— 36 — IV. Anfechtbarkeit des Verzichts. Es ist die Möglichkeit zu erwägen, ob der Fürst nach er— folgter Abdankung aus irgend welchen Gründen, analog den Be— stimmungen des Privatrechts, die Abdikation anfechten könne. Es handelt sich nicht um die Anfechtungsvoraussetzungen, um Betrug, Irrtum, Drohung, die dem Privatrecht entlehnt werden können, sondern um die Streitfrage, ob diese Voraus- setzungen auch bei unserem Thronverzicht zum Erfolge führen dürfen. Wir wollen die beiden hier bestehenden Gegenmeinungen genauer betrachten. Auf der einen Seite geht Abrahams") von dem Standpunkt aus, „es sei die Befugnis zur Ausübung der Staatsgewalt durch den tatsächlichen Besitz derselben bedingt“, und somit der die Anfechtung Wünschende gegenüber dem „beatus possidens“ mit seinem Rechte ausgeschlossen. Dieser Ansicht gegenüber kehrt aber von Schiller S5) den Grundgedanken der Sittlichkeit im Recht hervor. Er führt aus, daß der oben er- wähnte Satz nur insoweit anzuerkennen ist, „als er nicht dem allgemeinen Rechtsbewußtsein entgegensteht, bezw. der Zustand vom Volke ausdrücklich oder stillschweigend anerkannt wird“. Dies kann aber nicht überzeugen. Niemals dürfen wir, obgleich wir den sittlichen Grund- gedanken vollauf würdigen, vergessen, daß das ganze Recht eine Schematisierung des Zweckgedankens ist, daß die Rechtssätze dazu dienen, der Übung entsprechend die Lebensbedürfnisse zu regeln. Und dann müssen wir, wenn wir dies berücksichtigen, der Beweisführung Abrahams folgen, der mit der Begründung fortfährt: „Man vergegenwärtige sich einmal, daß bei Gelegen- heit irgend eines Zivilprozesses nachgewiesen würde, daß ein längst verstorbener Vorgänger des Herrschers eines Landes, von dem der regierende Fürst abstammt, ein 64) Thronverzicht, Kap. V, S. J2ff. 65) Thronverzicht, Breslau 1910, §5 8, S. 35.