagt, daß Ludendorff Kommission als Miß-
trauen betrachte und Abschied nehmen würde. Das würde Abschied Hinden-
burgs nach sich ziehen.
Rödern glaubt, daß Mißtrauen Ludendorffs sich vermeiden läßt.
Reichskanzler: Armee führer müssen gehört werden. Hoffe
im Gespräch mit Seiner Majestät Möglichkeit dazu zu finden.
Payer: Nötig Weg zu finden. Wir müssen neben Ludendorff auch noch andere
Leute hören. Ludendorffs Nerven nicht mehr zuverlässig.
Solf und Erzberger derselben Ansicht.
(Folgt Beratung anderer Fragen.)
Nr. 36.
Berlin, den 8. Oktober 1918.
An den
tit. Ludendorff
Hier.
Die Antwort des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika auf unser
Friedens- und Waffenstillstandsersuchen wird voraussichtlich weder in einer glatten An-
nahme noch in einer glatten Ablehnung bestehen, sondern sie wird Bedingungen nennen,
von denen der Präsident sein Vorgehen abhängig macht.
Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, daß diese Bedingungen schwer sind.
Wir werden alsovor die Frage gestellt, ob unsere militärische Lage es uns gestattet, durch
Verhandlungen eine Milderung der Bedingungen anzustreben auf die Gefahr hin, daß
darüber eine Reihe von Wochen vergeht, OÖsterreich-Ungarn und die Türkei sich von uns
trennen und wir die Bedingungen des Präffdenten schließlich doch in ihrer ursprünglichen
Form annehmen müssen.
Um mir ein Bild über unsere militärische Lage machen zu können, wäre ich
Euer Exzellenz für umgehende Beantwortung folgender Fragen dankbar:
1. Wie lange kann die Armee den Feind jenseits der deutschen Grenzen balten, sei
es in den jetzigen Stellungen, sei es in allmählicher Rückwärtsbewegung!
2. Muß auch heute noch mit der Möglichkeit eines militärischen LZusammenbruchs
vor dem Frühjahr gerechnet werden und, bejahendenfalls, besteht diese Gefahr
schon für die nächsten drei bis vier Wochen?
1) Vertreter der O. H. L. im Auswärtigen Amt und beim Reichskanzler.
*) Antwort sirhe unter Nr. 38 und unter Nr. 13.
r
43 —
.Wie lange wird der augenblickliche kritische Justand voraussichtlich noch dauern?
Isi der Gefahrpunkt überschritten, wenn der Feind sich zur Einstellung seiner
Großangriffe genötigt sicht, und wann wird dies voraussichtlich der Fall sein?
Kann nach Uberwindung des Gefahrpunktes auf Konsolidierung unserer Front
gerechnet werden und durch welche Mittel kann sie erreicht werden?
Wie liegen die Verhältnisse des Mannschafts= und Materialersatzes?
Kann beim Scheitern der gegenwärtigen Friedensaktion trotz des Abfalls eines
der beiden uns noch verbliebenen Bundesgenossen der Krieg von uns allein bis
zum Frühjahr fortgeführt werden?
Verspricht sich die Oberste Heeresleitung einen ausreichenden Kräftezuwachs von
der leyéke en masse, wie von Walter Rathenau in der Vossischen Zeitung
empfohlen ist?
Nach den bisher eingegangenen Nachrichten erscheint es nicht ausgeschlossen, daß
Präsident Wilson als Vorbedingung für den Eintritt in die Verhandlungen die Räu-
mmung Belgiens und Nordfrankreichs fordern wird; es fragt sich daher weiter:
1.
Würde die Oberste Heeresleitung empfehlen, daß wir eine solche Forderung be.
dingungslos annehmen oder daß wir sie mit Gegenbedingungen beantworten?
Falls die militärische Lage unter den obenangeführten Gesichtspunkten einen
Jeitverlust durch Verhandlungen zuläßt, kämen als Gegenbedingungen in Frage:
a) die von Frankreich und England besetzten Gebiete Oberelsaß (eventuell
auch die deutschen Kolonien) sind gleichfalls zu räumen.
b) Garantien sind dafür zu leisten, daß der Feind uns nicht folgt. Eventuell
könnte gefordert werden, daß die von uns geräumten französischen Gebiete
nur von amerikanischen Truppen besetzt werden und daß Velgien nur von
belgischen Truppen betreten, seine Neutralität von allen Kriegführenden
geachtet, und der belgische Boden nicht wieder zum Kriegsschauplatz ge-
macht wird.
I) Crklärung unsererseits, daß wir, um die Verschlechterung unserer strategi-
schen Lage im Westen auszuhleichen, unsere Truppen auch aus den von uns
besetzten Gebieten im Osten (Baltikum, Litauen, Polen und Ukraine) zu-
rücknehmen müßten, was diese Gebiete dann dem Bolschewismus aus-
liefern würde.
. Innerhalb welcher Zeit könnte die Räumung von Nordfrankreich und Belgien
durchgeführt werden, wenn sie mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandes be-
ginnt? . «
.WerdenwirnachderRänmungmitdcnunsnochzurBerfügungstehenden
Kräften in der Lage sein, die deutsch-französische Grenze zu halten, falls im wei—
teren Verlauf die Friedensverhandlungen scheitern und die Gegner von neuem
zum Angriff übergehen?
Püäsident Wilson könnte mit der Begründung, daß er Sicherheiten braucht, die
Besetzung deutscher Festungen an unserer Westgrenze fordern.
1.
2
Würden wir angesichts der militärischen Lage gezwungen sein, eine solche For-
derung anzunehmen?
Inwieweit würde die Annahme der Forderungen von Gegenbedingungen ab-
bängig zu machen sein?
Prinz Max von Baden
Reichskanzler.=
Ils
Von der ersten Antwort Wilsons
bis zur Erwiderung darauf. Nr. 37 bis Nr. 47.
Nr. 37.
Wilsons erste Antwort.
Staatsdepartement, 8. Oktober 1918.
Mein Herrl! Ich habe die Ehre, im Namen des Präsidenten den Empfang
Ihrer Note vom 6. Oktober zu bestätigen, die die Mitteilung der deutschen Regierung
an den Präsidenten einschloß, und ich bin von dem Präsidenten beauftragt, Sie zu
bitten, dem deutschen Reichskanzler folgende Mittelung zu machen:
Ehe er auf das Ansuchen der Kaiserlich Deutschen Regierung antwortet und
damit die Antwort so richtig und gradsinnig erteilt wird, wie die wichtigen Interessen,
die darin eingeschlossen sind, es erfordern, hält der Präsident der Vereinigten Staaten es
für notwendig, sich des genauen Sinnes der Note des Reichskanzlers zu versichern.
Meint der Herr Reichskanzler, daß die Kaiserlich Deutsche Regierung die Be-
dingungen, die vom Präsidenten in seiner Botschaft an den Kongreß der Vereinigten
Staaten vom 8. Januar und in den folgenden Botschaften niedergelegt worden sind,
annimmt und daß ihr Zweck beim Eintritt in die Diskussion nur der sein würde, sich
über die praktischen Einzelheiten ihrer Anwendung zu verständigen?
Der Präsident der Vereinigten Staaten fühlt sich verpflichtet, zu dem Vor-
schlage eines Waffenstillstandes zu erklären, daß er sich nicht berechtigt fühlen würde,
den Regierungen, mit denen die Vereinigten Staaten gegen die Mittelmächte verbunden
sind, einen Waffenslillstand vorzuschlagen, solange die Heere dieser Mächte auf ihrem
Boden stehen. Der gute Glaube jeder Diskussion würde andererseits von der Zu-
stimmung der Mittelmächte abhängen, sofort die Truppen überall aus den besetzten Ge-
bieten zurückzuziehen.
Der Präsident glaubt auch zu der Frage berechtigt zu sein, ob der Kanzler nur
für diejenigen Gewalten des Reiches spricht, die bisher den Krieg geführt haben. Er
hält die Antwort auf diese Frage von jedem Standpunkt aus für außerordentlich wichtig.
Empfangen Sie mein Herr, die erneute Versicherung meiner Hochschätzung.
gez. Robert Lansing.
Nr. 38.
Besprechung
beim Reichskanzler.
Auszug.
Berlin, den 9. Oktober 1918.
Anwesend:
Reichskanzler
von Payer,
— 45 —
Ludendorff,
Scheüch,
Heye,
von Haeften,
von Winterfeld,
von Hintze
Solf,
Graf Rödern,
Lewald,
Scheidemann,
Groeber,
Erzberger,
von Radowitz,
Deutelmoser,
Friedberg.
Reichskanzler begrüßt General Ludendorff.
Verhandlungsgegenstand- Antwort auf Wilson.
Ludendorff: Krieg 1914 brachte schwierige Lage. Große feindliche Uber-
legenheit. 1916, bei Hindenburgs und Ludendorffs Berufung besonders schwierige
Lage durch Rumäniens Eingreifen. Starke Kräfte blieben durch Krieg im Osten
gefesselt. Damals auch Somme-Schlacht. Munitionsnot. Deshalb große Bemühungen
und Abhilfe. Hindenburg-Programm. Erhöhte Arbeiter= und Ersatzbestellung. Dienst-
pflicht weiter ausgedehnt. Hilfsdienstgesetz.
1916 ging zu Ende mit Juversicht auf große feindliche Uberlegenheit in Ost
und West. Schwere Sorgen. Einziges Mittel, Westfront zu halten, war U-Boot-Krieg.
Feldmarschall und Ludendorff deshalb dafür. Ferner Frontzurücknahme. April, Mai
Arras-Schlacht. Große Verluste, aber erfolgreiche Abwehr. Rußlands Zusammenbruch
erleichterte uns denn auch direkte Unterstützung Österreich-Ungarns, das 12. Isonzo-
Schlacht nicht auszuhalten drohte. Auch an Westfront Offensivmöglichkeit. Vorher
aber im Osten Rücken frei zu machen. Englisch-bolschewistische Ententefront zu ver-
hindern. Homburger Besprechung. Weit nach Norden gehend (Finnland), um England
von Mitersburg fern zu halten. Auch Verpflegungsnot. Iwang, weit nach Osten zu
gehen. Ukraine gab wertvolle Rohstoffe, verzögerte Bildung bolschewistischer Front.
Frühjahr 205 Divisionen im Westen, 32 im Osten, letztere nicht kampffähig. Front im
Osten ganz dünn. Oberost nicht mehr sicher, Bolschewismus von besetzten Gebieten fern
halten zu können.
Was im Westen zu tun? Im Frühjahr bei uns Überlegenheit von 20 bis 25
Divisionen, Offensive nötig, um Bundesgenossen zu fesseln und womöglich vor Ein.
treffen der amerikanischen Massen im Westen zu siegen.
Friedensangebot lag damals nicht vor. Offen sive sollte Gegner
friedensbereit machen. So noch im Juni. Hoffnung blieb unerfäüllt.
Gründe: Massenanwendung von Tanks, Grippe, Kartoffelmangel bei uns.
Bis 8. August trotzdem Kriegslage gut. Da aber 6 bis 7 Divisionen
in zwei bis drei Stunden im Nebel überrannt. Empfindliche Bruchstelle. Hartnäckig
weitere Angriffe. In letzten Monaten fehlen uns monatlich 70 000 Mann. Höchste
12
— 46 —
Tapferkeit von Offizier und Mann. Berichte erreger
tiefste Rührung. Große Frage, ob noch Menschennachschub zu haben. April
und Juni bat O. H. L. um Mehrergänzung. Besprechung im August ging ebendahin.
Entscheihendes kam aber nicht zustande. Ob noch möglich, muß Kriegsminister wissen.
Materialersatz ist gesichert, aber Leute fehlen. Tank-=
angriffe sehr gefährlich. Seit 8. August hat O. H. L. dem Reichskanzler
erklärt, sie sei nicht mehr in der Lage, den Krieg positiv zu beenden durch Waffenschlag,
der Feind friedenswillig macht. Anfang September neutrale
Friedensvermittlung von O.H. L. angeregt. Dann JZusammen-
bruch Bulgariens.
Noch im Juni glänzender Eindruck der Bulgaren. Sprachunkenntnis erschwert
Eindringen in bulgarische Psyche. Scholtz hat viel für bulgarisches Heer getan. Aber
bulgarische Generale haben Radoslawow gestürzt und Heer verhetzt. Regierung dann
an Entente gewandt. Bulgarische O. H. L. versagte Ablösung schlechter Divisions-
kommandeure. Wir drehten 5 Divisionen zur Deckung Südostfront Österreich-Ungarns
ab. Entente kann sich durch Bulgarien gegen Kospoli wenden. Türken sammeln sich
bei Tschatschaldtscha. Wir ließen Juzug aus Rumänien kommen. Türkei wird aus-
fallen. Wir werden Südostfront der Monarchie halten können. Sind aber nicht im-
stande, Donau und Rumänien zu sichern. Rumänien militärisch mit Kräften, die wir
vertragsmäßig dort haben, nicht zu halten. Wie hoch ist bolschewistische
Gefahr zu schätzen: Davon hängt es ab,ob wir die Ukraine
ausfgeben können, um Front zu kürzen und einige Divisionen für Donau frei
zu machen. Militärisch ist Rumänien mit unsern jetzigen Kräften nicht gegen Anmarsch
von Süden zu halten. Dort nur Serethlinie zu halten. Dort nur alte Leute. Wollen
wir Numäinien halten, so müssen wir wissen, wie groß bolschewistische Gefahr ein-
geschätzt wird. Wir könnten aus Akraine einige Divisionen nach Rumänien bringen,
aber dann können wir militärisch uns gegen Bolschewismus nicht mehr schützen. Nicht
wahrscheinlich, daß mehr wie 4 bis 5 Divisionen aus dem Osten nach Westen gebracht
werden können.
Im Westen entscheidet Mannschaftsmangel. Lage ernst. Gestern schwerer
Tag. Einbruch der Engländer bei St. Ouentin. Alle- Pläne der Entente nicht ge-
lungen; vorbereitetes Kavalleriekorps nicht zur Entwicklung gekommen. Wir haben
aber zurückgehen müssen. Die Didvisionen sind nicht mehr kampfkräftig.
(Erläutert die Karte.)
Wir wollen lieber zurückgehen als uns schlagen lassen. Wir ziehen uns immer
mehr zusammen. Reichskanzler hat Fragen gestellt (bezieht sich auf Schreiben des
Reichskanzlers vom 8. Oktober 19181). Es ist schwer, solche Fragen zu beantworten,
kann nur pflichtgemäß geschehen.
Frage 1: Grenze der Westfront weit ab, können wir lange schützen. Angriffe
in Lothringen möglich, Gefahr für lothringische Grenze sehe ich nicht. Wegen Holland
sehe ich keine Gefahr, da Truppen, die etwa übertreten, interniert werden würden.
Frage 2: Gefahr des Durchbruchs besteht immer. Engländer hätten beim
ersten Tankangriff durchbrechen können. «
Frage 3: Ja, nur Großangriffe gefährlich.
Frage 4: Uns fehlen im Monat 70 000. Material ist genügend da.
1) Oben Nr. 36.
— 47 —
Frage 5: Wir brauchen eine Pause dazu, dann können wir uns wieder kon-
solidieren.
Frage 7: Nein. Ich verspreche mir trotz Menschenmangels von leve en
masse nichts. Wir wollten immer Erhöhung der Arbeitsleistung. Ich kann nicht
beurteilen, ob Drückeberger gefaßt werden könnten. Nach Ansicht der O. H. L. sollte
das G.-v.-System aufhören; jetzt wollen die G.-v.-Leute nicht kämpfen. Wir können
ourch schärferes Zufassen in der Heimat mehr Leute bekommen. Levée en masse
würde mehr zerstören als man ertragen kann.
Frage: Sollen noch andere Generale gehört werden?
Dankbar für Entlastung, aber sicher, daß andere Führer so denken wie ich. Ich
habe wegen Friedensschritt mit Kuhl, Loßberg] Schulen-
burg gesprochen. Sie stimmten zu. Uns ist der Entschluß schwer
geworden, aber wir schwankten nicht, als wir unsere Pflichten erkannten. Kommission
nicht nötig. O. H. L. kann auch diese Verantwortung allein tragen.
Oberst Heye: Ich gehöre der O. H. L. seit 4 Wochen an. Glaube, daß wir so,
wie Ersatzlage ist, nicht mehr mit Sicherheit auf gute Kriegsdurchführung rechnen
können. Es wäre Hasardspiel der O. H. L., wenn sie den Friedensschritt nicht be-
schleunigte. Es kann sein, daß wir bis zum Frühjahr halten. Es kann aber
auch jeden Tag eine Wendung kommen. Gestern hing es an
einem Faden, ob Durchbruch gelang.
Dringende Bitte) nicht von Nervosität zu sprechen. Schritt zum Frie-
den) noch mehr zum Waffenstillstand ist unbedingt not-
wendig. Truppe hat keine Ruhe mehr. Unberechenbar, ob Truppe
hält oder nicht. Jeden Tag neue Uberraschungen. Ich fürchte nicht eine Katastrophe,
sondern möchte Armee retten, damit wir während der Friedensverhandlungen sie noch
als Druckmittel haben. «
Armee braucht Ruhe. Hat sie die und gewinnt sie neuen Ersatz, so kann sie
auch wieder neue Leistungen zeigen.
Ludendorff: Verteidigung ist teurer als der Angriff. Am 27. Mai haben wir
bei Offensive 60- bis 70 000 Mann verloren, ebensoviel Gefangene machten wir. Dazu
kommen die feindlichen sonstigen Verluste. Also minus zu unsern Gunsten.
Zur Räumungsfrage:
Wir haben im besetzten Gebiet ungeheures Material. Nach Uberschlag dauert
Räumung 2 bis 3 Monate bei Fußmarsch (bei Fahren länger). Armee muß schlag-
fertig bleiben, kann also nur abschnittsweise zurück. Steht sie an Grenze, so kann
sie jeden feindlichen Angriff abwehren. Bedenklich nur Fliegergefahr für Industrie-
gebiet. Also anstreben, daß nach Belgien nur belgische Truppen folgen. Die For-
derung, Metz zu räumen, wäre gegen unsere militärische Ehre.
Reichskanzler: Sollen Verhandlungen mit Entente scheitern, wenn auch fran-
zösische oder englische Truppen nach Belgien gehen?
Ludendorff: Nein.
Reichskanzler: Wie steht es mit Anspruch auf Räumung des besetzten deutschen
Gebietes durch den Feind?
Ludendorff: Hängt von Frontlage ab.
Reichskanzler: Gleich Waffenstillstand oder Waffenruhe?
— 48 —
Ludendorff: Waffenstillstand. Frage betreffend Bolschewicki: Gut, solchen
Druck ausüben.
Schlußfrage: 2 bis 3 Monate.
Wir sind in der Lage, Grenze zu halten. Wir können deutsche
Festungennicht übergeben. Gegenforderungen müssen wir stellen.
Nödern: Jur Frage Gefahrpunktes: Ist Witterung so, daß Feind zum Winter
Großangriffe einstellen muß!
Ludendorff: Winterschlachten sind möglich, Witterung allein ist keine Hin-
derung, wohl aber Erschöpfung.
Erzberger: Materialübergewicht der Entente.
Ludendorff: Tanks, ja, auch mit Kraftwagen überlegen. Hoffe im Frühjahr
600 Tanks zu haben. Glaube nicht, daß sonstige Uberlegenheit gefährlich.
Scheidemann: Stimmung im Heer? Divisionsbefehle der 41. Division.
Ludendorff: 8. August war schwarzer Tag in der Geschichte. Schlag für die
Führung. Truppe hatte Grippe, keine Kartoffeln. Ernährung war schlecht, damals
Stimmung schlecht, jetzt gebessert. Damals Mannschaften aus der Etappe geholt.
G.-v.-Leute haben Geist verdorben, daher auch viel Gefangene. Jetzt hat man das
Gefühl besseren Geistes.
Rödern: Zweifelhaft, ob wir Donaufront halten können, dann Gefahr des
Aufhörens der Olversorgung. Wie sind Bestände?
Ludendorff: Marine 10 Monate, Heere für Luftzeuge 2 Monate.
Erzberger: Sind die fehlenden 70 000 Mann auch in den Wintermonaten
nötig!“ «
Ludendorff: Zum Auffrischen der Division brauchen wir sie.
Scheüch: Ersatzmöglichkeiten. Im Herbst wurden von O. H. L. 200 000
Mann einmalig und pro Monat 140 000 Mann gefordert. Zur Deckung: Genesende
60 000 monatlich, zurückkehrende Gefangene usw. 50 000 einmalig. Jahrgang 1900
250 000, die aber zum Teil noch in der Industrie gebraucht werden.
Ludendorff: Der Ersatz ist zum Teil schlechten Geistes.
Scheüch: Es wird in der Heimat noch mehr ausgekämmt. Kommissionen
bringen noch mindestens 60 000 in 6 Monaten. Desgleichen aus der Etappe 40 000.
Auskämmen aus der Industrie sehr schwierig. Aus Post und Eisenbahn 20 000. Nach-
musterung und Auslandsdeutsche 5 000. Insgesamt 950 000, also Fehlbetrag gegen
Forderung der O. H. L. Kriegsministerium sucht nach Möglichkeiten.
1. Erhöhung der Arbeitsleistung. Diese bis auf 70 v. H. bestenfalls reduziert.
Verbesserung nur durch Ernährung zu erreichen. Versuch mit Zuweisung von Nahrungs-
mitteln an die Betriebe.
2. Drückebergern gehen wir nach durch Kontrolle jeder Art. In Hriegsgesell-
schaften schon stark ausgekämmt. Täuschung immer möglich, aber hoffe Jahl zu drücken.
3. G.-v.-Beseitigung ist gefährlich, bringt schlechtes Material an die Front.
Arztliche Anforderungen sind jetzt schon verschoben. Anderung ist gefährlich.
— 49 —
Scheüch: Levée en masse. Jeder Mann soll dienen, jede Frau soll arbeiten.
Hilfsdienstgesetz genügt, um des Arbeiten jedes Mannes sicherzustellen. Im
Frühfahr wurde Verlängerung der Wehrpflicht bis 60 Jahre beantragt. Ergebnis
wäre minimal. Rathenau sträubt sich energisch gegen dieses Verfahren. Er will ein
großes Freiwilligenheer. Ich glaube, daß die Methode ebenfalls nicht zu Erfolg
führen kann.
Ludendorff auf Anfrage Erzbergers: Die 70 000 pro Monat sind ohne Be-
rücksichtigung des feindlichen Juwachses berechnet. Wir brauchen etwas zur Hebung
des nationalen Schwunges.
gez. Deutelmoser.
Nr. 39.
Besprechung
Berlin, den 10. Oktober 1918.
Auszug.
Paher: Stresemann hat wegen Räumungsfrage angeregt, neben O. H. L. auch
Armeeführer zu fragen.
Reichskanzler: Ich habe dasselbe Schreiben erhalten.
Payer: Gestrige Erklärungen Ludendorffs müssen fixiert werden. Besonders
die Befragung von Kuhl) Loßberg und Schulenburg.
1
Erzberger: Schreiben Stresemanns Ludendorff mitteilen. In Berlin zirkulieren
Briefe General Hoffmanns, wonach Westfront zu halten sei. Diese Sache muß geklärt
werden. War Generalstabschef bei Tannenberg. Manche Leute glauben, Hoffmanns
Urteil sei sicherer als das von Ludendorff. Also Ludendorff bitten, Hoffmann anzuhören.
Solf und Rödern: Dann würde Ludendorff gehen, lieber Hoffmann privatim
kommen lassen.
(In der folgenden Beratung über den Text der Note erklärt:)
Solf: Note zerfällt in drei Teile.
1. Vunkt: Ja.
2. Punkt: Es ist gestern nicht zum Abschluß gekommen. Ich habe
Ludendorff gefragt,) können Sie noch drei Monate
die Front halten? Ludendorff hat gesagt: nein.
Darum wollen wir prinzipiell eingehen auf Räumung.
3. Bunkt wird leicht zu beantworten sein.
Reichskanzler: Hat sich Auswärtiges Amt auf den Standpunkt gestellt, daß wir
ohne Gegenforderungen räumen
Solf: Nein. Wir wollen das den Verhandlungen überlassen.
Reichskanzler: In die Note soll nichts, was kompliziert.
— 50 —
Nr. 40.
Telegramm.
Berlin, den 11. Oktober 1918.
An "
Berckheim
Großes Hauptquartier.
Bitte umgehend O. H. L. nachstehenden Entwurf der Antwortnot: an .15
Plitteilen und Zustimmung zum dritten Absatz sofort telephonisch und schriftlich mitteilen.
In Beantwortung der Fragen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von
Amerika erklärt die deutsche Regierung:
Die deutsche Regierung hat alle Bedingungen angenommen, die Präsident
Wilson in seiner Ansprache vom 8. Januar und in seinen späteren Ansprachen als
Grundlage eines dauernden Rechtsfriedens niedergelegt hat. Nach Eintritt in die
Verhandlungen wird sie lediglich die Einzelheiten ihrer praktischen Anwendung
erörtern.
Die deutsche Regierung erklärt sich im Einvernehmen mit der österreich-
ungarischen Regierung bereit, sofort das Gebiet der mit den Vereinigten Staaten ver-
bundenen Mächte zu räumen. Jerner Uilligen beide Regierungen ein, ihre Truppen
jederzeit aus dem übrigen besetzten Gebiet zurückzuziehen. Die deutsche Regierung stellt
dem Präsidenten anheim, den Jusammentritt einer Kommission der beteiligten Mächte
herbeizuführen, der es obliegen würde, die zur Räumung erforderlichen Vereinbarungen
zu treffen.
Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedeusschritt
trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Ubereinstimmung mit der großen Mehr-
heit des Reichstages. In jeder seiner Handlungen, gestützt auf den Willen dieser
Mehrheit, spricht der Reichskanzler im Namen des deutschen Volkes.
gez. Solf.
Nr. 41.
Telegramm.
Gr. Hauptquartier den 11. Oktober 1918.
Der Kais. Legationssekretär an Auswärtiges Amt.
Der Generalfeldmarschall stellt seine Bedenken gegen den dortigen zweiten
Vorschlag zur Antwortnote an Wilson zurück. Der vom Feldmarschall genehmigte
Entwurf folgt nachstehend zu Euerer Exzellenz Kenntnis. Der Feldmarschall hat
gerade auf den ersten Satz dieses Entwurfs besonderen Wert gelegt, auch darauf, daß
die Friedensverhandlungen sofort beginnen, um uns eintretendenfalls nicht erst an
unserer Grenze dem Feinde auszuliefern. Der Entwurf des Feldmarschalls lautet:
Die deutsche Regierung nimmt an, daß auch die andern beteiligten Regie-
rungen sich auf den Boden der Kundgebungen des Präsidenten Wilson stellen und daß
die Verbandlungen unverzüglich beginnen.
5*51 —
Unter dieser Voraussetzung erklärt sich die deutsche Regierung im Einvernehmen
mit der österreich-ungarischen Regierung grundsätzlich bereit, das Gebiet der mit den
Vereinigten Staaten verbündeten Mächte zu räumen, sie setzt ferner voraus, daß aus
Gründen der Menschlichkeit und im Interesse der Bevölkerung des zu räumenden
Gebietes sowie aus Rücksicht auf die auf dem Spiele stehenden großen Werte von Beginn
der Räumung ab die Waffen ruhen. Sie weist zur Vermeidung von Mißverständnissen
darauf hin, daß eine geordnete Räumung Wochen in Anspruch nimmt. Die deutsche
Regierung stellt dem Präsidenten anheim, den Zusammentritt von Kommissionen der
beteiligten Mächte herbeizuführen, denen es obliegen würde, die für Waffeuruhe und
Räumung erforderlichen Vereinbarungen zu treffen.
Eine Räumung der besetzten Gebiete des ehemaligen russischen Reiches ist zurzeit
bei der Unsicherheit der dortigen Justände im Interesse der Bevölkerung unmöglich.
Sie wird aber nach Maßgabe der Wünsche der Bevölkerung in gegenseitiger Verein-
barung ausgeführt werden. Gegen die Räumung Rumäniens hat die deutsche Re-
gierung grundsätzlich nichts einzuwenden.e
gez. Berckheim.
Nr. 42.
Besprechung am 11. Oktober 1918.
Anwesend:
Reichskanzler Prinz Maxvon Baden,
Vizekanzler von Payer,
Kriegsminister Scheüch,
Staatssekretär Freiherr von Mann,
Freiherr von Stein!
Bauer,
Trimborn,
— Dr. von Krause!
Rüdlin!)
» Dr. Solf,
» Graf Rödern,
1 Dr. Friedberg zugleich als Vertreter der national-
liberalen Partei,
. Gröber,
" Scheidemann,
» Erzberger,
Unterstaatssekretär Dr. Lewald,
. vonStumm,
» z. D. Wahnschaffe,
Ministerialdirektor Deutelmoser,
Oberst von Haeften.
Dr. Solf verliest den neu formulierten Tert der Antwortnote.
Reichskanzler verliest die Note Wilsons und erläutert sie. Die O. H. L. sei für
die Friedensaktion scharf eingetreten, sie wünsche, daß wir zur Räumung unsere Ju-
stimmung geben.
— 52
Dr. Solf erklärt es für notwendig, daß alle Staatssekretäre ausdrücklich zu
summen. ·
Freiherr von Stein erklärt, das nur zu können, wenn ihm alle Verhandlungen,
insbesondere die Außerungen der militärischen Instanzen, betannt seien.
Scheüch aufgefordert, sich über die militärische Lage zu äußern, hält das für
seine Person nicht für möglich.
von Haeften erklärt die JZustimmung des Generals Luden-
dorff zum Entwurf der Note, wünscht aber statt „Räumungs ver-
langen= „Räumungsvorschlag= zu setzen.
Deutelmoser verliest die Außerung des Obersten Heye in der Besprechung vom
9. Oktober und Exzellenz Ludendorffs Zustimmung dazu.
von Haeften meint, Exzellenz Ludendorff habe die Lage wohl nicht ganz so be-
drohlich angesehen, wie der Oberst Heye.
Reichskanzler Prinz Max von Baden erwidert darauf folgendes: Am Abend
des 1. Oktober sei ihm der Reichskanzlerposten angevoten worden mit dem gleichzeitigen
Verlangen, sofort die Friedensvermittlung Wilsons nachzusuchen. Er habe sich
dagegen gesträubt und mindestens § Tage warten wollen.!
um die neue Regierung zukonsolidieren und nicht den Ein-
druck hervorzurufen, als handeln wir bei unserer Bitte
um Friedensvermittlung unter dem Drucke eines mili-
tärischen Jusammenbruches. Am gleichen Abend habe eine Besprechung
zwischen ihm, dem Feldmarschall von Hindenburg und den Herren von Berg, von Payer
und von Hintze stattgefunden. Im Verlaufe dieser Unterredung habe er mehr-
mals an die O. H. L. im Großen Hauptquartier die tele-
phonische Anfrage richten lassen, ob nicht mit der Note
gewartetwerdenkönne. Darauf sei vom General Ludendorff die telephonische
Antwort erteilt worden, wenn er, der Prinz, am nächsten Morgen um 10 Uhr noch
nicht Reichskanzler sei, so solle lieber der Vizekanzler Herr von Payer noch heute
Abend die Note unterzeichnen. Durchgesetzt hätten die O. H. L. und
der Staatssekretär von Hintze die Note an Amerika gegenüber Bedenken, die sowohl
er selbst, als die Herren von Payer und Solf hatten. So stark sei damals das
Drängen der O. H. L. gewesen. In der jetzt zu entwerfenden Note handele es sich um
die Konsequenz jenes ersten Schrittes. Vielleicht sei jetzt etwas mehr Ruhe bei der
O. H. L., aber sie halte doch fest an der Forderung eines sofortigen Waffen-
stillstandes.
von Haeften erklärt auf Anfrage diese Darstellung für richtig, nur habe er die
telephonische Antwort des Generals Ludendorff auf die Anfrage des Prinzen nicht
mehr ganz genau in der Erinnerung.
von Payer erklärt hierzu, das Telephonat habe ausgesprochen, wenn Prinz
Mag bis heute abend 7 Uhr Reichskanzler sei, könne bis zum nächsten Morgen
um 10 Uhr gewattet werden, sonst müsse die Note sofort mit seiner, Payers
Unterschrift, abgesandt werden.
Dr. Solf: Er habe ebenfalls den Feldmarschall von Hindenburg gefragt, ob
wir nicht 8 oder wenigstens 4 Tage Zeit hätten. Der Feldmarschall habe erwidert,
darauf könne er keine bestimmte Antwort geben und seine Erwiderung mit den Worten
geschlossen: Machen Sie schnell machen Sie schnell.
— 53 —
von Haeften: Das Telephonat sei von Herrn von Payer richtig wiedergegeben.
General Ludendorff meinte, 14 Tage würden wir wohl noch halten können, aber dann
könne die Krisis eintreten und deshalb sei eine Verzögerung von 4 Tagen schon viel.
Im Großen Hauptquartier sei man sich auch über die Schwierigkeiten der neuen Re—
gierungsbildung nicht hinreichend klar gewesen.
von Paher: Das Telephonat sei keineswegs das einzige Drängen gewesen.
. .. Golgt Beratung anderer Fragen.)
Nr. 43.
Telegramm.
Gr. Hauptquartier, 11. Oktober 1918.
An ·
Herrn Oberst von Haeften
Berlin.
Zum Schreiben des Reichskanzlers vom 8. Oktober 1918') an mich bitte ich,
folgende Antwort zu übermitteln:
Seite 1 zu 1: Die Rheinprovinz kann noch längere Zeit gehalten werden, da
sie von unsern jetzigen Stellungen weit entfernt liegt. Auf Elsaß—
Lothringen ist jedoch jederzeit ein Angriff möglich, wenn auch augen-
blicklich nicht wahrscheinlich.
Seite 1 zu 2: Die Gefahr des Zusammenbruchs hat immer bestanden. Ich
befürchte ihn nicht. Er ist aber möglich.
Seite 2 zu 3: Es kann noch mehrere Wochen mit Großangriffen gerechner
werden. Werden sie vom Feinde eingestellt, so ist der Gefahrpunkt über-
schritten.
Seite 2 zu 4: Ja, durch Ausscheiden von Reserven. Möglichkeit der Ruhe
für großen Teil des Westheeres, Heranziehung allen verfügbaren Ersatzes
(Einstellung des Jahrganges 1900).
