Rechtsverhältnisse der Untertanen. 8 285. 1005
I. Das Aufsichtsrecht'!,
1. Die katholische Kirche.
8 235.
An der Spitze des heiligen römischen Reiches deutscher Nation,
welches nach der Auffassung des Mittelalters die gesamte Christen-
heit umfaßte, stand der Kaiser als weltlicher, der Papst als
eistlicher Herrscher. Während bis zum Tode Heinrichs III. (1056)
ie kaiserliche Autorität das Übergewicht behauptete, ging seit
Gregor VII. das Streben der Päpste dahin, die Macht des Kaisers
zu brechen und die geistliche Gewalt der weltlichen überzuordnen.
Im Bunde mit den italienischen Städten und unterstützt durch die
partikularistische Selbstsucht der deutschen Fürsten erreichten sie im
zwölften und dreizehnten Jahrhundert ihr Ziel. Unter Innocenz III.
befand sich die päpstliche Suprematie auf dem Höhepunkte. Aber
die Übertreibung der päpstlichen Ansprüche bewirkte eine um so
stärkere Reaktion der staatlichen Elemente, als deren Repräsentant
gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts zunächst das französische
Königtum auftrat. Seit Verlegung der päpstlichen Residenz nach
Avignon ging das Papsttum immer mehr seinem Verfalle entgegen.
In den Kämpfen Ludwigs des Bayern mit dem Papst zeigten
Kaiser und Kurfürsten das Streben, die Unabhängigkeit der Kaiser-
wahl gegenüber den Übergriffen des römischen Stuhles zu be-
haupten. Im fünfzehnten Jahrhundert traten auch die Territorial-
gewalten, sowohl Städte als Landesherren, den Anmaßungen der
Kirche mit Erfolg entgegen, indem sie die übermäßig ausgedehnte
kirchliche Gerichtsbarkeit beschränkten und die Publikation päpst-
licher Erlasse von ihrer Zustimmung abhängig machten.
Aus diesen Anfängen entwickelte sich seit der Reformation
in denjenigen weltlichen Territorien, welche katholisch geblieben
waren, ein stastliches Aufsichtsrecht über die katho-
lische Kirche. Zur Ausübung desselben bestellten die Landes-
herren eigene Behörden nach dem Muster der protestantischen
Konsistorien. Während des dreißigjährigen Krieges wurde die
Handhabung der Staatshoheitsrechte über die Kirche meist unter-
brochen. Nach Beendigung desselben kam sie aber bald wieder
in Aufnahme. Wihrend des achtzehnten Jahrhunderts bestand in
den größeren katholischen Staaten, uamentlich in Österreich, ein
System starker Bevormundung der Kirche, das in Präventivmaß-
regeln der verschiedensten Art seinen Ausdruck fand. Eine ähn-
liche Regelung des Verhältnisses der Kirche zum Staat enthielt das
Preußische Landrecht?®.
Durch die im RDHS von 1803 angeordneten Säkularisationen
ı Kahl, Lehreystem 1 349 ff,; Giese bei v. Roenne-Zom 8 174 ff.; An-
schütz, Komm. 282 ff.
% Preuß. ALR T. II Tit. 11. Vgl. Schoen, Preuß. Kirchenrecht 1 65 ff.;
Giese bei v. Roenne-Zorn 8 174.