602 Völkerrechtliche Lehre Erörterungen, welche durch die Unmittelbarkeit der Beispiele sehr belehrend sind, müssen mächtig dazu helfen. Wenn diess nun aber auch nicht überall so schnell und so vollständig gelingen sollte, als zu wünschen wäre, also z. B. Russland von einer Nichtauslieferung politischer Flüchtlinge immer nichts hören wollte, oder in England und Nordamerika sich grosse Reste falscher Meinungen halten sollten: so hinderte diess die übri- gen Staaten, welche im Wesentlichen zu gleicher Auffassung gelangt wären, keineswegs mit einer Vereinigung unter sich zu beginnen. Worin sollte die Unmöglichkeit, oder auch nur die Schwierigkeit liegen, durch einen Congress der westeuropäischen Staaten zu einer gemeinsamen Uebereinkunft zu gelangen? Schon jetzt sind die Ansichten und Gesetzgebungen dieser Regierungen so ziem- lich übereinstimmend; eine völlige Vereinigung auf eine .mittlere Handlungsweise aber dürfte (auch ganz abgesehen von der Nach- hülfe einer bessern Theorie) dadurch erleichtert werden, dass vortheilhafte Ausgleichungen für das, was etwa ungerne aufge- geben würde, in der That vorhanden wären. Wenn nämlich allerdings z. B. einzelne Staaten zu dem Grundsatze der Nicht- auslieferung wegen staatlicher Vergehen nur ungerne ihre Zu- stimmung geben möchten: so wäre zu bedenken, dass eine allge- meine Vereinbarung auch ein gemeinschaftliches und wirksames System vorbeugender Maassregeln enthalten müsste, und somit eine jetzt ungekannte Sicherung und Beruhigung brächte. Man nehme an, dass eine der verabredeien Bedingungen fest- setze, ein politischer Flüchtling sei in einem unmittelbar anstos- senden Staate gar nicht, und überhaupt nur in einer bestimmten geographischen Entfernung von den Gränzen des Staates, gegen den er sich vergangen, zu dulden: würde dadurch nicht ( um eben jetzt bestehende Verhältnisse anzuführen) Oesterreich gegen- über von Piemont oder der Schweiz, Frankreich gegen Belgien gewinnen? Würde nicht der Streit Badens mit der Schweiz über ungenügendes Interniren ganz wegfallen? Aber eben so auf der andern Seite, d. h. bei denjenigen Staaten, welche ihrer bisherigen Beihülfe zu fremdem Rechtsschutze etwas beifügen müssten. Unzweifelhaft würde sich z. B. die Schweiz zu den eben genannten, und vielleicht noch weiteren, Vorbeugungsmaass-