V. In den Jahren meiner Jugend spielte sich jener unselige Streit ab, den man gewohnt ist, unter dem Schlagwort Kulturkampf zu- sammenzufassen. Heute ist gar kein Zwelfel mehr möglich, daß dieser Kampf ein schweres Verhängnis für die geistige Einheit Deutschlands war, vor allem nachwirkend durch die Erstarkung der Zentrumspartei. Denn das Zentrum, ursprünglich aus einer klerikal-partikulartstischen Opposition gegen die Reichsgründung entstanden, vereinigte auf Grund dieser Tendenz politisch, sozial und konfessionell so verschiedenartige Elemente in sich, wie z. B. die Polen, Elsässer und die protestan- tischen Welfen, daß der Partei anfänglich kaum eine längere Lebens- dauer zugesprochen werden konnte) erst durch den Kulturkampf ist sie fest zusammengeschlossen worden. Als Vertreterin der klerikalen „Märtyrer“ im Kampfe gegen Bismarcks „Diokletianische Christen- verfolgung“ gewann sie ihren übermächtigen Einfluß auf die batho- lischen Wählermassen und blieb zum Schaden unseres Vaterlandes auch bestehen, als sie nach Abbruch des Kulturkampfes ihre Existenz- berechtigung verloren hatte. Die Partei, als konfessionelle Fraktion in einer politischen Bersammlung ein europisches Unikum, wurde gewissermaßen zum Selbstzweck. Von einer ausländischen Macht, dem Papste, geistig abhängig, hat die Zentrumsführerschaft nie die innere Abneigung gegen das protestantische Kalsertum verleugnen, nie zu einer rückhaltlosen freudigen Befahung des Neichsgedankens sich aufschwingen können. Bei dem Fehlen eines einheitlichen staats- politischen Brogramms nahm das Berhalten dieser konfessionellen Bartei gegenüber allen politisch grundsätzlichen Fragen, allen natto- nalen Lebensnotwendigkekten sehr bald den Charakter einer ausge- sprochenen Opportunitäts= und Augenblickspolitik an und hat ihn bis auf den heutigen Tag behalten. Nichts liegt mir ferner, als den Millionen deutscher Zentrums- wähler die Liebe zum Vaterlande abzusprechen. Ich habe sedoch aus 248