Cornelius Gurlitt: Die Dorfkirche 387 Ende des 12. Jahrhunderts nahm die Isle de France dem südöstlichen Nachbarlande die Führung ab. In Burgund lag die einst zur Weltmacht sich erhebende Abtei Cluny, jener Ort, der zuerst sich zum Mittelpunkte einer großartigen Klosterkongregation erhoben hatte; Burgund sah auch in Ctteaux alle zwei Jahre die Vertreter der durch ganz Europa verteilten Cisterzienser- Stifter zu gemeinsamen Beratungen sich einfinden. So wurde es ein geistiger Mittelpunkt der Welt. Denn die Kongregation sorgte dafür, daß auch die baulichen Erfahrungen ausgetauscht wurden, vermittelte die Ubertragung von Arbeitskräften von Land zu Land. Leider befinden sich die Cisterzienserklöster im heutigen Sachsen in einem traurigen Zustande der Verwüstung. Sowohl Altzella wie Nimpschen und Kloster Buch zeigen nur Ruinen, von Neuzella hat sich nur eine kleine Kapelle erhalten. Aber die jetzt im Werke befindliche genaue Durchforschung der Ruinen dürfte doch noch manchen Aufschluß über den Zusammenhang dieser Klöster mit den burgundischen Mutterhäusern und über die Einführung der Gotik nach Sachsen geben. Die Bestrebungen der Augustiner-Chor- herren, die zu Ende des 13. Jahrhunderts in Sachsen sich ansiedelten, haben dann weiter auf die Entwickelung der Gotik Einfluß gehabt. Hat doch unlängst ein Kunsthistoriker nachzuweisen versucht, daß Meister Erwin durch diesen Orden 1262 von Paris nach Wimpfen im Thal, von hier 1275 weiter zum Bau von Jung St. Peter in Straßburg berufen worden sei. Das Ordenskloster zu Grimma, seit 1287 im Bau, zeigt gegen die um 1250 unter cisterziensischem Einflusse gebaute Stadtkirche einen sehr merk- würdigen Formwandel: die französische Gotik, wie sie an den Thoren des Straßburger Münsters erscheint, tritt am älteren Bau, die strenger geometrische, spitzfindigere Behandlung der späteren Gotik am wenig jüngeren Werke klar hervor. Während also die ersten Anklänge an die burgundische Gotik im heutigen Sachsen zu Anfang des 13. Jahrhunderts sich geltend machen, tritt die reife Gotik hier erst seit etwa 1280 auf. Beide kommen als fertige Stile in unsere Gegenden. Von all ihren Formen findet man in der Dorfkirche sehr wenig. Es wiederholen sich bei dieser sehr oft bestimmte Formen: ein etwa im Geviert gebildeter Chorraum, daran gegen Westen anschließend 5¾ . ein etwas breiterer viereckiger Raum für di —- Laien und gegen Osten eine im Halbkreis Fig. 151. Kirche zu Grethen gebildete Apsis. Diese ist immer gewölbt; (13. Jahrh.). (XIX. 77.) und zwar in der Viertelkugel; der Chor ist meist flach gedeckt, gelegentlich auch in der Tonne oder im Kreuzgewölbe gewölbt; das Langhaus hat wohl stets 25*