Seite 2 zu 5: Der monatliche gegen Ausfall nicht gedeckte Fehlbetrag an
Mannschaften beträgt mindestens 70 000 Mann. Der Materialersatz
ist hinreichend.
Seite 2 zu 6: Wenn eine Kampfpause im Westen eintritt, ja.
Seite 2 zu 7: Eine levée en masse bringt keinen ausreichenden Kräftezuwachs,
wohl aber energische Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und
Erfassung des tatsächlich noch vorhandenen Materials.
Seite 3 zu 1: Keine bedingungslose Annahme, sondern Gegenbedingungen.
Zu la: Ja.
Zu lb: Es muß eine Demarkationslinie bestimmt werden. Die Neu-
tralität Belgiens muß erreicht werden.
Ju le: Die Erklärung kann gegeben werden.
1) Oben Nr. 36.
54 —
Seite 3 zu 2: Innerhalb 2 bis 3 Monaten. Die Räumung muß abschnitt-
weise erfolgen.
Seite 4 zu 3: Wenn die Grenze sofort ausgebaut wird ja.
Seite 4 zu 1: Nein.
gez. Ludendorff.
10 Uhr nachmittags. 11 Oktober 1918.
Nr. 44.
Besprechung
am 12. Oktober 1918.
Auszug.
Anwesend:
Der Herr Reichskanzler,
Exzellenz von Payer,
» Graf Rödern!
"* von Krause,
» Freiherr vonStein,
» Dr. Solf,
Ritter von Mann
» Rüdlin,
»Groeber,
» Erzberger,
Friedberg, zugleich als Vertreter der nationalliberalen
Partei,
y S ch eü ch /
Unterstaatssekretär z. DO. Wahnschaffe,
» Lewald,
» von Stumm,
Oberst von Haeften,
Ministerialdirektor Deutelmoser.
Oberst von Haeften teilt den Wunsch des Feldmarschalls mit, daß die
Voraussetzung ausgesprochen wird, daß auch die Alliierten Amerikas sich auf die
14 Punkte festlegen. Er sieht darin eine Rückversicherung gegen weitergehende Entente-
vorschläge.
Oberst von Haeften erwähnt, daß Feldmarschall von Hindenburg in der
Nacht nochmals habe bitten lassen, den von ihm empfohlenen Zusatz mit einzufügen.
Die Staatssekretäre von Krause und Graf Rödern befürworten das, ebenso der Staats-
sekretär Erzberger.
Oberst von Haeften schlägt folgende Fassung vor: „Die deutsche Re-
gierung nimmt an, daß auch die anderen Regierungen der Alliierten sich auf den Boden
der Kundgebung des Präsidenten stellen. Die Staatsfekretäre Solf, von Krause, Erz-
berger erklären dies für annehmbar.
..Exzellenz Solf verliest nochmals den Text der Note mit dem Jusatz
der O. H. L.
— 55 —
Auf die Frage des Reichskanzlers, ob alle Herren einig seien, erklärt
Ritter von Mann sich einverstanden, obwohl er im Zweifel sei, ob Wilson
als Idealist oder als Trustmagnat handle. Aber die Kriegslage sei entscheidend.
Vom Marinestandpunkt werde zwar durch Rückzug und Waffenstillstand sehr viel auf—
gegeben (Aussetzen des U-Boot-Krieges, 500 000 t im Monat, mögliche Besetzung
Hollands, der Schelde durch England, Bedrohung Wilhelmhavens). Luden-
dorffs Ansicht aber sei entscheidend. Er nähme die Fassung der
Note an.
Exzellenz von Payer: Ist jetzt auch die O. H. L. einverstanden?
Oberst von Haeften erklärt, er glaube es. Er wird sofort das nötige feststellen.
Exzellenz Graf Rödern weist darauf hin, daß der Feldmarschall positiv zu-
stimmen müsse, nicht nur seine Bedenken zurückstellen.
Nr. 45.
Staatssekretär des Berlin, den 12. Oktober 1918.
Reichsmarineamts.
Euere Exzellenz beehre ich mich, in der Anlage Niederschrift meiner Stellung-
nahme in der Sitzung der Staatssekretäre vom 12. Oktober zu der an den Präsidenten
abzusendenden Antwortnote ergebenst zu übersenden.
gez. Mann.
Berlin, den 12. Oktober 1918.
An
den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes
Herrn Dr. Solf, Exzellenz
Hier.
Niederschrift.
Heute wurde die Beratung der Antwortnote an Präsident Wilson fortgesetzt und
beendigt. Nachdem General Ludenderff erklärt hatte, daß die Armee durchbrochen
werden könne, daß ein weiteres Halten der Westfront einem Hasardspiel gleich käme, daß
die Armee Ruhe brauche, um sich zu erholen, nachdem sich ferner Generalfeldmarschall
von Hindenburg mit dem Text der Note einverstanden erklärt hat und nur einen Jusatz
wünschte, der auch Aufnahme fand, habe ich in der Sitzung der Staatssekretäre etwa
folgendes erklärt:
Schweren Herzens stimme ich der Antwort zu, nachdem die höchsten militärischen
Autoritäten die Lage der Armee, wie geschehen, geschildert haben. Ich bin mir darüber
klar, daß wir uns durch die Antwort vollständig in die Hand Wilsons geben, ob des
Idealisten, Völkerbeglückers Wilson, der durch Herbeiführung eines gerechten dauernden
Weltfriedens der größte Mann des Jahrhunderts wird, ob des Wilson, der an der Spitze
der Trustmagnaten und großkapitalistischen Gruppe uns wirtschaftlich erdrosseln wird,
— 56 —
das weiß ich nicht. Ist das letztere der Fall, so haben wir wohl was gestern zur
Diskussion gestellt wurde — das Recht, nach Rückzug auf die dentschen Grenzen weiter
zu kämpfen. Ob wir aber die Macht baben, dann noch erfolgreich weiter zu kämpfen, ist
eine andere Frage. Es liegt mir fern, die Ansicht Ludendorffs, daß die deutsche
Grenzfront zu halten ist, zu kritisieren. Ich weise aber nur hin auf das, was die Marine
angeht, auf die Gefahr, die dem deutschen Industriegebiet durch feindliche Kanonen und
Flieger droht. Auf die Gefahr, der der A-Boot Stützpunkt Emden und der Flottenstütz.
punkt Wilbelmshaven ausgesetzt ist, wenn die Entente durch Holland in die Schelde ein-
dringt. Antwerpen haben wir ja geräumt. Ferner geben wir der Entente einen
ungeheuren Vorteil durch die Einstellung des U-Boot-Krieges für den Fall), daß die
Friedensverhandlungen wieder abgebrochen werden. Das bedeutet für uns einen Aus
fall an Versenkungen von monatlich 4 bis 500 000 t. Wir legen also die einzige
Offensivwaffe, die wir noch besitzen und die zum guten Frieden führt, dadurch mit Sicher
heit lahm. Nachdem ich diese Bedenken vorgebracht habe,
muß ich seie in Anbetracht der Stellungnahme der O. H. L.
Y#urücksetzen.
Nr. 46.
Delegramm.
Großes Hauptquartier, 12. Oktober 1918.
Ich und General Ludendorff stimmen dem vom
Obersten von Haeften am 12.Oktober 12 Uhr 30 Minuten
telephonisch mitgeteilten Wortlaut der Antwort an
Wilson zu.
von Hindenburg.
Nr. 47.
Deutschlands zweite Note.
Berlin, den 12. Oktober 1918.
In Beantwortung der „Kgen des Dräsidenten der Vereinigten Staaten von
Amerika erklärt die deutsche Regierung:
„ Die deutsche Regierung hat die Sätze angenommen, die Präsident Wilson in
seiner Ansprache vom 8. Jannar 1918 und in seinen späteren Ansprachen als Grund
lagen eines dauernden Rechtsfriedens niedergelegt bat. Der Jweck der einzuleitenden
Besprechungen wäre also lediglich der, sich über die praktischen Einzelheiten ihrer An-
wendung zu verständigen.
Die deutsche Regierung nimmt an, daß auch die Regierungen der mit den Ver-
einigten Staaten verbundenen Mächte sich auf den Boden der Kundgebung des Präsi-
denten Wilson stellen.
Die deutsche Regierung erklärt sich im Einverständnis mit der österreich-unga-
rischen Regierung bereit, zur Herbeiführung eines Waffenstillstandes dem Räumungs-
vorschlage des Präsidenten zu entsprechen. Sie stellt dem Präsidenten anheim, den
Iusammentritt einer gemischten Kommission zu veranlassen, der es obliegen würde, die
zur Räumung erforderlichen Vereinbarungen zu treffen.
57 —
Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedensschritt
trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Ubereinstimmung mit der großen Mehr-
heit des Reichstages. In jeder seiner Handlungen, gestützt auf den Willen dieser Mehr-
heit, spricht der Reichskanzler im Namen der deutschen Regierung und des deutschen
Volkes.
gez. Solf,
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.
Von der zweiten Note Wilsons bis zur Antwort
darauf. Nr. 48 bis Nr. 66.
Nr. 48.
Wilsons zweite Note.
Staatsdepartement, 14. Oktober
Mein Herr! In Beantwortung der Mitteilung der deutschen Regierung vom
12. Okteber, welche Sie mir heute übergeben haben, habe ich die Ehre, Sie um die
Ubermittlung folgender Antwort zu ersuchen.
Die uneingeschränkte Annahme der von dem Präsidenten der Vereinigten
Staaten vom 8. Januar 1918 und in seinen folgenden Botschaften niedergelegten Be-
dingungen von seiten der jetzigen deutschen Regierung und einer großen Mehrheit des
deutschen Reichstags berechtigen den Präsidenten, eine offene und direkte Erklärung
seines Entschlusses hinsichtlich der Mitteilungen der deutschen Regierung vom 5. Oktober
und 12. Oktober 1918 abzugeben.
Es muß Klarheit darüber bestehen, daß die Durchführung der Räumung und
die Bedingungen cines Waffenstillstandes Angelegenheiten sind, welche dem Urteil und
dem Rate der militärischen Berater der Regierung der Vereinigten Staaten und der
alliierten Regierungen überlassen werden müssen, und der Präsident fühlt sich ver-
pflichtet zu erklären, daß keine Regelung von der Regierung der Vereinigten Staaten
angenommen werden kann, die nicht völlig befriedigende Sicherheiten und Bürgschaften
für die Fortdauer der gegenwärtigen militärischen Uberlegenheit der Armeen der Ver-
einigten Staaten und der Alliierten an der Front schaffen. Er hat das Vertrauen, daß
er als sicher annehmen kann, daß dies auch das Urteil und die Entscheidung der
alliierten Regierungen sein wird.
Der Präsident hält es auch für seine Pflicht, hinzuzufügen, daß weder die Re-
gierungen der Vereinigten Staaten, noch er dessen ganz sicher ist, daß die Regierungen,
mit denen die Vereinigten Staaten als Kriegführende assoziert sind, einwilligen werden,
einen Waffenstillstand in Erwägung zu ziehen, solange die Streitkräfte Deutschlands
fortfahren, die ungesetzlichen und unmenschlichen Praktiken durchzuführen, bei denen sie
noch verharren.
Zu derselben Zeit, wo die deutsche Regierung an die Regierung der Vereinigten
Staaten mit Friedensvorschlägen herantritt, sind ihre U-Boote damit beschäftigt, auf
der See Vassagierschiffe zu versenken und nicht nur die Schiffe, sondern auch die Boote,
in denen ihre Passagiere und Besatzungen versuchen, sich in Sicherbeit zu bringen. Die
deutschen Armeen schlagen bei ihrem jetzigen erzwungenen Rückzug aus Flandern und
Frankreich cinen Weg mutwilliger Jerstörung ein, der immer als direkte Verletzung
der Regeln und Gebräuche der zivilisierten Kriegsführung betrachtet wurde. Die Städte
und Dörfer) wenn sie nicht zerstört sind, sind von allem, was sie enthalten, oft sogar
ihrer Bewohner, beraubt. Es kann nicht erwartet werden, daß die gegen Deutschland
assozierten Nationen einen Waffenstillstand zustimmen werden, solange die unmensch-
lichen Handlungen, Plünderungen und Verwüstungen fortgesebt werden, daß die sie
mit Recht mit Schrecken und empörten Herzen hinblicken.
— 59 —
Es ist auch notwendig, damit keine Möglichkeit eines Mißverständnisses entstehen
kann, daß der Präsident mit großem Nachdruck die Aufmerksamkeit der Regierung
Deutschlands auf die Fassung und die klare Absicht einer der Friedensbedingungen lenkt,
welche die deutsche Regierung jetzt angenommen hat. Sie ist enthalten in der Botschaft
des Präsidenten, die er am 4. Juli d. J. in Mount Vernon gehalten hat. Sie lautet
wie folgt: „Vernichtung jeder militärischen Macht überall, welche es in Händen hat,
allein, geheim, und auf eigene Willensbestimmung den Weltfrieden zu stören, oder falls
diese Macht gegenwärtig nicht vernichtet werden kann, wenigstens ihre Herabminderung
bis zur tatsächlichen Ohnmacht.s Und die Macht, welche bis jetzt das Sichcksal der
deutschen Nation bestimmt hat, ist eine von denjenigen, welche der Präsident in dieser
Rede im Auge hat. Die deutsche Nation hat die Wahl), dies zu ändern. Die eben
erwähnten Worte des Präsidenten bilden natürlich eine Bedingung, die vor dem
Frieden erfüllt werden muß, wenn der Friede durch das Vorgehen des deutschen Volkes
selbst kommen soll. Der Präsident hält sich für verpflichtet, zu erklären, daß die ganze
Durchführung des Friedens seiner Ansicht nach von der Bestimmtheit und dem befriedi-
genden Charakter der Bürgschaften abhängen wird, welche in dieser grundlegenden
Frage gegeben werden können. Es ist unumgänglich, daß die gegen Deutschland
assoziierten Regierungen unzweideutig wissen, mit wem sie verhandeln. Der Präsident
wird eine besondere Antwort an die K. und K. Regierung von Österreich-Ungarn ab-
senden. Empfangen Sie, mein Herr, die erneute Versicherung meiner Hochschätzung.
Robert Lansing.
Nr. 49.
Delegramm.
Haag den 15. Oktober 1918, 1 Uhr 20 Min. nachm.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Sir Francis Oppenheimer in Hoek, der auf Abfahrt nach England, aus Furcht
torpediert zu werden, wartet, erklärte in engem Kreise folgendes:
Lloyd George wünsche noch zwei Monate Krieg, weil dann Deutschland derartig
besiegt sei, daß es einfach annehmen müsse, was man ihm auferlegen werde. Er will
daher Bedingungen stellen, die Deutschland nicht annehmen könne; es sind die in den
Sonntagmorgenblättern aufgeführten: Besetzung von Metz sowie der Rheinbrückenköpfe,
Abrüstung der Flotte, Ubergabe der Unterseeboote usw. Er erwarte in Deutschland
nach Ablehnung eine leve en masse und Kampf bis aufs Messer. Doch werde dieser
Endkampf nur 14 Tage währen, worauf Zusammenbruch erfolge. England verstehe
unter Abschaffung Autokratie die Abdankung des Katsers.
gez. Maltzan.
Nr. 50.
DTelegramm.
Großes Hauptquartier, den 16. Oktober 1918.
10 Uhr 30 Min. vorm.
Der Herr Staatssekretär a. D. an Auswärtiges Amt.
Feldmarschall vo#n Hindenburg hat folgenden Erlaß an die Armee herausgegeben:
Die politischen Vorgänge der letzten Tage haben auf das Heer, namentlich
auf das Offizierkorps, einen tiefen Eindruck gemachr.
60 —
Es ist meine Pflicht, die von Seiner Majestät Allerhöchst berufene Regierung
zu unterstützen. Dem Friedensschritt stimme ich zu.
Vor allen andern Armeen hat die deutsche das voraus, daß sie und ihr Offizier
korps nie Politik trieben. Daran wollen wir festhalten.
Ich erwarte, daß das Vertrauen, das mir in guten Tagen geschenkt wurde,
auch jetzt sich betätigt.=
gez. Hintze
Nr. 51.
Telegramm.
Bern, Lörrach, den 16. Oktober 1918.
11 Uhr nachm.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Französische gegen Waffenstillstand gerichtete Hetze bedient sich besonders des
Arguments, Oberste Heeresleitung sei mit Räumung durchaus einverstanden oder
wünsche sie sogar, da sie hierdurch Deutschlands Heeres= und Kriegsmaterial vor
gänzlicher Niederlage bewahren und sich, was gefährlich und unannehmbar für die
Entente sei, günstige militärische Aussichten offen halten könne.
In diesem Sinne wird das eindringliche Betonen deutscher Presse, daß
militärische Stellen (Ludendorff) mit Räumung einverstanden seien, von Gegnern
stark ausgebeutet.
gez. Romberg.
Nr. 52.
16. Oktober 1918.
Freiherr von Lersner telephoniert:
1. Nach seinen Eindrücken sei die alsbaldige Einstellung des gesamten U-Boot-
Krieges erreichbar) falls wir diese aus politischen Gründen für notwendig halten sollten.
2. Er empfiehlt, die morgige Anwesenheit des General Ludendorff dazu
zu benutzen, um ihn auf die Möglichkeit vorzubereiten, daß der Gegner auch noch die
Räumung deutschen Gebietes (z. B. Metz und Straßburg) verlangen könnte. Eswäre
mit dem General zu überlegen, wieweit einer solchen For-
derung eventuell nachgegeben werden könnte.
3. Im Großen Hauptquartier seien vereinzelte Stimmen laut geworden, die
dafür eintreten, daß nunmehr der deutsche Oberbefehlshaber unmittelbar mit den
feindlichen Oberbefehlshabern in Verbindung treten möge. Freiherr von Lersner hält
diesen Gedanken für böchst bedenklich, da wir uns bei der augenblicklichen Stimmung
der feindlichen Armee eine glatte Abfuhr holen würden und befürwortet dringend,
weiter an dem Weg über Wilson festzuhalten.
61
. Baron Lersner stellt zur Erwägung, ob nicht das Hauptguartier
statt nach Homburg besser nach Berlin oder einer näher
gelegenen Stadt (Potsdam oder Brandenburg) zu verlegen wäre, damit die
technischen Schwierigkeiten des Gedankenaustausches zwischen politischer und militä-
rischer Leitung verringert würden. #
gez., von Rosenberg.
Nr. 53.
Delegramm.
Stockholm, den 16. Oktober 1918.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Ich höre aus schwedischen Kreisen, die zur Entente gute Beziehungen haben,)
daß das andauernde militärische Jurückgehen die Forderungen unserer Gegner immer
mehr steigert. Besonders wollen Franzosen und Amerikaner den Krieg nach Deutschland
hineintragen. Jeder auch nur kleine Erfolg würde im jetzigen Augenblick den Einfluß
besonnener Elemente in Frankreich und England wesentlich stärken.
gez. Lucius
Nr. 54.
Besprechung
der Staatssekretäre vom 16. Oktober.
Auszug.
Anwesend:
Der Reichskanzler,
Der Vizekanzler,
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes,
Der Staatssekretär des Reichsschatzamtes,
Oberst von Haeften für die Oberste Heeresleitung,
Unterstaatssekretr Wahnschaffe,
Ministerialdirektor Deutelmoser,
Die Staatssekretäre Groeber, Haußmann, Scheidemann.
von Payer wies darauf hin, daß die Oberste Heeresleitung anrege) eine
Propaganda für die letzte Verteidigung zu schaffen. Das Kabinett sei der Meinung, daß
dazu jetzt noch nicht die Zeit sei. Erst müsse das Kabinett sich entschließen, was auf die
Wilsonsche Note geschehen solle. Einstweilen seien öffentliche Versammlungen und
Reden über die Lage unerwünscht. Man müsse klar sehen, ob die Truppen aus dem
Osten weggezogen werden könnten.
Oberst von Haeften bemerkt, daß Exzellenz Ludendorff morgen in Berlin ein-
treffen werde. Die Fragen, die ihm zu stellen seien, würden noch mit dem Kriegsmini-
sterium präzisiert. Schon jetzt aber bitte die Oberste Heeresleitung folgende Gegen-
fragen zu beantworten:
16
— 62 —
1. Läßt die innere Lage zu, daß sämtliche Truppen vom Osten nach dem Westen
gebracht werden oder besteht die Gefahr, daß der Bolschewismus ins Land kommt
« 2. Wird das deutsche Volk, nicht nur die Kreise der Gebildeten, sondern in
seinen breiten Massen in den Kampf bis zum äußersten mitgehen, wenn es das Bewußt-
sein hat, daß sich dann unsere militärische Lage genügend verstärkt, um das Eindringen
der Feinde über die Landesgrenze zu verhindern, oder ist die moralische Widerstands-
kraft so erschöpft, daß diese Frage nicht unbedingt bejaht werden kann? Dabei handele
xcs sich nicht um Zwang, sondern um freien Willen.
Solf bezeichnet das Telegramm der Obersten Heeresleitung, das diese Fragen
stelte, als ein außerordentlich gefährliches Dokument. Iwischen den Zeilen liege mehr
als ein Appell an das deutsche Volk, sich zusammenzuraffen, nämlich der Versuch, die Ver-
antwortlichkeit zu verschieben. Warum sei denn die Stimmung so gedrückt? Weil die
militärische Macht zusammengebrochen sel. Jetzt aber sage man: die militärische Macht
wird zusammenbrechen, wenn die Stimmung nicht durchhält. Diese Verschiebung dürfe
man nicht zulassen; sie paßt schlecht zu den eigenen Worten des Generals Ludendorff,
der mit dem Kriegsminister einig gewesen sei, daß eine leyée en masse nicht möglich ist.
Sehr prekär sei auch die zweite Frage, ob man die Truppen auf Gefahr des Bolsche-
wismus vom Osten wegziehen könne. Laute die Antwort nein, so werde die Oberste
Heeresleitung behaupten, sie hätte die militärische Lage mit den Verstärkungen halten
können. Glaube sice wirklich, daß die geringen Truppen im Osten das Krästeverhältnis
ändern könnten" Man müsse den Generalfeldmarschall bitten, solche Telegramme nicht
mehr hierher zu schicken.
Scheidemann: Die Frage muß mit General Ludendorff auf das eingehendste be-
sprochen werden. Auch ich meine, daß hier der Tatbestand verschoben werden soll. Das
Telegramm der Obersten Heeresleitung sei allerdings vor Bekanntwerden der Antwort
Wilsons abgegangen. Jetzt biete die Empörung der ösfentlichen Meinung ihm schein-
bar einen Rückhalt. Dies sei auch erklärlich, das dürfe uns aber nicht irre machen, wir
müßten versuchen, uns an die Stelle der Gegner zu versetzen und den Tatbestand ob-
jektiv zu würdigen.
Sehr wichtig für den Ton der Antwort seien die Verwüstungen und Plün-
derungen.
Dazu komme das schreckliche Unglück mit dem Passagierdampser, bei dem 600
Massagiere, darunter sehr viele Frauen und Kinder, umgekommen seien. Das wirke
furchtbar aufreizend. Der U--Bootkrieg sollte sogleich aufhören; die paar Schiffe die
man noch versenke, kämen nicht mehr in Betracht.
Auch mit der Amnestie solle man entschiedener vorgehen. Alle seien einig ge-
wesen, daß sie Liebknecht zugute kommen sollte, nur Unterstaatssekretär 4
habe diesen Beschluß zu Falle gebracht. Dieser Mangel an Weitblick führe dazu, daß
man keine Konzessionen mit großer Geste mache, wenn es Zeit sei, sondern verspätet
unter Druck und ohne Wirkung auf die Stimmung.
Die Stimmung wäre jetzt noch durch den Brief des Kaisers vergiftet, den die
Iswestija veröffentlicht habe. Der Brief stamme zwar aus dem Jahre 1895, seine An-
griffe auf die Reichstagsparteien wirkten aber deshalb nicht weniger stark. Glaube man
wirklich, daß die Neigung im Volke noch groß sei, einen Finger krumm zu machen, um
den Kaiser zu halten? Das Volk sei sich jetzt der Lage bewußt. Es gäbe ein Unglück,
wenn man jetzt noch Rücksicht nehmen wollte. Am wenigsten auf Unterstaatssekretärc.
— 63 —
die sich in die neue Lage nicht finden könnten. Es gehe nicht mehr länger, daß das Kabi-
nett beschließt und die Geheimräte machen was sie wollen.
Jedensalls dürfe man Wilsons Note nicht beantworten, bis man nicht mit
General Ludendorff gesprochen habe. Er müsse uns sagen, wie es militärisch steht, und
wir wollen ihm die Stimmung schildern. Sie sei fürchterlich. Es sei nicht die
Empörung wegen der Forderungen der Gegner, sondern die Verzweiflung, daß man
immer noch nicht das nötige tue, sondern die Reformen tropfenweise gebe.
Groeber teilt die Auffassung des Herrn Solf über das Telegramm der Obersten
Heeresleitung. General Ludendorff habe bei der Beratung des Waffenstillstandsgesuchs
gesagt, er habe monallich ein Defizit von 70 000 Mann und wisse keinen Weg, dieses
Defizit zu decken. Wenn jetzt ein Aufruf gemacht werde, müsse er doch das Ergebnis
baben, das Defizit zu beseitigen. Es müsse festgestellt werden, ob dazu die militärischen
Kläfte noch aufgebracht werden könnten, und zwar mit genauen Lahlen. Dann erst
könne man die Fragen der Obersten Heeresleitung prüsen, Fragen von außerordentlicher
Tragweite für Deutschland und für die Randstaaten. Man könne doch unmöglich die
Nandstaaten, die man geschaffen habe, und die einen militärischen und wirtschaftlichen
Wall gegen den Osten bilden sollten, dem Bolschewismus ausliefern.
Vielleicht habe man versäumt, in der Swischenzeit eine Polizeitruppe aus der
Bevölkerung zu bilden, das sei jetzt zu srät. Darum glaube er nicht, daß dort viele
Truppen verfügbar seien.
Es genüge nicht, nur Erzellenz Ludendorff zu fragen, sein Urteil sei nicht mehr
allein maßgebend. Man müsse sich mit andern Hecerführern im Westen ins Benehmen
setzen. Das Kabinctt brauche diese Rückendeckung, und zwar aktenmäßig.
Weiter sei der Staatssekretär des Reichsmarineamts darüber zu hören, ob sich
Vorfälle wie bei Versenkung des „ Leinster nicht vermeiden lassen. Was den Aufruf
zum Endkampf anlange, so sei es widerspruchsvoll, das ganze Volk einschließlich der
deutschen Polen zur Hergabe des letzten Blutstropfens aufzufordern und dabei die Aus-
nahmegesetze nicht aufzuheben. Das entspräche nicht der großen Gefahr, in der wir
schweben.
Was habe es für einen Jweck, wenn das Kabinett sich abmühe, Mittel zur
Besserung der Lage zu finden und dann die wichtigsten Punkte nicht durchgeführt würden.
In der Frage Liebknecht lasse sich manches Für und Wider sagen, aber man habe be-
schlossen, ihn zu amnestieren, dann dürfe nicht gesagt werden, das sei unmöglich, damit
werde das Kabinett entwertet.
Scheidemann: Und die Amnestie ebenfalls.
Groeber: Diese Fehler machen einen Aufruf gegenwärtig unwirksam.
Man müsse aber General Ludendorff fragen: Wie denke er sich die Durchfüh-
rung — wie lange soll sie wirken? Je länger man gegen die Ubermacht kämpfe, mit um
so schwereren Rückschlägen müsse es enden. Im Anfang des vorigen Jahrhunderts sei
es anders gegangen, weil die Voraussetzungen vorgelegen hätten.
von Payer unterstützt den Antrag, auch andere Heerführer zu hören und fragt,
ob die früheren Angaben des Generals Ludendorff festgelegt seien.
von Haeften erwidert, die Aufzeichnungen darüber lägen teils in der Reichs-
kanzlei, teils im Auswärtigen Amt.
Graf Nödern bezweifelt, ob die andern Heerführer zugezogen werden könnten.
— 64 —
von Haeften bestätigt, daß während dieses schweren Kampfes die Heerführer
nicht abgerufen werden könnten und nimmt die Oberste Heeresleitung gegen die Ansicht in
Schutz, als ob sie eine Verschiebung der Verantwortlichkeit beabsichtigt habe, in dem er
die Entstehungsgeschichte des Telegramms darlegt. Er nehme an, daß Exzellenz Luden.
dorff von dem Telegramm überhaupt keine Kenntnis habe.
von Paher meint, daß eine schriftliche Auskunft der andern Heerführer nicht
genüge, sie müßten sich von dem Kabinett im Notfall durch ihre Generalstabschefs ver-
treten lassen. Ohne eine Aussprache mit ihnen könne das Kabinett die Verantwortung
vor dem Vaterland nicht tragen.
Der Reichskanzler erklärte, wegen der Anhörung anderer Heerführer habe er
Seiner Majestät Vortrag gehalten und erwarte noch im Laufe des Tages die Ent-
scheidung des Kaisers, von der seine weiteren Schritte abhängig seien. Man müßte damit
rechnen, daß Hindenburg und Ludendorff die Zuziehung persönlich nehmen würden, wenn
uber die Nachrichten für das Kriegskabinett nötig seien, müsse das Erscheinen der beiden
Herren veranlaßt werden.
Nr. 55.
Sitzung
des engeren Kabinetts vom 17. Oktober 1918.
Anwesend:
Der Reichskanzler,
der Vizekanzler,
die Staatssekretäre des Auswärtigen Amts, des
Reichsschatzamts,
der Vizepräsident des Preußischen Staats-
ministeriums,
Die Staatssekretäre Groeber, Haußmann, Scheidemann!
Unterstaatssekretär Wahnschaffe,
Ministerialdirektor Deutelmoser.
Der Reichskanzler eröffnet die Sitzung um 11 Uhr 20 Minuten mit der Mit-
teilung, daß er ein Telegramm Seiner Majestät erhalten habe, wonach außer dem
Ersten Generalquartiermeister noch andere Heerführer zu hören sein würden. Dies habe
er dem General Ludendorff mitgeteilt. Der General habe in großer Erregung geant-
wortet, dann würde er sofort seinen Abschied nehmen und mit
ihm Generalfeldmarschall Hindenburg. Es musse jetzt erwogen
werden, wie man sich zu dieser Folge stellen solle. Seiner Ansicht nach solle man zunächst
die Ausführungen Ludendorffs entgegennehmen und sich erst dann entscheiden.
Solf berichtet, daß ihn heute morgen zu ungewöhnlich früher Stunde der Abge-
ordnete Rießer aufgesucht und ihm gesagt habe, das Vertrauen der nationalliberalen
Partei auf General Ludendorff sei so erschüttert, daß sie erwarte, die Regierung werde
sich bei ihrem Entschluß nicht nur auf Hindenburg und Ludendorff stützen, sondern auch
andere Feldherren hören.
— 65 —
von Payer meint, man solle diese Frage nicht in Gegenwart Ludendorffs er.
örtern, sondern zunächst das Ergebnis seiner Ausführungen abwarten. Vielleicht würden
diese Ausführungen befriedigen, vielleicht werde man noch andere hören müssen.
Graf Roedern fragt, ob Seine Majestät die Heerführer herkommen lassen wolle.
Der Reichskanzler erklärt, das sei nicht möglich, man würde dadurch die mili-
tärische Lage gefährden.
Scheidemann findet den Wunsch, andere Heerführer zu hören, sehr begreiflich;
er müsse aber in einer Form erfüllt werden, die Hindenburg und Ludendorff jeden Anlaß
nehme, die angegebenen Konsequenzen zu ziehen. Es müsse doch den beiden Feldherren
selbst recht sein, wenn man noch andere zuziehe und ihnen dadurch die ungeheure Ver-
antwortung zum Teil abnehme.
Der Reichskanzler erwidert, das habe er General Ludendorff alles vorgestellt,
Ludendorff habe aber geantwortet, das sei ein Mißtrauensvotum. Das habe er be-
stritten und betont, es sei nicht nur der Wunsch Seiner Majestät, sondern auch der allge-
meine Wunsch der Bevölkerung und eigentlich so selbstverständlich, daß niemand begreifen
würde, wenn die Feldherren deshalb zurückträten.
Friedberg bestätigt, daß das Publikum nicht begreifen würde, wenn hier das
Schicksal Deutschlands auf den richtigen Blick von zwei Augen gestellt würde. Auch
früher sei doch in entscheidenden Jeiten ein Kriegsrat zusammengerufen worden. Wenn
man bedenke, daß es gerade ein Kriegsrat war, der die Absetzung Falkenhayns und die
Berufung Hindenburgs beschloß, könne doch jetzt die Abhaltung eines Kriegsrats für die
beiden Feldherren kein Grund zur Abdankung sein.
Der Reichskanzler wiederholt, daß er alles dies schon Ludendorff gesagt habe;
es habe nichts genützt. Es frage sich also nur, ob man den Abschied der beiden ver-
antworten könne.
Haußmann meint, das würde namentlich wegen Hindenburg geradezu
tatastrophal wirken. Gerade die Leute, die jetzt den beiden Feldherren das Vertrauen zu
versagen schienen, würden nach ihrem Abgang es der jetzigen Regierung zum Vorwurf
machen, in dieser Kriegslage Deutschland um die beiden anerkannten Feldherrn
gebracht zu haben.
Groeber erklärt, der Abgeordnete Stresemann habe ihm vor kurzem mitgeteilt,
seine ganze Fraktion, er glaube einstimmig, hege den Wunsch, daß noch andere Heer-
führer gehört würden.
Der Reichskanzler fragt den Staatssekretär Scheidemann, was er von der
Wirkung auf die breiteren Volksmassen halte.
Scheidemann erklärt, das lasse sich schwer beurteilen. In Arbeiterkreisen sei
das Vertrauen auf Ludendorff nicht erst jetzt erschüttert worden, sondern es fehle schon
seit Jahr und Tagj nicht sowohl militärisch als vielmehr politisch, da habe er einen
ganz schlechten Ruf.
von Paher schlägt vor, eine Form zu suchen, die nicht verletzend wirke; vielleicht
berufe Hindenburg selbst einen Kriegsrat zusammen, dessen Beschlüsse der Regierung
mitgeteilt würden, damit sie ihre Entscheidung danach treffe. Junächst solle aber einmal
in die sachliche Erörterung eingetreten werden. Sage Ludendorff, die Lage sei verzweifelt,
wir können die Front nicht mehr halten, so müsse man noch andere hören.
Der Reichskanzler: Das tue Ludendorff nicht.
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von Paher: Sage Ludendorff, daß wir uns noch halten können und nicht jede
Bedingung anzunehmen brauchen, so würde er keinen Wert mehr auf die Vernehmung
anderer Heerführer legen.
Der Reichskanzler stimmt dem insoweit zu, als zunächst die sachliche Erörterung
beginnen solle.
Graf Rocdern wirft die Frage auf, ob es nicht denkbar sei, daß der Kaiser den
Generalfeldmarschall bewege, das höchste Opfer zu bringen und auch ohne Ludendorff
zu bleiben.
Der Reichskanzler erwidert, wenn dies auch nicht ganz unmöglich sei, so sei es
doch sehr unwahrscheinlich, weil Hindenburg sich doch sehr mit Ludendorff identifiziert
habe. Ludendorff sei der, der die Entschlüsse fasse. Auch darüber könne man später
sprechen.
Nr. 56.
Gragebogen
als Grundlage der Besprechung mit General Ludendorff
am 17. Oktober 1918 (Nr. 57).
1. Wie lange kann bei Fortsetzung des Krieges durch äußerste Anspannung der
Volkskraft der Krieg so geführt werden, daß die Feinde von den deutschen Landes-
grenzen ferngehalten werden?
2. Wie stark ist zur Zeit das Westheer einschließlich der Besatzungstruppen in
Belgien und Nordfrankreich!
3. Wie stark sind die im Osten stehenden Kräfte?
4. Wie lange Zeit wird es in Anspruch nehmen, bis die sogenannte levée en
masse für unsere Lage an der Westfront wirksam wird?
5. Wie lange Zeit nimmt die Uberführung der im Osten entbehrlichen Streit
kräfte nach dem Westen in Anspruch
6. Kann eine Garantie dafür übernommen werden, daß die Westfront in ihrer
jetzigen Stärke keine Katastrophe erleiden wird, bevor ihr der Kräftezuwachs aus dem
Osten und der Heimat zugeführt ist?
7. Wieviel Kräfte können dem Westheere zugeführt werden
a) aus der Heimat,
b) aus dem Osten?
8. Wie hoch ist der Kampfwert der Verstärkungen zu bemessen
a) aus der Heimat,
b) aus dem Osten?
9. Wird durch eine Entblößung der östlichen Gebiete von den deutschen Truppen
die Olzufuhr für Heer und Heimat so in Frage gestellt, daß dies uns zum vorzeitigen
Friedensschluß oder zur Aufgabe des U.Boot-Krieges zwingen kann?
10. Uber wie starke Reserven verfügen zur Jeit noch unsere Feinde:
a) Amerikaner,
b) Engländer,
c) Franzosen,
d) Italiener?!
11. Wie lange ist hiernach noch mit Großangriffen an der Westfront in diesem
Jahre zu rechnen?
67 —
12. Besteht bei einem Ausscheiden Österreich-Ungarns als Bundesgenossen die
Wahrscheinlichkeit der Uberführung des italienischen Heeres nach der Westfront?
13. Wie stark ist das italienische Heer!
14. Besteht die Möglichkeit des Wiedererstehens einer neuen Südostfront?
15. Wie hoch ist der Kampfwert der russischen roten Armeen zu bewerten?
16. Besteht die Möglichkeit des Wiedererstehens einer neuen Ostfront?
17. Besteht die Möglichkeit, daß im Laufe des nächsten Jahres die noch neutral
verbliebenen europäischen Mächte von unseren Feinden gezwungen werden, in den Krieg
gegen uns mit einzugreifen?
18. Wieviel Amerikaner werden im Durchschnitt monatlich nach Frankrei
überführt:
19. Wie stark wird voraussichtlich das amerikanische Heer an der Westfront im
nächsten Frühjahr sein?
20. Wie hoch kann die Stärke der alliierten feindlichen Armeen (Amerikaner,
Engländer, Franzosen, Italiener) an der Westfront im nächsten Frühjahr geschätzt
werden? · «
21. Wird sich bis zum nächsten Frühjahr unsere militärische Lage gegen jetzt
verschlechtern oder verbessern?
Nr'57.
Große Sitzung
vom 17. Oktober 1918.
Anwesend:
Der Reichskanzler,
Der Vizekanzler,
Der Kriegsminister,
Die Staatssekretäre des Auswärtigen Amts, des Reichsschatz
amts, des Kriegsernährungamts, des Reichsmarineamts,
Der Chef des Admiralstabs der Marine,
Der Vizepräsidentdes Preuß. Staatsministeriums,
Die Staatssekretäre Groeber, Haußmann Scheidemann,
Unterstaatssekretär Göppert,
Unterstaatssekretir von Stumm,
Unterstaatssekretir Wahnschaffe,
Ministerialdirektor Deutelmoser,
General Ludendorff,
General Hoffmann,
Oberst Heye.
Der Reichskanzler: Die Lage, in der wir uns befinden, ist die Folge des
Schrittes, den wir am 5. Oktober getan haben. Damals war es der dringende Wunsch
der Obersten Heeresleitung, daß wir die Friedensnote und das Waffenstillstandsersuchen
an den Präsidenten Wilson gerichtet haben. Es kam die Rückfrage, die wir beantwortet
haben. Jetzt liegt eine neue Note vor, die eine Steigerung der Forderungen Wilsons ent-
bält, und über die wir uns schlüssig machen müssen. Wilson ist offenbar durch die
177
— 68 —
amerikanischen Chauvinisten und durch den Druck Frankreichs und Englands in eine
schwierige Lage geraten und, wie ich hoffe, hofft er selbst, daß wir ihm die Möglichkeit
geben, mit uns weiter zu verhandeln und den Widerstand der Kriegstreiber zu überwinden.
So stelle ich mir die Lage vor. Es würde nun, ehe wir die Note an Wilson ab-
gehen lassen, klarzustellen sein, was die militärische Lage Deutschlands fordert. Zu diesem
Zweck haben wir Euere Exzellenz gebeten, herzukommen und uns Auskunft zu geben. Wir
haben Euere Exzellenz eine Anzahl formulierter Fragen vorgelegt, über die wir erwarten,
Auskunft zu erhalten. Euere Exzellenz haben andere Fragen an uns gestellt, die wir im
Laufe der Erörterung beantworten werden.
Die erste Frage ist die, ob dadurch, daß die Divisionen vom Osten herüber-
gezogen werden, die Front im Westen so gestärkt werden kann, daß man auf ein längeres
Durchhalten rechnen darf. « «
Die zweite Frage geht dahin, ob durch stärkere Zuführung von Truppenmaterial
aus der Heimat erreicht werden kann, daß die Armee eine Kräftigung zum weiteren Durch-
halten erfährt.
General Ludendorff: Es wurden schon früher eine Reihe von Fragen an mich
gestellt, die präzise zu beantworten ganz ausgeschlossen ist. Der Krieg ist kein Rechen-
cxcmpel. Es gibt im Krieg eine Menge Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten.
Was schließlich eintrifft, weiß kein Mensch. Als wir im August 1914 nach Ostpreußen
kamen und mit Hilfe meines treuen Mitarbeiters Hoffmann die Befehle zur Schlacht von
Tannenberg ausgegeben wurden, da wußte man auch nicht, wie es gehen würde, ob
Rennenkampf marschieren würde, oder nicht. Er ist nicht marschiert und die Schlacht
wurde gewonnen. Es gehört zum Krieg Soldatenglück, vielleicht bekommt Deutschland
doch auch wieder einmal Soldatenglück.
Ich kann Ihnen nur meine Uberzeugung sagen. Die Verantwortung dafür, was
ich sage, trage ich und habe sie getragen vier lange, schwere Jahre.
Wenn man mich fragt, ob die Ostdivisionen einen Umschwung herbeiführen werden,
so frage ich dagegen, was können wir aus dem Osten wegführen. Ich habe darüber
mit Hoffmann gesprochen. Wir haben jetzt drei Divisionen locker gemacht durch
Räumung Weißrußlands; aber das geht nur langsam. Wir haben in dem Gebiet noch
große Haferbestände. Hafer wird uns im nächsten Jahr besonders fehlen; das ist zu
bedenken.
Also drei Divisionen kommen. Einen Umschwung kann man mit drei Divisionen
nicht herbeiführen; aber der Soldat muß alles zusammenziehen, was er kriegen kann.
Früher konnten wir das nicht, weil wir die weitere Grenze gegen die Bolschewiken
schützen mußten, bis wir das Geld bekamen. Wieviel haben wir denn jetzt im Osten!?
Oberst Heye: Noch 24 Divisionen. Oberost hat davon noch 7.
General Hoffmann: 7 hat Oberost, 5 stehen in der Ukraine, 12 in Rumänien.
General Ludendorff: Dazu kommt die Frage, können wir die Ukraine aufgeben,
oder nicht? Die Oberste Heeresleitung ist im Einverständnis mit der Reichsleitung in die
Ukraine einmarschiert, weil wir das Land für die Ergänzung unserer Wirtschaft brauchten,
und weil wir die Ostfront der Feinde sprengen mußten. Können wir auf die Ukraine-
wirtschaft verzichten, und können wir die Gefahr auf uns nehmen, daß die Ukraine
bolschewistisch wird, so können wir auch die Divisionen herausbolen.
— 69
Wirtschaftlich glaube ich, daß wir die Ukraine unbedingt brauchen, auch mili—
tärisch. Wir könnten den Krieg im Westen nicht ohne die Perde in der Ukraine führen;
ob unsere Landwirtschaft noch so viel liefern kann, weiß ich nicht. Ich müßte dann um
eine andere Direktive für die Behandlung der Ostfragen bitten, als sie mir im März
gegeben worden ist.
Der Reichskanzler: Würde die Wegziehung der * die Westfront so
stärken, daß sie halten kann?
General Ludendorff: Das ist jedenfalls in gewissem Mee der Fall. Es fragt
sich nur, ob die wirtschaftlichen und politischen Nachteile und die Gefahr im Innern
nicht schwerer wiegen.
Der Reichskanzler: Würden die neuen Truppen unserem Westheer eine solche
Stoßkraft geben, daß die Feinde an den Verhandlungstisch gebracht würden?
General Ludendorff: Nein, Stoßkraft haben diese Truppen nicht mehr. Wir
haben alles Gute schon herausgenommen. Sie haben keine Stoßkraft mehr, aber eine
gewisse Abwehrkraft. Es darf nicht unterschätzt werden, daß die Truppen im Osten nicht
mehr den Geist haben, wie die im Westen; darüber spricht vielleicht General Hoffmann.
Der Reichskanzler: Noch eine Frage vorher. Es würde also durch die Ju-
ziehung der Truppen aus dem Osten nur der Zeitpunkt hinausgeschoben werden, den wir
Anfang Oktober gekommen glaubten, und dann die Lage wieder eintreten, die uns ge-
zwungen hat, den Friedensschritt zu tun?
General Ludendorff: Es kommt darauf an, was uns die Heimat noch gibt. Es
ist eine Menschenfrage.
Der Reichskanzler: Ich bitte General Hoffmann, das Wort zu nehmen.
General Hoffmann: Die Divisionen im Osten bestehen aus Leuten zwischen
35 und 45 Jahren. Die weiten Gebiete, die sie besetzt halten, die Versuchungen, die an
sie herantreten und denen sie häufig unterliegen, sei es durch Bestechung der ostjüdischen
Händler, sei es durch bolschewistische Propaganda, haben die Truppen recht leiden lassen.
Vor Abgabe der letzten Formationen hatten wir in Litauen auf ungefähr 18 Quadrat-
kilometer einen Soldaten. Die Truppe steht seit Monaten zerstreut in einzelnen
Postierungen, wenig beaufsichtigt, und die bolschewistischen Ideen verbunden mit der Be-
stechung haben sehr überhandgenommen.
Abgeben können wir nur 10 Divisionen, denn wir brauchen 2 Divisionen und die
Kavallerie, um die Grenze nach der Ukraine zu sperren.
Daß die Divisionen zu einem Angriff nicht mehr brauchbar sind, möchte ich
wiederholen. Defensiv haben sie noch Kraft. Ihre Ostaufgabe erfüllen sie glänzend. Ich
würde mich sogar anheischig machen, im Osten noch einmal mit ihnen anzugreifen. Aber
gegen die Machtmittel der Feinde im Westen sind sie nicht mehr zu verwenden.
Der Reichskanzler: Sie würden also die Wegnahme an sich für möglich halten?
General Hoffmann: Wenn wir wegziehen wollen, ist es sehr hohe Jeit. Ich
brauche drei Monate, um die Truppen aus der Ukraine herauszubringen. Wir können
dort nur zwei bis drei Züge täglich laufen lassen, von denen bei dem Mangel an Schmieröl
noch manche ausfallen. Dabei ist mit Sabotage, ja mit Aufflammen einer Revolution zu
rechnen, wenn die Bahnen von Ukrainern bedient werden. Schon jetzt würde das Bereit-
stellen der Truppen, wenn ich das ganze Material liegen lassen wollte, besonders auch
18
die gesammelte Ernte, drei Tage bis zur Schmalspurbahn, sechs Tage bis zur Normal-
spurbahn in Anspruch nehmen. Diese Zeiten sind aber so errechnet, daß wir keine Vor-
räte mitnehmen können, die find dann verloren. Der Truppenchef in Minsk sagt mir,
daß er, um die Ernte fortzuschaffen, 500 Hüge brauche; die haben wir natürlich nicht.
Wir müßten dann die Truppen marschieren lassen.
General Ludendorff: Bis jetzt ist ungefähr eine Million Menschen aus dem Ost-
gebiet ernährt worden. Diese fallen nun der Heimat zur Last. Der Viehbezug aus der
Ukraine hat die Viehbestände der Heimat sehr geschont. Wie gespannt die Lage der Vieh-
versorgung in Deutschland ist, weiß man. Müssen wir auf das Ostvieh verzichten, so
käme die Heimat nach Ansicht des Generalquartiermeisters in die größten Schwierigkeiten.
Ich habe gebeten, das auch durch die Reichsleitung feststellen zu lassen. Wir haben bei der
Obersten Heeresleitung gerade die Viehfrage für ausschlaggebend gehalten. Aus der
Ukraine allein haben wir 140 000 Merde geholt.
Der Reichskanzler: Wie steht es mit der bolschewistischen Armec, wird sie stärker,
kann sie uns bedrohen?
General Hoffmann: Nein, rein militärisch betrachtet wird sie uns in absehbarer
Zeit nichts antun können, da haben wir nichts zu fürchten, aber die geistige Bedrohung.
General Ludendorff: Und diese Gefahr ist groß. Der Kordon ist so schwach, daß
wir nicht imstande sind, sie von der Heimat fernzuhalten.
Der Reichskanzler: Also der Westen wird durch die Osttruppen keine neue Stoß-
kraft erhalten; aber die verfügbaren 12 Divisionen würden für die Verteidigung wert.-
voll sein. Um sie herbeizuführen, würde man drei Monate brauchen. Dabei würden wir
die Hafervorräte verlieren, außerdem würde eine große Anzahl von Menschen, die bis
jetzt von drüben ernährt worden sind, hier ernährt werden müssen. Euere Exzellenz
stellen jetzt die Gegenfrage, welchen Wert hat die Ukraine in den Augen der Reichsleitung
für die Ernährung Deutschlands.
General Ludendorff: Ja. Wir haben anderthalb Millionen Tonnen aufge-
kauftes Getreide, das schon ... beginnt.
Der Reichskanzler: Ich eröffne hierüber die Debatte.
Graf Roedern: Die beiden Staatssekretäre des Reichswirtschaftsamts und des
Kriegsernährungsamts sind nicht anwesend. Es besteht Meinungsverschiedenheit
zwischen ihnen. Das Kriegsernährungsamt wünscht die Ukraine weiter zu benutzen,
das Reichswirtschaftsamt ist sehr skeptisch. Soweit ich die Lage aus dem mir mit-
geteilten Schriftwechsel übersehen kann, scheint mir die Ansicht des Herrn Staats-
sekretärs des Reichswirtschaftsamts die begründetere. Jedenfalls ist, was wir für die
Hivilbevölkerung aus der Ukraine bekommen haben, außerordentlich geringfügig, sehr
viel höher der Wert dessen, was für das Heer geleistet worden ist und jetzt aus der
Heimat beschafft werden muß. Hat das Heer noch Viehbestände aus der Akraine
bekommen?
General Ludendorff: Einen Unterschied zwischen Heer und Jivil kann man
nicht machen. Es ist ein großer Wirtschaftstopf, und ob das Vieh aus der Ukraine
für das Heer oder für das Zivil gebraucht wird, ist gleichgültig. Wir müssen das
Vieh haben; woher wir es bekommen, darüber kann ich mir nicht den Kopf zerbrechen.
Ubrigens kommt noch die Kriegsrohstofffrage dazu. Wir verlieren jetzt auch das
Kupferbergwerk Bor, weil die Serben es wieder nehmen; wenn wir auch Belgien
— 71 —
räumen, so wird die Wirtschaftslage so gespannt, daß wir gar nicht wissen, wie wir
den Krieg weiterführen wollen. Gehen wir also gleichzeitig im Osten und im Westen
zurück, so brechen wir zusammen.
Staatssekretär Solf: Der Vertreter des Auswärtigen Amts in der Ukraine
hat mir gestern Vortrag gehalten über die dortigen Verhältnisse. Dem wirtschaftlichen
Teil seines Berichts möchte ich entnehmen, daß der Wert der UAkraine für die Ver-
pflegung des Heeres ein ganz immenser ist, und da können wir keinen Unterschied
machen, wer diese Vorräte zuerst verbraucht. Der wirtschaftliche Wert des Landes ist
in jedem Fall sehr beträchtlich.
IJch habe dann Herrn von Mumm gefragt, was in der Akraine geschehen
würde, wenn wir die deutschen Truppen wegnehmen. Er war ganz sicher, daß dann
die Bolschewiken in der wildesten fürchterlichsten Weise hausen würden. Alle Reichen
würden geköpft werden.
General Ludendorff: Auch das müssen wir in Kauf nehmen. Ist die Räumung
nötig oder nicht nötig für Deutschland" Wenn ja, muß sie gemacht werden trotz aller,
schauderhaften Folgen.
Graf Roedern: Die Frage kann nur nach den jetzt vorliegenden Ernteschätzungen
beantwortet werden. Dazu brauchen wir den Staatssekretär des Kriegsernährungsamts.
Scheidemann: Wenn wir alle diese Fragen der Ernährung und des Bolsche-
wismus beiseite setzen, so bleibt immer noch die Frage, ob die Westfront nach drei
Monaten noch stehen wird oder bis dahin ein Durchbruch erfolgt?
General Ludendorff: Ich habe schon dem Herrn Reichskanzler gesagt, ich halte
einen Durchbruch für möglich, aber nicht für wahrscheinlich. Innerlich wahrscheinlich
halte ich den Durchbruch nicht. Wenn Sie mich auf mein Gewissen fragen, kann ich
nur antworten, ich fürchte ihn nicht.
Der Reichskanzler: Ich gehe auf die zweite Frage über: Ist die Heimat bereit,
der Obersten Heeresleitung das nötige Menschenmaterial zur Verfügung zu stellen ?
Wir müssen aber auch vorher wissen, ob es technisch möglich ist, das nötige
Material auszuheben.
General Ludendorff: Das übersehe ich nicht. Damit habe ich mich seit 1916
redlich bemüht; es ist kaum ein Monat vergangen, daß ich nicht gedrängt habe. Ob
die Verstärkungen rechtzeitig kommen? Verstärkungen kommen immer rechtzeitig. Man
kann nie wissen im Kriege wielange eine Aktion dauert. Wie oft habe ich Reserven
geschickt, wenn man meinte, sie kämen zu spät, und sie kamen doch nur zur Jeit. Man
muß sie schicken und das übrige dem Schicksal überlassen.
Der Reichskanzler: Ich bitte den Herrn Kriegsminister sich dazu zu äußern.
Kriegsminister Scheüch: Es kommen zwei Maßnahmen in Betracht. Die nor-
male allgemeine Ergänzung oder eine starke einmalige, unter Beeinträchtigung der
normalen. Für die erste Maßnahme gilt folgendes: der normale Nachschub an Ersatz
für das Feldheer ergibt nach den neuesten Berechnungen für Preußen und die anderen
Staaten zusammen monatlich 190 000 Mann. Sie können gestellt werden ohne sehr
fühlbare Eingriffe in die Heimatwirtschaft. Die einzelnen Jahlen brauche ich hier wohl
nicht anzugeben.
Soll das Heer einen einmaligen starken Nachschub erhalten, so berechne ich den
auf rund 600 000 Mann. Dabei rechne ich nicht hoch. Die Einzelberechnungen ergeben
— 72 —
sogar 637 000 Mann. In diesem Falle würde der Eingriff schon fühlbar werden.
Ich glaube nicht, daß eine erhebliche Minderproduktion an Kriegsgerät eintreten würde,
aber die Heimatwirtschaft würde gestört. Die Nachweisung im einzelnen würde man
in engeren Kreisen durchgehen können und dann auch in Betracht ziehen, was man an
unausgebildeten Leuten erhält. So z. B. den Rest des Jahrgangs 1900, von denen
noch 50 000 Köpfe in den Betrieben stecken. Das andere ist schon ausgebildet, zum
größten Teil in den Depots, zu einem Drittel in der Heimat. Das ist allerdings dann
auch der letzte. Eine Ausbildung ist ja doch nötig für die anderen.
Nun ist aber zu bedenken: wenn wir die 600 000 in die Front hereinbe.
kommen, ist weiterer Ersatz nötig. Dann können wir im Monat nicht mehr rund
190 000, sondern nur rund 100 000 Mann für das nächste halbe Jahr sicherstellen.
Den weiteren Ersatz bis zum Herbst 1919 könnte man dann wieder auf 150 000 Mann
monatlich ausschlagen, wenn der Jahrgang 1901 früher eingestellt würde. Das Reser-
voir des nächsten Jahres wäre also gegen Ende September erschöpft.
General Ludendorff: Ich bin unbedingt für den zweiten Fall. Hätten wir diese
günstigen Jahlen schon jetzt gehabt, so hätten wir die Krise an der Westfront nicht
bekommen. Und wenn ich die Leute bekomme, sehe ich vertrauensvoll in die Zukunft.
Ich muß aber die Leute bekommen, und zwar bald bekommen, dann können wir wieder
hoffnungsfreudig sein.
Kriegsminister Scheüch: Ich möchte die Versicherung geben, daß ich meine ganze
Kraft einsetze, daß diese Jahl eingehalten wird. Dann wollen wir aber nach dieser
Richtung auch keinen Tag versäumen.
General Ludendorff: Ich möchte den Herren ein Bild der Lage geben. Vor-
gestern war die Schlacht bei Opern. Engländer und Franzosen griffen mit sehr starken
Krästen an. Wir wußten das. Wir wollten standhalten. Wir sahen die Gefahr
kommen. Es war eine schwere Lage, sich zu sagen, wir werden zurückgedrängt und
müssen doch standhalten. Wir sind zurückgedrängt worden, aber es ist gut abgelaufen.
Zwar sind Löcher von vier Kilometer Breite in der Front entstanden, aber der Feind
hat nicht durchgestoßen, und wir haben die Front gehalten. Was hätten da die Er-
gänzungen aus der Heimat für eine Bedeutung für uns gehabt. 3
Die Anspannung des einzelnen Mannes hat einen Grad erreicht, der nicht mehr
überboten werden darf. Mann und Offizier haben das Gefühl der Vereinsamung.
Wenn der Offizier weggeht, sagen die Leute: „Wohin gehen Sie, Herr Leutnant 2.
und dann laufen sie weg. Können wir die Löcher zustopfen, so behaupten wir den
Einbruch. Können wir der Front sagen, ihr bekommt Leute, dann gewinnt sie Ver-
trauen, und auch wir dürfen vertrauensvoll sein.
Kriegsminister Scheüch: Wenn ich Exzellenz Ludendorff recht verstehe, so sagt
er: erhalken wir den einmaligen Juwachs, so wird sich die Lage wesentlich ändern.
General Ludendorff: Ja.
Kriegsminister Scheüch: Ist dabei bedacht, daß die Amerikaner immer noch
mehr Ergänzungen bekommen wie wir :
General Ludendorff: Man darf die Amerikaner nicht überschätzen. Sie sind
wohl schlimm, aber wir haben sie bisher abgeschlagen. Allerdings verschieben sich die
Verhältniszahlen; aber unsere Leute haben keine Sorge vor den Amerikanern, wohl vor
den Engländern. Man muß unserer Truppe nur das Gefühl der Vereinsamung
nehmen.
Oberst Heye: In welchem Zeitraum kann der zweite Plan mit den 600 000
Mann durchgeführt werden?
Kriegsminister Scheüch: Ich möchte nicht eine zu kurze Zeit angeben. Wir
müssen ja aus der Industrie und Landwirtschaft schneller Menschen herausholen als
wir anfangs glaubten. Schneller geht die Verwendung des Heimatheeres. Aus der
preußischen Heimat werden zum Beispiel 75.000 Mann kommen. Dahin habe ich den
Druck gerichtet; darin dürfen wir nicht zu ängstlich sein. Dazu kommen dann noch
etwa 25 000 von den anderen Staaten. Junächst haben wir etwa 50 000 Unausge-
bildete und 250 000 Ausgebildete; aber auch deren Verwendung zieht sich noch durch
Wochen hin. Das wird auch der Obersten Heeresleitung recht sein.
General Ludendorff: Lieber wäre es uns schon, sie kämen alle gleich. Deun
was das Niederziebende für die Armee ist, die Stärken werden immer geringer und
geringer.
Kriegsminister Scheüch: Schwierigkeiten machen auch die heimatlichen Trans-
portverhältnisse. Kürzlich standen bei einem Generalkommando 6 000 Mann bereit
zum Abtransport an die Westfront. Sie konnten aber nicht geschickt werden, weil das
rollende Material fehlte. Das kann sich wiederholen.
General Ludendorff: Auch bei uns war durch die Räumung eine große Trans-
portkrise ausgebrochen, die sich auf die Heimat fortpflanzte. Die ist aber jetzt behoben.
Ich bin nur dankbar, wenn nach der Richtung in der Heimat das Menschenmögliche
geschieht. ·
Ich komme noch auf einen anderen Punkt, der nicht auf dem Fragebogen steht:
die Stimmung im Hecr. Er ist sehr wichtig. Exzellenz Scheüch hat neulich auf die
41. Division bingewiesen und einen Befehl an sie angeführt. Ich habe leider zugeben
müssen, daß der Befehl richtig war. Die Division hat am 8. August völlig versagt.
Das war der schwarze Tag in Oeutschlands Geschichte. Jetzt schlägt sich dieselbe Divi-
kon glänzend auf dem Ostufer der Maas. Das ist Stimmungssache. Die Stimmung
war damals schlecht. Die Division hatte Grippe gehabt, es fehlten ihr Kartoffeln.
Die Stimmung, die die Leute aus der Heimat mitbrachten, war auch nicht gut. Die
Transporte kamen heraus, in einer Form, die der Jucht und Ordnung nicht mehr ent-
sprach. Es kamen grobe Widersetzlichkeiten vor. Ich pflege mit den ankommenden Ofsfi=
zierer und Truppen zu sprechen. Damals sagte mir ein Herr, ein solcher Transport, wie
er ihn aus dem Bezirk des VII. Armeekorps der 13. Division geholt hätte, wäre ihm
noch nicht vorgekommen. Er hätte nicht geglaubt, deutsche Soldaten, sondern russische
Bolschewisten unter sich zu haben. «
Diese Stimmung ist aus der Heimat ins Heer gekommen, und ich bin mir wohl
bewußt, daß jetzt umgekehrt die Stimmung, die die Urlauber nach der Heimat bringen,
recht schlecht ist. Ich habe mich sehr bemüht, sie zu heben, ich muß aber dringend bitten,
nicht nur für Menschen, sondern auch für die Stimmung zu sorgen.
Was halten sich zum Beispiel für Drückeberger in Maubeuge auf. Wir haben
ja in unserer großen Armee mit Helden zu tun, und mit recht, recht schwachen Menschen.
Auch auf die müssen wir uns einstellen. Auffrischung der Heimat. Ich richte die
dringende Bitte an alle Stäbe, dafür zu sorgen, daß die Stimmung in der Heimat ge—
hoben wird, und daß der Soldat in Belgien weiß, er verteidigt deutsche Erde. Von
manchen Seiten, so aus der Armee Gallwitz, ist uns berichtet, daß diese Waffenstill—
standsverhandlungen sehr böse Folgen haben. In Belgien sagen die Leute, was sollen
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wir uns hier noch schlagen, wenn wir doch räumen müssen und vor Verdun heißt es,
was nützen unsere Opfer, wenn die Franzosen doch Elsaß-Lothringen kriegen. Menschen
mit schlechter Stimmung können wir nicht brauchen. Ein Divisionsstab sagte mir neu-
lich, sie hätten ihre Leute aus dem Osten wieder weggeschickt, sie seien im Westen nicht
mehr zu gebrauchen. Man muß mit dem Geiste der Heimat arbeiten.
Der Reichskanzler: Da Seine Exzellenz, der General Ludendorff, die Frage
der Stimmung angeschnitten hat, so halte ich es für notwendig, an die drei parlamen-
tarischen Staatssekretäre die Bitte zu richten, ihre Ausfassung über die Stimmung in
der Heimat mitzuteilen und sich über die Vorschläge zu äußern, die man gemacht hat.
Staatssekretär Groeber: Die Stimmung im Lande ist im Sommer dieses
Jahres eine recht schlechte gewesen. Ich habe mich davon auf einer Reise nach Süd-
deutschland persönlich überzeugt. Das haben gerade Urlauber veranlaßt, die zu Hause
allerlei Schauergeschichten erzählt haben. Viel falsche, aber auch manche richtige.
Solche Sachen werden, je länger der Krieg dauert, um so schwerer empfunden. In
einer großen Armee kommt natürlich manches Gewalttätige in der Behandlung der
Leute vor, da kann noch viel gebessert werden.
Vor allem die Verpflegung für Mannschaften und Offiziere. Besonders die
Offizierskantinen, da kann sich der Offizier mit Nahrungs- und Genußmitteln versehen,
wenn der Soldat kommt, heißt es, daß ist nicht für Dich. In gewöhnlichen Jeiten läßt
sich das ertragen; aber in solchen Zeiten, wie diese, stellt sich der Gedanke ein: was
müssen wir aushalten und wie leben die Offiziere. Läßt sich dieser Gegensatz nicht
beseitigen!?
General Ludendorff: Ich stehe durchaus auf dem Standpunkt, daß der Offi.
zier mit der Truppe die gleiche Lebensweise zu führen hat. Ich bin dem Vorwurf nach-
gegangen und habe durch den Generalintendanten festgestellt: es gibt nur eine Kan-
tine, sie verkauft gleichmäßig an Offiziere und Mannschaften. Auch im Preis wird
kein Unterschied gemacht. Ein Unterschied bestand: die großen Kantinen ergänzen ihre
Beständ“ aus den kleinen Kantinen. Die großen liefern an die kleinen zu geringerem
Preis, damit die kleinen verdienen. Nun hatten einige höchste Stäbe keine Truppen-
kantine, sondern bezogen ihre Bedürfnisse sogleich aus der großen Kantine, und zwar
zu dem billigeren Preis. Sobald ich das festgestellt hatte, habe ich es untersagt, und
die Stabsbetriebe veranlaßt, aus den großen Kantinen zum gleichen Preise, wie aus den
kleinen zu beziehen.
Im Schützengraben essen ja Mann und Offizier aus derselben Feldküche. Daß
der Stab sich die Sachen besser zubereiten läßt, ist doch zu verstehen, man wird uns nicht
zumuten, aus der Feldküche zu essen. Aber, was recht und billig ist, drücken wir durch.
Das Schlimme ist, es gehen Gerüchte um, die einem Ehre und Reputation
abschneiden können, und man kann nichts dagegen machen. Geben Sie mir Einzelheiten,
dann werde ich dahintergreifen, aber seien Sie überzeugt, die Verhältnisse liegen nicht
so kraß, wie man behauptet. Im ganzen ist alles in Ordnung.
Der Reichskanzler: Ich bitte, nicht in Details zu gehen, dazu fehlt uns die
Zeit. Wie beurteilen die Herren Staatssekretäre die Stimmung in Deutschland in
Verbindung mit den Maßregeln, die der Herr Kriegsminister vorschlägt?
Staatssekretär Scheidemann: Ich glaube gern, daß man noch Hunderttau-
sende für das Heer mobil machen kann, aber man täuscht sich, wenn man glaubt, daß
diese Hunderttausende die Stimmung im Heer verbessern würden. Das Gegenteil ist
— 75 —
meine feste Uberzeugung. Schon die Dauer des Krieges zermürbt das Volk, und dazu
die Eyttäuschungen. Der U-Bootkrieg hat enttäuscht, die technische Uberlegenheit der
Gegner, der Abfall der Bundesgenossen oder doch ihr vollständiger Bankerott, dazu die
sich steigernde Not im Innern. Nun tritt die Wechselwirkung ein. Aus dem Heer
kommen die Urlauber mit schlechten Geschichten, aus der Heimat bringen sie schlechte
Nachrichten in das Heer zurück. Dieser Austausch drückt die Stimmung. Wir würden
uns täuschen, wenn wir das beschönigen wollten. Die Arbeiter kommen mehr und
mehr dazu, zu sagen, lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
General Ludendorff: Wird es Enerer Exzellenz nicht gelingen, die Stimmung
in den Massen zu heben?
Staatssekretär Scheidemann: Das ist eine Kartoffelfrage. Fleisch haben wir
nicht mehr. Kartoffeln können wir nicht liefern, weil uns jeden Tag 4 000 Wagen
sehlen. Fett haben wir überhaupt nicht mehr. Die Not ist zu groß, daß man vor
einem völligen Rätsel sleht, wenn man sich fragt, wovon lebt Berlin-Nord und wovon
lebt Berlin-Ost. Solange man diese Rätsel nicht lösen kann, ist es ausgeschlossen, die
Stimmung zu bessern. Es wäre eine Unehrlichkeit ersten Ranges, wenn wir darüber
irgendeinen Menschen einen Iweifel ließen.
