Rechtsverhältnisse der Untertanen. $ 229. 089
Nicht minder ist die Reichsgesetzgebung befugt, diese Rechte zu
beseitigen, soweit .der betreffende Gegenstand in ihre Kompetenz
einschlägt, In der Tat sind auch, znm Teil schon während des
Bestehens des Bundes und ebenso nach Auflösung desselben,
standesherrliche Rechte im Wege der Gesetzgebung aufgehoben
worden. Die Patrimonialgerichtsbarkeit war vielfach schon durch
Landesgesetze abgeschafft; durch die Reichsjustizgesetze ist sie
definitiv für ganz Deutschland beseitigt. Dasselbe gilt mit einer
später zu erwähnenden Ausnahme von dem privilegierterf Gerichts-
stande. Die Patrimonialpolizei und die übrigen Verwaltungsbefug-
nisse sind in den meisten Ländern durch die neuere Verwaltungs-
gesetzgebung aufgehoben worden !, Die Freiheit des Aufenthaltes
ist in der allgemeinen F'reizügigkeit aufgegangen !!, Dagegen haben
einzelne Vorrechte der Standesherren durch reichsgesetzliche Be-
stimmungen eine ausdrückliche Bestätigung gefunden.
Als besondere Rechte der Standesherren bestehen demnach
noch folgende: 1. das Recht der Ebenbürtigkeit mit den re-
gierenden deutschen Fürstenhäusern und der Anspruch ‘der Häupter
der standesherrlichen Familien auf die Prädikate „Durchlaucht“
und „Erlaucht“ 12; 2, das Recht der Autonomie in bezug auf
ihre Güter und Familienverhältnisse. Dieses Recht soll den standes-
herrlichen Häusern auch nach dem Inkrafttreten des bürgerlichen
andern deutschen Staaten, und die ve mäßige Verpflichtun gegenüber
diesen ist mit dem Aufhören des Bundes hinweggefallen. Auch Hammann
a. a. O. 58ff. behauptet die Unentziehbarkeit der Rechte, weil sie den
Charakter wohlerworbener Rechte hätten. Wohlerworbene Rechte sind aber
keine Schranke für die Gesetzgebun (vgl. $ 155 S. 645). Übereinstimmend
Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes 7; Seydel, Kom-
mentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich, zu Art. 57 Nr. Ill;
P. v. Roth, Deutsches Privatrecht 1 $ 43 N. 7; v. Sarwey, Württemb. Staatr.
1 314 ff.; Loening, Die Autonomie der standesherrlichen Häuser 9, 23; An-
schütz, Enzykl. 93; K. Scholly, Das Autonomierecht des hohen Adels 88 £.;
G. Rohmer, Die rechtliche Natur des standesherrlichen Steuervorrechts und
sein Umfang nach dem Staatsrecht Bayerns (1893) 5ff.; B. Schmidt, Der
t, .
10 Durch das preuß. G. vom 16. Juli 1876, welches die Kreisordnung
vom 13. Dez, 1872 auf die stolbergischen Besitzungen ausdehnt, ist den
Grafen von Stolberg als besonderes Vorrecht nur das Recht, bei den An-
stellungen gewisser Beamten gehört zu werden, und die Ausübung des Wahl-
rechtes durch Stellvertreter zugesagt worden. Ähnliche Befugnisse stehen
den Fürsten zu Sayn-Wittgenstein-Hohnstein und Sayn-Wittgenstein-Berle-
burg (KrO für Westf. $ 99), den Fürsten zu Wied, Solms-Braunfels und
Solms-Hohensolms-Lich (KrO für die Rheinprov. $ 99) zu. Die Befugnis, das
Wahlrecht durch Stellvertreter auszuüben, besitzen auch die Standesherren
in Hannover (KrO $ 53) und Hessen-Nassau (KrO $ 54) Über die Ein-
führung der sächsischen Verwaltungsgesetze in den schönburgischen Rezeß-
herrschaften vgl. V. vom 19. Sept. 1874.
1! Daraus ergibt sich, daß die allgemeinen gesetzlichen Aufenthalts-
beschränkungen sich auch auf die Standesherren erstrecken. vgl Seydel,
AnnDR 1876 159 N.8; R. v. Mohl, Deutsches Reichsstaatsrecht 192; Dames,
Freizügigkeit und Aufenthalt 21.
m 21 vom 18. Aug. 1825 und 13. Febr. 1829 (G. v. Meyer a.a. 0.2
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