Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

Rechtsverhältnisse der Untertanen. $ 235. 1007 
Bis zum Ende des vierten Jahrzehntes des neunzehnten 
Jahrhunderts blieb überall in Deutschland ein System strenger 
Staatsaufsicht über die katholische Kirche bestehen. Der 
Wendepunkt trat mit der Thro nbesteigung Friedrich 
Wilhelms IV. ein®. Durch verschiedene Anordnungen wurde 
der Kirche in Preußen eine freiere Bewegung gestattet. Die 
Ereignisse des Jahres 1848, welche die Kirche selbst geschickt zu 
benutzen verstand, brachten den Grundsatz der Unabhängigkeit 
der Kirche vom Staate zur Geltung. Die Grundrechte des deut- 
schen Volkes bestimmten, daß jede Religionsgesellschaft ihre An- 
elegenheiten selbständig ordne und verwalte”, eine Fassung, welche 
beinahe wörtlich in die preußische Verfassungsurkunde über- 
ging®. Die Art und Weise, in welcher die Vorschriften der letzteren 
in Preußen praktisch gehandhabt wurden, führte schließlich zu 
einer fast vollständigen Vernichtung der Kirchenhoheit des Staates. 
Nachdem die Kirche auch in Österreich durch das Kon- 
kordat vom 18. August 1855 eine völlig unabhängige und dazu 
höchst privilegierte Stellung errungen hatte, versuchte sie, den- 
selben Zustand in den süddeutschen Staaten durch Vereinbarungen 
mit den betreffenden Regierungen herzustellen. Schon am 23. April 
1854 hatte der Bischof von Mainz eine Übereinkunft mit der groß- 
herzoglich hessischen Regierung geschlossen, welche im Jahre 
1856 durch fernere Zugeständnisse der letzteren erweitert wurde. 
Am 8. April 1857 kam ein Konkordat mit Württemberg und 
am 28. Juni 1859 ein gleiches mit Baden zustande. Die Durch- 
führung des letzteren scheiterte jedoch am Widerstande des Land- 
tages, dasselbe wurde wieder aufgehoben und das Verhältnis des 
Staates zur Kirche auf einer neuen gesetzlichen Basis geregelt®. 
Auch die württembergische Regierung sah sich nunmehr gezwungen, 
das von ihr abgeschlossene Konkordat den Ständen vorzulegen, 
welche dasselbe ebenfalls verwarfen. Die Beziehungen zwischen 
Staat und Kirche wurden auch hier Gegenstand gesetzlicher Fest- 
stellung!°. Die hessische zweite Kammer erklärte im Jahre 1868 
die Konvention mit dem Bischof von Mainz gleichfalls für un- 
gültig; im Jahre 1866 wurde sie mit Übereinstimmung beider 
Kontrahenten aufgegeben. Zu einer gesetzlichen Regelung kam 
es jedoch hier vorläufig nicht und die im Einverständnis mit dem 
Bischof von Mainz festgestellte Verwaltungspraxis erhielt alle 
wesentlichen Bestimmungen der Konvention aufrecht. 
mäßigen Schutz- und Aufsichtsrechte des Staates über die katholische Landes- 
kirche, vom 30. Januar 1830. Weitere Verordnung vom 1. März 1858. 
6 v. Treitschke, Deutsche Geschichte 5 276 ff. Schoen, Preuß. Kircheu- 
recht 1 76 ff. 
7 RVerf von 1849 8 47. 
8 Preuß. Verf. Art. 15. Anschütz, Komm. 1 282 ff. 
9% G., die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im 
Staate betr., vom 9. Oktober 1860. 
10 G., betr. die Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur katho- 
lischen Kirche, vom 80. Januar 1862.
	        
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