Staatssekretär Haußmann: Wenn wir auf die Stimmung abstellen, so stellen
wir auf einen sehr labilen Faktor ab. Kein Iweifel ist, daß das Parlament den Appell
an das Volk in der allerstärksten Weise ergehen lassen wird und auch eine starke Wirkung
erzielen kann. Wielange, wieviel Wochen, wieviel Tage hängt von dem Verlauf der
nächsten Ereignisse ab. Die Bevölkerung ist nämlich erst durch den scharfen Ton
der Wilsonnote vor den ganzen Ernst der Lage gestellt worden. Daraus ergibt sich ein
großer Widerspruch der Stimmung. Man könnte sie haben, wenn unverschämte Forde-
rungen, die in der Note zwischen den Zeilen zu lesen sind, deutlich hervorträten. Wie.-
viel Tage haben wir nach dem Bedürfnis der Armee noch frei zum Führen der Verhand-
lungen, davon hängt der Ton der Verhandlungen ab.
General Ludendorff: Wenn die Armee über die nächsten vier Wochen hinüber-
kommt und es in den Winter geht, so sind wir fein heraus-. Wenn es gelingt, die
Stimmung während dieser vier Wochen zu heben, würde das von außerordentlichem
militärischen Werte sein. Ich werde alles tun, was ich kann, um die Verpflegung der
Heimat zu bessern. Ich werde das gleich mit dem Eisenbahnchef besprechen. Wie weit
es möglich ist, übersehe ich nicht. «
Staatssekretär Scheidemann: Der Mangel an Wagen wurde uns neulich sehr
eindringlich durch Herrn von Waldow zu Gemüte geführt. Er sagte dabei, sehr bald
würden wir nicht einmal mehr das kleine OQuantum Kartoffeln haben, das jetzt noch ver-
teilt wird.
General Ludendorff: Ich werde das Nötige veranlassen.
Vizekanzler von Payer: Ich sehe nicht so schwarz wie Exzellenz Scheidemann.
Man muß da unterscheiden. Ich erinnere an die Stimmung des Sommers. Kein
Mensch hat da gezweifelt, daß wir schließlich als Sieger aus dem Kriege herausgehen,
aber der Krieg war dem Volke sehr verleidet, und die Stimmung war deshalb schlecht.
Trotzdem dachte niemand daran, daß wir zugrunde gehen könnten.
Als wir die erste Note schickten, haben sich die Leute gefragt, was ist los? Es
scheint doch nicht so gut zu sein. Bald wurde die Stimmung unsicher. Als nun die
— 76 —
zweite Wilsonnote kam, da ist die Stimmung zusammengeklappt, und man hat gesehen,
daß es uns ans Leben geht, aber auch diese Stimmung schlug wieder um: bei der Er-
kenntnis, daß wir als Nation, vor allem auch wirtschaftlich zugrunde gerichtet werden
sollen, überlegte sich jeder: Müssen wir das erdulden oder gibt es noch eine Möglichkeit,
das abzuwenden: Wenn wir den Leuten sagen: Es gibt noch eine Möglichkeit, das ab-
zuwenden, wenn ihr nur durchhaltet. Wenn ihr aber nicht noch ein paar Wochen halten
könnt, dann müßt ihr damit rechnen, daß Deutschland halb und halb aus dem Kreise
der Nationen ausgestrichen wird. Ihr müßt mit einer Belastung durch Entschädigungen
rechnen, die uns erdrücken wird — dann könnte man sie noch einmal hoch bekommen.
Wenn es gelingt, die Note so zu fassen, daß die Bevölkerung die Sicherheit ent-
nimmt, wir sind zwar in einer schweren Lage aber wir werfen die Flinte nicht ins Korn,
— dann ist noch nicht alles verloren.
General Ludendorff: Der Vizekanzler hat mir aus der Seele gesprochen. Es
fragt sich nur: wie schaffen wirs? Da kann ich nur die Bitte wiederholen: Packen Sie
das Volk, reißen sie es hoch. Kann das nicht Herr Ebert tun? Es muß gelingen.
Vizepräsident Friedberg: Jedenfalls muß sehr schnell gehandelt werden. In der
letzten Zeit war die Lage sehr schwierig. Wir haben die Oberpräsidenten hier ver-
sammelt gesehen. Die sämtlichen Pastoren von Berlin traten zusammen. Die Parteien
halten Fraktionssitzungen — kein Mensch weiß, woran er ist, und alle fassen sich an den
Kopf, wie man plötzlich vor einer solchen Katastrophe stehen kann. Wir werden auf-
gefordert zu sagen: stellt die Lage ernst dar aber noch nicht verzweifelt. Damit bekommt
man keine Hochstimmung.
General Ludendorff: In keiner Weise.
Vizepräsident Friedberg: Jetzt hören wir, daß die Sache wesentlich anders liegt.
Da stimme ich mit Exzellenz von Payer darin überein, daß wir rasch aus der Note an
Wilson herausholen sollten, was herausgeholt werden kann.
Der Reichskanzler: Eure Exzellenz meinen, daß vier Wochen guter Stimmung
nötig sind? · «
General Ludendorff: Wenn es mehr sind, ist es mir lieber. Jedenfalls wird
nach dieser Frist die Krise an der Westfront zu Ende sein, wenn wir auch noch zurück-
gehen müssen. Man hat das so im Gefühl. Die Angriffskraft war in den letzten Tagen
nur noch gering. '
Der Reichskanzler: Aber innerhalb von 8 bis 10 Tagen kommt wieder eine
neue Welle, wie Euere Exzellenz damals im Gespräch mit mir selbst gesagt haben.
General Ludendorff: Die kommt. Ein neuer Angriff ist bei der 10. Armee schon
in Gang; wie es da steht, weiß ich nicht. Morgen kommt wieder einer bei der 5. Armee;
das hört nicht auf.
Der Reichskanzler: Es kommt nun darauf an, daß die Maßregeln, die Sie
empfehlen, den Angriffen einen solchen Riegel vorschieben, daß man politisch wieder frei
arbeiten kann. Eure Exzellenz wissen, daß ich damals nicht für die Friedensnote war,
aber es wurde mir gesagt, jede Stunde kostet uns soundso viele Hunderttausend Mann
und jeder Augenblick könne eine Katastrophe herbeiführen. Exzellenz von Hintze ist mein
Zeuge.
Exzellenz von Hintze: Das ist so, Eure Großherzogliche Hoheit.
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General Ludendorff: Es ist auch heute so, daß wir jeden Tag eingedrückt und
geschlagen werden können. Vorgestern ist es gut gegangen; es kann auch schlecht gehen.
Der Reichskanzler: Wenn Sie sagen, daß wir nach vier Wochen besser stehen,
so sagen die Engländer, wenn es noch sechs Wochen dauert, so haben wir nicht mehr
nötig, mit den Deutschen zu verhandeln. Jedenfalls tut die Entente alles, was sie kann,
um unsere Verhandlungen mit Wilson in die Länge zu ziehen.
General Ludendorff: Die Verhandlungen in Berlin sind der Entente zu Ohren
gekommen und haben die Angriffslust gewaltig erhöht. Aber das meine ich doch: jede
militärische Stärkung der Front stärkt auch die Stellung Eurer Großherzoglichen Hoheit
für den Friedensschluß.
Der Reichskanzler: Das ist richtig.
General Ludendorff: Ob die Stärkung rechtzeitig kommt oder nicht, kann ich
nicht sagen. Ich wiederhole, was kommt, kommt rechtzeitig.
Der Reichskanzler: Wie stark ist das Westheer?
Oberst Heye: Die Westfront zählt jetzt 91 Divisionen, davon 4 OÖsterreicher und
7 aus dem Osten. Sie sind sehr verschieden an Stärke. 28 Divisionen haben nur Ba-
taillonsstärken von ungefähr 200 bis 300 Mann. Die übrigen stehen sich ungefähr auf
400 bis 000.
General Ludendorff: Hätten wir da vollkräftige Bataillone, so wäre die Lage
gerettet.
Der Reichskanzler: Durch die bisherige Aussprache sind die Fragen 1 bis 8 die
wir zu stellen hatten, erledigt. Ich komme nun zur neunten Fragen:
Wird durch eine Entblößung der Ostgebiete die Olzufuhr für Heer und Heimat so
in Frage gestellt, daß wir zum vorzeitigen Friedensschluß oder zur Einstellung des
II. Boot-Krieges gezwungen werden?
General Ludendorff: Das wird der Herr Kriegsminister beantworten.
Scheüch: Dieser Punkt ist allerdings von größter Bedeutung. Wenn Rumänien
uns nicht mehr zur Verfügung steht, können wir den Krieg noch anderthalb Monate
weiterführen. Wir haben früher mit zwei Monaten gerechnet; das hat sich aber nicht
bewahrheitet, da die Transportmittel geringer geworden sind und der Verbrauch sich
erhöht hat.
Wie lange der U-Boot-Krieg beim Wegfallen der Olzufuhr Rumäniens weiter-
geführt werden kann, weiß die Heeresverwaltung Rumäniens nicht, weil wir den Ver-
brauch der Marine nicht kennen. Die Ziffern der Marinebehörden über den Verbrauch
durch die Automobile sind uns gestern zugekommen und noch nicht verarbeitet.
Es ist unbedingt nötig, daß die Olbewirtschaftung bei Heer und Marine gemein-
sam erfolgt. Wir müssen gemeinsam erwägen nicht nur, wie teilen wir? sondern auch,
wie strecken wir: Das ist jetzt unklar. Ich bitte möglichst bald, wenn irgend tunlich
heute nachmittag, in Verhandlung hierüber einzutreten. Vielleicht wird auch die
Oberste Heeresleitung und der Admiralstab beizuziehen sein.
Wir gehen auch in bezug auf die Heimatwirtschaft ganz bedenklichen Verhält-
nissen entgegen. Wir sind nur noch für wenige Monate eingedeckt. Gestern ist im
Reichswirtschaftsamt über die Frage verhandelt worden: wie können wir die Leuchtöl-
mittel für die Heimat kürzen: Jede Kürzung wird natürlich sehr bedenklich sein, denn
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es gibt kaum noch Ersatz. In vielen Betrieben wird also die Beleuchtung einfach
aufhören.
Aber auch hierüber kann ich nur ein klares Bild geben nach Einblick in die
Verbrauchsziffern, Bestände, Deckungsmöglichkeiten und Streckungsmöglichkeiten der
Marine.
Admiral Scheer: Bisher hat die Marine ihre Bestände selbst verwaltet. Erfolg:
wir können den U-Boot.Krieg noch 8 Monate durchführen, auch ohne rumänische
Bestände.
Aber ich stehe nicht an, einzuräumen, daß die Vorräte so verwaltet werden
müssen, daß das Heer nicht eher zu Ende ist als die Marine. Wir müssen beide zu-
sammen den Krieg zu einem glücklichen Ende bringen. Ich bin ganz bereit mitzuarbeiten,
daß der eine Teil nicht der beatus possedens ist, wenn es beim anderen schon zu
Ende geht.
Staatssekretär von Mann: Ich bin ganz derselben Meinung. Ob und wie es
zum Jiele führen kann, besondere Petroleumvorräte für die Qivilbevölkerung zu schaffen,
weiß ich nicht. Vielleicht könnte man etwa 10 v. H. der Bestände dazu verwenden; aber
darüber fehlt mir das Urteil.
Der Reichskanzler: Auch ich weiß nicht, wie groß der Verbrauch des Heeres, der
Marine, der Landwirtschaft im Verhältnis zueinander ist.
Unterstaatssekretär Göppert: Ich bitte auch die Zivilbevölkerung in die Bewirt-
schaftung einzubeziehen. 10 000 t monatlich hat man der Bevölkerung versprochen, das
ist das Minimum. Wenn man die Bevölkerung im Winter leidlich ruhig halten will,
muß das so bleiben. Als man im vorigen Winter 12 000 monatlich gab, lag die
Beleuchtungswirtschaft auch schon in den letzten Zügen.
Der Reichskanzler: Wie lange kann die Armee, die Marine und die Heimat
aushalten in dem Moment, wo die Olversorgung aus Rumänien ausfällt? Die Ant-
wort auf diese Frage würde ich sehr gern in kürzester Frist haben. Wann kann ich
sie bekommen?
Kriegsminister Scheüch: Heute nachmittag werden die Feststellungen getroffen.
Der Reichskanzler: Wenn man mir sagt: die Heimat kann noch ein paar Monate,
das Heer noch anderthalb Monate, die Marine noch acht Monate auskommen, so habe
ich kein Bild. Das muß auf den gleichen Nenner gebracht werden.
Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um an Exzellenz Göppert noch eine Frage
über die Wichtigkeit der Ukraine für die Versorgung zu richten. Ist angesichts der Lage
an der Westfront die weitere Besetzung der Ukraine durch 12 deutsche Divisionen durch
das Bedürfnis der deutschen Versorgung zu rechtfertigen?
Vizekanzler von Payer: Der Herr Staatssekretär des Kriegsernährungsamts ist
soeben eingetroffen.
Der Reichskanzler: Ich bitte den Herrn Staatssekretär die Frage zu beant.
worten.
Staatssekretär von Waldow: Wenn die Frage so gestellt ist, kann ich sie glatt
verneinen. Wir haben die Lebens= und Futtermittel der Ukraine in unseren Wirtschafts-
plan nur eingestellt als Notbehelf und zur Verbesserung der Lage. Handelt es sich aber
— 79 —
darum, ob der Verzweiflungskampf aufgenommen werden muß, so können wir auch auf
die Ukraine verzichten und werden dann versuchen, durch Schmuggel unsere Bestände
zu vermehren.
General Ludendorff: Ich weise nochmals darauf hin, daß jetzt aus den Ostgebieten
ungefähr eine Million Menschen ernährt werden, die wir dann selbst mit verpflegen
müßten.
Staatssekretär von Waldow: Dann müßte mir zuvor angegeben werden, welche
Verpflegungssätze, welche Quantitäten in Frage kommen. «
General Ludendorff: Ich werde den Generalquartiermeister veranlassen, die
Frage mit Ihnen einwandfrei zu klären. Uns hat das Kriegsernährungsamt wiederholt
gesagt, wir müßten die Ukraine halten. Darüber muß einwandfrei Klarheit herrschen.
Brauchen wir die Ukraine nicht, um zu leben, so handelt es sich nur um so viele
Truppen, um die Gefahr des Bolschewismus von den Grenzen zu halten.
Staatssekretär von Waldow: Als ich die Notwendigkeit der Ukraine bejahte,
war die Lage eine ganz andere.
General Ludendorff: Wenn wir die Ukraine aufgeben, kommt unsere Viehwirt-
schaft zum Erlahmen. Die Frage ist aber nicht so eilig. Es rollen Truppen von Oster-
reich nach Rumänien auch aus der Ukraine. Es müssen nur grundsätzlich klare Ent-
schlüsse gefaßt werden.
Unterstaatssekretär Göppert: Ein Kommissar aus Kiew, den ich vor einer
Stunde gesprochen habe, bestätigte mir, daß eine Hoffnung, größere Mengen Getreide
in diesem Winter aus der Ukraine herauszubekommen, nicht besteht. Auch die Preise
werden das verhindern. Man zahlt jetzt schon 3000 Rubel fr. Auch die
Menge der anderen Lebensmittel ist nicht so groß, daß sie für die Ernährung des deutschen
Volkes wesentlich in Betracht käme. Dagegen herrscht die Uberzeugung, daß das Jurück-
ziehen der deutschen Truppen sofort das Aufflammen des Bolschewismus mit allen seinen
Folgen nach sich ziehen würde. Der Kristallisationspunkt für eine Beruhigung der
russischen Girung würde verschwinden, ganz Rußland wäre dem Bolschewismus aus-
geliefert, unsere Anknüpfungen in Südrußland zerreißen. Das muß doch auch erwogen
werden. «
Der Reichskanzler: Das Auswärtige Amt hat Schritte getan, um aus Rumänien
zu sichern, aber es ist möglich, daß Rumänien vorzieht, unsere Jerschmetterung abzu.
warten. Will man Rumänien im Notfall zwingen?
General Ludendorff: Mit dem Auswärtigen Amt haben wir die Gefahr erkannt
und ihre Haltung erörtert. Am 10. Oktober schlugen wir vor, Rumänien gemeinsam
mit Osterreich zu zwingen. Österreich wollte nicht. An sich hatten wir genug Truppen,
einige kommen langsam aus Ungarn heran, dazu zwei Divisionen Österreicher und eine
Kavalleriedivision aus der Ukraine, die General von Arz herangezogen hat. Die
rumänische Armee allein wird nicht losschlagen, nur wenn Ententetruppen in größerer
Bahl zu ihr stoßen. Solche Truppenbewegungen sind jetzt im Gange. Eine wird jetzt
über Nisch in Richtung auf Belgrad angesetzt, eine andere, wie es scheint, über die
Marizza-Mündung gegen Konstantinopel. Soweit ich die Lage nach den eingegangenen
Nachrichten überhaupt einschätzen kann, ist für die nächste Woche nichts zu besorgen.
Der Reichskanzler: Ich bitte das Auswärtige Amt sich dazu zu äußern.
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Staatssekretär Solf: Ich bin nicht orientiert.
Graf Roedern: Kann die Donaufront forciert werden?
General Ludendorff: Wenn Konstantinopel fällt, kommt die englische Flotte ins
Schwarze Meer und dann ist Rumänien nicht zu halten. Es ist aber doch vom Aus-
wärtigen Amt alles getan, um Rumänien bei der Stange zu halten?
Unterstaatssekretär von Stumm: Sobald die Entente militärisch an Rumänien
herankommt, können wir es nicht mehr halten.
General Ludendorff: Das ist auch meine Ansicht.
Der Reichskanzler: Ich komme nun zu einer weiteren Frage: Wie steht es mit
den Reserven der Entente?
Oberst Heye: Vorige Woche hatten die Franzosen 40, die Engländer 25, die
Amerikaner 18, die Italiener 1, dazu kommen noch Portugiesen, Polen und andere
Hilfstruppen, im ganzen 87 Divisionen Reserven von der Gesamtstärke von 220 Di-
visionen.
General Ludendorff: Wir haben 191 Divisionen an der Westfront, die Lahlen
der Divisionen sind also nicht einmal so sehr verschieden, wohl aber die Stärken. Die
französische Division ist auch nur schwach, nicht wesentlich höher wie unsere, die englische
ist stärker und die 40 amerikanischen sind recht stark. Die Uberlegenheit an Menschen,
über die die Entente gegen uns verfügt, drückt sich also in den Hahlen der Divisionen
nicht hinreichend aus.
Der Reichskanzler: Die elfte Frage lautet: Wie lange ist noch mit Großangriffen
an der Westfront zu rechnen?
General Ludendorff: Das kann weitergehen, kann aber aufhören, ich weiß
es nicht.
Der Reichskanzler: Besteht die Wahrscheinlichkeit einer Uberführung weiterer
Italiener an die Westfront?
General Ludendorff: Die Möglichkeit, aber nicht die Wahrscheinlichkeit. Die
Kriegsmüdigkeit in Italien ist sehr groß.
Graf Roedern: Ist ein Angriff der Italiener über ÖOsterreich gegen Deutschland
ausgeschlossen?
General Ludendorff: Physisch unmöglich ist er nicht; sie können durch Tirol,
aber wir brauchen jetzt nicht damit zu rechnen. Sonst machen wir uns noch mehr Angst.
Wenn ZItaliener gegen Deutsche fechten, so wird das wohl nur an der Westfront
geschehen.
Der Reichskanzler: Müssen wir eine neue Ostfront bilden?
General Ludendorff: In Serbien stehen drei Divisionen und zwei österreichische,
dazu sind die (7) Truppen an die Donau gekommen. Augerblicklich ist keine Gefahr.
Nach acht Tagen kann es anders sein.
Der Reichskanzler: Ich denke an die Ostfront gegen Rußland.
General Ludendorff: General Hoffmann meint, eine kampffähige Truppe wird
uns da nicht mehr gegenübertreten; aber wir müssen die Grenzen sperren und uns gegen
Banden wehren. Vielleicht schwillt nun, wenn wir die Ukraine räumen, den Bolschewiken
der Kamm, so daß sie uns den Krieg erklären. Aber an eine kampffähige Rote Armee
glaube ich nichte:
Der Reichskanzler: Die Sperre ist aber nicht dicht, es kommen doch Hun-
derte durch. "
General Hoffmann: Ja, mit und ohne Paß, mit richtigen und falschen.
Der Reichskanzler: Aber ein militärischer Durchbruch ist nicht zu befürchten?
General Ludendorff: Nein, militärisch glaube ich nicht daran.
Der Reichskanzler: Eine weitere Frage: Wie viele Amerikaner kommen monat-
lich nach Frankreich!
Oberst Hehe: Nach dem Durchschnitt der letzten Monate. 250 000.
General Ludendorff: Im April, Mai und Juni waren es 350 000.
Der Reichskanzler: Hat ihre Zahl seitdem nicht mehr zugenommen?
Oberst Heye: Im Anfang des Jahres war die Zahl viel geringer, etwa 85 000
monatlich, dann kam der starke Aufstieg bis zum Hochsommer, seitdem sind es jedenfalls
nicht mehr geworden.
Der Reichskanzler: Wie groß wird die Stärke des amerikanischen Heeres im
nächsten Frühjahr sein? "
Oberst Heye: Die amerikanische Heeresleitung berechnet die Truppenzahl jetzt
auf 1 200 000, für das nächste Frühjahr rechnen sie mit 2 300 000 Kämpfern.
Der Reichskanzler: Und ist das entsprechende Material das
Oberst Heye: Ja, wenn es so weitergeht wie bisher, kann man damit rechnen.
Die Amerikaner sind in ihren Angaben immer wahr gewesen.
Der Reichskanzler: Auf wie hoch darf man die Frontstärke der Feinde im Westen
jetzt schätzen?
Oberst Heye: Bei den Franzosen ist sie stark verringert, bei den Engländern
wird sie sich auf derselben Höhe halten, weil sie vorläufig noch Ersatztruppen aufstellen
können, bei den Amerikanern wird sie sich vermehren.
General Ludendorff Die Ersatzfrage ist sehr schwer zu beurteilen. Voriges Jahr
hatten die englischen Divisionen noch 12 Bataillone, heute nur noch 9. Es hängt sehr
davon ab, wie die wirtschaftlichen Interessen liegen. Nach der Niederlage im März
mußte zum Beispiel England die Kohlenarbeiter einziehen; zieht es jetzt wegen der Kohlen-
not die Leute wieder heraus, so schwächt das natürlich die Front. Auch politische Mo-
mente spielen mitj bis jetzt können sie die Irländer nicht einstellen, das Wehrgesetz geht
da zunächst nicht durch.
Der Reichskanzler: Also wir können bis nächstes Frühjahr 600 000 bis
700 000 Mann Ersatz aufstellen, die Feinde 1 100 000 Mann, wenn ich nur die
Amerikaner berechne; dazu kommen dann vielleicht die Italiener. Wird sich also zum
Frühjahr unsere Lage verschlechtern oder verbessern!?
General Ludendorff: Nach den Jahlen ist es keine Verschlechterung. Aber dazu
kommt die Rückwirkung der Räumung auf unsere wirtschaftliche Lagej wenn wir zurück-
gehen, wird die Lage unserer Kriegsindustrie im höchsten Maße verschlechtert. Das
konnte man ja immer voraussehen, daß, wenn wir aus dem Kriege mit unseren jetzigen
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Grenzen herauskommen, wir militärpolitisch und industriell viel schlechter stehen als
früher. Das wird sich auch jetzt bei einer Räumung zeigen.
Der Reichskanzler: Eure Exzellenz haben bis jetzt nur die Zahlen der Menschen
erwähnt; aber es ist auch das Material zu bedenken, Flugzeuge, Tanks und anderes.
General Ludendorff: Die Flieger der beiden Heere verhalten sich schon jetzt wie
1: 3. Trotzdem ist die Uberlegenheit bei uns. Die Angaben über Feindverluste, die wir
machen, bleiben weit hinter der Wirklichkeit zurück, wie wir später oft an den feind-
lichen Nachrichten feststellen können. Alles das schreckt mich nicht.
Der Reichskanzler: Und die Tanks nächstes Frühjahr?
General Ludendorff: Ich hoffe, daß, wenn unsere Infanterie wieder zu Kräften
kommt, auch der Tankschrecken, der schon einmal überwunden war, und wiedergekommen
ist, nochmals überwunden wird. Er kam mit aller Kraft wieder am 8. August durch den
Nebel und wer weiß was sonst. Ist aber die Stimmung der Truppen wieder hergestellt,
se machen sich Teile von ihnen, so die Jägerbataillone und die Gardeschützen, geradezu
einen Sport daraus, die Tanks abzuschießen. Es lockt auch aus materiellen Gründen,
denn in den Tanks gibt es immer gute Verpflegung. Wir konnten nur nicht Schritt
halten in dem Bau von Tanks, weil wir zuerst Lastautos bauen mußten; aber bis
nächstes Frühjahr werden wir darin weiter sein.
Graf Roedern: Ich nehme an, daß, wenn wir eine gewisse Ruhepause haben die
Lage sich bessert, oder ist auch das Urteil des General Ludendorff auch dann gültig,
wenn wir in den nächsten zwei bis drei Monaten kämpfend von unserer Linie auf der
Westfront zurückgehen müssen?
General Ludendorff: Das kommt auf das Tempo anzFjeder Rückzug kostet um so
mehr Gefangene und Material, je rascher er vor sich geht. Bei dem langsamen Zurück-
gehen der 3., I., 7. und 18. Armee sind so gut wie keine Einbußen an Menschen und
Material gewesen; wenn wir aber ausweichen müssen, wie bei der 17. und 2. Armee,
dann ist es eine erhebliche Schwächung. Wir verkürzen uns außerordentlich, aber die
Lebensbedingungen der Armee, das was sie zum Handeln braucht, Munition usw.) das
wird erheblich verschlechtert, weil wir unser Industriegebiet den feindlichen Fliegern
aussetzen.
Sollten die Waffenstillstandsverhandlungen kommen, so bedeutet schon die Zu-
sage der Räumung an sich eine wesentliche Verschlimmerung der militärischen Lage.
Kriegsminister Scheüch: Daß die Zurückführung des Heeres auf den heimatlichen
Boden eine außerordentliche Schwächung des Heeres bedeutet, ist zuzugeben, nicht nur
wegen der geringeren Möglichkeit der Herstellung alles dessen, was das Heer zum Kampf
nötig hat, sondern auch im Hinblick auf die Stimmung und den Gehalt der Truppe.
Eine enge Verbindung mit der Heimatbevölkerung, die niedergedrückt ist durch die starke
Belegung, drückt auch das Heer nieder. Es würden an der ganzen Grenze dieselben Be-
dingungen eintreten wie jetzt im Elsaß und noch schlechtere. Auch die Lebenshaltung der
Bevölkerung selbst würde sehr herabgedrückt.
Admiral Scheer: Ich habe schon gestern gemeldet, wie der Stand bei der Marine
ist, muß aber wohl auch hier ein Bild von den Verhältnissen der Flotte geben, weil es
darauf ankommt, ob man den Waffenstillstand unter den Bedingungen bekommen soll die
Wilson stellt.
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In den beiden letzten Jahren hat sich die Flotte nur in den Dienst des U-Boot-
Krieges gestellt und sich dabei völlig gefechtsbereit gehalten. Wenn uns die Arbeiterver-
hältnisse verbessert werden, können wir den Bau der Unterseebote auf das Doppelte,
ja Dreifache erhöhen. Nun geht die Forderung Wilsons dahin, daß wir den U-Boot-
Krieg einstellen sollen. Wenn wir dem nachgeben, würde ein ganz erhebliches Druck-
mittel preisgegeben und eine Gegenleistung für die Annahme des Waffenstillstands bei
der jetzigen Stellung. Denn da ist doch die Lage so, daß das Heer standhalten kann.
Deshalb brauchen wir auf die zweite Wilsonsche Bedingung nicht einzugehen.
Der Reichskanzler: Damals sprachen Eure Exzellenz von 40 000 Arbeitern, die
nötig wären. Können Sie die bekommen, wenn der Kriegsminister 600 000 Mann
aufbietet?
Admiral Scheer: Bis zum 1. Dezember brauchen wir nur 15 000 bis
16 000 Mann.
Der Reichskanzler: Und bis wann brauchen Sie die 40 0002
Admiral Scheer: Erst bis in den Sommer. Wir können schon mit den ersten
16 000 Mann die monatliche Ablaufziffer von 10 auf 16 steigern.
Der Reichskanzler: Als letztes Wort möchte ich mir folgende Frage erlauben:
Wenn alle Maßnahmen getroffen werden, die Eure Exzellenz vorgeschlagen
haben, wenn die Front für die nächsten Monate hält, sind dann Eure Exzellenz der
Anschauung, daß wir dann im Laufe des nächsten Jahres eine Lage geschaffen haben
werden, die besser ist als die, in der wir uns augenblicklich befinden? Wir müssen uns
darüber klar sein, daß jede Kraftanstrengung, die wir jetzt machen und die sich nicht
am Ende bezahlt macht, eine Kraftverschwendung bedeutet und eine Lage schaffen würde,
deren Verantwortung wir tragen und der wir fest ins Auge sehen müssen. Können
wir im nächsten Jahre den Krieg unter besseren Bedingungen beenden als jetzt?
General Ludendorff: Jede Kraftanstrengung, die wir augenblicklich machen,
verbessert unsere Lage.
Admiral Scheer: Man steht wohl allgemein unter dem Eindruck) daß der
Feind den U-Boot-Krieg sehr erheblich spürt, namentlich Italien. Das wird sich in
nächster Jeit noch steigern, besonders auch gegenüber Amerika. Wenn wir aber die
Bedingungen annehmen, die uns gestellt worden sind, geben wir das alles aus der Hand.
Der Reichskanzler: Das ist keine Antwort auf die Frage, die ich gestellt habe:
Werden wir den Krieg unter besseren Bedingungen beenden, wenn wir den Wünschen
der Obersten Heeresleitung nachgeben? Es handelt sich jetzt noch nicht um die Beant-
wortung der Note Wilsons.
Admiral Scheer: Unsere Lage wird sich bessern, weil die der Gegner sich
verschlechtern wird. Deshalb sollen ja die Gegner gerade in diesem Herbst fertig werden.
Graf Roedern: Es ist schon so oft gesagt worden, daß sich die Lebenshaltung
unserer Feinde verschlechtert hat, aber wir haben wenig davon gemerkt, daß das den
Krieg beeinflußt hat. Wird das jetzt so viel anders sein? Wird dabei berücksichtigt,
daß für uns die flandrische Küste wegfällt, daß ÖOsterreich jetzt zum Frieden kommt
und wir damit die U-Boot-Basis im Mittelmeer verlieren? Kann die Steigerung der
U-Boot-Erzeugung das ausgleichen?
217
— 84 —
Admiral Scheer: Der Ausfall der beiden U-Boot-Basen in Flandern und im
kittelmeer hat auf unseren U-.Boot Krieg nach meiner Auffassung und der meiner Mit-
arbeiter keinen Einfluß. Im Gegenteil, je mehr wir uns auf die Umgebung der
Britischen Inseln konzentrieren, desto wirksamer ist der Krieg. Bisher haben wir,
wenn auch nur unter großen Anstrengungen, die Fahrt nach England offen gehalten.
Ich kann freilich nicht sagen, in der und der Jeit ist der Gegner zusammen-
gebrochen. Es kommt darauf an, die Wirkungen, die schon vorliegen, zu verstärken
und den Gegner dauernd unter Druck zu halten, dann wird sich die politische Wirkung
schon bemerkbar machen.
Graf Roedern: Man hat der Marineleitung, gewiß mißverständlich, nachgesagt,
daß sie bestimmte Qusagen wegen der Wirkung des U-Boot-Krieges gemacht habe, aber
eine Zusage ist sicher gemacht worden, nämlich darüber, daß man die Jufuhr ameri-
kanischer Truppen verhindern könne. Gerade diese Zusage ist nicht gehalten worden.
Der damalige Staatssekretär ds Reichs-Marine-Amts beantwortete die Frage danach
ungefähr dahin: die amerikanischen Truppen sollen nur kommen, sie bilden will-
kommene Angriffspunkte für uns. Das hat sich doch als durchaus irrtümlich erwiesen.
Sind dann die Einwirkungen auf die englische Wirtschaft noch so hoch zu be-
werten? Sobald die Amerikaner sich entschließen, statt 250 000 Mann nur noch
150 000 Mann monatlich zu schicken, wird die Versorgung Englands erheblich er-
leichtert. Es muß da eine Fehlerquelle liegen. Liegt sie vielleicht darin, daß das
Tempo des amerikanischen Schiffbaus unterschätzt worden ist?
Admiral Scheer: Ich kenne die Erklärung des Staatssekretärs nur aus den
Zeitungen. Ich weiß nur, daß er die amerikanischen Truppen nicht hoch eingeschätzt
hat, wahrscheinlich weil er ihre Unterhaltung auf französischem Boden für schwierig
ansah. Man kann die U-Boote nicht nur auf Transportschiffe ansetzen, sie müssen ihre
Torpedos da brauchen, wo sie den meisten Schiffsraum vernichten.
(Der Reichskanzler übergibt den Vorsitz an den Vizekanzler.)
Vizekanzler von Payer: Der Eindruck der militärischen Lage ist doch heute
wesentlich günstiger als zu Anfang des Monats. Liegen die Gründe dafür auf mili-
tärischem Gebiet?
General Ludendorff: An der Front ist es der nicht gelungene Angriff des
Feindes von gestern und vorgestern. Der Feind hat nicht ordentlich angebissen. Hätte
er alles getan, was er konnte, so wären wir geschlagen worden. An dieser Stelle hat
sich die Kampfkraft der Entente nicht auf der Höhe gezeigt wie bisher.
Dazu kommt, daß die Amerikaner starke Grippe haben. Allerdings fängt sie
auch bei uns an zu grassteren, und zwar in einer sehr bösen Form. Unsere Truppe ist
müde und der müde Mensch erliegt der Seuche leichter als der frische.
(Der Reichskanzler übernimmt den Vorsitz wieder.)
Der Reichskanzler: Die Lage ist also nicht mehr dieselbe wie sie am 5. Oktober
war, als wir veranlaßt wurden, den Friedensschritt bei Wilson zu tun.
General Ludendorff: Ich habe den Eindruck) ehe wir durch diese Note Bedin-
gungen auf uns nehmen, die zu hart sind, müßten wir dem Feinde sagen: Erkämpft
Euch solche Bedingungen.
— 85 —
Der Reichskanzler: Und wenn er sie erkämpft hat, wird er uns dann nicht noch
schlechtere stellen?
General Ludendorff: Schlechtere gibt es nicht.
Der Reichskanzler: O ja, sie brechen in Deutschland ein und verwüsten
das Land.
General Ludendorff: So weit sind wir noch nicht.
Graf Roedern: Es ist bisher nur von Sieg oder Niederlage gesprochen worden.
Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: wir gehen langsam zurück. Das ist das Wahr-
scheinlichstt, wenn wir einen Durchbruch der Feinde nicht zu befürchten haben. Ich
halte auch nicht für wahrscheinlich, daß wir die Feinde zurückwerfen. Also ange-
nommen wir gehen zurück, wir füllen auf, unsere Widerstandskraft wird gestärkt:
wird dann Amerika veranlaßt, uns bessere Bedingungen zu stellen? Amerika weiß,
daß wir unsere letzten Reserven verbrauchen; es wird seine Jeit abwarten.
General Ludendorff: Wie sieht es denn in den anderen Ländern aus" Ich habe
eine Agentenmeldung, daß in England und Frankreich ernste Befürchtungen auftreten,
der Krieg könnte den Monat überdauern, Deutschland wird die Entente noch auf feind-
lichem Boden zum Stehen bringen. Die Furcht vor einem Umschlag der Lage ist dort
sehr groß.
Staatssekretär Solf: Ich habe den Reichskanzler verantwortlich zu beraten,
wie die Note, die wir an Wilson zu richten haben, nach Ton und Inhalt zu fassen ist.
Für diese Aufgabe bin ich durch die Ausführungen von Exzellenz Ludendorff nicht wesent-
lich besser vorbereitet als vorher.
Ju Anfang dieses Monats ist die politische Leitung des Reiches von der Obersten
Heeresleitung gedrängt worden, die Gegner um Waffenstillstand zu bitten und Frieden
vorzuschlagen. Gegen den Willen und gegen die Auffassung des Reichskanzlers hat
er sich entschließen müssen, diesen Schritt mit seiner Verantwortlichkeit zu decken. Dann
kam die Gegenfrage und auch damals ist an der Auffassung festgehalten worden, daß in
unserer Antwort an den von uns vorgeschlagenen Bedingungen einfach festzuhalten sei.
Jetzt ist die Antwort Wilsons gekommen, die uns vor schwere Entschlüsse stellt und
sofort ändert sich das Bild, so daß wir die Lage noch halten können, ja, daß, wenn wir
die nächsten vier Wochen überdauern, wir sogar viel besser dastehen als bisher.
Davor stehe ich wie vor einem Rätsel. Was ist der wirkliche Grund, weshalb
geht jetzt, was vorher für unmöglich erklärt worden war?
General Ludendorff: Ich habe immer den Menschenmangel als das Wichtigste
dargestellt. Heute höre ich, daß der Mangel nicht so groß ist, wie ich angenommen
hatte. Heute höre ich, daß ich in absehbarer Jeit*600 000 Mann bekommen kann.
Weshalb ich sie nicht früher bekommen konnte, darüber will ich nicht sprechen. Kann ich
sie jetzt bekommen, so hört die Vereinsamung der Armee auf. Trotz der unglücklichen
Ereignisse ändert sich die Lage, weil zugleich die Kampfkraft des Feindes nachläßt.
Nach wie vor glaube ich, daß wir die Waffenstillstandsverhandlungen, wenn es
irgend geht, erreichen müssen. Aber nur solche Waffenstillstandsverhandlungen dürfen
wir annehmen, die eine geregelte Räumung des Landes gestatten, also mindestens zwei
bis drei Monate Frist. Und dann dürften wir keine Bedingungen auf uns nehmen,
die eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten unmöglich erscheinen lassen. Daß dies
22
— 86 —
die Absicht ist, muß man aber nach der Note annehmen. Die Bebingungen sollen uns
außer Gefecht setzen. Bevor wir uns auf weiteres einlassen, muß der Feind einmal
sagen, was denn eigentlich seine Bedingungen sind.
Nicht kurzer Hand mit Wilson abbrechen. Im Gegenteil: »Sagt doch mal,
was sollen wir eigentlich tun? Wenn Du etwas gegen unsere nationale Ehre verlangst,
uns kampfunfähig machen willst, dann heißt es allerdings nein.«
Damit verlasse ich den bisherigen Boden nicht. Ich bitte nur, die Maßnahme,
die der Kriegsminister vorgeschlagen hat, rasch durchzuführen.
Staatssekretär Solf: Diese Maßnahme war doch auch damals schon in Aus-
sicht genommen.
General Ludendorff: Seit dem April und viel länger noch kämpfe ich um
Menschen. Sie sind mir nicht gegeben worden. Es ist doch eine Tatsache, daß wir
70 000 Mann monatlich zu wenig bekommen. Hört dieses Defizit auf, und die Kampf-
kraft des Feindes läßt nach, so braucht man nicht alle Bedingungen anzunehmen.
(Folgt Beratung anderer Fragen.)
Nr. 58.
Besprechung der Staatssekretüre
am 17. Oktober 1918, nachmittags 5 Uhr.
Auszug.
Anwesend:
Die Exzellenzen von Payer] Friedberg, von Waldow,
Haußmanns) Groeber, Scheidemann, Scheüch,
Solf, Graf Rödern, Wahnschaffe; Direktor Deu-
telmoser, Geheimrat Simons und Geheimrat von
Schlieben Oberst von Haeften.
Später: Seine Großherzogliche Hoheit der Herr Reichskanzler,
Exzellenz dudendorff, Oberst Heye.
Es erscheint mit Oberst Heye der General Ludendorff, an welchen Exzellenz
von Payer die Frage richtet, wie die in ÖOsterreich zu erwartende Katastrophe voraussicht.
lich auf unsere militärische Lage wirken würde.
Ludendorff: Nach Nachrichten des Generals Cramon sei der Geist der öster-
reichischen Armee überraschend gut. Der Ausfall von Österreich würde natürlich sehr
ungünstig wirken, ob allerdings auf unsere Truppen, das sei sehr zweifelhaft, da auch
der Abfall Bulgariens auf diese Kinen besonderen Eindruck gemacht habe. Gleich-
wohl befürworte ermit Rücksicht auf den zu befürchtenden
Abfall Österreichs, die Fortsetzung der Friedensverhand.
lungen. Ersehe jedoch die Lage in Österreich nicht so an daß
wir dadurch gezwungen würden, jede Bedingung anzu-
mehmen. Durch den Abfall Österreichs würde allerdings
die italienische Armee frei, das sei natürlich schlimm.
Schließlich sei aber dann immer noch ZJeit, klein bei-
zugeben.
— 87 —
Graf Rödern möchte wissen, ob militärischerseits große Befürchtungen deshalb
gehegt würden, weil etwa einer der neuen Staaten in Österreich gegen uns gehen könnte
und ob wir dagegen nicht Sicherungsmaßnahmen treffen müßten.
Ludendorff schätzt diese Gefahr militärisch nicht hoch ein, dagegen sei der
Abfall Österreichs wirtschaftlich sehr schlimm, weil dann Bayern und Sachsen keine
Braunkohlen mehr von dort bekämen.
von Payer: Sei es nicht möglich, daß, wenn neue militärische Mißerfolge ein-
treten, wir die Front nicht mehr halten könnten, daß wir dann sofort Frieden schließen
müßten? «
Ludendorff: Wäre die Front so gesichert, daß man absolut nichts zu befürchten
hätte, dann wäre die ganze Aktion von uns nicht gemacht worden. Er habe ja jetzt auch
wieder ausdrücklich erklärt, daß die Aktion fortgesetzt werden solle.
Wir würden vielleicht gezwungen sein, noch mehr zurückzugehen. Daß eine Katastrophe
eintrete, befürchte er jedoch nicht. Werde aber trotzdem die Lage schlechter, dann müsse
eben der angesponnene Faden weiter fortgesetzt werden. Jetzt müsse man aber die Lage
mit etwas mehr Ruhe auf Grund der letzten Kriegserlebnisse ansehen. Wenn wir tat-
sächlich geschlagen werden sollten, so müßten wir eben sofort kapitulieren. Gefährlich
könnte es werden, wenn wir bei Verdun eine Niederlage erlitten, sonst sehe er die
Gefahr nicht für so groß an.
Solf: Die Frage sei, ob wir eine etwas heftigere Antwort wählen dürften, die
unserer Würde entspräche, auch auf die Gefahr hin, daß Wilson abschnappe. Können
wir dies verantworten?
Ludendorff: Ja, wir können es verantworten.
Scheüch weist darauf hin, daß die von ihm zugesagten Ersatzmannschaften erst
nach und nach kommen könnten, womit sich Exzellenz Ludendorff (inverstanden erklärt und
nur bittet, ihm sofort 75 000 Mann zu stellen.
Graf Rödern weist darauf hin, daß Oberst Heye vor einiger Heit gesagt habe,
es könne sein, daß wir bis zum Frühjahr die Front hielten, aber es könne auch täglich
zum Durchbruch kommen. Vor einigen Tagen habe es an einem Faden gehangen, daß
der Durchbruch gekommen wäre; die Truppen hätten keine Ruhe mehr. "
Ludendorss:DurchsurückzichungersparenwirTruppen,dadieFront
kürzer wird.
Belasten wir die neue Note mit einer schärferen Tonart und schnappt darauf
Wilson, so sehen wir daraus, daß er es niemals ehrlich gemeint hat.
Der Reichskanzler bestreitet das letztere. Nach eingegangenen Nachrichten
will Wilson Frieden, wird aber durch England und Frankreich bedrängt.
Wir müssen uns klar sein, daß, wenn wir die Note so beantworten, wie beabsich-
tigt, Wilson dann schwere Bedingungen stellt.
Ludendorff spricht sich dafür aus, daß Wilson aufgefordert werde, sich über die
Bedingungen zu äußern. Die Note müsse jetzt der Prüfstein sein, ob er es ehrlich meint
und ob er auch die Macht hat, seinen Willen durchzusetzen.
von Waldow weist darauf hin, daß die Nahrungsmittelversorgung durch große
Transporte an die Front sehr verschlechtert worden sei, auf längere Zeit sei das nicht zu
ertragen.
— 88 —
Ludendorff bemerkt, daß er bereits mit dem Feldeisenbahn-Chef dieserhalb ge-
spprochen habe und hofft, daß bald Besserung eintritt.
Oberst Heye erläutert seine früheren Worte. Sein Urteil gehe dahin, an der
Lage im großen habe sich nichts geändert; die Armee bedürfe der Ruhe, je eher diese
eintrete, um so besser. Als die O. H. L. sich zu dem Friedensvorschlag entschloß, ging
man von der Ansicht aus, daß ehrenvoller Friede geschlossen werden könnte. Jetzt erst
sehe man, daß es um Sein und Nichtsein ginge. Es müsse daher geprüft werden, ob der
Entscheidungskampf nochmals aufgenommen werden könne. Die Unsicherheit der Lage
bleibe für die O. H. L. heute noch bestehen. Man könne nicht eine Garantie dafür über-
nehmen, daß die 18. Armee nicht eine starke Niederlage erleidet, aber in den letzten
8 Tagen sei es gut gegangen. Allerdings werde der Gegner noch weiter stark angreifen,
aber seine Kräfte seien doch geringer geworden, das zeigten jetzt die Kämpfe. Er würde
den Versuch, uns zu schlagen, fortsetzen, mit Hilfe seiner Artillerie und zahlreicher Tanks.
Dadurch entstehe großer Menschenverlust. Jögen wir uns kämpfend zurück, so müsse
das Land zerstört werden, denn es müßte eine Sicherheitsgrenze zwischen dem Gegner
und uns geschaffen werden.
Es sei möglich, daß der Feind in Lothringen angreife, dagegen seien Gegenmaß-
nahmen in Vorbereitung.
Die Lage sei ernst, aber nicht hoffnungslos. Die Stimmung der Armee würde
gehoben werden, wenn unser Angebot durch die Entente zurückgewiesen werden würde; es
würde dies einen Auftrieb an moralischer Kraft geben. Den Entscheidungskampf müßten
wir annehmen, wenn die Bedingungen, die uns gestellt würden, entehrende seien.
Die Aussichten für Haltung der Front im Elsaß seien gut. Die erste Linie
hielten ältere Truppen, die zweite allerdings nur abgekämpfte Truppen. Es komme also
nur darauf an, wie lange der Kampf dort dauere.
Ludendorff Es zeige sich hier bei den älteren Truppen der Gehalt einer guten
Friedensschule. Alte Leute zeigten den Wert der guten Friedensausbildung, daher habe
er das Vertrauen, daß die Lothringer und Elsässer Front sich halten werden. Es sei auch
zu berücksichtigen, daß auch die Ententetruppen sehr stark abgekämpft seien.
Darauf verlassen Exzellenz Ludendorff und Oberst Heye die Versammlung.
Nr. 59.
Delegramm.
Brüssel, den 17. Oktober 1918, 11 Uhr 10 Min.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Am 10. Oktober meldete ich auf Grund der Aussagen eines wichtigen Ver-
trauensmannes, daß Wilson auf unsere als zustimmend erwartete Antwort in einer
Weise replizieren würde, die seinen Willen erkennen ließe, er werde den Frieden nicht
mit einem Autokratismus unterzeichnen. Seine weitere Taktik werde dahin gehen, die
Abdankung Seiner Majestät des Kaisers und den Thronverzicht des Kronprinzen herbei-
zuführen.
— 89 —
Gestern, nach Bekanntwerden der Wilson-Antwort vom 15., sagte mir dieselbe
Persönlichkeit: Sie sehen, daß ich Sie richtig informierte. Ich kann Ihnen sagen, daß
die beiden Hauptpunkte (Beseitigung der Willkürherrschaft, Sicherstellung der Uberlegen-
heit der alliierten Armeen), ohne deren Erfüllung der Präsident keinen Waffenstillstand
zuläßt, folgenden Sinn haben:
1. Vorheriger Thronverzicht Seiner Majestät des Kaisers und des Kron-
prinzen. Vielleicht wäre dann Regentschaft durch den für den Jivildienst ausgebildeten
Bruder des Kronprinzen möglich. Lassen Sie sich nicht erst schrittweise dazu drängen.
Dann geht Zeit verloren und Sie machen das Spiel der Franzosen und Engländer.
Diese wollen durchaus nach Deutschland eindringen,
worauf Wilson keinen Wert legt. Eine Angriffsbewegung stärker als alle
bisherigen, besonders an Material (Tanks), aber auch an Truppen, namentlich den vor-
sichtig ersparten Fochschen Reserven ist fertig vorbereitet und soll bis zum 1. November
einsetzen. Die Entente hat Informationen über den Justand der deutschen Armeen, die
den Alliierten den vollen Erfolg dieser Offensive völlig sicher erscheinen lassen.
2. Klarstellung der Uberlegenheit der Ententetruppen etwa dadurch, daß diesen
Truppen die Besetzung von Metz eingeräumt wird, zunächst ohne dadurch der künftigen
Regelung der Gebietsfrage vorzugreifen.=
gez. Lancken.
Nr. 60.
K. u. K. Österreichisch-Ungarische
Botschaft.
Geheim.
Notiz.
Graf Burian möchte anläßlich der an Deutschland gerichteten Note des Präsi-
denten Wilson nochmals die Folgen einer etwaigen Ablehnung zur Erwägung stellen:
1. Die Möglichkeit des Eingreifens Bulgariens und Rumäniens;
2. Ausspringen der Türkei;
3. Eingreifen der Ententeflotte im Schwarzen Meer;
4. Einbrechen der Orientarmee der Entente in Bosnien und von dort nach
Kroatien;
5. Erfolgreiche Offensive der Entente in Südwesten bei gleichzeitiger Auf-
rollung der Westfront.
Beeinflußt durch diese Umstände könnte es, wenn Deutschland es im Falle des
Scheiterns der Verhandlungen auf einen weiteren Kampf ankommen ließe, möglicher-
weise zu einer Katastrophe führen.
Berlin, den 18. Oktober 1918.
Nr. 61.
Berlin, den 18. Oktober 1918.
Herr von Hintze telephonierte mir, General Ludendorff ließe sagen, daß seine
Stellungnahme von gestern abend durch die heutigen militärischen Ereignisse nicht ver-
ändert sei.
gez. von Stumm.
23
— 90 —
Nr. 62.
Berlin, den 18. Oktober 1918.
An
tit. Kriegsminister.
Sehr verehrte Exzellenz!
Ich habe mir die Frage, die wir gestern mündlich besprachen, noch durch den
Kopf gehen lassen. Ich muß bei meiner Ansicht beharren: Die Armeeführer müssen
gehört werden. Auch auf die Gefahr hin, daß Hindenburg und Ludendorff die Be-
fragung der Armeeführer zum Anlaß nehmen wollten, ihren Abschied einzureichen. Be-
stärkt werde ich in dieser Uberzeugung durch Andeutungen von absolut
ein wandfreier Seite, wonach die gestern von General Lu-
dendorff ausgesprochenen Hoffnungen auch in seiner Um-
gebung nicht geteilt werden. Die Entscheidung ist zu gewaltig, kann zu
verhängnisvoll sein, als daß sie auf 2 Männer gestellt werden könnte. Wir sind ver-
pflichtet, alles, was in unserer Kraft steht, zu tun und nichts zu unterlassen, um das
Richtige zu treffen. Hindenburg und Ludendorff können ihren Abschied in der jetzigen
Lage nicht erzwingen, und wenn sie es dennoch tun sollten, kann dem von Ihnen und
einigen meiner Kollegen befürchteten Eindruck entgegen getreten und der wahre Grund
ihres Rücktritts leicht klar gestellt werden.
Die Befragung der Armeeführer hätte natürlich nicht vor unserer jetzigen Note
an Wilson, sondern nach ihrer Beantwortung durch Wilson zu erfolgen.
Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Euer Exzellenz sehr ergebener
Staatssekretär.
gez. Solf.
Nr. 63.
Telephonat vom 20. Ohtober 1918, 1 Uhr nachts.
An den Herrn Reichskanzler.
(Ubermittelt durch Oberst von Haeften.)
„Die Lage hat sich nicht geändert. Die Türkei hat Sonderverhandlungen
begonnen. Österreich-Ungarn wird bald folgen. Wir werden sehr bald in Europa
allein dastehen. Die Westfront ist in größter Anspannung. Ein Durchbruch bleibt
möglich, wenn ich ihn auch nicht befürchte. Durch Absetzen vom Feinde in Belgien
und Zuführen des zugesagten Ersatzes könnte ein nachhaltiger Widerstand organisiert
werden, der den Kampf an der Westfront in die Länge zieht und uns zwar nicht den
ausgesprochenen Sieg beschert, wohl aber uns vor dem äußersten bewahrt. Aber selbst
wenn wir geschlagen würden, stünden wir nicht wesentlich schlechter da, als wenn
wir jetzt schon alles annähmen.
Es ist die Frage zu stellen: Will das deutsche Volk um seine Ehre nicht nur
in Worten, sondern tatsächlich bis zum letzten Mann kämpfen, und sich damit die Mög-
— 91 —
lichkeit des Wiedererstehens sichern oder will es sich zur Kapitulation und damit zum
Untergang vor der äußersten Kraftanstrengung drängen lassen?
Mit der durch das Jugeständnis der Note bewirkten Preisgabe des U. Boot-
Krieges ohne jede Gegenleistung beschreiten wir den letzteren Weg.
Wir würden zudem auf die Stimmung der durch die harten Kämpfe schwer
geprüften Armee äußerst ungünstig einwirken. Ich kann daher der Note in diesem
Punkte nicht zustimmen. Muß die Regierung, falls sie sich dieser Ansicht anschließt,
damit rechnen, daß die Verhandlungen mit Wilson scheitern, so muß sie entschlossen
sein, den Kampf bis zum letzten Mann unserer Ehre halber auszukämpfen.
Ich kann mir trotz der ungemein schweren Lage der Armee keinen anderen
Weg denken und hoffe fest, daß die Regierung für diesen schweren Entschluß das ganze
Vaterland hinter sich haben wird.
Im einzelnen schlage ich nech folgende Anderungen des mir übersandten
Wortlauts vor#
1. Absatz 3 muß lauten: „Zerstörungen infolge von Kampfhandlungen
werden immer notwendig sein und sind völkerrechtlich gestattet."
2. Absatz 5 hinter den Worten: aufklären zu lassen, ist einzufügen:
: Sie hat durch solche neutrale Kommissionen bereits Erhebungen ver-
anlaßt, z. B. in Tournai, Valenciennes und anderen Orten. Die Fest-
stellungen dieser Kommissionen haben die Unrichtigkeit der Anklagen
wegen Verletzung des Völkerrechts ergeben.“
gez. Generalfeldmarschall von Hinden burg.
Nr. 64.
Die dritte deutsche Note.
Die Deutsche Regierung ist bei der Annahme des Vorschlages zur Räumung
der besetzten Gebiete davon ausgegangen, daß das Verfahren bei dieser Räumung und
die Bedingungen des Waffenstillstandes der Beurteilung militärischer Ratgeber zu
überlassen sei und daß das gegenwärtige Kräfteverhältnis an den Fronten den Ab-
machungen zugrunde zu legen ist, die es sichern und verbürgen. Die Deutsche Regierung
gibt dem Präsidenten anheim, zur Regelung der Einzelheiten eine Gelegenheit zu
schaffen. Sie vertraut darauf, daß der Präsident der Vereinigten Staaten keine
Forderungen gut heißen wird, die mit der Ebre des deutschen Volkes und mit der
Anbahnung eines Friedens der Gerechtigkeit unvereinbar sein würden.
Die Deutsche Regierung legt Verwahrung ein gegen den Vorwurf ungesetzlicher
und unmenschlicher Handlungen, der gegen die deutsche Land= und Seestreitkräfte und
damit gegen das deutsche Volk erhoben wird.
Zerstörungen werden zur Deckung eines Rückzuges immer nötig sein und sind
insoweit völkerrechtlich gestattet. Die deutschen Truppen haben die sirengste Weisung,
das Privateigentum zu schonen und für die Bevölkerung nach Kräften zu sorgen. Wo
trotzdem Ausschreitungen vorkommen, werden die Schuldigen bestraft.
Die Deutsche Regierung bestreitet auch, daß die deutsche Marine bei Ver-
senkung von Schiffen Rettungsboote nebst ihren Insassen absichtlich vernichtet habe.
23°
— 92 —
Die Deutsche Regierung schlägt vor, in allen diesen Punkten den Sachverhalt
durch neutrale Kommissionen aufklären zu lassen.
Um alles zu verhüten, was das Friedenswerk erschweren könnte, sind auf Ver-
anlassung der Deutschen Regierung an sämtliche Unterseebootkommandanten Befehle
ergangen, die eine Torpedierung von Passagierschiffen ausschließen, wobei jedoch aus
technischen Gründen eine Gewähr nicht dafür übernommen werden kann, daß dieser
Befehl jedes auf See befindliche Unterseeboot vor seiner Rückkehr erreicht.
Als grundlegende Bedingung für den Frieden bezeichnet der Präsident die
Beseitigung jeder auf Willkür beruhenden Macht, die für sich, unkontrolliert und aus
cigenem Empfinden den Frieden der Welt stören kann. Darauf antwortet die Deutsche
Regierung: Im Deutschen Reich stand der Volksvertretung ein Einfluß auf die
Bildung der Regierung bisber nicht zu. Die Verfassung sah bei der Entscheidung
über Krieg und Frieden eine Mitwirkung der Volksvertretung nicht vor. In diesen
Verhältnissen ist ein grundlegender Wandel eingetreten. Die neue Reglerung ist in
völliger Übereinstimmung mit den Wünschen der aus dem gleichen, allgemeinen, geheimen
und direkten Wahlrecht hervorgegangenen Volksvertretung gebildet. Die Führer der
großen Parteien des Reichstags gehören zu ihren Mitgliedern. Auch künftig kann
keine Regierung ihr Amt antreten oder weiterführen ohne das Vertrauen der Mehrheit
des Reichstages zu besitzen. Die Verantwortung des Reichskanzlers gegenüber der
Volksvertretung wird gesetzlich ausgebaut und sichergestellt. Die erste Tat der neuen
Regierung ist gewesen, dem Reichstag ein Gesetz vorzulegen, durch das die Verfassung
des Reichs dahin geändert wird, daß zur Entscheidung über Krieg und Frieden die
Zustimmung der Volksvertretung erforderlich ist.
Die Gewähr für die Dauer des neuen Systems ruht aber nicht nur in den
gesetzlichen Bürgschaften, sondern auch in dem unerschütterlichen Willen des deutschen
Volkes, das in seiner großen Mehrheit hinter diesen Reformen steht und deren energische
Fortführung fordert.
Die Frage des Präsidenten mit wem er und die gegen Deutschland verbündeten
Regierung es zu tun haben, wird somit klar und unzweideutig dahin beantwortet,
daß das Friedens- und Waffenstillstandsangebot ausgeht von einer Regierung, die,
frei von jedem willkürlichen und unverantwortlichen Einfluß, getragen wird von der
Zustimmung der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes.
Berlin den 20. Oktober 1918.
· « gez. Solf.
Nr. 65.
Gerngespräch
des Generals Ludendorff an Herrn Oberst von Haeften.
Großes Hauptquartier, den 21. Oktober 1918.
Sehr dringend.
Um womöglich die Schwierigkeiten, die sich bei der Reichsleitung ergeben
hatten, zu beheben, hatte ich mich bemüht, einen Zusatz bezüglich der U-Boote zu finden.
Ich hatte Exzellenz von Hintze und General von Bartenwerfer gebeten, einen Vermitte-
— 93 —
lungsvorschlag zu machen. Da Oberst von Haeften soeben meldet, daß die Note ab-
gegangen ist, bleibt mir nur übrig, den mir vorgelegten Entwurf der beiden Offiziere
zur Kenntnis zu bringen.
Hinter den zweiten Absatz über die U-Boote wäre hinzuzufügen gewesen:
Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ersieht aus dieser An-
weisung an die U-Boote, daß auch dieses von ihm angeführte Hindernis für eine Ver-
ständigung aus dem Wege geräumt ist. Der Präsident möge sich indessen darüber klar
sein, daß mit Freilassung der Passagierschiffe, die doch erwiesenermaßen auch Kriegs-
zwecken dienen, die deutsche Regierung im Interesse der Menschlichkeit und zur Ver-
hütung weiteren Blutvergießens auf ein Kriegsmittel verzichtet hat, zu dessen An-
wendung sie von England durch die völkerrechtswidrige und Tausende von unschuldigen
Opfern — Frauen und Kinder — fordernde Sperre gezwungen worden ist. Das
deutsche Volk kann in einem Kampf auf Leben und Tod gegen die Menge seiner Feinde
unmöglich diesen Verzicht auf ein ihn durch den Feind aufgenötigtes Kriegsmittel auf-
recht erhalten, wenn nicht alsbald durch Eintritt der allgemeinen Waffenruhe eine Art
Ausgleich geschaffen wird. Die deutsche Regierung muß daher aus Gründen der Billig-
keit und der Selbsterhaltung auf dieses Kriegsmittel wieder zurückgreifen, falls nicht
binnen kurzer Frist eine Waffenruhe in Kraft tritt.
gez. Ludendorff.
Berlin, den 20. Oktober 1918.
Herrn Staatssekretär des Außern
Dr. Solf, Exzellenz,
ergebenst vorgelegt. .
gez. von Haeften Oberst.
20. Oktober 1918.
Die Note ist bereits abgegangen. Der Jusatz wäre aber unmöglich gewesen.
Solf.
Nr. 66.
Delegramm.
München, den 20. Oktober 1918.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Es erscheint mir Pflicht, dringend davor zu warnen, aus dem geschlossenen Ton
fast der gesamten Presse Schlüsse auf die wahre Stimmung zu ziehen. Tatsächlich
wünscht überwiegende Mehrheit nur Frieden.
« Treutler.
Aktenstücke über den U-Boot-Krieg während der Zeit
vom 10. bis 24. Oktober 1918. Nr. 67 bis Nr. 75.
Nr. 67.
Telephonmitteilung.
An den Herrn Reichskanzler.
Berlin den 10. Oktober 1918.
Kapitän von Horn vom Admiralstab teilt mit, daß U-Boot-Kreuzer von der
amerikanischen Küste abberufen werden würden.
gez. Freiherr von dem Bussche.
Nr. 68.
Delegramm.
Bern den 11. Oktober 1918.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Geheim.
Falls unsere Antwort entgegenkommend lautet, beurteilt X. die Weiter-
entwicklung der Wilsonschen Aktion optimistisch. Der Gedanke bereitet ihm aber die
allergrößte Sorge, daß vielleicht unglücklicherweise durch die Tätigkeit unserer Unter-
seeboote an der amerikanischen Küste diese Entwicklung gestört werden könnte. Es
liege die Gefahr vor, daß, falls es Unglück wolle, daß gerade in diesen Tagen die
Nachricht eintreffen sollte, daß Passagierdampfer mit amerikanischen Staatsangehörigen
versenkt worden seien, Wilson dem dann entstehenden Entrüstungsslurm nicht werde
standhalten können. X. legt daher nahe, ob nicht durch die Bekanntgabe, daß man
versucht habe, sich mit den in See befindlichen Unterseebootkommandanten in Verbindung
zu setzen, um ihnen Schonung der Passagierdampfer anzuempfehlen, irgend etwas zur
Verhütung dieser Gefahr unternommen werden könnte.
Wichtig sei ferner, daß die Antwort auf Wilsons Note baldmöglichst die Zu-
stimmung des Reichstages erhält, was gleichzeitig Vertrauensvotum für neue Regierung
bedeuten würde, das noch vermißt werde.
gez. Romberg.
— 95 —
Nr. 69.
Briefauszug.
Bern, den 12. Oktober 1918.
Hochzuverehrender Herr Staatssekretär!
Das einzige, was zunächst wieder große Komplikationen schaffen könnte, wäre
die womöglich gerade jetzt erfolgende Versenkung eines Schiffes mit amerikanischen
Passagieren usw. durch ein U-Boot. Bei dem Pech, das unsere Marine nun einmal
hat, erscheint dieser Fall nicht unmöglich. Ein entsprechendes Telegramm ist gestern
von Herrn Gesandten an das Auswärtige Amt abgegangen.
Euer Exzellenz ergebenster
X.
Nr. 70.
Delegramm.
Berlin, den 12. Oktober 1918.
An
die Gesandtschaft Bern.
E. E. können dem Betreffenden vertraulich mitteilen, daß die Kaiserliche
Regierung bereits den Versuch gemacht hat, ihren Seestreitkräften den Befehl zukommen
zu lassen, von Versenkungen an der amerikanischen Küste nunmehr abzusehen. Dafür,
daß die Weisung unsere Uc-Boote rechtzeitig erreicht, könne angesichts der technischen
Schwierigkeiten der Befehlsübermittlung allerdings keine Garantie übernommen werden.
gez. Staatssekretär.
Nr. 71.
Telephonat
vom 16. Oktober 1918, 7 Uhr 1 Minute abends.
Gegeben Presseabteilung Dresden.
Hier wird eine Meldung vorgelegt folgenden Inhalts: Die englische Regierung
behauptet, sie habe Beweise in der Hand, wonach die Torpedierung der Leinster
erfolgt sei auf Grund von Befehlen, die die Versenkung von Passagierdampfern in
dortigen Gegenden angeordnet haben, und zwar nach Einleitung des deutschen Friedens-
schrittes. Diese Beweise seien dem Präsidenten Wilson, bevor er seine Antwort ge-
geben habe, zur Verfügung gestellt worden.
Auswärtigem Amt zur Kenntnisnahme ergebenst übersandt.
Ich habe aus guter Quelle gehört, daß ungefähr vor 14 Tagen ein Befehl zur
Verschärfung des U-Boot-Kriegs an die Marine ergangen sei.
gez. Solf.
Nach Mitteilung des Admiralstabes (Kapitän Horn) entbehrt anliegende Mit-
teilung jeder Begründung.
Seiner Exzellenz Herrn Unterstaatssekretär von Stumm vorzulegen.
gez. Haniel.
— 96 —
Nr. 72.
Delegramm.
Wien, den 21. Oktober 1918.
Der Kais. Botschafter gn Auswärtiges Amt.
Marineattaché meldet, daß hiesige Regierung den U-Boot Krieg eingestellt hat.
« gez. Wedel.
Nr. 73.
Delegramm.
Großes Hauptquartier, den 24. Oktober 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Nur eigenhändig für Herrn Gesandten Haniel.
Höre privatim streng vertraulich, daß alle U-Boote zurückgerufen seien.
gez. Lersner.
Nr. 74.
Chef des Admiralstabes
der Marine.
Berlin, den 24. Oktober 1918.
Ganz geheim!
Auf Ersuchen der Seekriegsleitung wird Euer Exzellenz nachstehend der Wort.
lant des den U-Booten erteilten Befehls übermittelt:
?* Sofert Rückmarsch antreten. Wegen im Gange befindlichen Ver-
handlungen jegliche Art von Handelskrieg verboten. Auf Rückmarsch
befindliche U-Boote Kriegsschiffe nur Tags angreifen. Schluß.
Admiral.=
Der Chef des Admiralstabes, Admiral Scheer, hat gleichzeitig Weisung hierher
gegeben, daß dieser Wortlaut Euerer Exzellenz persönlich übermittelt werden soll.
In Vertretung: gez. von Trotha.
An den
Kaiserlichen Staatssekretär des Auswärtigen Amts
Wirklichen Geheimen Rat, Herrn Dr. Solf, Egeellenz, hier.
— 97 —
Nr. 75.
Telegramm.
Berlin, den 25. Oktober 1918.
Ganz geheim!
Bitte streng vertraulich zur Verwendung gegenüber Präsidenten mitteilen, daß
alle U-Boote Befehl erhalten hätten, zurückzukehren und sich wegen der Verhandlungen
mit Präsidenten jeglicher Art Handelskriegs zu enthalten.
Staatssekretär.
An den Gesandten in Bern. «
Von der dritten Note Wilsons bis zur Antwort darauf.
Nr. 76 bis Nr. 85.
Nr. 76.
Wilsons dritte Note vom 23. Oktober 1918.
