Eugen Mogk: Sitten und Gebräuche im Kreislauf des Jahres. 297 von heute oder gestern, sie haben sich zum Teil seit grauer Vorzeit von Ceschlecht zu Geschlecht fortgeerbt, sie sind dem Kinde das Erbteil der Bäter, dem Manne eine heilige Pflicht gegen die Vorfahren, sie sind die Poesie in dem arbeitsreichen, mühseligen Leben des schlichten Mannes, an der er sich nach gethaner Arbeit erfreut, durch die er Lust zu neuer Thätigkeit schöpft. Und weil das unser Volk fühlt und weiß, hält es mit der ganzen Zähigkeit, die dem deutschen Charakter eigen ist, an diesen alten Bräuchen fest und sucht sie zu schirmen, wo es sie nur kann. Wo man dies aber thut, da lebt noch der Kern, die unverdorbene Seele unseres Volkes. Und das ist vor allem der Fall bei der ländlichen Bevölkerung, die schon durch ihre Beschäftigung in der ewig gleichen Natur viel konservativer und selbständiger ist, als die Stadtbewohner es sind, die, zumal in den Industriebezirken, zum großen Teil zur Arbeitsmaschine und zum willenlosen Werkzeuge ehrsüchtiger Streber herabgesunken sind. Zu dem Landmann, zu den Leuten, die in der freien Natur leben und hier ihren Beschäftigungen nachgehen, müssen wir uns zuerst wenden, wenn wir unsere Volksseele kennen lernen wollen, denn was in den Mauern der Städte Wurzel geschlagen und groß geworden ist, ist nicht immer heimisches Gewächs. Damit soll durchaus nicht gesagt sein, daß bei einer Behandlung volkstümlicher Sitten das Leben und Treiben in den Städten nicht berücksichtigt zu werden braucht; wollte man dies außer acht lassen, so bekämen wir ein einseitiges und unvollkommenes Bild von unserem Volke. Auch das Stadtleben ist bei einer Darstellung unserer Volksseele in ihrem vollen Um- fange mit heranzuziehen, nur müssen wir bei ihm immer im Auge behalten, daß dies ungleich mehr dem Wandel der Zeiten und der Verhältnisse aus- gesetzt gewesen ist, als das ländliche Leben, daß in den Städten manches geschwunden ist, was sich auf dem Lande erhalten, daß dort ein regerer Ver- kehr vieles ausgeglichen und angeähnelt, daß in der Stadt neue Lebens- bedingungen auch neue Sitten und Bräuche geschaffen haben. Mit diesen Thatsachen vor Augen soll jetzt auf die Sitten und Bräuche des sächsischen Volkes eingegangen werden, die sich an den Kreislauf des Jahres knüpfen. Ihr Wandel im Laufe der Zeiten geht aus den Quellen am klarsten hervor, und doch geben sie eine Reihe Probleme und haben daher von jeher am meisten das Augenmerk des Forschers auf sich gezogen. Der Andreastag ist vor der Thür, und die Kirchenglocken haben bereits den 1. Advent und mit ihm die Weihnachtszeit eingeläutet. Die jungen Mädchen suchen schon altes Blei zusammen, und in der Kinderstube droht die Mutter dem unfolgsamen Knaben mit dem Knecht Ruprecht, der demnächst kommen und den kleinen Sünder in den Sack stecken werde. Das ist die Zeit, auf die sich mit der Kinderwelt das ganze deutsche Volk freut, hoch und niedrig, arm und reich, alt und jung, die Zeit, von der der Dichter singt: O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit.