Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

1026 Nachtrag. 
kein Raum mehr sei”, und verhieß zudem die Einführung der 
unmittelbaren und geheimen Wahl. Eine ergänzende Botschaft 
vom 11. Juli 1917 ordnete an, daß ein Gesetzentwurf über die 
Wahlen zum Hause der Abgeordneten auf der Grundlage des 
gleichen Wahlrechts aufzustellen sei. Und im Vollzug dieser 
Versprechungen wurde im November 1917 ein Gesetzentwurf des 
vorbezeichneten Inhalts (zusammen mit einem andern, welcher eine 
umfassende Reorganisation des Herrenhauses, und einem dritten, 
welcher gewisse Abänderungen des Budgetrechts brachte) dem 
Landtage vorgelegt®. Er war auf dem Grundsatz des allgemeinen, 
gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts aufgebaut und von 
einer Begründung begleitet, die in ihrer starken Überzeugungs- 
kraft, ihrem ruhigen Ernst und ihrem inneren Schwung zu dem 
besten gehört, was an amtlichen Donkschriften über innere Staats- 
reformen bisher bekannt geworden ist. 
Trotz seiner vorzüglichen Begründung war dem Reformentwurf 
kein Glück beschieden. Er ist nicht Gesetz geworden. Die Ver- 
antwortung für diesen Mißerfolg, der ein Unglück für ganz Deutsch- 
land bedeutete und unter den inneren Ursachen der Revolution 
nicht an letzter Stelle steht, trifft nicht die Regierung, sondern 
den Landtag, oder richtiger die rechtsstehenden Parteien des Ab- 
geordnetenhauses, welche im Mai 1918 den Kern der Regierungs- 
vorlage, das gleiche Wahlrecht, unter Annahme eines stark reak- 
tionär gestalteten Mehrstimmenrechts ablehnten und dadurch die 
Wahlreform zu Falle brachten. Wohl hat sich dann das Herren- 
haus noch lange mit der Reform beschäftigt, es hat sogar, als in- 
mittelst die militärische und mit ihr die allgemeine politische Lage 
immer unheildrohender geworden war, das gleiche Wahlrecht, zu- 
nächst noch mit einer Zusatzstimme für Wähler höheren Lebens- 
alters, dann (11. Okt. 1918) ohne eine solche Zusatzstimme in die 
Vorlage wieder eingesetzt, und endlich hat dann auch die kon- 
servative Fraktion des Abgeordnetenhauses ihren Widerstand gegen 
die Gleichheit des Wahlrechts aufgegeben (15. Okt.); die Wahl- 
reform schien gesichert. Allein es war zu spät. Das Rad der 
Bewegung, welche Preußen und ganz Deutschland umwälzen und 
damit auch die Reformbestrebungen der alten Gewalten überholen 
sollte, war bereits im Rollen. Das alte Preußen hat sein Drei- 
klassensystem mit sich ins Grab genommen, 
2. Besser als in Preußen gelang, was im Reiche an ver- 
fassungspolitischen Reformen geplant war; doch kann, da alsbald 
nach dem Gelingen die Umwälzung auch über die Reichsverfassung 
hereinbrach, dieses Gelingen nur die Bedeutung einer kurzen 
Episode in Anspruch nehmen. 
Der Sitz der Reichsreformbestrebungen war der Reichstag, 
welcher (bei der Beratung des Haushaltplanes für 1917/18) zur 
Beratung der einschlägigen Fragen einen eigenen Ausschuß, den 
6 Haus der Abg. 1916'18 Drucksache Nr. 698.
	        
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