Nachdem der Präsident der Vereinigten Staaten die feierliche und deutliche Er-
klärung der deutschen Regierung erhalten hat, daß sie rückhaltlos die Vorbedingungen
für den Frieden, welchen er in seiner Botschaft vom 8. Januar 1918 an den Kongreß
der Vereinigten Staaten niedergelegt hat, sowie die Grundsätze einer Friedensregelung,
welche in seinen folgenden Botschaften und namentlich in der vom 27. September ver-
kündet wurden, annimmt, und daß sie wünscht, über die einzuleitenden Schritte und
deren Anwendungen Besprechungen zu eröffnen, und daß dieser Wunsch und dieses Jiel
nicht seitens derjenigen ausgesprochen wurde, die bisher Deutschlands Politik diktierten
und im Namen Deutschlands den gegenwärtigen Krieg führten, sondern seitens eines
Ministeriums, das für die Mehrheit des Reichstages und für eine überwältigende.
Mehrheit des deutschen Volkes spricht, und nachdem weiter der Präsident gleichfalls das
weitere Versprechen der deutschen Regierung erhalten hat, daß die Gesetze der Mensch-
lichkeit und der zivilisierten Welt sowohl zu Wasser wie zu Lande durch die deutschen
Streitkräfte werden beachtet werden, empfindet der Präsident, daß er sich nicht mehr
weigern könne, den Regierungen, mit denen die Vereinigten Staaten verbündet sind,
mit der Frage eines Waffenstillstandes näher zu treten.
Er hält es aber für seine Pflicht, neuerdings zu erklären, daß der einzige
Waffenstillstand, den ihnen zur Erwägung vorzuschlagen er sich für berechtigt erachten
würde, ein solcher wäre, der die Vereinigten Staaten und die mit ihnen assoziierten
Mächte in einer Lage lassen würde, in der sie jeder Abmachung, welche getroffen werden
müßte, genügend Kraft beizusetzen vermögen, um eine Wiederaufnahme der Feindselig-
keiten seitens Oeutschlands unmöglich zu machen.
Der Präsident hat infolgedessen seine Korrespondenz mit den gegenwärtigen
deutschen Behörden den Regierungen, mit denen die Regierung der Vereinigten Staaten
als kriegführende Macht assoziiert ist, mit dem Vorschlag übermittelt, falls diese Re-
gierungen geneigt sind, den Frieden zu den angebotenen Bedingungen und Grundsätzen
herbeizuführen, ihre militärischen Ratgeber und die der Vereinigten Staaten einzu-
laden, den gegen Deutschland assoziierten Regierungen die notwendigen Bedingungen
für einen Waffenstillstand zu unterbreiten, der die Interessen der betreffenden Völker
völlig wahren und das unbeschränkte Recht der assoziierten Regierungen zur Sicherung
der Einzelheiten des Friedens gewährleisten würde, mit denen die deutsche Regierung
sich einverstanden erklärt hat, vorausgesetzt, daß sie einen Waffenstillstand für möglich
halten. Die Annahme dieser Waffenstillstandsbedingungen durch Deutschland wird den
besten konkreten Beweis dafür bringen, daß es die Bedingungen und Grundsätze des
(Friedens annimmt, aus denen die ganze Aktion ersprießt.
Der Päsident fühlt, daß er nicht aufrichtig wäre, wenn er nicht, und zwar in
möglichst klarer Form betonen würde, warum außerordentliche Sicherungen verlangt
werden müssen. So bedeutungsvoll und wichtig die Verfassungsänderungen zu sein
scheinen, von denen der deutsche Staatssekretär des Außern in seiner Note vom 20. OkZ
— 99 —
tober spricht, so geht daraus doch nicht hervor, daß die Grundsätze einer dem deutschen
Volke verantwortlichen Regierung jetzt bereits vollständig angenommen sind, oder daß
eine Bürgschaft besteht oder erwogen wird, damit die Systemänderung und die Durch-
führung der Maßregeln, über die jetzt teilweise eine Einigkeit erzielt worden ist, dauernd
sein werden. Außerdem tritt nicht gerade in Erscheinung, ob der Kern der gegen-
wärtigen Frage getroffen ist. Es ist möglich, daß künftige Kriege jetzt unter Kontrolle
gestellt worden sind. Aber der gegenwärtige Krieg war es nicht. Und um den gegen-
wärtigen Krieg handelt es sich. Es ist klar, daß das deutsche Volk kein Mittel besitzt,
um zu befehlen, daß sich die deutschen Militärbehörden dem Volkswillen unterordnen,
daß die Macht des Königs von Preußen, die Politik des Reiches unter seiner Kontrolle
zu halten, noch unzerstörbar ist, daß die entscheidende Initiative noch immer bei denen
liegt, die bis jetzt die Herrscher in Deutschland waren.
In dem Gefühl, daß der ganze Weltfrieden jetzt davon abhängt, daß klar ge-
sprochen und aufrichtig und klar gehandelt werde, betrachtet es der Präsident als seine
Miliicht, ohne irgendeinen Versuch zu machen, Worte, die als schroff gelten könnten, zu
mildern, auszusprechen, daß die Völker der Welt kein Vertrauen zu den Worten der-
jenigen hegen und hegen können, die bis jetzt die deutsche Politik beherrschten, und eben-
falls zu betonen, daß beim Friedensschluß und beim Versuche, die endlosen Leide und
Ungerechtigkeiten dieses Krieges ungescheben zu machen, die Regierung der Vereinigten
Staaten mit keinem andern als mit den Vertretern des deutschen Volkes verhandeln
kann, welche bessere Sicherheiten für eine wahre verfassungsmäßige Haltung bieten, als
die bisherigen Beherrscher Deutschlands.
Wenn mit den militärischen Beherrschern und monarchischen Autokraten
Deutschlands jetzt verhandelt werden muß, kann und muß es nur die Aussicht haben,
daß wir später auch mit ihnen bei der Regelung der internationalen Verpflichtungen
des Deutschen Reiches zu tun haben werden. Dann kann Deutschland über keine
Friedensbedingungen verhandeln, sendern muß sich ergeben. Diese wesentlichen Dinge
können nicht unausgesprochen bleiben.
Genehmigen Sie den Ausdruck meiner besonderen Hochachtung.
gez. Lansing.
Nr. 77.
Delegramm.
München, den 25. Oktober 1918.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Für den Herrn Reichskanzler.
Geheim!
Ich erfülle eine schwere Pflicht, wenn ich Euerer Großherzoglichen Hoheit melde,
daß hier in Bayern von berufener Seite die gestern abend bekanntgewordene Antwort
Wilsons so gedeutet wird, daß sie sich in ihrem letzten Abschnitt direkt gegen die Person
unseres Kaisers kehrt. Der Ministerpräsident und der Kriegsminister sind der Ansicht,
der Wortlaut der Note lasse andere Deutung nicht zuj durch die verhüllte Ausdrucksweise
solle lediglich Gelegenheit gegeben werden, den schmerzlichen Schritt freiwillig zu tun.
In jedem Falle treten die Genannten dafür ein, daß Seiner Majestät offen dargelegt
25.
— 100 —
werden müsse, daß die Feinde keinen annehmbaren Frieden bewilligen würden, wenn das
große Opfer nicht gebracht würde. Wenn dann Seine Majestät Verzicht leistet auf die
Kaiserwürde, so würde er nur im Geiste seines 26jährigen Friedenswerkes handeln und
dieses krönen. Seine Gestalt würde als die des hochherzigsten, edelsten und aufopfernd-
sten Wohltäters des deutschen Volkes in der Geschichte weiterleben.
Graf Lerchenfeld erhält entsprechende Instruktion.
· Treutler.
Nr. 78.
Telegramm.
Bern, den 25. Oktober 1918.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Geheim!
Um Ubermittelung nachstehenden Telegramms bittet mich Fürst Hohenlohe-
Langenburg:
"Prinz Max von Baden, persönlich!
Berlin.
Aus zuverlässiger Quelle erfahre ich eben, daß der Schluß der
heutigen Wilson-Note, als einziger Weg zu einem einigermaßen erträg-
lichen Frieden, kaum anderes als über die Abdankung des Kaisers führe.
Es scheint, daß Wilson anerkennt, die monarchische Staatsform entspreche
der Geschichte und den Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes, die
Vorstellungen aber, die in Amerika selbst und in der ganzen Entente über
die Person des Kaisers, die Rolle, welche er im Kriege spielt und seinen
Einfluß auf die Leitung der inneren und äußeren Politik herrschen, vermag
er nicht mehr zu beseitigen. Nach der Meinung meines Gewährsmannes
würde eine solche Tat des Kaisers es Wilson leichter machen, zugunsten
seiner Friedenspläne auf den Senat einzuwirken, der in der letzten Zeit
Einfluß im Sinne einer gänzlichen Niederwerfung Deutschlands gewinnt.
Gleichzeitig würde durch sie die Friedensströmung auch in den übrigen
Ententestaaten gestärkt werden. Dies würde die Erhaltung der Dynastie
sichern, die gleich allen deutschen Dynastien gefährdet sein würde, wenn
— wofür die Entente zweifellos sorgen würde — der Glaube erweckt
werden könnte, daß der Frieden an der Person des Kaisers gescheitert sei.
Meinem Gewährsmann zufolge ist übrigens die Schwäche unserer
militärischen Lage den Amerikanern zu bekannt, um bei ihnen, selbst im
Falle eines Aufrufs zur nationalen Verteidigung über den endgültigen
Sieg der Entente Jweifel aufkommen zu lassen. Unser Zusammenbruch
sei nur eine Frage der Jeit. Sollte versucht werden, den Endkampf
hinauszuziehen, so würde das nur als ein neuer Beweis des Vorwiegens
militärischer Einflüsse betrachtet werden und den Verdacht nähren, daß
man sich auf unsere ganze innerpolitische Wandlung nicht verlassen könne.
— 101 —
So schwer mir dies fällt, halte ich es bei der ungeheuren Tragweite
der zu fassenden Entschließungen für meine Pflicht, Dir persönlich diese
Mitteilung zu machen. Ihr Urheber ist wegen seiner Persönlichkeit und
seiner Beziehungen durchaus ernst zu nehmen.
gez. Ernst Hohenlohe.«
Vorstehendes Telegramm beruht auf Mitteilungen meines Vertrauensmannes.
gez. Romberg.
Nr. 79.
Aufzeichnung.
Berlin, den 25. Oktober 1918.
An
Staatssekretär.
Herr von Lersner telephoniert mir, daß die O. H. L., die heute Nachmittag
zusammen mit Herrn von Hintze eintreffen werde, sehr -wild= sei und auf einer Ab-
lehnung des Wilsonschen Waffenstillstandes bestehen werde. Auf Grund seiner lang-
jährigen Erfahrung im Großen Hauptquartier und seiner über die gegenwärtige
militärische Lage gemachten Beobachtungen und eingezogenen Informationen könne er
aber nur auf das dringendste davor warnen, etwaigen Versprechungen der O. H. L.
Glauben zu schenken und uns in der einmal eingeschlagenen Friedenspolitik auch nur
im geringsten beirren zu lassen. Die militärische Lage sei heute mindestens ebenso
hoffnungslos wie vor 3 Wochen, da eine Besserung nicht zu erwarten und es nur eine
Frage von Wochen, höchstens wenigen Monaten sei, wenn der Feind bei uns im Lande
stehe.
Auf meine Frage, wie ein Wechsel in der O. H. L. auf die Front wirken würde,
sagte Herr von Lersner: daß bei einem Teil der Armee dies vielleicht un günstig,
bei dem größeren Teil aber günstig wirken würde, da man das Vertrauen in die
gegenwärtige O. H. L. verloren habe.
gez. Haniel.
Nr. 80.
Berlin, den 25. Oktober 1918.
G. A.
In der heutigen Pressekonferenz verlas der Chef des Kriegspresseamts im
Auftrage der Obersten Heeresleitung zwei Telegramme des Generalfeldmarschalls von
Hindenburg zur vertraulichen Kenntnis und zur Verbreitung durch die Mundpropa-
ganda, nicht aber durch die Presse.
26
–102 —
Das erste dieser Telegramme war gerichtet an den Herrn Reichskanzler und
legte Verwahrung ein gegen Gerüchte, die dahingingen, der Generalfeldmarschall habe
seinerzeit ein sofortiges Friedensangebot verlangt und dabei darauf hingewiesen, es
handele sich um eine Sache von Stunden.
Das zweite Telegramm war an die Kommandierenden Generäle gerichtet und
brachte zunächst eine kurze Analyse der Wilsonschen Waffenstillstandsbedingungen.
Dann folgte die Erklärung, diese seien für das Militär unannehmbar. Es
bliebe daher nichts übrig als Kampf bis zum Außersten.
gez. von Schmidthals.
Nr. 81.
Delegramm.
Großes Hauptquartier, den 26. Oktober 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Geheim.
Feldmarschall von Hindenburg soll vorgestern abend Erlaß an die
Armeen herausgegeben haben, in dem er die letzte Wilsonnote als Deutschlands un-
würdig bezeichnet und Kampf bis zum Ende befiehlt.
Heeresgruppe Gallwitz hat ihre schweren Bedenken gegen den Inhalt geäußert.
Der Feldmarschall hat dann den Erlaß gestern Abend wieder zurückgezogen. Bei einer
Armee soll er aber bereits bis zu den Bataillonsstäben gelangt sein.
gez. Lersner.
Nr. 82.
Staatssekretürsitzung am 26. Oktober 1918.
Anwesend:
Exzellenzen von Payer) Graf Rödern, Friedberg:
Scheidemann); Trimborn, Groeber, Erz-
berger, Haußmann, Scheüch, Solf, Wahn-
schaffe.
Auszug.
von Payer kommt auf seine gestrige Besprechung mit den Herren der O. H. L.
zurück. Sie hätten ihn zu überzeugen versucht, daß man Verhandlungen abbrechen und
mit einer Proklamation an das Volk dieses zu den Waffen zu rufen suchen müßte.
Er habe sich auf andern Standpunkt gestellt. Wir würden Note beantworten in dem
Sinne, daß man sich nach Bedingungen erkundige. Die Herren seien der Ansicht
gewesen, man dürfe nicht weiter verhandeln, unser Heer stände unbesiegt auf feind-
lichem Boden und dürfe nicht kapitulieren. Auf seine Fragen, welche Chancen wir bei
— 103 —
einem Weiterkämpfen hätten, einen besseren Frieden zu erlangen, hätten sie ihm keine
direkte Erklärung gegeben. Sie hätten nur gesagt, wenn wir noch einige Monate aus-
halten könnten, so würde sich auf der andern Seite eine stärkere Friedenssehnsucht
geltend machen, besonders in Frankreich, aber auch in England. In Frankreich könne
man auch mit inneren Unruhen rechnen. Er sei dem nicht beigetreten und habe auf der
andern Seite auf die schlimmen Justände in Österreich hingewiesen und gefragt, ob die
nicht auch für uns von verhängnisvollem Einfluß sein könnten. Er habe darauf keine
Antwort erhalten. Er sei aber aufgefordert worden, sich dahin festzulegen, daß, wenn
wir ein sehr ungünstiges Waffenstillstandsangebot erhielten, wir eine Erhebung des
Volkes in die Wege leiten würden. Er habe es abgelehnt, sich darauf festzulegen und
seinerseits die Forderung gestellt, daß noch andere Heerführer gehört werden müßten.
Dies sei von Hindenburg in weniger entschiedener Form, von Ludendorff dagegen sehr
energisch abgelehnt worden. «
Scheüch ergänzt diese Bemerkungen noch dahin, daß seitens der O. H. L. noch
die Kohlennot beim Feinde und das. Nachlassen seiner Kampfkraft zu unsern Gunsten
erwähnt worden sei. Die Heeresgruppen Rupprecht und Deutscher Kronprinz hätten
in den letzten Tagen starke Angriffe abgewiesen. Zwischen Clemenceau und Foch bestehe
ein erheblicher Gegensatz wegen der uns aufzulegenden Bedingungen. Ersterer erhebe
sehr scharfe Forderungen, die Foch ablehne, also unsere Kampfkraft noch höher ein-
schätze. Die Herren der O. H. L. hätten noch besonders auf ein französisches Urteil der
letzten Tage hingewiesen, daß die deutschen Armeen sich noch sehr gut hielten, aber es in
Frankreich in 4 Wochen zu Ende sei, wenn es noch so weiter gehe. Hindenburg habe
noch gesagt: wir sind über den Berg gekommen. Nicht nur unsere Truppen halten,
sondern beim Gegner bestehen erhebliche Schwierigkeiten. In 14 Tagen werden wir
weiter sehen — also Zeit gewinnen — sei der Schluß seiner Ausführungen gewesen.
Die Mißerfolge hat Hindenburg zugegeben, sie seien aber nicht entscheidend gewesen.
Er selbst habe sich für die Anhörung anderer Generale ausgesprochen, die Unter-
haltung sei aber nicht zum Abschluß gekommen. Er habe den Eindruck, daß, wenn ein
Druck ausgeübt würde, die Anhörung dann doch noch möglich sei. Vielleicht ließe sie
sich gleich nach Absendung der Note, und zwar an zwei Stellen der Front vornehmen.
Fortsetzung nachmittags 1 ½ Uhr.
von Payer teilt vertraulich mit, daß Seine Majestät das Entlassungsgesuch des
Generals Ludendorff angenommen, dagegen Exzellenz Hindenburg bewogen habe, im
Amte zu bleiben.
... (olgt Beratung des Tertes der Note.)
Nr. 83.
Delegramm.
(Der Kaiser von Österreich an den Deutschen Kaiser.)
27. Oktober 1918.
„Teurer Freund!
Es ist Meine Plicht, Dir, so schwer es Mir auch fällt, zur Kenntnis zu bringen,
daß Mein Volk weder imstande noch Willens ist, den Krieg weiter fortzusetzen.
— 104 —
Ich habe nicht das Recht, Mich diesem Willen zu widersetzen, da Ich nicht mehr
die Hoffnung auf einen guten Ausgang hege, fuͤr welchen die moralischen und technischen
Vorbereitungen fehlen, und da unnützes Blutvergießen ein Verbrechen wäre, das zu
begehen, Mir Mein Gewissen verbietet.
Die Ordnung im Innern und das monarchische Prinzip sind in der ernstesten
Gefahr, wenn wir dem Kampf nicht sofort ein Ende bereiten.
Selbst die innigsten bundesbrüderlichen und freundschaftlichsten Gefühle müssen
vor der Erwägung zurückstehen, daß Ich den Bestand jener Staaten rette, deren Ge-
schicke Mir die göttliche Vorsehung anvertraut hat.
Deshalb kündige Ich Dir an, daß Ich den unabänderlichen Entschluß gefaßt
habe, innerhalb 24 Stunden um einen Separatfrieden und um einen sofortigen
Waffenstillstand anzusuchen. 1
Ich kann nicht anders, Mein Gewissen als Herrscher befiehlt Mir also zu
handeln.
In treuer Freundschaft
Karl.=
Nr. 84.
Telegramm.
Berlin, den 27. Oktober 1918.
Tit. Grünau.
Einer Meldung aus Wien zufolge bestehen dort Lweifel an unserer Bereit-
willigkeit zur Fortführung der kürzlich eingeleiteten Friedensaktion. In diesem Sinne
gehaltene tendenziöse Nachrichten dürften auch an Kaiser Karl gebracht worden sein
und ihn zur Abfassung des Telegramms an Seine Majestät bestimmt haben. Unter
diesen Umständen möchte ich die Absendung eines Telegramms an Kaiser Karl empfehlen,
das beruhigend auf ihn einwirkt und geeignet ist, ihn von übereilten Schritten abzu-
halten. Bitte demgemäß nachstehenden Entwurf Allerhöchsten Orts zum Vorschlag zu
bringen:
„Teurer Freund! Die Ankündigung Deiner Absicht, unsern Gegnern einen
Sonderfrieden anzubieten, hat mich auf das schmerzlichste überrascht. Du würdest
durch Ausführung dieses Gedankens den Plan unserer Feinde freie Bahn öffnen, die
darauf ausgeht, durch Trennung unserer Reiche unsere Länder leichter ihrem Willen
zu unterwerfen und ihre antimonarchischen Jiele zu verwirklichen.
Einen baldigen Frieden wünschen unsere Völker und Regierungen. Nach ihm
ist Mein Sinnen ebenso gerichtet wie Deins; ihm zu dienen habe ich schwere persönliche
Opfer gebracht, denn dem Wohl Meines Volkes ordne ich eigene Interessen willig unter.
Die im Einvernehmen mit Deiner Regierung kürzlich eingeleitete Aktion bezweckt die
Herbeiführung eines Waffenstillstandes und des demnächstigen Friedens; die Verhand-
lungen befinden sich im Fluß und können in wenigen Tagen zu dem Ergebnis führen.
Die bisherige Zusammenarbeit unserer Regierungen, deren Aussichten nicht ungünstig
erscheinen, würde durch eine Sonderaktion Deiner Regierung im jetzigen Augenblick auf
das äußerste gefährdet werden. Schon die Bedingungen für den Waffenstillstand werden
sehr viel schwerer werden, wenn unsere Gegner erfahren, daß unser Bund gesprengt ist.
— 105 —
Das berührt unsere Reiche in gleicher Weise. Ich bitte Dich daher dringend von jedem
Schritt abzusehen, der den Eindruck erwecken kann, daß wir nicht mehr einig sind.
Je fester wir auch fernerhin zusammenstehen, desto größer sind die Aussichten,
daß unsere Gegner, die ebenfalls schwer unter den Lasten und Schrecken des Krieges
leiden, sich zu Friedensbedingungen verstehen, die mit der Ehre und den Interessen
unserer Völker im Einklang sind.
Ich erwarte von Dir, daß Du Deine Regierung sofort veranlassen wirst, nur
im vollen Einvernehmen mit der Meinigen die mit den Vereinigten Staaten eingelei-
teten Verhandlungen fortzuführen.
In treuer Freundschaft
Wilhelm'.
gez. Staatssekretär.
Nr. 85.
Die vierte deutsche Note.
Die deutsche Regierung hat von der Antwort des Präsidenten der Vereinigten
Staaten Kenntnis genommen. Der Präsident kennt die tiefgreifenden Wandlungen,
die sich in dem deutschen Verfassungsleben vollzogen haben und vollziehen. Die
Friedensverhandlungen werden von einer Volksregierung geführt, in deren Händen die
entscheidenden Machtbefugnisse tatsächlich und verfassungsmäßig ruhen. Ihr sind auch
die militärischen Gewalten unterstellt. Die deutsche Regierung sieht nunmehr den Vor-
schlägen für einen Waffenstillstand entgegen, der einen Frieden der Gerechtigkeit ein-
leitet, wie ihn der Präsident in seinen Kundgebungen gekennzeichnet hat.
gez. Solf,
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.
Von der Anhörung der Generale bis zur vierten
Note Wilsons. Nr. 86 bis Nr. 101.
Nr. 86.
Staatssekretärsitzung vom 28. Oktober 1918 vorm. 10 Uhr.
Anwesend:
Ernzellenzen vpvon Payer, Friedberg, Graf Rödern!
von Mann, Groeber Scheidemann, Erz-
berger, Trimborn, Wahnschaffe; Geheimräte
Simons, von Schlieben, von Stumm.
Es erscheinen die Generale von Mudra und von
Gallwitz. ·
von Payer: Wir haben das selbstverständliche Bedürfnis, in diesen kritischen
Tagen von verschiedener sachverständiger Seite zu hören, wie wir die Lage aufzufassen
haben. Wir möchten bitten, über die militärische Lage, Stimmung und ganze
Situation im Heere sowie über die Meinung der Herren Auskunft zu erhalten, ob wir
überhaupt und mit welcher Aussicht auf Erfolg weiterkämpfen können.
von Gallwitz: Die Armee hat in den monatelangen Kämpfen natürlich gelitten.
Fortgesetzte Offensiven und rückwärtige Bewegungen haben sie angegriffen. Die Kopf-
zahl der einzelnen Verbände ist stark zurückgegangen. Gleichwohl haben diese ge-
schwächten Divisionen in letzter Jeit noch sehr guten Widerstand geleistet, die geringe
Zahl der Kämpfer tritt in der Defensive weniger in die Erscheinung wie bei Offen-
siven; zu solchen Kampfhandlungen seien wir augenblicklich nicht befähigt, wohl aber
zu nachhaltiger Abwehr. Der Gegner sei uns sehr überlegen. Er werde auch militärisch
sehr gut geführt. Andererseits habe unsere Truppe zahlreiche Beispiele von persönlicher
Tapferkeit und zähem Widerstand gegeben. Der Franzose sei selbst auch sehr geschwächt.
Seine Einheiten wären verringert. Der Engländer sesi zahlenmäßig besser daran, aber
auch seine Angriffskraft sei stark gesunken. Der Amerikaner sei besonders frisch und
zahlenmäßig sehr stark. Er habe auch vorzügliches Menschenmaterial in den ersten
Kampfhandlungen eingestellt. Leute in den zwanziger Jahren. Diese guten Divisionen
hätten aber ganz kolossale Verluste erlitten. Der Amerikaner empfindet das. Seine
Stimmung sei daher nicht begeistert. Sein politisches Verständnis sei erschreckend gering,
aber es seien urwüchsige frische Leute in den besten Jahrgängen. Aber es wäre anzu-
nehmen, daß die Ersatztransporte jetzt die älteren Jahresklassen bringen würden. Der
Amerikaner sei ein sehr zu schätzender Gegnerj; seine Angriffskraft habe aber jetzt nach
großen Verlusten sehr nachgelassen. Er werde aber nach Ergänzung zweifellos zu neuen
Stößen vorgehen.
Unsere Kräfte haben zweifellos gut gehalten. Es steckt also in unserer Truppe
noch ein guter Kern und noch sehr viel Elemente, die widerstandsfähig sind. Aber die
moralische Einwirkung aus der Heimat hat sich sehr ungünstig bemerkbar gemacht; be-
sonders die Länge des Krieges und die Lage der Verwandten in der Heimat habe
ungünstig auf die Widerstandskraft der Truppe eingewirkt. Ebenso habe oft der
Heimatsurlaub schlecht gewirkt. Die Leute seien oft in schlechterer Stimmung aus der
Heimat zurückgekommen als sie dahingegangen seien. Ungünstig habe sich auch bemerkbar
— 107 —
gemacht, daß wir die Presse aller Richtungen ungehindert hätten im Heere sich ver-
breiten lassen. Auf dem Boden der Kriegsmüdigkeit und der Sehnsucht nach dem
Frieden sowie beeinflußt durch politische Vorgänge in der neueren Zeit, habe sich eine
schlechte Stimmung gegen das Weiterkämpfen, insbesondere auch gegen die Disziplin,
bemerkbar gemacht. Es seien meist nur einzelne Teile und gewisse Jentren, aus denen
die Stimmung hervorgehe und die der Heerführung bekannt seien. Außerlich trete es
im Nachlassen der militärischen Haltung und der Disziplin zutage, im Kampfe darin,
daß diese kriegsmüden Elemente teils die Nerven verlören, teils sich drückten. Die
Drückebergerei habe einen erschreckenden Umfang angenommen, besonders in Wald-
gefechten. Die innere Struktur der Armee habe durch diese Beeinflussung gelitten, und
dies mache sich neben der zahlenmäßigen Uberlegenheit besonders bemerkbar. In aller-
letzter Zeit habe unser Waffenstillstandsangebot ungünstig gewirkt. Ferner die Zu-
stimmung zu der Räumungsforderung.
Trotzdem könne die Armee noch als widerstandsfähig hingestellt werden, wenn
gewisse strategische Maßnahmen getroffen und die Stimmung gehoben würde. JZu-
nächst müsse für erhöhten Ersatz gesorgt werden, auch müsse sonst in der Heimat noch
weiter durchgesiebt werden, einmal um Leute zu bekommen, andererseits um der Miß-
stimmung in der Armee darüber entgegenzutreten, daß noch viel kriegsverwendungs-
fähige Leute sich in der Heimat herumdrückten. Auf gualitativer Seite müsse die
Stimmung in der Armee gestärkt werden. Nach seiner Meinung sei es notwendig, daß,
wenn wir uns entschlössen, noch weiter zu kämpfen, ein gewaltiger Appel an Heimat
und Heer ergeht. Hierdurch würde auch ein großer Eindruck auf die Feinde erzielt
werden. Das jetzige fortgesetzte Ersuchen um einen Waffenstillstand habe nur den
Eindruck unserer Schwäche gemacht. Der Gegner sei zu gut geführt und mit einer vor-
züglichen Propaganda versehen. Durch diese sei jetzt ein wilder Kriegstaumel beim
Gegner entfacht. Ju unsern militärischen Mißerfolgen kommen nun diese fortgesetzten
Bitten um einen Waffenstillstand. Dieser Ansicht von unserer Schwäche beim Feinde
könne nur dadurch entgegengetreten werden, daß wir ihm die Uberzeugung beibrächten,
daß wir noch nicht aus dem letzten Loche pfiffen. Ein allgemeiner Appell an das Volk
müßte von allen Stellen gemeinsam ausgehen, so daß durch Fassung und Verbreitung
alles Trennende zurückgestellt werde. Ein Appell des Kaisers allein würde bei den
jetzigen Verhältnissen nicht ausreichen. Erhebliche Kreise der Armee seien damit ein-
verstanden, daß die neue Regierung die Sache mit in die Hand nehme. Wenn sie zu
der Uberzeugung käme, daß wir nicht glatt zu kapitulieren brauchten, was er für ein
Unglück ansehen würde, so müsse alles Trennende in Armee und Volk zurückgestellt und
ein großer markiger Appell von der alten Gewalt und von der neuen Regierung an
Volk und Marine ergehen; dadurch wäre eine gute Wirkung auf den Feind zu erwarten.
Jetzt müßten wir das letzte Mittel zeigen, um zu beweisen, daß es noch nicht zu schlecht
mit uns stehe. . .
General von Mudra stimmt vollständig bei. Wir hätten keine Veranlassung,
die Flinte ins Korn zu werfen. Die Hauptschwierigkeit sei, daß die Armee ermüdet
sei. Wenn wir erreichen könnten, daß wir so viel Ersatz bekämen, um einige Divisionen
mal wieder schlafen zu lassen, dann sei es gut. Das ewige Wiedereinsetzen zum Kampf
fresse am Mark der Truppe. Also brauchten wir mehr Ersatz und nicht nur quantitativen,
sondern auch qualitativen. Der gemeinsame Appell an Volk und Heer müßte von
Kaiser und Reichsleitung zugleich erfolgen, dann würden die schlechteren Teile der
Armee wieder dazu geführt werden, wieder alles für die Not des Vaterlandes herzugeben.
Wir brauchten noch lange nicht zu kapitulieren. Anders sei es allerdings,
27*
— 108 —
wenn Österreich wackelig werde. Dann könnten allerdings Erschütterungen
eintreten, daß wir genötigt werden, etwas eher den Moment ins Auge zu fassen, indem
wir dem Feinde entgegenkommen müßten.
von Payer dankt beiden Generalen für ihre wichtigen Ausführungen und fragt
sie, wielange sie glauben würden, daß das Aufflackern der Begeisterung und Stimmung
dauern würde, und wielange wir überhaupt weiterkämpfen könnten. Was für Aus-
sichten hätten wir bei einem Weiterkampf, und wann würde der Zeitpunkt eintreten, wo
wir unterliegen müßten?
von Gallwitz: Auf eine bestimmte Heit könne er sich natürlich nicht festlegen.
Jetzt käme zunächst der Winter, dann würden wir etwas mehr Ruhe haben. Hielten
wir aber über den Winter aus, dann würden wir einen besseren Frieden bekommen.
Ein völliger Umschwung durch eine großzügige Offensive mit vollem Sieg halte er für
uns allerdings nicht mehr für möglich. Wohl aber festes, defensives Durchhalten.
Wenn der Gegner sähe, daß wir uns doch nicht besiegen ließen, so werde er zu ver-
ständigerer Auffassung kommen. Auf Grund der jetzigen Lage werde nur die
Kapitulation von uns gefordert werden. Schlimmer als diese können die späteren
Forderungen auch nicht mehr sein.
Die Frages ob nicht jetzt ein flammender Aufruf den Abbruch der Verhandlungen
zur Folge haben würde, glaube er verneinen zu müssen. Die diplomatischen Fäden
könnten ruhig weiter gesponnen werden. Sie müßten jedoch nicht mehr so öffentlich
auf die Armee einwirken dürfen wie bisher.
von Payer betont, daß das Waffenstillstandsangebot der Regierung von der
O. H. L. aufgenötigt worden sei. Auch mit der Justimmung der Räumung habe sich
die O. H. L. ausdrücklich einverstanden erklärt. Er frage, ob wir nicht, wenn wir weiter-
kämpften, immer noch der Gefahr einer Katastrophe ausgesetzt seien.
von Gallwitz: Er könne nur sagen, daß er sehr erstaunt gewesen sei, als das
Wassenstillstandsangebot erfolgt sei und noch mehr über unser Eingehen auf die
Räumungsforderung. Daß wir mal zu Verhandlungen kommen müßten, sei ihm klar,
aber nicht notwendig sei es gewesen, daß wir so weit entgegenkamen. Dies habe die
Armee sehr beunruhigt. Die Räumung bedeute völlige Waffenstreckung. Wenn wir
bis zur Landesgrenze zurückgingen, müßten wir mit dem Kampfe aufhören, weil sonst
unser eigenes Land verwüstet würde. Jetzt können wir aber noch weiter durchhalten.
von Mudra: Wenn unserer weiterer Widerstand dazu führen würde, daß wir
später schlecht behandelt werden, so wäre ich auch dafür, daß wir den Widerstand auf-
gäben. Aber jetzt müßten wir noch HJeit gewinnen, um gegen einen entehrenden
Frieden Front zu machen. Kommen jetzt entehrende Bedingungen, dann muß jeden-
falls der Aufruf erfolgen.
Erzberger: Glauben die Herren nicht, daß die Wirkung, die der Appell an das
Volk haben würde, dadurch wieder ausgeglichen wird, daß der Feind stärker wird: So
daß er schließlich durchbrechen kann?
Wie würden die Herren den Abfall von Österreich bewerten?
von Mudra: Ich würde die Tatsache, daß die Italiener dann nach Frankreich
kämen, für sehr schlimm halten, aber das werde viel Zeit kosten, und die Italiener
würden nicht so schnell zum Angriff übergehen können. Wir brauchten aber überhaupt
nur unsere Armee ausruhen zu lassen. Sei dies geschehen, dann könnten uns die
Gegner überhaupt nicht schlagen oder es zum Durchbruch bringen.
