1036 Nachtrag.
8. Eine Verordnung des Rates der Volksbeauftragten vom14. No-
vember (RGBI 1311) ermächtigte den Bundesrat, die ihm nach dem
bisherigen Recht zustehenden Verwaltungs- (Gegensatz: Gesetz-
gebungs-) Befugnisse auch fernerhin auszuüben. Im Gegensatz
zu dieser beschränkten Aufrechterhaltung der Stellung des Bundes-
rats wurde die Einberufung des Reichstags entgegen dem Verlangen
des letzten Reichstagspräsidenten seitens der Reichareglerung (d.h.
des Rates der Volksbeauftragten) verweigert mit der Begründung:
„Infolge der politischen Umwälzung, die sowohl die Institution
des Kaisertums als auch den Bundesrat in seiner Eigenschaft als
gesetzgebende Körperschaft beseitigt hat, kann auch der 1912 ge-
wählte Reichstag nicht mehr zusammentreten“ 1°, |
4. Im Gegensatz zu der Haltung der Reichsregierung, welche
seit ihrem Antritt entschlossen an dem (aus der letzten Kund-
gebung der alten Regierung !? übernommenen) Gedanken festhielt,
so bald als möglich eine deutsche Nationalversammlung auf
breitester demokratischer Grundlage wählen und die neue Ver-
fassung des Reichs von ihr beschließen zu lassen, machte sich in
den Arbeiter- und Soldatenräten, namentlich in dem Berliner A.-
und S.-Rat, der sich eigenmächtig die Stellung einer zentralen
proletarischen Organisation für ganz Deutschland beigelegt hatte,
eine Strömung geltend, welche darauf hinausging, den Gedanken
der Nationalversammlung wenn nicht aufzugeben, so doch zurück-
zustellen und die oberste Entscheidungsgewalt den A.- und 8S.-
Räten bezw. einer von ihnen 'zu delegierenden Zentralinstanz zu
übertragen („Rätesystem“), um auf diesem Wege die Diktatur
des Proletariats institutionell zu sichern und das Bürgertum von
der politischen Macht auszuschließen. In diesem Sinne sprach
sich der Berliner Vollzugsrat am 18. November dahin aus, daß
eine Nationalversammlung nicht nötig sei, da die Räte allein das
Recht der Entscheidung über die Zukanft Deutschlands hätten,
und am folgenden Tage beschloß eine Vollversammlung des
Berliner A.- und S.-Rats eine Resolution, in der es hieß: „Das
Bestreben der bürgerlichen Kreise, so schnell als möglich eine
Nationalversammlung einzuberufen, soll die Arbeiter um die
Früchte der Revolution bringen. Der Vollzugsrat der A.- und
S.-Räte Groß-Berlins verlangt daher die Einberufung einer Dele-
giertenversammlung der A.- und S.-Räte Deutschlands. Diese hat
auf Grund eines von ihr aufzustellenden Wahlsystems einen
Zentralrat der deutschen A.- und S.-Räte zu wählen, der eine
neue, den Grundsätzen der proletarischen Demokratie entsprechende
Verfassung zu entwerfen hat?°.“ In seiner Begründung dieser
Resolution hatte der Vorsitzende der Versammlung u. a. das be-
zeichnende Schlagwort geprägt: „Wir wollen keine demokratische.
Republik, sondern eine proletarische.“
18 Tageszeitungen vom 16. November.
19 Vgl. oben S. 1084. 3° Der Tagespresse entnommen,