476 Völkerrechtliche Lehre wirkt wird. Die Auslieferung ist theils eine Ergänzung des ei- genen Handelns, theils eine Vertreiung desselben; und es ist einfache logische Nothwendigkeit, dass die verschiedenen Slaa- ten sich zu dieser Frage ebenfalls sehr verschieden verhalten, je nachdem sie überhaupt die Aufgabe fassen, auch ausserhalb des Kreises ihrer Unterthanen oder ihres Gebietes zur Aufrecht- erhaltung der Rechtsordnung mitzuwirken. Eine scharfe Bezeich- nung der verschiedenen Systeine ist freilich dadurch nicht wenig erschwert, dass sich gerade hier in vielen einzelnen Fällen theils Klugheitsrücksichten, theils Leidenschaften geltend machen, und weder ein sich beständig gleichbleibendes, noch ein freies blos der eigenen Ueberzeugung folgendes Handeln gestatten. Es mag daher im Folgenden nur angegeben werden, was die verschie- denen Staaten als Regel aufstellen, während daneben oft genug einzelne abweichende Handlungen oder selbst einzelne auf an- deren Grundsäizen ruhende Verträge aufzufinden sind. — Zu richtiger Einsicht und Vollständigkeit ist im Uebrigen nölthig, nicht nur, dass immer die Auslieferung der eigenen Unterthanen von der Auslieferung Fremder, gewöhnlich Flüchtiger, unterschie- den wird, bei beiden aber wieder die Auslieferung wegen an- geblicher staatlicher und wegen sogenannler gemeiner Verbre- chen; sondern dass auch die Grundsätze aufgeführt werden, nach welchen die einzelnen Staaten hinsichtlich der Aufnahme Fremder in ihr Gebiet und in ihren Schutz verfahren. Es fällt nämlich in die Augen, dass eine grosse Bereitwilligkeit in dieser Be- ziehung dem Verhalten bei Auslieferungen eine ganz andere praktische Bedeutung giebt, als wenn thatsächlich keine oder nur wenige Flüchtlinge überhaupt zugelassen werden. Namentlich wo Leichtigkeit der Aufnahme und Erschwerung der Auslieferung zusammenfallen, müssen die Folgen für den Staat selbst und für andere Staalen von grosser Bedeutung sein. Ordnet man die Staaten in eine fortlaufende Reihe von Gruppen, je nachdem sie in steigendem Maasse zur Aufrechter- haltung der Rechtsordnung in fremden Gebieten miltelst Nicht- zulassung Flüchtiger und durch Auslieferungen mitwirken, so kann darüber kein Zweifel sein, dass England und die Ver- einigten Staaten von Nordamerika zuerst zu nennen