— 109 —
von Gallwitz: Was den Kräftezuwachs des Gegners betrifft, so sei dieser schon
in der letzten Jeit durch die Einwirkung der Kampfhandlungen aufgehoben worden.
Die Kampfkraft der Franzosen sei erheblich zurückgegangen. Außerdem machten sich
die Friedensströmungen sehr in den gegnerischen Ländern bemerkbar. Nur jetzt sei die
Stimmung durch die Erfolge gehoben. Die englische Armee sei allerdings verhältnis-
mäßig kräftig, aber ihre Leistungsfähigkeit habe auch nachgelassen. Wenn wir weiter
die Defensive durchhielten und dem Gegner große Verluste beibrächten, so werde sein
Kräftezuwachs wieder ausgeglichen werden, so daß eine Katastrophe bei uns nicht zu
befürchten sei. Er glaube also nicht, daß sich das Kräfteverhältnis zu unsern Gunsten
wesentlich verschieben würde.
Durch den Sonderfrieden Österreichs werde Lage allerdings ganz verändert.
Es wären zwei Möglichkeiten vorhanden, die eine, daß Osterreich zwar nicht mehr weiter-
kämpfe, aber auch keine uns unfreundlichen Handlungen vornähme, insbesondere keine
feindlichen Truppen durchließe, oder aber, daß Osterreich doch hierzu gezwungen würde.
In letzterem Falle, der ähnlich wie in Bulgarien liege, würde die Entente die Ukraine
und Rumänien für uns abschneiden. Die italienischen Kräfte würden auf jeden Fall
an die Westfront gezogen werden. Dies sei sehr schlimm, weil unsere Vogesenfront
schwach besetzt sei. Es könnte dies der Tropfen sein, der das Faß zum Uberlaufen
brächte.
Haußmann: Seien die Generale der Ansicht, daß wir die Verhandlungen ab-
brechen und die Volkserhebung organisieren müßten, dann könnten wir jetzige Ver-
handlungen mit Wilson nicht aufrechterhalten. Oder sollten wir erst abbrechen, wenn
sie uns unwürdige Bedingungen auferlegen?
von Gallwitz: Wenn wir Appell an das Volk richten, dann ist Abbruch der
Verhandlungen mit Wilson notwendig, da es sonst als Farce erscheinen würde. Auch
würden wir ja dann auf feindlichem Boden weiterkämpfen wollen, also das Räumungs-
angebot zurückziehen müssen. Also erst Abbruch der jetzigen Verhandlungen und dann
Appell an das Volk. Zunächst jedoch Antwort abwarten und dann Entscheidungen
treffen. Jetzt müsse jedoch schon die O. H. L. ihre Maßnahmen treffen, damit, falls
entwürdigende Anträge kommen, weiter gekämpft werden könne.
Solf teilt die neuesten Vorgänge in Osterreich, insbesondere das Sonder-
friedensangebot, mit, und verliest diese Note, wie sie im Ausland bereits veröffentlicht
ist. Die Note bedeute den Separatfrieden und werde einer Kapitulation gleichkommen.
Die Konsequenzen seien schwer. Rumänien würde uns nicht mehr Vorteile bieten.
Unsere süddeutsche Front werde gefährdet. Die Italiener würden an die Westfront
gehen und diese gefährden.
von Gallwitz: Wir dürfen gleichwohl nicht die Flinte ins Korn werfen, es
seien das vorläufig nur alles Vermutungen. Wir müßten erst sehen, wielange wir es
noch aushielten; es kann nicht mehr schlechter werden. Vom Standpunkt der nationalen
Ehre dürfe man nicht Schicht machen, solange die Armee noch in Widerstandskraft
dastehe.
Groeber stellt die Frage, ob wir, wenn uns entwürdigende Bedingungen
gestellt würden, dann noch in der Lage sein würden, dauernden Widerstand zu leisten.
Einige Zeit wohl sicher noch. Könnten wir vernürftigerweise sagen, es muß noch
weitergekämpft werden, mit Hoffnung auf günstigere Bedingungen? Werden uns nicht
noch ungünstigere gestellt werden, wenn wir jetzt abbrechen!? Wir stoßen Wilson zu
rück, und England und Frankreich bekommen Oberwasser. «
28
— 110 —
Der Standpunkt der nationalen Ehre ist für uns alle maßgebend. Schon die
Räumungsbestimmung ist uns sehr schwer gefallen, wir standen aber unter dem Druck
des Militärs. Dürfen wir aber nur mit Rücksicht auf Ehrestandpunkt Kampf fort-
setzen, der aussichtslos ist und nur Gegner veranlaßt, uns später noch härtere Bedin-
gungen aufzuerlegen?
von Gallwitz: Die Frage, ob wir uns dauernd oder nur noch vorübergehend
halten können, ist nicht zu beantworten möglich. Er sei aber der Ansicht, daß wir den
Wiederstand noch eine ganze Weile fortsetzen könnten, könne sich aber nicht auf bestimmte
Zeit festlegen. Daß der Feind uns infolge des Appells an das Volk und Fortsetzung
des Kampfes später schlechtere Bedingungen stellen werde, glaube er nicht; er werde uns
jetzt schon so gering einschätzen, daß er alles verlangen werde. Wir müßten zuhächst die
nächste Antwort abwarten, dann aber sei es Jeit, zum Entschluß zu kommen. Dann sei
auch nicht ein Moment zu verlieren, um letzten Appell an Waffengewalt zu richten. Er
hoffe davon lediglich moralische Wirkung, die Hebung der Stimmung.
Die Parteien der Regierung müßten jetzt auf die Soldaten einwirken, daß es
ihre Pflicht sei, jetzt herauszugehen und alles herzugeben. Die Leute dürften nicht als
unzufriedene Elemente hinausgehen. Die Macht der politischen Führer sei so groß,
daß sie auf Leute guten Einfluß ausüben könnten.
von Gallwitz erwidert auf Frage von Payers, daß es zutreffen könne, daß
2 300 000 Amerikaner in Frankreich seien. Dies seien aber nicht alles Kampftruppen,
sondern sehr viel gehe auf Hilfstruppen, Eisenbahntruppen usw. ab. Jetzt seien 42
amerikanische Divisionen mit je 12 überstarken Bataillonen in Frankreich. Das Ver-
hältnis sei für uns noch ungünstiger, da unsere Divisionen zahlenmäßig sehr geschwächt
seien. In den Argonnen habe ein Truppenführer das Jahlenverhältnis von uns zu
den Feinden auf 1: 15 angegeben. Wenn dies auch vielleicht zu hoch sei, so sei 1:6
jedenfalls richtig. Die Masse allein aber mache es nicht.
Wenn Österreich alle Bahnen zum Durchmarsch zur Verfügung stelle, dann
müsse man allerdings die letzten Konsequenzen ziehen, man müsse aber doch erst ab-
warten, ob Österreich sich so entwürdigen würde.
von Mann betont, daß wir jederzeit den U-Boot-Krieg wieder aufnehmen
könnten, tatsächlich sei er jetzt eingestellt. Dies werde die Armee an der Westfront bald
spüren. Bisher hätten wir jede halbe Stunde 33 Waggons versenkt. Sehr schmerzlich
sei die Aufgabe des U-Boot-Krieges im Mittelmeer. Wenn weitergekämpft werden
sollte, dann müßten wir den U-Boot-Krieg wieder aufnehmen.
von Gallwitz: Auf die Frage Friedbergs über die Stärke der Salonikiarmee
sei er nicht in der Lage, zahlenmäßige Auskunft zu geben. Sie sei bisher nicht in der
Lage gewesen, etwas Ernstliches gegen uns zu unternehmen, solange die Bulgaren stand-
hielten. Jetzt sei sie ein beachtlicher Gegner geworden.
. von Mudra: Wenn Osterreich bedingungslos kapituliert und sich auf Seite der
Feinde stellt, dann ist die Sache für uns verloren. Nach der Katastrophe in Ssterreich
müssen Vorbereitungen für letzte Aktion sofort getroffen werden.
Friedberg: Wenn man Kampf bis zum letzten Mann durchführt, so besteht
große Gefahr, daß die Armee nachher zurückflutet. Wir müssen aber einen Teil der
Armee für die innere Sicherheit intakt halten.
von Gallwit faßt seine Ansicht noch einmal dahin zusammen, man müsse zu-
nächst die Antwort Wilsons abwarten, um zu sehen, ob er auf dem jetzigen Standpunkt
— 111 —
stehen bleibt, und dann die Entwicklung in Österreich abwarten. Werde OÖsterreich
Gegner, dann sei ein neuer Standpunkt geschaffen.
Hierauf entfernten sich die beiden Generale.
Solf teilt noch nachträglich mit, daß der General von Gallwitz ihm noch gesagt
habe, er habe den österreichischen Abfall vorhin zu schwarz eingeschätzt, da er im Augen-
blick übersehen habe, daß wir im Osten und Südosten noch mehrere Armeen stehen hätten.
Er sähe deswegen die Lage nicht mehr für so schwarz an.
Nr. 87.
Delegramm.
Hofzug, den 30. Oktober 1918.
Der Wirkliche Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Der Vertreter von General von Cramon hat Seiner Majestät gemeldet:
* Seine Apostolische Majestät haben mir als Stellvertreter des Generals
von Cramon heute in Audienz befohlen, Euerer Majestät zu melden, wie sehr Seine
Apostolische Majestät es bedauern, durch den hoffnungslosen Justand der Truppen an
der Südwestfront und die Besorgnisse vor bolschewistischen Ereignissen gezwungen ge-
wesen zu sein, eigene Wege zu gehen. Ich habe Seiner Apostolischen Majestät erwidert,
daß die Erwähnung des Entschlusses in der Note an den Präsidenten sehr peinlich
überrascht hätte. Ich habe Seine Apostolische Majestät außerdem alleruntertänigst
darauf hinweisen zu müssen geglaubt, daß ein Eingehen auf Bedingungen, wie sie Bul-
garien angenommen hat, eine schwere Bedrohung unserer Südgrenzen bedeute und aller-
untertänigst gebeten, derartige Forderungen abzulehnen.“
gez. Grünau.
Nr. 88.
Telegramm.
30. Oktober 1918.
Seine Apostolische Majestät an Seine Majestät den deutschen Kaiser.
Ich war heute früh genötigt, da die militärische Lage unhaltbar geworden ist,
den Italienern einen Waffenstillstand anzutragen. Falls aber die Italiener die Bedin-
Zung stellen, daß die Bahnen durch Tirol und Kärnten (Tauernbahn, Brennerbahn,
Südbahn) für den Durchzug der feindlichen Truppen gegen Deine Länder geöffnet
werden sollten, so werde Ich mich an die Spitze Meiner Deutsch-Osterreicher stellen und
den Durchzug mit Waffengewalt verhindern. Darauf kannst Du fest vertrauen. Auf
die Truppen der andern Nationalitäten kann man sich in dem Falle nicht verlassen.
In treuer Freundschaft
. gez. Karl.
— 112 —
Nr. 89.
Delegramm.
Hofzug, den 30. Oktober 1918.
An des Kaisers von Österreich, Apostolischen Königs von Ungarn
Majestät.
Mit Bewegung habe Ich Dein Telegramm über den Antrag zum Waffenstill.
simd an Italien gelesen. Ich bin überzeugt, daß Deine Deutsch-Osterreicher, an der
Spitze der Kaiserliche Herr, sich wie ein Mann gegen schmachvolle Bedingungen er-
heben werden und danke Dir dafür, daß Du Mir dies noch besonders versicherst.
In treuer Freundschaft
gez. Wilhelm.
Nr. 90.
Delegramm.
Wien, den 3. November 1918.
Der deutsche Botschafter in Wien telegraphiert an das Auswärtige Amt.
Die Waffenstillstandsbedingungen sind von der Kaiserlichen Regierung ange-
nommen worden. Die Regierung hat dabei die Hoffnung hinzugefügt, daß die Entente
Böhmen nicht zum Durchmarsch gegen das Deutsche Reich benutzen werde. Dieser
Zusatz wird auf die Entente schwerlich Eindruck machen. Da die Bedingungen noch
nicht veröffentlicht sind, ist eine Stellungnahme der Deutsch-LSsterreichischen Regierung
noch nicht erfolgt. Soweit bekannt, sehen die Waffenstillstandsbedingungen die Räu-
mung bis zum Brenner, die Auslieferung der Hälfte der Artillerie, die Demobilisation
bis auf 20 Divisionen, die Besetzung aller strategisch wichtigen Punkte, die Ubergabe
der Eisenbahnen, die Entfernung der reichsdeutschen Truppen innerhalb von
15 Tagen vor.
gez. Wedel.
Nr. 91. —
Wien, den 3. November 1918.
Kaiserlich deutsche Botschaft.
Durch Feldjäger.
Vertraulich.
Gestern wurde der deutsche Staatsrat nach Schönbrunn berufen. Wie mir
Staatssekretär Dr. Adler erzählt, hat der Kaiser dem Staatsrat die Waffenstillstands-
bedingungen vorgelesen und dann in längerer Rede gesagt, dieselben verstießen gegen
seine Ehre und seien unannehmbar. Die Rede habe aber in die Erklärung ausgeklungen,
annehmen müsse man sie aber doch. Iweck der Berufung sei gewesen, die Justimmung
des Staatsrats zu erhalten, um denselben mitverantwortlich zu machen. Er habe sich
aber gehütet, in diese Falle zu gehen.
— 113 —
Die Bedingungen seien eine reinliche Kapitulation und, daran zweifle er keinen
Augenblick, so formuliert, um Deutschland von dieser Seite aus angreifen zu können.
Wenn wir den Waffenstillstand nicht bekämen, so würde der Aufmarsch der Entente
in Österreich und Ungarn unter tätiger Mitwirkung der Ungarn, Tschechen und Süd-
slaven beginnen, während Deutsch Österreich trotz innerer Entrüstung der ohnmächtige
Zuschauer sein werde.
Wie wir in diesem Fall unsere Grenzen verteidigen wollten, müsse uns über-
lassen bleiben. Seine Stellung würde natürlich erleichtert, wenn ein Kampf auf öster-
reichischem Boden vermieden würde.
gez. Wedel.
Seiner Großherzoglichen Hoheit, dem Herrn Reichskanzler Prinzen Max
von Baden.
Nr. 92.
Delegramm.
Konstantinopel den 31. Oktober 1918.
Der Kais. Geschäftsträger an Auswärtiges Amt.
Dringend.
Waffenstillstand') heute mittag 1 Uhr abgeschlossen. Drahte Bedingungen
sobald bekannt.
Waldburg.
Nr. 93.
Delegramm.
Großes Hauptguartier den 30. Oktober 1918.
Exzellenz von Hintze an Auswärtiges Amt.
Auszug.
O. H. L. mitteilt nachstebende Agentennachricht vom 25. d. M. aus Bern:
Augenblicklich findet im französischen Hauptquartier Besprechung zwischen
Haig, Dershing und Foch statt, wegen der zu stellenden Waffenstillstandsbedingungen.
Besprechungen sind nicht abgeschlossen, bisher werden folgende Ansprüche der Alliierten
verlantbart:
1. Strikte Abweisung von Verhandlung mit Ludendorff oder anderen
Mitgliedern des Hauptquartiers. Dagegen Einwilligung zu Verhandlung
mit einer zu diesem Iweck vom Reichstag erwählten Kommission.
Rückzug der deutschen Truppen bis an die Grenze.
Sofortige Okkupation dieses geräumten Gebietes durch die Allüeerten.
Verbleib sämtlichen Kriegsmaterials in dem zu räumenden Gebiete.
Räumung Elsaß-Lothringens und Besetzung der Städte Metz und
Straßburg durch die Alliierten.
ZA F S .
gez. Hintze.
) Waffenstiustand der Türkei.
— 114 —
Nr. 94.
Delegramm.
Bern, den 28. Oktober 1918.
Der deutsche Gesandte in Bern telegraphiert an das Auswärtige Amt.
Zwecks Weitergabe an mich haben sich mehrere Bundesratsmitglieder gegenüber
Mitgliedern der Deutschen Kriegsgefangenenkommission dahin ausgesprochen, daß sie
keine Möglichkeit mehr sähen, wie die Abdankung des Kaisers vermieden werden könnte.
Ohne jeden Zweifel würden wir uns in allernächster Jeit einer brutalen (verstümmelt)
der Entente gegenübersehen. Die Dynastie sei noch zu retten und der hoffnungslose
Endkampf zu vermeiden, wenn wir jetzt noch freiwillig das Opfer brächten. Die Be-
treffenden begründen ihren Rat auch vor allem mit der Gefahr der Revolution, in die
auch ihr eigenes Land hineingezogen zu werden drohe. Sie meinen, wenn Seine
Majestät der Kaiser sich opfert und in einem Appell seinen jugendlichen Enkel der Treur
seines Volkes und der Armee, insbesondere des Feldmarschalls von Hindenburg, empfeble,
er damit nicht nur starke Sympathie im Ausland erwecken, sondern auch den Umsturz-
gedanken in Deutschland noch ersticken werde.
gez. Romberg.
Nr. 95.
Berlin, den 31. Oktober 1918.
An titl. Hintze
Großes Hauptquartier.
Gesandter Bern telegraphiert:
Schweizer Regierungsvertreter, die ich heute sprach, verstehen nicht, wie man
über den Sinn der Wilsonnote überhaupt noch im Iweifel sein könne. Dies betont
noch ausdrücklich ein Vertrauensmann, der mitteilt, daß alle hier anwesenden Ameri-
kaner von Bedeutung geäußert hätten, man werde nun wohl endlich in Berlin den
Wink verstanden haben. Bei allen habe Entlassung General Ludendorffs einen überaus
schlechten Eindruck insofern hervorgerufen, als man sage, der Kaiser entlasse seine besten
Leute, um sich persönlich zu retten, er sei imstande, auch noch Hindenburg fortzuschicken;
daraus gehe hervor, daß er immer noch hoffe, das alte System zu retten, und daß er die
Demokratisierung nicht ernstlich wolle. Es sei vorerst umsonst, zu versuchen, Amerika
verständlich zu machen, daß durch unsere Verfassungsänderungen das alte Regime end
gültig gestürzt ist, das sich in ihren Augen infolge der mit der Person des Kaisers be-
triebenen Agitation eben in der Persönlichkeit des Kaisers verkörpert. Nur das Aus-
scheiden dieser Persönlichkeit würde überzeugend wirken und für den Präsidenten einen
Erfolg bedeuten, der ihm wiederum Ausschlag gebe, einflußreich (verstümmelt)
den extremen chauvinistischen Einflüssen im eigenen Lande und der Entente (ver-
stümmelt) begegnen. Allerdings müsse ungeheuer schnell gehandelt werden, da unsere
letzte Note den Eindruck erwecken müsse, daß wir unsere letzten Worte gesprochen hätten,
und nunmehr die Bedingungen erwarteten, die nach Schlußabsatz der Wilsonnote, wenn
von unserer Seite nichts mehr erfolge, nichts anderes als Forderung der Kapitulation
sein könnten. Obige Auffassung beruht unter anderm auf einem Gespräch zwischen
— 115 —
und Vertrauensmann, in dem . auf die Ansicht, daß die nicht erfolgte Abdankung
auf eine mißverständliche Auffassung der Wilsonnote zurückzuführen sein könnte, ant-
wortete, er könne in amtlicher Eigenschaft hierauf nicht antworten, müsse aber als
Privatmann sagen, daß Wilson nicht deutlicher habe werden können, ohne taktlos zu
werden. Ubrigens sei wohl von Mißverstehen in Deutschland keine Rede, da ja die ge-
samte deutsche Presse die Note richtig verstanden habe.
gez. Romberg.
Nr. 96.
Aufzeichnung.
Berlin, den 31. Oktober 1918.
In keiner der bisberigen Mitteilungen des Präsidenten Wilson ist die Thron-
entsagung des Kaisers ausdrücklich verlangt worden. Andeutungen enthalten folgende
Stellen in seinen Noten:
1. Note vom 14. Oktober:
?* Zur Vermeidung jeder Möglichkeit eines Mißverständnisses hält es der
Präsident weiter für nötig, die Aufmerksamkeit der Regierung Deutschlands in feier-
lichster Form auf den Wortlaut und den klaren Sinn einer der Friedensbedingungen
zu lenken, die die deutsche Regierung soeben angenommen hat. Sie ist in der An.
sprache des Präsidenten in Mount Vernon am 4. Juli d. J. enthalten und lautet:
? Vernichtung jeder Willkür und Macht, die für sich allein und
heimlich den Frieden der Welt stören kann, und wenn ihre Vernichtung
jetzt nicht möglich ist, mindestens eine Herabdrückung zu tatsächlicher
Machtlosigkeit. Und die Macht, die bisher die deutsche Nation beherrscht,
ist von der hier beschriebenen Art. Es liegt innerhalb der Wahl der
deutschen Nation, das zu ändern. Die soeben angeführten Worte des
Pääsidenten bilden natürlich eine Bedingung, die dem Frieden voran-
gehen muß, wenn anders der Friede durch die Handlungsweise des deut-
schen Volkes selbst kommen soll. Der Präsident fühlt sich verpflichtet
zu sagen, daß nach seinem Urteil die ganze Durchführung des Friedens
von der Bestimmtheit und dem zufriedenstellenden Charakter der Bürg-
schaften abhängen wird, die in dieser grundlegenden Frage gegeben werden
können. Es ist unumgänglich notwendig, daß die gegen Deutschland ver-
bundenen Regierungen unzweideutig wissen, mit wem sie es zu tun haben.=
2. Deutlicher heißt es im letzten Absatz seiner Note vom 23. Oktober:
„Der Präsident hält es für seine Pflicht, ohne alle Versuche, das,
was schroff klingt, zu mildern, auszusprechen, daß die Völker der Welt
kein Vertrauen in die Worte derjenigen setzen und setzen können, die bisher
die Herren der deutschen Politik gewesen sind.=
3. Am Schluß der Note sagt er:
»Wenn sie (die amerikanische Regierung) jetzt mit den militärischen
Beherrschern und monarchischen Autokraten Deutschlands verhandeln soll
29.
— 116 —
oder zu gewärtigen hat, später mit ihnen über die völkerrechtlichen Ver—
pflichtungen des Deutschen Reiches verhandeln zu müssen, muß sie statt
Friedensverhandlungen Übergabe verlangen.«
Es hat bisher nicht unzweideutig festgestellt werden können, ob der Präsident
mit diesen Wendungen nur das System und die verfassungsrechtlichen Bestimmungen
treffen will, oder ob er bestimmte Persönlichkeiten im Auge hat. Versuche zur Klar—
stellung sind gemacht worden und noch im Gange, haben aber ein endgültiges Ergebnis
bisher noch nicht gehabt. Das neutrale Ausland faßt Wilsons Absichten überwiegend
dahin auf, daß er tatsächlich die Thronentsagung wünscht. Diese Ansicht gründet sich
auf die Auslegung der Wilsonschen Kundgebungen, auf Eindrücke aus Unterredungen
mit den Vertretern Amerikas und der Entente, insonderheit auf folgende Erwägungen:
Wilson selbst wünscht den Rechtsfrieden auf der Basis seiner Programmpunkte.
Die Entente sträubt sich gegen die Annahme dieses Programms. Sie wünscht den
Friedensschluß auf Grund ihrer eigenen, sehr viel härteren Bedingungen. Ebenso
fordert in Amerika die republikanische Partei unter Führung Roosevelts die unbedingte
Unterwerfung Deutschlands. Von diesen Strömungen ist der Politiker Wilson um so
abhängiger, als am 5. November die Wahlen zum amerikanischen Repräsentantenhause
bevorstehen, in dem die demokratische Partei, also Wilsons Partei, wenige Stimmen
Mehrheit besitzt. Gehen diese Stimmen verloren, so wird dem Präsidenten die Durch-
führung seines Friedensprogramms erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Denn
trotz aller Machtbefugnisse ist der amerikanische Präsident letzten Endes doch von der
Stimmung der Wähler abhängig. Wenn also auch Wilson persönlich die Thron-
entsagung als eine Forderung ansieht, die für ihn erst in zweiter Linic steht, so bedarf
er doch dieses Symbols, um der Entente und der amerikanischen öffentlichen Meinung
durch einen augenfälligen Erfolg zu beweisen, daß sein Kriegsziel, die Demokratisierung
der Welt durch Beseitigung der deutschen Militärautokratie, erreicht ist. Verfassungs.
änderungen genügen diesem Iwecke nicht, da die amerikanischen Massen die deutsche Ver
fassung und damit auch ihre Anderungen nicht versteben. Der Kaiser hingegen ist in der
amerikanischen öffentlichen Meinung, wie die Lektüre der Jeitungen und der illustrierten
Blätter zeigt, die Personifikation von Autokratie und Militarismus. Die Thron
entsagung würde daher als ein nicht wegzulengnender Erfolg der Wilsonschen Politik
seine Stellung stärken und ihm voraussichtlich trotz aller Widerstände die Durchführung
seines Programms ermöglichen. Ohne diese Stärkung seiner Stellung wird behauptet,
daß Wilson dem Drucke nachgeben muß und Deutschland verschärfte Friedensbedingungen
im Sinne der Entente auferlegt werden.
gez. Solf.
Nr. 97.
Delegramm.
München, den 2. November 1918.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Aiut.
Unabhängige Sozialdemokraten werden morgen hier eine Versammlung ab
halten, die die Abdankung des Kaisers fordern wird.
"„ gez. Treutler.
Nr. 98.
Telegramm.
Bern, den 3. November 1918.
Der Kais. Gesandte an Auswärtiges Amt.
Ganz geheim.
Verschiedene Vertrauensleute bestätigen unabhängig voneinander, daß aus-
schlaggebender Einfluß Wilsons erheblich gesährdet set, und daß er wegen Ausbleibens
des Erfolges in der Abdankungsfrage zur Anwendung der in seiner Note erwähnten
zweiten Alternative, der bedingungslosen Kapitulation, gezwungen sein würde. Be-
sonders schädlich scheint eine Nachricht bei der Entente gewirkt zu haben, wonach im
Bundesrat von Bayern die Abdankung des Kaisers vergeblich gefordert worden sei und
in Bayern an maßgebender Stelle der Eindruck bestehe, daß Seine Majestät der Kaiser
den Plan verfolge, bei der ersten Gelegenheit die neue deutsche Regierung zu stürzen.
Es wird sogar behauptet, daß Bayern Abgesandten der Entente zu verstehen gegeben
hätte, daß Bayern sich von der Reichspolitik unter Umständen lossagen würde. Von
zwei verschiedenen Seiten wird mir berichtet, daß in der Entente mit Bayerns Sonder-
bestrebungen ernst gerechnet werde. Diese Tatsache scheint jedenfalls richtig zu sein, ganz
gleichgültig, ob die abenteuerlich klingende Nachricht von den bayerischen Emissären
auf Schwindel beruht oder nicht.
Ein bewährter italienischer Freund teilt mir mit, daß unter den italienischen
Sozialisten starke Neigung bestehe zu einer Kooperation mit einer wirklichen demo-
kratischen deutschen Regierung, die Person des Kaisers aber auszuschließen.
gez. Romberg.
Nr. 99.
Delegramm.
Hofzug den 5. November 1918.
Der Kais. Wirkliche Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Der Kaiser ließ mich eben rufen, um Seine Gedanken über Fortführung des
(Friedensgesprächs unabhängig von Waffenstillstandsverhandlungen näher auszuführen.
Nach den Vorgängen mit der Türkei und Österreich müsse damit gerechnet wer-
den, daß die Bedingungen so weitgehend und erniedrigend seien, daß die Armee sich
weigere, sich ihnen zu beugen. Daraus könne leicht ein Gegensatz zwischen der Auf-
fassung der Armee und derjenigen der Regierung und den Wünschen des Volkes, das den
Frieden wolle, entstehen. Vielleicht liege ein solcher Iwiespalt auch in der Absicht der
Entente, um politisch unsere Widerstandskraft im kritischen Augenblick zu schwächen.
Dieser Iwiespalt werden den Kaiser und die Regierung in eine höchst schwierige Lage
bringen. Daher müsse darauf Bedacht genommen werden, Friedensverhandlungen un-
abhängig von den Verhandlungen über den Waffenstillstand anzubahnen und ihre Fort.-
setzung zu ermöglichen, selbst wenn die Verhandlungen über den Waffenstillstand
scheiterten.
Der Wassenstillstand führe noch nicht ohne weiteres zum Frieden, wohl aber
könnte sich aus dem Fortschreiten der Friedensverhandlungen eine Situation ergeben,
in der Waffenstillstand oder wenigstens Waffenruhe leichter zu erzielen sei als heute.
30
— 118 —
Die Einleitung von Friedenserhandlungen, für die wir durch die Annahme
des Wilsonschen Programms, durch die Jusage der Räumung, die tatsächliche Ein-
stellung des U. Boot-Krieges und die innere Umgestaltung die Voraussetzungen geschaffen
hätten, werde es erleichtern, eventuell bezüglich der Wafsenstillstandsbedingungen hart-
näckiger zu sein, da wir dann im Falle harter Bedingungen für den Waffenstillstand
nicht ohne weiteres vor die Alternative gestellt werden, Annahme oder Abbruch mit nach
außen hin in Erscheinung tretender Aufnahme des Endkampfes.
Die Kampfhandlungen würden dann ohne Anderung ihres Charakters weiter-
gehen, bis der Stand der Friedensverhandlungen den Eintritt der Waffenruhe er-
möglicht.
Um die Friedens= von den Waffenstillstandsverhandlungen zu lösen und den
Friedensfaden fortzuspinnen, ist der Kaiser auf die Anregung gekommen, die Waffen-
stillstandsverhandlungen auf dem Wege der Verhandlung von Armee zu Armee zu leiten.
Ausgangspunkt hierfür könne sein, daß Wilson selbst die Festsetzung der Waffenstill-
standsbedingungen als Aufgabe des Militärs bezeichnet habe. Wenn man dies auf-
griffe und äußerlich den Militärs überlasse, könne man vielleicht die Friedensverhand.
lungen von etwas nicht dazugehörigem entlasten und damit fördern, zumal jetzt Wilson
bei der Entente nicht durchzudringen scheine. Konsolidiere sich aber die Front weiter,
wie dies in den letzten Wochen geschehen sei und verlangsame sich der Erfolg der Entente
auch infolge der schlechten Jahreszeit und komme man mit den Friedensverhandlungen
weiter, so würde der Einfluß Wilsons und der friedensfreundlichen Elemente in der
Entente sich erhöhte Geltung verschaffen können. Seine Majestät würde es sehr inter-
essieren, die Ansicht der Regierung über diese Anregung zu erfahren.
gez. Grünau.
Nr. 100.
Sitzung der Staatssekretäre am 5. November 1918.
Auszug.
Anwesend:
Der Reichskanzler, Exzellenzen von Payer,) Friedberg,
General Gröner,) Scheüch, Graf Rödern) Drews,
von Waldow, von Krause, von Mann, Hauß
mann, Bauer, Scheidemann, Solf, Erzberger,
Gröber, Trimborn, Rüdlin, Göpxert, Generale
Hoffmann und von Winterfeld Oberst von Haef-
ten, Majore von dem Bussche, Brinlkmann und
von Harbou, Direktor Deutelmoser, Geheimräte Si-
mons, Nadolny, Prinz Hatzfeld, von Schlieben.
Gröner:): Ich habe das dringende Bedürfnis gefühlt, hierherzukommen, um
Ihnen über die Lage) wie ich sie auffasse, Auskunft zu geben. Ich halte es für dringend
nötig, daß wir in allerengster Verbindung zusammenarbeiten und daß wir alle Entschlüsse,
die wir zum Wohle des Vaterlandes fassen müssen, einmütig finden und durchführen.
1) Der nachstehende Vortrag Gröners ist wörtlich verlesen worden.
— 119 —
Ich möchte zuerst auf die operative Gesamtlage kommen und mit wenigen
Worten einen Rückblick geben, weil aus diesem Rückblick das Verständnis für unsere
heutige Lage mit zwingender Logik folgt.
Die politische Einkreisung der Friedensjahre ist restlos zu einer militärischen
geworden. 1915 bis 1917 haben wir versucht, die Einkreisung zu durchbrechen und
den Ring zurückzudrängen; dies ist zum Teil gelungen — nach Osten und Südosten.
Dadurch haben wir unzweifelhaft eine wesentliche wirtschaftliche Stärkung zum Durch-
halten erreicht, dafür eine militärische Schwächung in den Kauf genommen durch die
Ausdehnung der Räume, die mit unseren Kräften nicht in Einklang stand. 1918 wurde
ein erneuter Versuch gemacht, am stärksten Teil des Ringes, im Westen, die Entscheidung
herbeizuführen. Der Versuch ist mißlungen. Damit rückte die Gefahr des Zusammen-
bruches unserer Verbündeten in allerbedrohlichste Nähe und ist sogar in einem Maße
und einer Schnelligkeit eingetreten, wie sie nicht erwartet wurde.
Damit wurde freie Bahn für unsere Feinde geschaffen, die Einkreisung un-
mittelbar an die deutschen Grenzen heranzutragen. Die entschlossene und zielsichere
politische Kriegsührung unserer Feinde unter dem diktatorischen Dreigestirn Wilson,
Clemenceau und Lloyd George, läßt erwarten, daß auch dic militärische Führung die
vollkommenste Kriegsentscheidung, die Umzingelung und Kapitulation des deutschen
Volkes, anstreben wird. Dabei finden die militärischen Operationen unserer Feinde
eine kräftige Unterstützung in dem Bolschewismus, der von Osten und Südosten in unser
Volk und Heer eindringt.
Bei längerer Fortsetzung des Krieges ist die Möglichkeit in unser Kalkül ein-
zustellen, daß nicht nur die Rumänen den Krieg wieder auf-
nehmen, sondern auch die Tschechoflowaken und andere
Teile unserer bisherigen Verbündeten aktiv die Ope-
rationen unserer Feinde unterstützen. Die passive
Unterstützung ist ihnen schon durch die Waffenstill-
standsbedingungen in der schärfsten Weise auferlegt.
Auf die zahlenmäßige große Uberlegenheit unserer Feinde, nachdem das deutsche
Heer auf sich allein gestellt ist, brauche ich nicht weiter hinzuweisen.
