Rechtsverhältnisse der Untertanen. $ 234. 999
die Heilighaltung der Sonn- und Feiertage vorschreibt und ge-
wisse Verfügungen der kirchlichen Behörden vollstreckt.
Die Ausübung der Kirchenhoheit ist in Deutschland auch nach
Gründung des Reiches Sache der Einzelstaaten geblieben.
1. Das Reformationsrecht’.
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1. Ein staatliches Reformationsrecht konnte sich während
des Mittelalters nicht ausbilden, da nur eine einzige christliche
Kirche, die römisch-katholische, existierte und neben derselben
lediglich die Juden eine eigentümliche, geduldete Stellung be-
wahrten. Erst nachdem die protestantische Kirche durch den
Augsburger Religionsfrieden von 1555 eine gesicherte Existenz
im Reiche erhalten hatte, legten sich die Landesherren die Be-
fugnis bei, die Konfession, der sie selbst angehörten, ausschließlich
in ihren Territorien zu dulden, die Angehörigen der anderen Kon-
fession dagegen zur Auswanderung zu zwingen. So nahmen fast
alle deutschen Territorien einen konfessionell - einseitigen Cha-
rakter an, “
Auch der Westfälische Friede ließ als anerkannte Re-
ligionsparteien im Reiche nur die Katholiken und die Protestanten
(Lutheraner und Reformierte) zu®. Durch denselben wurde die
Befugnis der Landesherren, die konfessionellen Verhältnisse ihrer
Länder nach ihrem Ermessen zu gestalten, aufrechterhalten und
zum erstenmal als ius reformandi bezeichnet®. Dieses Reformations-
recht erfuhr jedoch im Verhältnis der Katholiken und Protestanten
zueinander_sineürtffache Beschränkung: 1. Jede der beiden Kon-
fossionen sollte diejenige Religionsübung behalten, welche sie zu
3rgend einer Zeit des Jahres 1624 gehabt hattet. 2. Bei ge-
zwungener oder freiwilliger Auswanderung der Angehörigen einer
Konfession sollte keine Vermögensentziehung stattfinden®. 3. Wenn
dieselben nicht zur Auswanderung gezwungen wurden, so hatten
sie Anspruch auf häusliche Andacht und Gleichberechtigung in
bürgerlicher Beziehung®. Hinsichtlich der beiden protestantischen
Konfessionen wurde bestimmt, daß der Landesherr, welcher zu
einer anderen protestantischen Konfession überträte oder ein
Territorium mit einer Bevölkerung anderer protestantischer Kon-
fession erwürbe, einen Hofgottesdienst seiner Konfession einrichten
und seinen Glaubensgenossen die Religionsübung unwiderruflich
ı Kahl, Lehrsystem 1 289 ff., Si5ff.; v. Bonin, Die praktische Be-
deutung des ius reformandi (1902): Greiff, Das staatliche Reformationsrecht
(Erlanger Diss. 1908); Giese, bei v. Roenne-Zorn a. a. 0.8171 ff.; Anschütz,
omm. 188 ff,
% Instr. pac. Osnabr. Art. VII I
® Instr. pac. Osnabr. Art, V | .
4 Instr. pac, Osnabr. Art. V 88 31 u. 82.
5 Instr. pac. Osnabr, Art. V 8 36.
® Instr. pac. Osnabr. Art. V 88 34 u. 35.