Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts.

I. Staatsrechtl. Reformen u. Reformbestrebungen während d. Kriegszeit. 1029 
Parteien lag), so zwar, daß aus diesen Städten und Bezirken „große“, 
durch eine Mehrzahl von Abgeordneten (2—10) zu repräsentierende 
Wahlkreise gebildet wurden, für welche, wiederum nach dem An- 
trage des Verfassungsausschusses, das System der Verhältniswahl 
eingeführt wurde. 
II. Von viel einschneidenderer Bedeutung waren die Reformen, 
welche, unter der Kanzlerschaft des Prinzen Max von Baden, durch 
die beiden Gesetze vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1273, 1274) vor- 
enommen wurden®. Auch für diese Gesetze waren die Arbeiten 
es Verfassungsausschusses richtunggebend. 
Das erste der beiden Gesetze hebt Art. 21 Abs. 2 RVerf, 
wonach Mitglieder des Reichstags, welche ein besoldetes Reichs- 
oder Staatsamt übernehmen, Sitz und Stimme im Reichstag ver- 
lieren (oben $ 130 S. 510), auf (um, im Sinne des parlamentarischen 
Systems, den Reichstagsmitgliedern den Eintritt in die Regierung 
ohne Preisgabe ihres Mandats zu ermöglichen). Es schreibt ferner 
vor, daß nicht nur der Reichskanzler, sondern auch seine Stell- 
vertreter im Reichstage auf Verlangen jederzeit gehört werden 
müssen (ausgehend von dem Gedanken, daß die Stellvertreter, 
such wenn sie nicht Mitglieder des Bundesrates sind und als 
solche sich auf Art. 9 RVerf berufen können, auf Grund ihrer 
ministeriellen Verantwortlichkeit gegenüber dem Reichstage so be- 
rechtigt wie, gegebenenfalls, verpflichtet sind, im Reichstage das 
Wort zu ergreifen). 
‚..Das zweite Gesetz vom 28. Oktober 1918 bringt: folgende 
Änderungen der RVerf: 
1. Im Art. 11 werden Abs. 2, 3 durch folgende Bestimmungen 
ersetzt ®: 
. Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reiches ist die 
Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags erforderlich. 
Friedensverträge sowie diejenigen Verträge mit fremden Staaten, 
welche sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, 
bedürfen der Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags. 
2. Dem Art. 15 wird hinzugefügt: 
Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Ver- 
trauens des Reichstags. Der Reichskanzler trägt die Verant- 
wortung für alle Handlungen von politischer Bedeutung!?, die 
der Kaiser in Ausübung der ihm nach der RVerf zustehenden 
Befugnisse vornimmt. Der Reichskanzler und seine Stellvertreter 
sind für ihre Amtsführung dem Bundesrat und dem Reichstag 
verantwortlich. 
3. Im Art. 17 werden die Worte gestrichen: „welcher da- 
durch die Verantwortlichkeit übernimmt.“ 
& Über diese Reformen vgl. Piloty, DJZ 23 (1918), 649 f., 716 ff. 
® Vgl, oben $ 190 S. 818. 
. 0 Einschließlich derer, welche als Ausübung der militärischen Kom- 
mandogewalt erscheinen. 
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