Es liegt nahe; unsere militärischen Kräfte durchaus zu konzentrieren und alle
auf dem weiten Ringe im Südosten und Osten noch befindlichen Teile an die deutsche
Grenze zurückzuziehen. Dies ist bereits befohlen für alle Truppen in Ungarn und Ru-
mänien. Wir hoffen, daß ein Abtransport mit der Eisenbahn möglich sein wird; andern-
falls müssen sie sich durchschlagen. Die geringen Truppen und Formationen, die sich noch
auf dem italienischen Kriegsschauplatz befinden, sind auf dem Rückwege. Wie die
Truppen aus Kleinasien herauskommen werden, ist noch nicht zu übersehen.
Besonderer Erwägung bedarf es, ob es geboten ist, die Truppen im Osten ein-
schließlich Ukraine zu belassen. Abgesehen von politischen und wirtschaftlichen Mo-
menten ist zu bedenken, daß mit dem Zurückziehen der Truppen der Bolschewismus der
aufgegebenen Gebiete sich bemächtigt und unserem Vaterlande auf den Leib rückt. Sollten
wir durch unsere Feinde gezwungen werden, den Krieg bis zur völligen Unterwerfung
fortzusetzen, so bleibt nichts übrig, als auch diese Truppen zur unmittelbaren Ver-
teidigung unserer Landesgrenzen zurückzuziehen.
Eine sefortige Aufgabe des gesamten Ostens zwecks Verstärkung
des Westheeres erscheint, abgesehen von allen anderen auch aus militärischen Gründen,
nicht geboten. Schnell würden die Truppen im Westen wegen der Transport-
— 120 —
lage, insbesondere in der Ukraine, dochnichterscheinen können; die Kampf-
fähigkeit dieser Truppen ist den Anforderungen des Westens nicht gewachsen, ihr innerer
moralischer Wert durch die östlichen Einflüsse erschüttert. Es liegt die Gefahr der
Infizierung der noch braven Truppen des Westheeres vor. Vor dem Einsatz dieser Ost-
truppen im Westen müßten sie eine längere stramme Ausbildungszeit erhalten.
Die politische Kriegsleitung hat zu.entscheiden, ob aus politischen und wirt
schaftlichen Gründen das Verbleiben der Truppen im Osten wertvoller isi.
Ich komme auf die einzelnen Kriegsschauplätze.
An der Reichsgrenze gegen das bisherige östereichisch-ungarische Gebiet sind
Grenzschutzmaßnahmen getroffen. Nachdem die Reichsregierung die Erlaubnis zum Be
treten Tiroler Bodens gegeben hat, wird der Schutz Bayerns an den taktisch günstigsten
Stellen im Gebirge erfolgen können. Außer den bayerischen Ersatztruppen sind zunächst
für Tirol zwei Divisionen verfügbar. Das Alpenkorps soll aus Ungarn herangeführt
werden. An der sächsischen und schlesischen Grenze sind Grenzschutz-Detachements in der
Bildung begriffen. Das Generalkommando VI. A. K. ist nach Görlitz herangeführt.
Wenn auch ein Vorgeben deutscher Truppen auf böhmischen Boden aus rein
militärischen Gründen zur Zeit nicht geboten ist, so würde doch die Besetzung gewisser
Punkte des deutschen Randgebietes zum Schutze der Bewohner gegen Mord und Plünde
rung in Frage kommen und durch die Reichsregierung baldigst zu entscheiden sein. In
militärischer Beziehung käme zur Jeit lediglich die Besetzung von Bahnknotenpunkten
jenseits der Grenze in Frage.
Die aus Rumänien und Südungarn zurückkommenden Truppen sind zunächst für
eine Verwendung auf dem neuen südlichen Kriegsschauplatz vorgesehen. Sollten die
Truppen aus der Ukraine zurückgezogen werden) so würden auch diese zum Teil für den
Schutz der Südgrenze zur Verfügung stehen.
Ein Vorgehen des Feindes über Odessa durch die Ukraine und Polen gegen die
deutsche Ostgrenze ist für eine geraume Zeit weniger wahrscheinlich.
Westf ront. Die Außerungen hierüber sind das Ergebnis einer Aussprache mit
den Armee-Oberkommandos. Seit Monaten sleht die Westfront in schwerem Kampf.
Während der Engländer zwischen Cambrai und Si. Quentin immer wieder den Durch'-
bruch versuchte, liefen Franzosen und Amerikaner gegen unsere Stellungen zwischen
Suippes und Maas an. An verschiedenen Stellen kam es zu tiefen Einbrüchen. Da
der Mangel an Reserven ein erfolgreiches Halten nicht möglich erscheinen ließ, wurde es
nötig, unsere Front in kürzere, zur Abwehr geeignetere Linien zurückzjunehmen. Es wurde
daher die Heeresgruppe Kronprinz Nupprecht allmählich in die allgemeine Linie Gent-
Tournai—-Valenciennes—Landrecies und im Anschluß daran die Heeresgruppe Deutscher
Kronprinz hinter die Abschnitte der Oise-Serre—Aisne und Aire zurückgenommen. Der
Feind drängte stets bald nach und erneuerte seine Angriffe. Während der Engländer seine
Hauptkräfte auch weiterhin zum Durchbruch in Richtung Manbeuge ansetzte und unter-
stützt von Franzosen und von Amerikanern seine Angriffe in Flandern wiederholte) richtete
sich der Hauptstoß der Franzosen und Amerikaner gegen die Front zwischen Oise und
Serre, gegen die Front beiderseits der Aisne westlich Rethel und gegen die Front zwischen
Vouziers und der Maas.
Die Schwierigkeit, die augenblicklichen Stellungen dauernd zu halten, liegt in
erster Linie in dem Mangel an Reserven und Ersatz. Ende Oktober verfügte die Entente
an der Westfront über 96 Divisionen in Reserve gegenüber 58 deutschen Divisionen.
Dieses JLahlen verhältnis hat sich durch die notwendig gewordene Entsendung
von Truppen an die deutsche österreichische Grenze und infolge der Jurücknabme der
— 121 —
österreichischen Divisionen an der Westfront weiter zu unseren Ungunsten
verschoben. Die durchschnittliche Bataillonsstärke beträgt beim Franzosen
etwa 600, beim Engländer etwa 700, beim Amerikaner etwa 1 200, während sie bei
uns auf durchschnittlich 500 Mann gesunken ist. So ist es nötig, Divisionen, die
abgekämpft und übermüdet aus der Front zurückgezogen waren, oft nach wenigen Tagen
der Ruhe und ohne ausreichende Juführung von Ersatz wieder einzusetzen.
Mit der Fortsetzung der starken feindlichen Angrifse ist zu rechnen. Es ist
daher mehrfach sehr ernst der Entschluß erwogen worden, die Armee in eine kürzere
und Kräfte ersparende Linie, in der ungefähren Linie Antwerpen — westlich Brüssel—
Charleroi— Maas zurüzunehmen. Dagegen sprachen aber schwerwiegende Gründe. Die
politische Lage erforderte es, so lange als möglich größeren Geländeverlust zu ver-
meiden. Die vollständige Räumung des aufzugebenden Gebietes, in dem sich noch bis
vor wenigen Tagen 80 000 Verwundete befanden und das mit ungeheuren Vorräten
an Kriegsmaterial und Vorräten aller Art angefüllt ist, ist nicht unter mehreren Wochen
durchzuführen. Die Eisenbahnlage im besetzten Gebiet, die schon jetzt äußerst gespannt
ist, wird sich bei der Jurücknahme der Front durch den Verlust eines engmaschigen
Eisenbahnnetzes mit zahlreichen leistungsfähigen Betriebsbahnhösen aufs neue derart
verschärfen, daß zwar eine notdürftige Versorgung der Truppen in der neuen Stellung
durchführbar erscheint, die Möglichkeit zu schnellen Truppenverschiebungen hinter der
Front aber nahezu aufhört. Auch führt jeder Schritt rückwärts zu einer Einschränkung
unseres wirtschaftlichen Lebens und damit vor allem zur Schädigung unserer Kriegs-
industrie. «
Immerhin kann die O. H. L. den Entschluß, weiter auszuweichen, nicht länger
herausschieben. Ihre erste Pflicht ist und bleibt es, eine ent-
scheidende Niederlage des Heeres unter allen Umständen zu
vermeiden. Gelingt dem Feinde ein Durchbruch, so besteht aber diese Gefahr,
da die O. H. L. über genügende kampfkräftige Reserven nicht mehr verfügt. Schwenkt
die nördliche Heereshälfte somit allmählich in die angegebene Linie zurück, so ist zu
hoffen, daß für etwa 14 Tage schwere Kämpfe vermieden werden, damit etwas Zeit
und Ruhe für die ermüdete Truppe gewonnen wird. Die militärische Lage
verbessert sich aber im großen nicht, da die Stellung nicht fertig aus-
gebaut ist und die Eisenbahn= und Wirtschaftsfragen sich erheblich verschlechtern. Bei
der Jurücknahme der Front ist es nicht zu vermeiden, daß ein großer
Deil Belgiens wieder schwer geschädigt wird. Wenn auch durch
schärfste Befehle jede Verwüstung des Landes verboten ist, so sind die aus militärischen
Gründen notwendigen Jerstörungen und Härten für die betroffene Bevölkerung nicht
zu vermeiden. .
Die Berichte über die Stimmung im Heere lassen erkennen, daß einzelne Divi-
sionen trotz langen Einsatzes und erheblicher Verluste sich bewunderswertschlugen,während
andere, die frisch in den Kampf kamen, ohne klar erkennbare Gründe versagten. Jeden-
falls haben das Waffenstillstandsangebot und die mutlosen und unzufriedenen Presse-
äußerungen niederdrückend auf die Stimmung gewirkt. Von allen Seiten wird immer
wieder gemeldet, daß die aus der Heimat zurückkehrenden Urlauber und die aus dem
Osten herangeführten Ersatzmannschaften die Stimmung ungünstig beeinflussen. Es
darf nicht unerwähnt bleiben, daß die letzteren häufig von bolschewistischem Geiste an-
gehaucht sind. Wo es gelungen ist, die Stimmung hochzuhalten, ist es insonderheit
das Verdienst einzelner tatkräftiger Vorgesetzter. Es ist daher von ausschlaggebender
Bedeutung, alles zu tun, um das Offizierkorps durch Ausbildung, richtige Anleitung
31
— 122 —
und Erziehung wieder auf die Höhe zu bringen. Dazu ist aber erforderlich, daß auch
in der Heimat alles getan wird, um die Stellung und das Ansehen des Offiziers wieder
zu heben und jeder verhetzenden Propaganda scharf entgegenzutreten.
Beim Feinde sind die Verhältnisse fraglos günstiger. Durch die große Zahl
der Reserven ist er in der Lage, seinen Divisionen längere Ruhezeit zu gewähren. Seine
nach übereinstimmenden Meldungen der Truppe schweren Verluste konnte er bisher noch
verhältnismäßig schnell durch Einstellung von Ersatz ausgleichen. Immerhin mehren
sich die Anzeichen, daß auch die Stimmung, vor allem bei den Franzosen, schlechter wird,
und daß die feindlichen Infanterieangriffe nicht mehr mit alter Kraft geführt werden.
Trotzdem hält unsere ermüdete Infanterie der schwächlich angreifenden feindlichen In-
fanterie nicht immer Stand, wenn sie durch eine überwältigende Artillerie und zahl-
reiche Panzerwagen unterstützt wird.
Jusammenfassend ist zu sagen) daß diemilitärische Lage
sich weiterverschärft hat. Wenn das Heer noch ungeschlagen ist, so ist dies
dem in der Masse des Heeres noch vorherrschenden pflichttreuen und tapferen Geiste zuzu-
schreiben, Mehr und mehr tritt im Kampfe hervor die Macht der einzelnen Persönlichkeit)
ob Offizier oder Mann. Dort, wo in den Herzen der Feldgrauen noch das heilige Feuer
vaterländischer Begeisterung glüht, wird auch die leuchtende Tat geboren, und der An-
sturm des Feindes zerschellt an dem freudigen Entschluß unserer braven Leute, das Leben
für die Heimat hinzugeben. Wie soll etwa dieses heilige Feuer erhalten bleiben, wenn
aus der Heimat durch die Polemik der Presse, durch die zurückkehrenden Urlauber, durch
die aus russischer Gefangenschaft Heimgekehrten und Wiedereingestellten eiskalte und die
Truppen entnervende Güsse über das Heer ausgeschüttet werden. Was wir von der
Heimat fordern, ist nicht Kritik und Polemik, sondern Stärkung und Stählung von
Herz und Seele. Wenn nicht schleuniger Wandel geschieht, richtet die Heimat das Heer
zugrunde. Das habe ich pflichtmäßig hier zu erklären. Ebenso hat mich der General-
feldmarschall beauftragt, in der Frage der Abdankung des Kaisers
wörtlich zu erklären, daß er sich für einen Schuft hielte, wenn er den Kaiser verlassen
würde, und so, meine Herren, denke ich und alle ehrliebenden Soldaten. Wie sollen die
Tausende und aber Tausende von tapferen Offizieren und Soldaten den Entschluß zum
Opfertode finden, wenn in ihre Herzen und Gewissen der Zwiespalt hineingetrieben wird.
Wovon man in der Heimat keine Ahnung zu haben scheint, das ist die Psychologie des
Heeres, das sind die Imponderabilien, auf denen der Gehorsam beruht. Hört die Hetze
gegen den Kaiser nicht auf, so ist das Schicksal des Heeres besiegelt, es läuft auseinander.
In der nach der Heimat zurückströmenden Soldateska bricht die menschliche Bestie hervor.
Des Generalfeldmarschalls und meine Gesamtauffassung ist: Der schlimmste
Feind, dessen das Heer sich zu erwehren hat, ist die Entnervung durch die Einflüsse der
Heimat, ist der drohende Bolschewismus.
Nur nochvon kurzer Dauer kann der Widerstand sein,
den das Hcer dem Ansturm der äußeren Feinde bei deren gewaltigen Uberzahl und angesichts
der Bedrohung von Österreich-Ungarn her zu leisten vermag. Eine genaue zeitliche Be-
fristung des Widerstandes läßt sich nicht geben, da diese einerseits von dem Verhalten der
Heimat, andererseits von den Maßnahmen und dem moralischen und materiellen Justand
des Heeres abhängt. Die Beurteilung dieses Faktors ist zu leicht Selbsttäuschungen
ausgesetzt, weshalb ich mich einer Außerung enthalten muß. Die Rettung des deutschen
Reiches vor innerer Hersetzung und Lerfall ist es, wenn das Gefüge des Heeres fest, der
— 123 —
Wille zum gemeinsamen Vaterlande ungebrochen und der Geist im Gehorsam erhalten
bleibt.
Scheidemann fragt, ob die neueren Einziehungen für die Stärkung der Kampfkraft
des Heeres irgendwelche Bedentung haben könnten. «
Gröner: Die neueingestellten Leute würden nur zum kleinsten Teile aus der
Industrie genommen. Sie kämen auch nicht gleich in die kämpfende Truppe, sondern
würden in die Rekrutendepots gestellt und ausgebildet. Erst wenn sie wieder fest
geworden seien, würden sie zur Kampftrupxpe gebracht. Es sei unbedingt notwendig,
diese Leute cinzuziehen, weil wir auf alles vorbereitet sein müßten. Er verkenne nicht,
daß dadurch Unruhe geschaffen werde. Ein Verzicht auf diese Ersatzmannschaften sei
aber angesichts der augenblicklichen Lage nicht möglich.
Erzberger: Die Grundgedanken der Ausführungen des Generals Gröner seien
seiner Ansicht nach folgende:
1. Eine Verbesserung der militärischen Lage sei nicht zu erwarten;
2. eine Jurücknahme bis an die Grenze sei in Aussicht zu nehmen.
3. Wie lange wir die Reichsgrenze oder die Maaßlinie halten könnten, sei
ungewiß.
Könne General Gröner die Verantwortung übernehmen, daß noch weiteres
Blut vergossen werde, wenn die Lage sich nicht verbessern lasse?
Gröner wünsche, daß der Bolschewismus bekämpft werde. Zahlreiche Nach-
richten gingen aber dahin, daß die schlechte Stimmung von der Front nach der Heimat
getragen werde.
Gröner: Die Fragen zu 1 und 2 könne er mit Ja beantworten. Für die dritte
Frage könne er keine feste Frist angeben, da die Faktoren, welche den Widerstand
verhürgten, nicht genau zu bestimmen seien. Bleibe die Armee im Geborsam und der
ausgezeichnete Geist der Fronttruppen erhalten, so würden wir uns in rückwärtigen
Stellungen noch einige Jeit halten können. Es komme ganz darauf an, ob Gegner
seine Angriffsmöglichkeiten ausnutze. Eine feste Zeit für den möglichen Widerstand
könne er nicht angeben. Wir könnten aber dadurch Zeit gewinnen für die Fort-
setzung der Verhandlungen. Es müsse aber von der Heimat gesagt werden, die Armee
müsse festhalten bis zum Abschluß. Daß schlechte Stimmung von der Front in die
Heimat getragen werde, sei schon möglich, es werde hier wohl eine Wechselwirkung
stattfinden. Bleibe die Armee ungebrochen, so würden wir bessere Bedingungen
erhalten und für den Aufbau im Frieden eine bessere Grundlage haben.
Die nötige Heit für Verhandlungen wird sicher von uns geschafft werden.
Wenn wir Glück hätten, könnte die Zeit länger sein, bei Unglück kürzer; danach müßten
die Verhandlungen in taktischer Hinsicht eingerichtet werden. Deshalb erstrebe er engste
Verbindung mit der Reichsleitung. «
Auf die Frage, was General Gröner als kürzeste Frist ansehe, wenn alle
ungünstigen Umstände zusammenfielen, erwidert
Gröner: Gegenwärtig sei eine großzügige Rückzugsoperation eingeleitet.
Diese sei bisher gut und glücklich verlaufen. Es komme darauf an, ob eine erhebliche
Einwirkung des Feindes stattfinde, so insbesondere ob an einer bestimmten sehr wichtigen
Stelle alle Angriffe restlos abgewiesen werden könnten. Er sei nicht in der Lage, die
Frage einwandfrei zu beantworten und bitte, sich noch einige Tage zu gedulden, bis
diese Operation beendet sei. ·
31*
— 124 —
Nr. 101.
Wilsons vierte Note.
»In meiner Note vom 23. Oktober 1918 habe ich Ihnen mitgeteilt, daß der
Präsident seinen Notenwechsel den mit den Vereinigten Staaten verbundenen Regie-
rungen übermittelt hat mit dem Anheimstellen, falls diese Regierungen geneigt sind, den
Frieden zu den angegebenen Bedingungen und Grundsätzen herbeizuführen, ihre mili-
tärischen Ratgeber und die der Vereinigten Staaten zu ersuchen, den gegen Deutschland
verbundenen Regierungen die nötigen Bedingungen eines Waffenstillstandes zu unter-
breiten, der die Interessen der beteiligten Völker in vollem Maße wahrt und den ver-
bundenen Regierungen die unbeschränkte Macht sichert, die Einzelheiten des von der
deutschen Regierung angenommenen Friedens zu gewährleisten und zu erzwingen, wo-
fern sie einen solchen Waffenstillstand vom militärischen Standpunkt für möglich halten.
Der Präsident hat jetzt ein Memorandum der alliierten Regierungen mit Be-
merkungen über diesen Notenwechsel erhalten, das folgendermaßen lautet:
„Die alliierten Regierungen haben den Notenwechsel zwischen dem
Präsidenten der Vereinigten Staaten und der deutschen Regierung sorg-
fältig in Erwägung gezogen. Mit den folgenden Einschränkungen er-
klären sie ihre Bereitschaft zum Friedensschlusse mit der deutschen Regie-
rung auf Grund der Friedensbedingungen, die in der Aussprache des
Präsidenten an den Kongreß vom 8. Januar 1918, sowie der Grundsäe,
die in seinen späteren Ansprachen niedergelegt sind. Sie müssen jedoch
darauf hinweisen, daß der gewöhnlich sogenannte Begriff der Freiheit der
Meere verschiedene Auslegungen einschließt, von denen sie einige nicht an-
nehmen können. Sie müssen sich deshalb über diesen Gegenstand bei Ein-
tritt in die Friedenskonferenz volle Freiheit vorbehalten.
Ferner hat der Präsident in den in seiner Ansprache an den Kongreß
vom 8. Januar 1918 niedergelegten Friedensbedingungen erklärt, daß
die besetzten Gebiete nicht nur geräumt, sondern auch wiederhergestellt
werden müßten. Die alliierten Regierungen sind der Ansicht, daß über
den Sinn dieser Bedingungen kein Lweifel bestehen darf. Sie verstehen
dadurch, daß Deutschland für allen durch seine Angriffe zu Wasser und
zu Lande und in der Luft der Jivilbevölkerung der Alliierten und ihrem
Eigentum zugefügten Schaden Ersatz leisten soll.
Der Präsident hat mich mit der Mitteilung beauftragt, Laß er mit der im
letzten Teil des Memorandums enthaltenen Auslegung einverstanden ist. Der Präsident
hat mich ferner beauftragt, Sie zu ersuchen, der deutschen Regierung mitzuteilen, daß
Marschall Foch von der Regierung der Vereinigten Staaten und den alliierten Regie-
rungen ermächtigt worden ist, gehörig beglaubigte Vertreter der deutschen Regierung zu
empfangen und sie von den Waffenstillstandsbedingungen in Kenntnis zu setzen.
gez. Robert Lansing.
Abschluß des Waffenstillstandes.
Nr. 102 bis Nr. 110.
Nr. 102.
Delegramm.
Großes Hauptquartier, den 7. November 1918.
Der Kais. Staatssekretär a. D. an Auswärtiges Amt.
Deutsche Waffenstillstandskommission heute 12 Uhr mittags aus Spa in
Kraftwagen nach den französischen Linien abgefahren. Zusammensetzung:
Staatssekretär Erzberger, Vorsitzender,
Gesandter Graf Oberndorff,
Generalmajor von Winterfeldt,
Kapitän zur See Vanselow.
Ferner fuhren ein Hauptmann, ein Dolmetscher und zwei Schreiber mit.
General von Gündell ist zurückgetreten.
Als zweite Staffel fahren heute um 3 Uhr nachmittags ins Hauptquartier der
Heeresgruppe Deutscher Kronprinz:
Major Duesterberg, Major Brinkmann, Major Kriebel, Major von Bötticher
und auf Wunsch von Staatssekretär Erzberger und Graf Oberndorff Legationsrat Frei-
herr von Lersner. Ferner einige Chiffrieroffiziere und ein Journalist.
gez. von Hintze.
Nr. 103.
Delegramm.
Großes Hauptgquartier, den 8. November 1918.
Auswärtiges Amt Berlin.
Staatssekretär Erzberger funkt:
Fn Aus der Besprechung, die unter Vorsitz des Marschalls Foch unter Beteili-
gung von nur französischen Landoffizieren und englischen Seecoffizieren stattfand, ging
hervor, daß übergebene Waffenstillstandsbedingungen bindende Verabredungen aller feind-
lichen Kriegsleitungen und Regierungen sind, Marschall Foch daher dringend erbetene
und mit technischen Schwierigkeiten begründete Frist (Verlängerung um 24 Stunden)
ablehnen müsse, wie er auch erbetene vorläufige Waffenruhe aus gleichem Grunde
ablehnte. Nach bisherigem Eindruck ist nicht anzunehmen, daß über entscheidende Haupt-
punkte Gegenvorschläge zur Erörterung zugelassen werden. Es soll trotzdem versucht
werden, in bereits vereinbarten Einzelbesprechungen Milderungen einzelner Punkte zu
erreichen, um in erster Linie Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Abwendung
drohender Hungersnot zu erreichen. Hierzu wird versucht werden, Verlängerung der
Fristen und Verringerung des abzugebenden Materials zu erlangen.
32
— 126 —
Falls nicht Ablehnung beschlossen wird, erbitten nachdrückliche Ermächtigung
zur sofortigen Unterzeichnung mit etwa hier zu erreichenden Milderungen der prak-
tischen Ausführung.
Erbitten ferner Ermächtigung, daß bei Annahme eine Erklärung etwa in fol-
gendem Sinne zu Protokoll gegeben werden darf: Die deutsche Regierung wird selbst-
verständlich mit allen Kräften für die Durchführung der von ihr übernommenen Ver-
pflichtungen sorgen. Die Unterzeichneten erachten es aber im Interesse der Aufrichtig-
keit der Beziehungen zwischen Deutschland und seinen Gegnern für Gewissenspflicht,
schon jetzt darauf hinzuweisen, daß die Durchführung dieser Bedingungen das deutsche
Volk in Anarchie und Hungersnot stürzen muß, und daß daher ohne Verschulden der
deutschen Regierung und des deutschen Volkes eine Lage entstehen kann, die die weitere
Innehaltung aller Verpflichtungen unmöglich machen würde.
Entscheidender Entschluß über die zu erteilende Antwort muß dort gefaßt werden,
auch darüber, ob vorstehend vorgeschlagene Erklärung auch auf die Gefahr hin beizu-
fügen wäre, daß daran Waffenstillstand scheitert. Endgültige Redaktion bitte in Anbe.
tracht der Kürze der Frist Bevollmächtigten zu überlassen.“
gez. von Hintze.
Nr. 104.
Delegramm.
Großes Hauptquartier, den 8. November 1918.
Der Kais. Legationsrat an Auswärtiges Amt.
Staatssekretär Erzberger hat gefunkt, daß er Kurier mit Waffenstillstandsbe-
dingungen nach Spa abgesandt habe. Bedingungen müßten bis Montag mittag ange-
nommen oder abgelehnt sein. Waffenruhe bis dahin ist von Franzosen abgelehnt worden.
Nicht ganz klar ist es, ob wirklich bis Montag von den Franzosen zur Annahme der
Waffenstillstandsbedingungen Zeit gegeben ist, da von einer 72stündigen Frist gesprochen
wird.
gez. Lersner.
Nr. 108.
Delegramm.
Großes Hauptquartier, den 9. November 1918.
Exzellenz von Hintze an Auswärtiges Amt.
Folgendes ist Auszug aus den Waffenstillstandsbedingungen, deren vollständiger
Text erst morgen zu erwarten ist:
1. Inkrafttreten 6 Stunden nach Unterzeichnung.
2. Sofortige Räumung von Belgien, Frankreich, Elsaß-Lothringen binnen
14 Tagen.
Was an Truppen nach dieser Jeit übrigbleibt, interniert oder
kriegsgefangen. ·
10.
11.
12.
13:
14.
15.
16.
17.
18.
— 127 —
Abzugeben 5 000 Kanonen, zunächst schwere, 30 000 Maschinengewehre,
3 000 Minenwerfer, 2 000 Flugzeuge.
Räumung des linken Rheinufers, Mainz, Coblenz, Cöln besetzt vom Feind
auf Radius von 30 km Tiefe.
Auf rechten Rheinufer 30 bis 40 km Tiefe neutrale Lone. Räumung
in 11 Tagen.
Aus linkem Rheinufergebiet nichts wegführen, alle Fabriken, Eisenbahnen
u#w. intakt lassen.
5 000 Lokomotiven, 10 000 Waggons, 10 000 Kraftwagen abzugeben.
Unterhalt der feindlichen Besatzungstruppen durch Deutschland.
Im Osten alle Truppen hinter Grenze vom 1. August 1914 zurücknehmen;
Termin dafür nicht angegeben.
Verzicht auf Verträge von Brest-Litowst und Bukarest.
Bedingungslose Kapitulation von Ost-Afrika.
Rückgabe des Standes der belgischen Bank, des russischen und rumäni-
schen Goldes.
Rückgabe der Kriegsgefangenen ohne Gegenseitigkeit.
Abgabe von 100 U-Booten, 8 leichten Kreuzern, 6 Dreadnoughts; die
übrigen Schiffe desarmiert und überwacht von Alliierten in neutralen oder
alliierten Häfen.
Alle Forts und Batterien im Kattegatt zu besetzen von Allüerten.
Blockade bleibt bestehen. Deutsche Schiffe dürfen weiter gekapert werden.
Alle von Deutschland für Neutrale verhängten Beschränkungen der
Schiffahrt werden aufgehoben.
Waffenstillstand dauert 30 Tage.
Kommission bittet um Ermächtigung zur Unterzeichnung dieser Bedingungen,
hofft Verlängerung der Fristen herausschlagen zu können. Kommission hat nicht ver-
hehlt, daß Innehaltung der Bedingungen teilweise unmöglich, weil Hungersnot in
Deutschland damit unvermeidlich verknüpft sein werde und Beobachtung der Be-
dingungen teilweise unmöglich machen werde.
gez. von Hintze.
Nr. 106.
Delegramm.
Eingegangen 10. November 1918.
Es telegraphiert der Chef des Generalstabes des Feldheeres an das Aus-
wärtige Amt:
Folgender chiffrierter Funkspruch der deutschen Bevollmächtigten ist hier soeben
eingegangen:
An die O. H. L. für den Herrn Reichskanzler!
Soeben ist die Vollmacht eingetroffen. Sobald der Waffenstillstand abgeschlossen
ist, empfehlen wir, sofort dem Präsidenten Wilson mittels Funkspruchs hiervon Mit-
teilung zu machen und ihn zu ersuchen, unverzüglich Verhandlungen zur Herbeiführung
— 128 —
des Präliminarfriedens einzuleiten, um Hungersnot und Anarchie zu verhindern. Ferner
bitten wir, zu veranlassen, daß durch die Vermittlung von Holland sofort ein erstes Zu-
sammentreffen der Bevollmächtigten im Haag stattfinde. Nur noch durch einen sofortigen
Abschluß des Präliminarfriedens ist die katastrophale Wirkung der Durchführung der
Waffenstillstandsbedingungen abzuschwächen.
Den Gegnern fehlt bisher vollkommen das Verständnis für diese Gefahr.
Erzberger.
Der Chef des Generalstabes des Feldheeres.
Nr. 107.
Telegramm.).
Großes Hauptgquartier, den 10. November 1918.
Kriegsministerium.
In den Waffenstillstandbedingungen muß versucht werden, Erleichterung in
folgenden Punkten zu erreichen:
1. Verlängerung der Räumungsfrist auf zwei Monate, wobei die Hauptzeit
auf die Räumung der Rheinprovinz, der Palz und Hessens fällt), sonst
Zusammenbruch des Heeres, weil technische Ausführung absolut un-
möglich.
2. Durchmarsch rechten Heeresflügels durch Maastrichtzipfel.
3. Wegfall neutraler Jone aus Ordnungsgründen, zum mindestens Ver-
minderung auf 10 km.
4. Ehrenvolle Kapitulation Ost-Afrikas.
Erhebliche Verringerung des abzugebenden Eisenbahnmaterials, sonst
schwerste Gefährdung Wirtschaft. Belassung Personals gemäß A. VII
nur in kleinem Umfang möglich. Nähere Abmachungen hierüber nötig.
6. Lastkraftwagen im Heer nur 18 000, davon 50 v. H. betriebsfertig vor-
vorhanden. Abgabe in der geforderten Höhe würde völligen Zusammen-
bruch Heeresversorgung bedeuten.
7. Jagd- und Bombenflugzeuge nur 1700 vorhanden.
8. Bei einseitiger Kriegsgefangenenabgabe müssen wenigstens Vereinbarungen
über Kriegsgefangenenbehandlung bestehen bleiben.
9. Blockade für Lebensmittel öffnen; zur Regelung Verpflegungsfrage sind
Kommissare unterwegs.
Gelingt Durchsetzung dieser Punkte nicht, so wäre
trotzdem abzuschließen. Gegen Ablehnung Punkt 1, 4, 5, 6, 8, 9 wäre
slammender Protest unter Berufung auf Wilson zu erheben.
□u
Bitte Entschluß Regierung in diesem Sinne schleunigst herbeiführen.
von Hinden burg.
1) Dieses Telegramm ging gleichzeitig als Funkpruch an die mit Foch unterhandelnde Deutsche
Waffenstillstandskommission ab.
129 —
Nr. 108.
Telegramm.
Berlin, den 10. November 1918.
Hintze, Großes Hauptquartier.
Euer Exzellenz bitte ich, die Oberste Heeresleitung zu veranlassen, daß sie der
Waffenstillstandskommission funkentelegraphisch folgendes übermittelt: »Für Staats—
sekretär Erzberger. Euer pp. sind zur Jeichnung des Waffenstillstandes ermächtigt.
Sie wollen gleichzeitig folgende Erklärung zu Protokoll geben:
.Die deutsche Regierung wird mit allen Kräften für die Durch-
führung der gestellten Bedingungen sorgen. Die Unterzeichneten halten
es aber für ihre Pflicht, darauf hinzuweisen, daß die Durchführung ein-
zelner Punkte dieser Bedingungen die Bevölkerung des nicht zu besetzen-
den Teils von Deutschland in Hungersnot stürzen muß. Die Belassung
aller Vorräte in den zu räumenden Gebieten, die für die Ernährung der
Truppen bestimmt waren, so wie die einer Entziehung gleichkommenden
Beschränkung der Betriebsmittel für den Verkehr unter Aufrechterhaltung
der Blockade machen die Ernährung und jede Organisation ihrer Ver-
teilung unmöglich. " 1
Die Unterzeichneten bitten daher, über solche Abänderungen dieser
Punkte, unter denen die Ernährung sichergestellt werden kann, verhandeln
zu dürfen.
Auch bin ich damit einverstanden, daß die Oberste Heeresleitung bei Exzellenz
Erzberger in Anregung bringt, die Kapitulation von Deutsch-Ostafrika in ehrenvoller
Form zu erwirken, ferner den Durchzug unserer Truppen durch den Maastrichtzipfel zu
erreichen.
Reichskanzler.
Nr. 109.
Berlin, den 10. November 1918.
Herrn Staatssekretär von Hintze für Oberste Heeresleitung.
Der Friedensdelegation ist durch Funkspruch mitzuteilen, daß die deutsche
Regierung die ihr am 8. November gestellten Waffenstillstandsbedingungen annimmt.
gez. Solf.
Nr. 110.
Telegramm.
Großes Hauptgquartier, den 11. November 1918.
Exzellenz von Hintze an Auswärtiges Amt.
Waffenstillstand heute 11 Uhr 55 in Kraft getreten.
« gez. von Hintze.
Reichsdruckerei, Berlin.
1007 I#. V.
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