38 Betrachtungen sich in engeren Grenzen. Er hat sich einer ihm nicht oblie- genden Pflicht unterzogen, theils wegen der engeren Verbindung, welche er seit dem i6ten Jahrhunderte mit der Kirche einging, theils weil er die Güter einzog, welche die Kirche ehedem in den Stand gesetzt halten, in ausgedehntem Umfange für: die Be- dürfnisse der Armen zu sorgen. In den Händen und unter der Leitung des Staates ver- wandelte sich seiner Natur entsprechend die Liebespflicht der Wohlhabenden in eine Rechtspflicht.e Aus den mit wachsender Regelmässigkeit und nach der Anordnung weltlicher Behörden gesammelten Almosen entwickelte sich das nur halb freiwillige Armengeld und erwuchs zuletzt die Armen- steuer oder der Zuschuss zur Armenverwaltung aus dem Gemeindeseckel. Die vorhin näher erörterte Thatsache, dass ein Theil des der Arbeit gebührenden Lohnes in der Form des Wohlwollens und zuletzt wirklich als Almosen gewährt wurde, hat ohne Zweifel die Rückwirkung gehabt und dazu beigetragen, dass der Staat’ Aeusserungen des Wohlwollens und Gaben der Liebe zum Gegenstande einer gesetzlichen Verpflichtung machen zu müssen und zuletzt die gesammte Armenpflege ohne weitere Mitwirkung der Kirche als einen Zweig der öffentlichen Ver- waltung behandeln zu dürfen glaubte. Statt indess die wahre Ursache dieser Vermischung und Verwechselung der Liebes- und der Rechtspflichten zu erkennen und derselben bewusst zu bleiben, begründete der Staat seine Anordnungen auf die mit dem Erlöschen eines tieferen religiösen Lebens sich entwickelnden Begriffe von natürlichen und angeborenen Rechten eines jeden Menschen gegen seine Mitmenschen. Er erkannte einen allgemeinen Anspruch des Hilfsbedürftigen auf Unterstützung an, der sich unter seinem Siegel nicht mehr auf das ganze menschliche Geschlecht, noch auf dessen Einheit, sondern nur auf die Gesammtheit der Staatsbürger und deren Gemeinschaft bezog. So wurde aus einer Bruder- und Liebespflicht eine bürgerliche und gesetzliche Pflicht. Begünstigt und befestigt wurden diese Ansichten fünftens